Ich habe in einigen Reviews zu Perdido Street Station des öfteren den Vorwurf der Rezensenten ertönen hören, dass es innerhalb des Romans ein wenig zu viele Zufälle gibt, wie z.B. das gerade Isaacs Reinigungsmaschine ein Bewusstsein entwickelt, das gerade Lin als Freundin von Isaac als Künstlerin von Vielgestalt ausgesucht wird etc.
Mir fallen diese Dinge zwar auch auf, aber im Gegensatz zu den erheblich schlechteren Romanen, in denen einem merkwürdige Zufälle begegnen, belästigen mich hier diese Zufälle nicht unaufhörlich, wie sie das sonst so gerne tun.
Wie geht es Euch damit?
Re: Zufälle über Zufälle...
Hi,
ja, das ist auch mir aufgefallen: die Erzählführung war mir oft etwas zu simpel. Ich rechne dies aber dem Umstand zu, daß Mieville den Roman als Potpourrie überbordender Ideen konzipiert hat - und so verzeiht man diese kleine Schwäche gerne, weil das Buch insgesamt so großartig ist.
Grüße, stratos
Re: Zufälle über Zufälle...
Wenn ich rausgehe und überfahren werde, ist das ein Zufall. Wenn ich rausgehe und nicht überfahren werde, ist es ebenfalls ein Zufall. Das Leben ist voller Zufälle, weil ich zwar die Wahrscheinlichkeiten beeinflussen kann, aber nicht wirklich die Geschehnisse kontrollieren.
Dementsprechend kann man auch in einem Roman alles als Zufall betrachten oder auch nichts. Ein Roman, der krampfhaft versucht, keine Zufälle zuzulassen, wirkt auch genauso - verkrampft. Letztendlich machen Zufälle eine Geschichte lebendig. Nun, mitunter ärgert man sich sehr, wenn ein Zufall zu sehr an den Haaren herbeigezogen wird. Ich habe aber genauso schon erlebt, dass ich mich als Leser gerade von solchen Zufällen besonders unterhalten fühlte. Und wenn ich analysiere, wann ich mich als Leser unterhalten und wann betrogen fühle, dann stelle ich fest: Es hat nichts damit zu tun, wie viele Zufälle auftauchen und wie "zufällig" sie sind - also nicht mit der reinen Wahrscheinlichkeit. Es hängt davon ab, ob der Zufall eine Plotlinie abschneidet oder eine neue Linie öffnet!
Wenn am Ende also alles sich durch einen Zufall auflöst, ist das nicht so gut; wenn der Zufall aber neue Komplikationen schafft und dramatisches Potenzial eröffnet, wird es spannend. Und bei Mieville sehe ich eigentlich in erster Linie "gute" Zufälle am Werk. Die genannten Zufälle öffnen neue Handlungslinien, sie präsentieren nicht "Deus ex machina"-Lösungen.
Re: Zufälle über Zufälle...
@Lomax Ich gebe Dir in soweit recht, dass mir die Zufälle in PSS nicht wie Dei ex Machina erscheinen, dennoch fallen sie mir auf. Das ist für mich ein Indiz, dass sie gehäuft auftreten. Allerdings sind die Zufälle in PSS nichts gegen die, die in Romanen z.B. von Markus Heitz auftreten und die alle bloße Deus ex Machina-Funktionen erfüllen und deshalb nur schwer erträglich sind.
Re: Zufälle über Zufälle...
Da stimme ich euch zu. Vor allem weil die Ideen von CM einfach phantastisch sind; ich denke, er wollte einfach so viel verrückte Sachen in seinem ersten Buch unterbringen wie möglich. Deswegen hat es mich auch in diesem Buch nicht so gestört. Ich habe aber gehört, daß die einzelnen STränge in "The Scar" etwas besser miteinander verzahnt sind, Mieville also nach dem wilden, explosiv geschriebenen Bas-Lag-Erstling mehr Struktur eingeführt hat. DA ich es noch nicht gelesen habe, kann ich das natürlich hier nur als These stehen lassen.