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Der Traum vom Anderssein

Der Traum vom Anderssein

eigentlich ist dies eine "The Tribe"-Story. (geht aber auch um Lycanthropie) da sie eigentlich nur wenig mit der Serie zu tun hat, hoffe ich doch, kommen auch diejenigen mit, die die Serie nicht kennen...

nur kurz zur Serie: in "The Tribe" sind alle Erwachsenen an einem Virus gestorben. nur die Kinder und Jugendlichen haben überlebt und sich zumeist in Tribes - also Stämmen - zusammengeschlossen.

ich fand es einfach mal interessant, Erwachsene hinzuschicken. in diesem Fall "meine" Hexen.  (es gibt auch noch ne Vorgeschichte, aber die ist hier nicht soo wichtig.)

Rechte: Alle Rechte an The Tribe gehören Raymond Thompson und Cloud9.
Die Hexen sind auf meinem Mist gewachsen. 


(P.S.: es gibt einen (eigentlich zwei, aber den einen nur am anfang) Chara, der durch eine Figur aus einer gewissen Serie beeinflusst wurde. mal sehen, ob jemand ihn entdeckt. und nein, es ist nicht die Person im schwarzen Umhang*G*)

wäre froh zu erfahren, obs euch interessiert, bzw. gefällt.




Der Traum vom Anderssein



1. Teil


Beinahe völlig lautlos bewegte sie sich durchs Unterholz. Einem Schatten gleich. Nur selten knackten kaum hörbar kleinere Äste unter ihren Schritten. Übermütig sprang sie zwischen den Bäumen umher. Sie sprühte vor Lebensfreude. War da nicht etwas? Einige Meter vor ihr? Dort bewegte sich doch eindeutig etwas? Sie spitzte die Ohren und blickte wie gebannt zu der Stelle. Dann sprintete sie los. Immer schneller wurde sie. Sie schien fast zu fliegen.
Das aufgeschreckte Kaninchen sprang verängstigt in seinen Bau. Darüber war sie keineswegs enttäuscht. Im Gegenteil. Das Kaninchen konnte es nicht wissen, aber ihr war es nicht etwa um Nahrungsbeschaffung gegangen. Das Laufen bereitete ihr einfach riesige Freude. Immer, wenn sie so schnell durch Wälder und über Wiesen rannte, fühlte sie sich so richtig unbeschwert und frei. Beim Laufen spürte sie regelrecht, wie die schweren Ketten, die um ihr Herz lagen, zersprangen. Niemand, der ihr sagte, was sie zu tun oder zu lassen habe. Keine lästigen Pflichten. Niemand, der ihr sagte, sie sei zu alt für solche Albernheiten.
Sie atmete tief durch. Frei. Frei. Endlich mal wieder frei! Freiheit. Wer weiß schon, was Freiheit ist? Für die meisten ist es bloß ein Wort. Sie aber war eine der wenigen, die um die wahre Bedeutung wusste.

Fröhlich - auch wenn man ihr das vielleicht nicht ansah - sog sie die herrlich frische, duftende Waldluft ein. Sie erinnerte sich, wie sie als Kind in diesem Wald gespielt hatte. Hm... Wald? Naja, eigentlich war es mehr ein kleines Waldstück, das nur aus wenigen Bäumen bestand. Zumindest im Vergleich mit einem richtigen Wald. Aber das war ihr egal. Ihr genügte es.
Was war das für ein unheimliches Geräusch? Da! Da war es schon wieder! Es hallte durch den ganzen Wald. Über ihr knackte etwas. Ihr Blick richtete sich blitzschnell nach oben. In der Baumkrone über ihr saß eine Eule. Jetzt wusste sie, was das für ein Geräusch war. Interessiert blickte sie zu der Eule. Doch schließlich setzte sie ihren Weg fort. Doch halt - was war das für ein Geruch, der ihr plötzlich in die Nase stieg? Sie hielt inne und schnupperte. Ihre Nackenhaare stellten sich auf. Dieser Geruch... das konnte nichts Gutes heißen, oder? Ein wenig ängstlich sah sie sich um. Ihre leuchtend braunen Augen erblickten ein Mädchen am Waldesrand. Das Mädchen schaute zu ihr und sie erwiderte den Blick. Sekundenlang stand sie so da. Dann entschied sie sich, weiterzulaufen. Ohne sich noch einmal umzusehen. Nein, noch wollte sie nicht zurück- zurück in den "Käfig" namens Zivilisation.

Alles auf Anfang - oder: Zurück zu den Wurzeln

Lupina drehte noch einmal eine ausgelassene Runde durch das kleine Wäldchen. Die Wölfin war froh, dass sich hier gerade kein Jäger herumtrieb. Nur ungern dachte sie an die getötete Wölfin Bärbel - vor allem, da der Ort des Geschehens nicht sehr weit weg war.
Da sie jegliches Zeitgefühl verloren hatte, begab sie sich zum anderen Ende des Waldes und hielt nach der Sonne Ausschau. Es musste später Nachmittag sein - höchste Zeit, zurückzukehren.
Sie ließ es sich nicht nehmen, noch einmal durch den Wald zu laufen, wieder zurück zu dem Mädchen am Waldrand. Dort angekommen, blieb sie zögernd stehen. Vorsichtig sah sie sich um. Als das Mädchen ihr ein Zeichen gab, richtete sich die Wölfin langsam auf. Ihre Gliedmaßen und ihr Körper streckten und verformten sich. Als die Rückverwandlung abgeschlossen war, lief Lupina - die nun wieder Anna war, zu ihrer Freundin Sandra. "Entschuldige, ich hab völlig die Zeit vergessen." "Das bin ich doch schon gewohnt", erwiderte Sandra leicht lächelnd, "ich weiß doch, wie sehr du 'Lupina' magst. Aber nun wird's Zeit für den Rückweg." Anna nickte. Gemeinsam marschierten sie den Weg entlang bis zu der Weide am Forsterdamm, wo ihre Pferde standen und ritten zu Anna nach Hause.




Re: Der Traum vom Anderssein

2. Teil

Beinahe einstimmig hatten sich die Mitglieder des "Pferdezirkus Fantasy" dazu entschlossen, den Circus dieses Jahr bis auf wenige Sondervorstellungen pausieren zu lassen. So hatten endlich mal wieder alle mehr Zeit für sich, ihre Familien, Freunde und auch ihre Tiere. Die ersten Monate des Jahres verbrachten die meisten daher daheim bei ihren Familien.

Während Anna zuhause in "Woodminden" eine zeitlang wieder ihrem eigentlichen Beruf nachging, befand sich ihr Freund Benjamin in seiner Heimat England. Allerdings blieb er dort nicht lange. Genau wie früher, bevor es den Circus gegeben hatte, reiste er danach wieder mit Cassiopeia - der Kalderash - als deren Beschützer und Kumpel durch Irland. Anna vermisste ihn sehr, und sie überlegte, ob sie ihr Versprechen, welches sie ihm gegeben hatte, nun endlich einlösen sollte: Schon lange hatte sie ihm versprochen, einmal nach England zu reisen und sich seine Heimat von ihm zeigen zu lassen. Doch noch konnte und wollte sie nicht hier weg.

Auch die anderen Zirkusmitglieder vermisste sie. Da war zum Beispiel Svenja, die sich oft um eines von Annas Pferden kümmerte. Svenja war nach Island zurückgekehrt, um sich wieder ein wenig selbst um ihre Islandpferde-Zucht zu kümmern. Die strengen Gesetze Islands bereiteten ihr einige Probleme: Wenn sie beim Circus war, konnte sie nicht wie die anderen ihre eigenen Pferde mitnehmen und danach mit ihnen nach Hause - nach Island - zurückkehren, und andererseits konnte sie nie ihr Pflegepferd mit zu sich nach Island nehmen. Es fiel ihr daher nicht immer leicht, ihre Islandpferde oder ihren Pflege-Araber zurücklassen zu müssen.
Dann gab es da noch Adriane, die zusammen mit Ben nach England gereist war, um sich von da aus in ihre Wahlheimat Schottland zu begeben. Dort wollte sie sich mit einem alten - sehr, sehr alten - Freund in den schottischen Highlands treffen, worauf sie sich sehr freute. Mit seiner Hilfe wollte sie nebenbei auch ein wenig ihre Schwertkampfkünste auffrischen. Von Johanna und Julius, die nur selten beim Circus dabei waren, weil sie sich um ihren Gnadenhof kümmern mussten, hatte Anna gehört, dass sie derzeit eine Aushilfe anlernten. Bei dem Mädchen, ihr Name war Merle, handelte es sich ebenfalls um eine Hexe - eine Hexe mit großem Gespür für Tiere. Angela, die Ende letzten Jahres Mutter geworden war, nutzte die Zeit, um sich um ihren Sohn Joshua zu kümmern. Schließlich gab es da noch Nadine (die mit ihrer Freundin Caisey unterwegs war), Catherine, Bonnie, Samantha, Charleen, aber auch Janine nicht zu vergessen, und all die anderen Hexen und Nichthexen, die zum Circus gehörten.
***
Eigentlich hatte Anna am Abend eines ihrer Lieblingsbücher - Stephen Kings "The Stand" - weiterlesen wollen, doch weit kam sie nicht. Sie musste an Janine denken. Janine, die ebenfalls eines von Annas Pferden als Pflegepferd hatte, und die durch ihre Blindheit so gar nicht 'behindert' war, war schweren Herzens nach Amerika zurückgekehrt - in Stephen Kings Heimat Bangor, wo sie lebte. Kaum zu glauben, dass seit ihrer ersten Begegnung schon acht Jahre vergangen waren.
Damals ging es der gerade mal Neunjährigen ziemlich schlecht: Seit ihrer Erblindung hatte sie sich kaum noch rausgetraut, Freunde hatte sie keine mehr, und ihre Mutter hatte sie -aus Angst um ihre Tochter- darin auch noch unterstützt. Janine kam mit ihrer Behinderung nicht zurecht, sie hatte Angst vor der Dunkelheit, Angst vorm Alleinsein, sie kam sich völlig verloren vor. Durch eine Hexe, die mit einem Mädchen befreundet war, das seinerseits mit Anna befreundet war, wurden Anna und die anderen Hexen auf das blinde Mädchen aufmerksam. Dank ihnen, vor allem aber dank des Blindenführhundes Annabell, schaffte es Janine der Einsamkeit und Dunkelheit zu entkommen. Heute merkte man der inzwischen 16- fast 17jährigen beinahe nichts mehr von ihren Ängsten, ihrer Unsicherheit, aber auch ihrer Blindheit an. Auch wenn die letzten acht Jahre wie im Flug vergangen zu sein schienen, waren sie nicht spurlos vorrübergezogen. Janines Hündin Annabell war mittlerweile neun Jahre alt und zeigte langsam erste Altersbeschwerden. Deshalb war Janine der Abschied und die Rückkehr in die USA diesmal auch besonders schwer gefallen. Sie sollte dort einen neuen Begleithund erhalten. Anna und die anderen Mitglieder des Circusses waren schon gespannt auf ein Wiedersehen mit Janine und auf ihren neuen Hund. Oder würde es wohl doch ein "Blindenführpony" werden? Schließlich handelte es sich um einen Pferdezirkus und was passte da besser?
***
Hauptsächlich durch Briefe und Emails blieben die Zirkusmitglieder untereinander in Kontakt. Anna musste ein wenig darüber schmunzeln, wie sehr sich die Briefe in gewisser Weise ähnelten: Zu Beginn des Jahres schrieben die meisten noch, wie froh sie waren, mal wieder länger zuhause zu sein und berichteten stolz von ihren Erlebnissen fern des Circusses.
So schrieb Judy, dass sie die freie Zeit nutzte, um sich wieder um "ihre" Wildpferde-Herde in den Weiten Kanadas zu kümmern. Freudig berichtete sie, wie der Leithengst - "The Nameless" - sie sofort wiedererkannt hatte und noch glücklicher war sie darüber, dass alle Tiere die verheerenden Waldbrände überlebt hatten. Gina schrieb davon, wie sie eine aus dem Nest gefallene Krähe gefunden hatte und diese nun aufzog. Jenny bedauerte es ein wenig, dass sie gar keine Zeit mehr für Streiche hatte, da sie sich (genau wie Gina) auf ihren Schulabschluß vorbereiten musste. Selbst Charleen und Abigail gefiel es daheim wieder, auch wenn sie sich seit 2001 davor gesträubt hatten, längere Zeit in Manhattan zu bleiben, weil ihnen die Stadt seitdem fremd vorkam.




Re: Der Traum vom Anderssein

3. Teil

Als es auf Sommer zuging, klangen die Briefe nicht mehr ganz so fröhlich. Die meisten vermissten den Circus, das Reisen, vor allem aber das Beisammensein. So kam es, dass sich in den Sommerferien einige der Mädchen und Jungen genau wie früher (bevor es den Circus gegeben hatte) in Woodminden auf einer abgelegenen Wiese in der Nähe eines Reiterhofes trafen.

Anna und Sandra ritten zusammen mit Jenny - die in einem Nachbarort wohnte - zu der Wiese. Dennis (Jennys Bruder, der von den meisten nur "Mouse" genannt wurde, da er zumeist mit Rascal, einem Waschbären, anzutreffen war, wodurch er Anna an jemanden mit diesem Namen erinnert hatte...) folgte ihnen auf seinem Fahrrad, welches er noch immer einem Pferd vorzog.
Die Vier waren die ersten auf der Wiese. Überglücklich galoppierte Jenny auf ihrem Norwegerwallach erst einmal quer über die Wiese. Endlich hatten zumindest die schulischen Prüfungen (an die Hexenprüfungen mochte sie gar nicht denken) und die (normale) Schule für sie ein Ende. Als nächstes kam Gina mit ihrer Schwester und einem ihrer Brüder angeritten. Ihr zweiter Bruder folgte ebenfalls auf einem Fahrrad. Auch Gina hatte nun die Schule hinter sich. Es folgte Angela mit Joshua, in Begleitung von Sascha, Jill, Jana und Lara. Kurz danach tauchte Samantha mit Abigail, Jake und den eineiigen Zwillingsschwestern Tina und Eve auf. Während Tina und Eve etwas verdrießlich drein schauten, schien Jake ziemlich aufgeregt. Die anderen konnten sich schon denken, was die Zwillinge hatten (sicherlich hatten sie wieder einmal einen ihrer Streiche gespielt und dafür Ärger mit Sam bekommen) doch was war mit Jake? Er hüpfte wie wild zwischen den anderen umher und fragte ständig nach Johanna. Alle blickten fragend zu Sam, die leicht genervt erklärte: "Jake hat seine Liebe zum Lesen entdeckt. Er ist richtig süchtig nach diesen Büchern, die voller Halbwahrheiten über Leute unserer Art stecken." "Ich kann mir schon denken, was du meinst", sagte Cassandra und blickte zu ihrer jüngeren Schwester Gina. Tina und Eve begannen auf einmal zu kichern. "Wieso, die Bücher sind doch toll!" riefen sie gleichzeitig. "Das war ja klar. Wundert mich überhaupt nicht, dass ihr euch dafür interessiert, wo es darin schließlich auch ein immer zu Streichen aufgelegtes Zwillingspaar gibt", erwiderte Gina lächelnd. "Hey, wie wär's, wenn wir unsere Pferde gegen Besen eintauschen? Das ist doch viel standesgemäßer!" kam es von Sascha. "Kennst du eine Hexe, die sich mit einem Besen fortbewegt?" fragte Sam. "Nein", antwortete Sascha etwas kleinlaut. "Noch so ein albernes Klischee, was man sich über uns erzählt."

Plötzlich kam ein Auto angefahren und hielt bei der Wiese. Johanna und Julius stiegen aus, gefolgt von einem Mädchen, welches Anna unbekannt war. Sie trug Kleidung, die aus einem längst vergangenen Jahrhundert zu stammen schien. Ihr schulterlanges, gelocktes, braunes Haar leuchtete in der Sonne. Freundlich blickte sie sich um. Johanna war noch nicht weit gekommen, als Jake zu ihr stürzte und immer wieder "Bitte, bitte, bitte" flehte, worauf Johanna ein energisches "Nein" erwiderte. Diesmal schauten alle leicht verwirrt zu Johanna. Nachdem sie kurz zu Samantha geschaut hatte (die darauf nickte), sagte sie ebenso genervt: "Das geht so schon ne ganze Weile. Jake will unbedingt Rosalie geliehen haben, er gibt einfach keine Ruhe. Er will einfach nicht verstehen, dass Eulen kein Spielzeug und schon gar keine Postboten sind." Als Jake die Blicke der anderen auf sich spürte, zog er sich enttäuscht zurück. Nun endlich hatte Johanna Zeit, Merle den anwesenden Mädchen und Jungen vorzustellen. Danach setzten sich alle bei einem Picknick in der Mitte der Wiese zusammen. Merles warmherzige Art ließ den Eindruck erwecken, als gehörte sie schon ewig dazu.
***
Alle unterhielten sich angeregt. Als Anna von ihren Erlebnissen als "Lupina" erzählte, entging ihr dabei nicht, wie Jake sie mit leuchtenden Augen anblickte. "Lasst mich raten: Harry?" fragte sie in die Runde. Gina und die Zwillinge nickten. Doch noch jemand lauschte Annas Worten gebannt: Jenny. "Ich möchte das auch so gerne mal", meinte sie plötzlich. "Warum nicht", antwortete Anna, nachdem sie sich umgesehen hatte und fuhr dann fort: "Hier ist grad niemand in der Nähe. Du darfst es gern mal probieren." Das ließ sich Jenny nicht zweimal sagen. Sie sprang auf, konzentrierte sich, drehte sich dann aber noch einmal um und fragte: "Was ist mit Lupina?" "Heute nicht, sorry. Es muß ja auch nicht unbedingt sie sein, oder? Aber fang schon mal an." Lächelnd schloß Jenny die Augen und konzentrierte sich nun völlig auf die Verwandlung. Ihr wuchs ein graubraunes Fell und langsam nahm ihr Körper immer mehr die Gestalt eines Wolfes an. Da sie noch nicht viel Übung hatte, dauerte es bei ihr noch etwas länger als bei Anna, doch sie machte ihre Sache bereits sehr gut.

Die Wölfin blickte mit ihren goldbraunen Augen zu den anderen, dann begann sie plötzlich zu schnuppern und lief zielstrebig von der Wiese zum benachbarten Grundstück. "Mist, ich hab vergessen, dass das ein Schafzuchtbetrieb ist!" rief Anna und lief hinter Jenny her. Noch auf dem Weg verwandelte sie sich.
Aufgeregt sprang die Wölfin am Zaun hoch. Ein merkwürdiges, lautes Knurren neben ihr ließ sie jedoch innehalten. Sie blickte sich um... und sah direkt in die Augen eines Berglöwen, dessen Fell in der Sonne golden leuchtete. Die Wölfin sträubte ihr Fell, legte die Ohren an und fletschte die Zähne. Der Puma fauchte wild und drängte den Wolf vom Zaun weg. Mit einem Mal schüttelte die Wölfin den Kopf, erstarrte und sah die Katze fragend an. Dann schien sie zu begreifen, fing an zu tänzeln und den Puma zum Spiel aufzufordern. Beinahe schien es, als würde die große Katze lächeln. Die Wölfin sprintete los, zuerst über einen Weg, dann quer über eine nahe Wiese, immer nach dem Puma Ausschau haltend. Der Berglöwe jagte ihr in gestrecktem Galopp hinterher. Von Zeit zu Zeit hielt die Wölfin an, wartete, bis sich die Katze ihr bedrohlich genähert hatte, um dann wieder loszulaufen. Hinter einem großen Baum hielt sie erneut an. Die Katze duckte sich, ihr Schwanz zuckte vor Aufregung, langsam schlich sie mit geschmeidigen Bewegungen -nah an den Boden gedrückt- näher an den Baum heran. Dann sprang sie auf und stürzte zu der Stelle, wo die Wölfin sein musste. Wieder standen sich die Beiden von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Die Wölfin senkte ihren Oberkörper, streckte ihr Hinterteil in die Höhe und forderte so den Berglöwen erneut zum Spiel auf. So ging das noch eine ganze Weile. Schließlich trotteten beide Seite an Seite gemeinsam zurück zu der kleinen Gruppe, die noch immer auf der Wiese saß. Anna verwandelte sich bereits im Gehen zurück, Jenny erst, als sie wieder bei den anderen waren. "Na hoffentlich hat das keiner gesehen. Ein Puma und ein Wolf, hier, in dieser Gegend", meinte Johanna. "Keine Sorge, es war niemand in der Nähe", versicherte Gina. Jenny setzte sich zufrieden lächelnd wieder auf ihren Platz. "Das war toll, einsame Spitze. Das müssen wir unbedingt irgendwann nochmal machen." "Gerne. Du warst wirklich gut, du hast den Wolf schnell unter Kontrolle bekommen. Ich sehe da gute Chancen bei der nächsten Prüfung. Du machst dich", sagte Anna stolz. Jenny lief ein wenig rot an. Bisher hatte sie nur selten Lob bekommen, da sie noch bis vor einiger Zeit ihre magischen Kräfte lieber für Streiche genutzt hatte, zum Missfallen der älteren Hexen.
***
Später am Nachmittag - die Gruppe diskutierte gerade, was man machen könnte - kam plötzlich ein weiteres Auto angefahren. "Christine?" rief Abby überrascht, als sie den großen, rot-weißen 58er Plymouth sah. Er hielt am Rand der Wiese. Als sich die Fahrertür öffnete, war das Autoradio zu hören, welches alte Lovesongs spielte. "Sie kann's einfach nicht lassen", grinste Danny. "Tja, King-Fan durch und durch", lachte Anna. Die Musik verstummte und Charlotta stieg aus. Fröhlich winkte sie den anderen zu, beugte sich dann noch einmal kurz ins Auto und wartete danach neben der Tür. Schwerfällig kam ein Bernhardiner aus dem Wagen geklettert, schüttelte sich einmal, blickte sich kurz um und lief dann zu der Gruppe. "Hallo Cujo." Abigail stürzte sich gleich auf den Bernhardiner und knuddelte ihn. "Ich hab noch eine Überraschung für euch", rief Charlotta über die Wiese. Im nächsten Augenblick öffnete sich auch schon die Beifahrertür und Sarah stieg aus. Die Beiden gingen zu den Anderen, wo sie freudig begrüßt wurden.

Schnell kam die Gruppe wieder auf das Thema zurück, wobei sie unterbrochen worden waren. Beinahe alle wollten am liebsten wieder gemeinsam umherreisen und Abenteuer erleben - jedoch auch mal ohne den Circus.
"Mal wieder über Felder und Wiesen galoppieren, ohne dabei von einer Straße aufgehalten zu werden", meinte Sascha. "In der Wildnis campen wäre genial", sagte Jenny. "Wie wär's mit Schweden?" fragten Jill und Jana. "Oder Frankreich", kam es von Anna. "Obwohl Irland auch nicht schlecht wäre..." "England oder Schottland!" "Australien!" "Ans Meer und da schön am Strand liegen." "Oder am Meer entlang galoppieren." Wie sollte man sich da einig werden? In einem Punkt allerdings fiel es ihnen leicht: die Pferde sollten auf jeden Fall mit. Doch das erschwerte die Sache, nicht überall waren Pferde erlaubt. Etliche Vorschläge später fasste Jenny noch einmal alles zusammen: "Wo finden wir also einen Ort, wo wir ohne Ende reiten und im Wald campieren können, ohne auf wütende Jäger oder Bauern zu stoßen, wo es möglichst nur wenig Autos gibt, wo wir auch die Hunde mitnehmen können, wo wir mit den Pferden durchs Meer galoppieren und auch mal ganz für uns sein können und wo wir vielleicht auch mal unsere Fähigkeiten einsetzen können?" "Ich weiß, wo", erwiderte Gina auf einmal, sprang auf und war im nächsten Moment verschwunden.

Am nächsten Tag trafen sich alle bei Anna zuhause. Auch Gina war wieder dabei. Und noch jemand war erschienen: Cassiopeia. Ben hatte einen Auftrag erhalten und hatte sie daher nicht länger begleiten können. Außerdem war eines ihrer Pferde krank geworden.
Freudig erzählte Gina, dass sie einen geeigneten Ort gefunden hatte, einen Ort, an dem sie im letzten Jahr schon einmal gewesen waren. "Ich habe bereits mit dem Hexenrat gesprochen", fuhr Gina fort, "sie erlauben es uns, allerdings nur unter zwei Bedingungen: es dürfen nur Hexen mit und wir dürfen niemandem dort sagen, dass wir Hexen sind." Eve und Tina sprangen freudig herum, während Jake unterdessen ziemlich enttäuscht aussah. "Sei nicht traurig. Nächstes Mal machen wir etwas, wo du auch mit darfst. Vielleicht etwas, was mit Harry Potter zu tun hat, wenn du möchtest, ok?" meinte Anna aufmunternd. "Versprochen?" "Versprochen." Anna und Jake reichten sich die Hände.




Re: Der Traum vom Anderssein

4. Teil

Schnell stand fest, welche Hexen auf Reisen gehen würden: Jana, Jill, Eve, Tina, Abigail, Sascha, Jenny und Gina wollten gemeinsam los. Da es den anderen nicht geheuer war, die Zwillinge und die anderen Mädchen allein, nur mit Gina, loszulassen, einigten sie sich darauf, Sarah und Merle mitzuschicken. So konnten sie Merle auch gleich besser kennenlernen. Die Mädchen begaben sich nach hause, um zu packen. Später wollten sie sich so gut wie alle auf Johannas Gnadenhof in Hamburg treffen - die einen, um sich von den anderen zu verabschieden, die anderen, um von dort noch einige Tiere mitzunehmen.
***
Gina bepackte mit den Mädchen einen kleinen Planwagen, während Merle und Johanna die Tiere auswählten, die mit
sollten. Anna schaute bei der Gelegenheit nach ihrer Stute, die auf dem Hof lebte, Cassie begleitete sie. Sarah war daheim in Australien geblieben, von wo die anderen sie später abholen wollten. Charlotta hatte - neben Cujo - eine Stute aus ihrer Shagya-Araberzucht mitgebracht. Die elegante, dunkelbraune Stute begrüßte wiehernd die anderen Pferde, denen sie erst wenige Male im Circus begegnet war.
Nachdem der Wagen fertig bepackt und die Pferde zugeteilt waren, ging es langsam ans verabschieden. Erst jetzt bemerkte Charlotta, dass die Zwillinge und Cujo verschwunden waren. Suchend blickte sie sich um, denn sie wusste, dass es nichts gutes bedeutete, wenn die Zwillinge verschwanden. Oft genug heckten sie dann neue Streiche aus.

Plötzlich tauchte wie aus dem Nichts ein ziemlich dreckiger, knurrender Bernhardiner vor den Mädchen auf. Charlotta schaute entsetzt. Sie wusste nicht, ob sie weinen oder lachen sollte. "Eve!? Tina!?" rief sie, als sie die Geschwister erblickte. Kichernd kamen die beiden näher. "Hey, da steckt ihr doch dahinter?" Die Zwillinge blickten sich an und versuchten dann -erfolglos- eine Unschuldsmiene aufzusetzen. "Nur weil ich King-Fan bin heißt das noch lange nicht, dass Cujo auch wie Cujo aussehen muß. Außerdem ist mein Cujo gegen Tollwut geimpft", meinte sie zwinkernd. Die beiden Mädchen nickten lachend. "Na hoffentlich kommen sie nicht auch noch auf die Idee, auszuprobieren, ob "Christine" wirklich unzerstörbar ist", wandte sie sich flüsternd an Anna.
Zögernd kam Merle auf Anna zu. "Ich habe eine Frage", begann sie vorsichtig, "ich würde gerne Jay mitnehmen. Ich hab mich in den letzten Tagen mit ihm angefreundet und ich glaube, der Falke könnte uns vielleicht hilfreich sein." "In Ordnung. Wenn er es möchte und du mir gut auf ihn aufpasst." "Wirklich?" "Ja. Er könnte wirklich nützlich dabei sein." Überglücklich machte sich Merle auf den Weg, den Falken zu holen - begleitet von ihrer deutschen Dogge Tara.
***
Abigail fiel der Abschied am schwersten. Einerseits wollte sie mit ihren Freundinnen mit, andererseits wollte sie ihre beste Freundin Charleen, die wieder einmal ins Krankenhaus musste, nicht allein lassen. Sam, Charlies Mutter, schaffte es jedoch, Abby zu überzeugen, mitzureisen. Außerdem versprach Anna ihr, ihr sofort bescheid zu geben, wenn etwas war oder aber Abby zurückzuholen, wenn diese es nicht mehr aushalten sollte.
Johanna überreichte Abby die Zügel des Haflingers, den sie für das Mädchen ausgesucht hatte. Ihr eigenes Pony hatte Abby zuhause zurücklassen müssen, weil sie zu groß dafür geworden war. Mit gemischten Gefühlen stieg sie in den Sattel. Johanna begleitete sie noch bis zu dem "Raum-Zeit-Tor", welches die Mädchen zu Sarah nach Australien bringen sollte. Auf einmal meinte Johanna: "Übrigens, Gismo gehört dir." "Was?" "Na, du brauchst doch ein neues Pferd, oder?" "Ja, aber..." Abigail schaute zu Sam, die fröhlich nickte. "Sam hat schon alles geregelt. Viel Spaß." "Danke", antwortete Abby - noch völlig perplex.
***
Sehnsüchtig blickte Anna den Mädchen hinterher. Wie sehr beneidete sie sie, denn sie litt schon wieder unter beinahe unerträglichem Fernweh. Sie wusste, dass sie nicht dorthin konnte, wo die anderen hin wollten - sie war zu alt. Oder gab es doch eine Möglichkeit? Schließlich war auch sie schon einmal dort gewesen. Sie verwischte den Gedanken und drehte sich ein wenig traurig um. "Tir na n-Og könnte mal wieder etwas Bewegung gebrauchen. Gomez doch sicher auch?" Cassie war neben Anna getreten. "Was meinst du?" "Naja, jetzt wo Moon verletzt ist und ich daher nicht mit dem Wagen umherziehen kann langweilt sich Tir na n-Og ziemlich. Er vermisst das Reisen. Also, wie wär's? Ich spüre doch, wie sehr es auch dich hinauszieht." "Hast ja recht. Was schlägst du vor?" "Wie wäre es mit dem Ort, wo die Mädchen hin wollen? Wir könnten dort ja einen anderen Weg einschlagen. Ich hätte da auch schon eine Idee." "Das wäre toll. Aber meinst du, es wird uns gestattet?" "Keine Sorge, das regel ich schon. Wir treffen uns hier nachher wieder." Damit verschwand Cassie. Auch Anna verschwand, um ihre Sachen zu packen und ihre Tiere zu holen.

Keine halbe Stunde später war Anna mit ihrem Fuchswallach Gomez und ihren Hunden Nova und Kelly zurück auf dem Hof. Ihr Blick fiel sogleich auf den schwarz-weißen Tinker, der in aller Seelenruhe auf einer nahen Weide graste. Das Pferd ließ sich selbst von dem Rottweiler, der plötzlich angelaufen kam und um es herumsprang, nicht aus der Ruhe bringen. Schmunzelnd beobachtete Anna, wie der Hund immer wieder - vergeblich - versuchte, das Pferd zum Spielen aufzufordern. Schließlich bekam sie Mitleid mit dem Tier und ließ ihre Hunde von der Leine, die sogleich zu dem Rottweiler liefen und mit ihm über die Wiese tobten. "Wir können bald los", ertönte eine Stimme hinter ihr. "Dann haben wir die Erlaubnis?" wandte sich Anna an Cassie. Das Kalderash-Mädchen nickte fröhlich.




Re: Der Traum vom Anderssein

5. Teil

Auch die Beiden gelangten zunächst durch ein ‚Raum-Zeit-Tor’ nach Australien. Die anderen Mädchen waren jedoch längst weitergereist. Da sie auf zwei mächtige Hexen warten mussten, die ihnen das Tor zum Zielort öffnen würden, vertrieben sie sich die Zeit damit, ein wenig am Strand entlangzureiten.
Gebannt schaute Anna auf die Wellen. Plötzlich meinte sie: „Da will uns jemand auf Wiedersehen sagen.“ Dabei zeigte sie lächelnd aufs Meer. Cassie nickte zustimmend, als sie die riesige Flosse des Buckelwals aus dem Wasser ragen und kurz darauf aufs Wasser aufschlagen sah. Begeistert beobachteten die beiden den Wal, wie er immer wieder aus dem Wasser auftauchte, um sich dann mit sichtlicher Freude wieder hineinzustürzen.
Die beiden alten und mächtigen Hexen erschienen und rissen die Mädchen aus ihren Träumen. Ein letztes Mal blickte Anna zu dem Buckelwal. „Tschüß, Großer – und keine Sorge, deine Freundin kommt bald zurück“, flüsterte sie. Dann ging es durch das ‚Dimensions-Tor’ – hinein in die Tribeworld.

***

Sie kamen fast an der Stelle heraus, wo sie auch das letzte Mal gelandet waren: an einem ähnlichen Sandstrand wie in Australien. Von den anderen Mädchen war nichts zu sehen, was verständlich war – im offenen Gelände war es viel zu gefährlich. Zu leicht konnte man entdeckt werden.
Anna bemerkte eine plötzliche Unruhe bei Gomez. Er drehte die Ohren in alle Richtungen und lauschte ängstlich. Tir na n-Og spitzte ebenfalls die Ohren, doch er schien weitaus gelassener. „Was ist das für ein Geräusch?“ Sie schauten sich suchend um. Das Geräusch wurde lauter, etwas kam eindeutig näher. Gomez begann zu tänzeln. „Ein Flugzeug?“ „Hier? Aber das ist doch fast unmöglich!?“ Die Beiden waren überrascht. „Da!“ Cassie zeigte in den Himmel. Ein großes Transportflugzeug – vom Typ her vermutlich eine ältere Militärmaschine – flog über sie hinweg. Anna gelang es mit Müh und Not, ihr Pferd wieder zu beruhigen, bevor es völlig durchdrehte. Das Flugzeug schien derweil am Himmel zu kreisen. „Was meinst du, wie stehen die Chancen, dass unsere Informationen falsch waren? Vielleicht sind wir ja doch nicht die einzigen Erwachsenen hier?“ „Nein, das glaube ich nicht. Der Virus hat sicher ganze Arbeit geleistet.“ „Aber Kinder, die so eine Maschine fliegen?“ Zweifelnd blickten sie zum Flugzeug, das weiter seine Runden zog. „Wir sollten uns lieber langsam einen Platz für die Nacht suchen und dann gleich morgen früh weiterreisen.“
Während sie am Strand entlang ritten, entdeckte Anna auf einer der Dünen eine Frau. Doch als sie ein zweites Mal hinsah, war die Frau verschwunden. Da keine Fußspuren zu sehen waren, war sie sicher, dass ihr ihre Phantasie einen Streich gespielt hatte. Unbekümmert ritt sie weiter...
***

Pferdegewieher und Hundegebell weckte die Beiden schon früh am Morgen. Noch etwas schläfrig blickten sie sich um. Die anderen Mädchen kamen den Strand entlanggaloppiert, gefolgt von dem Planwagen, der im Sand nicht ganz so schnell voran kam, und den Hunden, die neben den Pferden herliefen. Cassie und Anna kamen aus ihrem Versteck hinter einer Düne hervor. Merle bemerkte sie als Erste und hielt die Gruppe an. „Was macht ihr denn hier?“ fragte sie überrascht. „Urlaub“, lachte Anna, „aber keine Sorge, wir wollen gleich weiter.“ „Das ist auch besser. Irgendein verrückter Tribe fällt gerade in die Stadt ein“, erwiderte Gina. „Ja, das ist ’ne richtige Invasion“, meinte Jenny. „Die sind mit Fallschirmen aus ’nem Flugzeug abgesprungen“, erzählte Jana. „Wir haben das Flugzeug gesehen“, meinte Anna und blickte dabei zu Cassie. „Sind das Erwachsene?“ „Nein“, rief Tina kichernd, „aber die meisten Kids hier dachten, es wären welche.“ „Das waren auch nur Kids, wie die anderen hier, aber ihr hättet mal sehen sollen, wie die rumlaufen: schwarze Uniformen und silberne Masken. Haben voll die Show abgezogen“, berichtete Eve. „Ja, und Abby und Sarah hätten sie fast geschnappt“, rief Jill leicht ärgerlich. „Darum sind wir auch raus aus der Stadt. War vielleicht doch keine gute Idee, herzukommen“, meinte Abby. „Kommt ihr mit, nach Hause?“ wollte Sascha wissen. „Nein, wir wollten sowieso in eine andere Gegend.“ „Und wohin?“ Jenny blickte die beiden fragend an. „Rumänien“, meinte Cassie schmunzelnd. „Cool, können wir mit? Wir wollen noch nicht zurück“, riefen die Zwillinge.

Laute Motorengeräusche unterbrachen das Gespräch. Ein Armeelaster näherte sich dem Strand. Als er nicht mehr wieterkam, stiegen ein paar Jugendliche in schwarzen Uniformen aus. Hinter dem Lkw tauchten nun auch noch zwei Strandbuggys auf. „Höchste Zeit, dass wir verschwinden. Die Buggys haben sicherlich mehr PS als wir“, rief Anna, dann meinte sie an Cassie gewandt: „Rumänien?“ „Rumänien“, nickte Cassie. Hastig packten sie ihre Sachen zusammen und schwangen sich auf ihre Pferde. Die Invasoren hatten die Mädchen und die Pferde längst entdeckt und kamen auf sie zu. Die Mädchen trieben ihre Pferde an und galoppierten so schnell es ging am Ufer entlang. Doch der Planwagen war den Buggys nicht gewachsen. Nicht mehr lange, und sie würden ihn eingeholt haben. Cassie, die mit Anna hinter dem Wagen ritt, hielt an. „Was hast du vor?“ fragte Anna. „Ich werde sie ablenken.“ „Und wie?“ „Ich werde ihnen eine alte irische Legende näher bringen.“ Dabei tätschelte sie Tir na n-Og’s Hals. „Nimm Merlin mit.“ „Viel Glück euch beiden“, meinte Anna, die verstanden hatte, rief Merlin zu sich und ritt dann weiter, gefolgt von ihren eigenen Hunden.

Die anderen Mädchen ritten nun landwärts, in der Hoffnung, dort möglichst ungesehen ein ‚Raum-Zeit-Tor’ öffnen zu können.
Cassie blieb weiterhin stehen. Die lauten Motorengeräusche beeindruckten Tir na n-Og überhaupt nicht. Er vertraute seiner Besitzerin völlig, die auch in dieser Situation eine enorme Ruhe ausstrahlte. Die Buggys erreichten die Beiden. Sie hielten dicht neben dem Pferd, das zum Erstaunen der Fremden ruhig stehen blieb und ihnen nur einen gelangweilten Blick zuwarf. Die Beifahrer stiegen aus und gingen auf Cassie zu. Als sie nach dem Pferd greifen wollten, bäumte sich Tir na n-Og urplötzlich auf und stieg auf die Hinterbeine. Die beiden Invasoren wichen ängstlich ein Stück zurück. Der Wallach schnaubte aufgeregt. Er wollte endlich loslaufen, doch noch hielt Cassie ihn zurück. Als sie sah, wie die Beiden nach Geräten an ihren Handgelenken griffen, schlug sie ihm ihre Hacken in die Flanken. Das Pferd preschte los. Es galoppierte mit erhobenem Kopf und wehendem Schweif am Ufer entlang. Die Jungen sprangen schnell wieder in die Buggys und nahmen die Verfolgung auf. Cassie vergewisserte sich immer wieder, ob ihre Verfolger auch an ihr dran blieben. Sie taten ihr den Gefallen und ließen sie nicht aus den Augen. Nach einigen Metern fiel der Tinker vom Galopp in Trab. Einer der Buggys überholte ihn, während der andere hinter dem Pferd blieb. Die Fahrzeuge verlangsamten ihre Fahrt. Cassie hielt Tir na n-Og an, lobend klopfte sie ihm den Hals. Dafür, dass er eigentlich ein Kutschpferd war, hatte er auch als Reitpferd eine gute Ausdauer.

Die Buggys keilten Pferd und Reiterin ein und schnitten ihnen so mögliche Fluchtwege ab. Gespannt verfolgten Anna, Jenny und die restlichen Mädchen aus einiger Entfernung das Schauspiel.
Die Kids in den Fahrzeugen schienen siegessicher. Cassie beugte sich über den Pferdehals und flüsterte dem Wallach ins Ohr: „Bereit für einen Besuch im ‚Land der ewigen Jugend’?“ Tir na n-Og schnaubte zustimmend. Das Kalderash-Mädchen sah lächelnd zu den Jungs, dann wendete sie ihr Pferd in Richtung Meer und ritt los. Sie galoppierte durch die Brandung geradewegs auf den Ozean zu, das Wasser spritzte nur so unter den Pferdehufen. Den Jungen verging die Siegesfreude, schnell nahmen sie die Verfolgung wieder auf. Doch als sie merkten, dass Cassie weder die Richtung ändern, noch anhalten und umdrehen würde, kehrten sie ans sichere Ufer zurück. Ungläubig starrten sie von dort auf das Mädchen und sein Pferd. Auch die anderen Mädchen beobachteten - mit angehaltenem Atem - Cassie und Tir na n-Og dabei, wie diese immer weiter in die Meereswogen galoppierten. Schließlich waren die Beiden nicht mehr zu sehen.
Schnell, bevor sich die Aufmerksamkeit des fremden Tribes wieder auf sie richtete, öffneten die Hexen ein Tor nach Rumänien. Aber sie zögerten noch, hindurchzugehen.
Endlich, wie aus dem Nichts, erschien Cassie mit einem ziemlich nassen Tir na n-Og vor ihnen. Erleichtert atmeten die Mädchen auf. Nachdem sich alle vergewissert hatten, dass es den Beiden gut ging, begaben sie sich durch das Tor.




Re: Der Traum vom Anderssein

6. Teil

Auf ein Neues

Auf einer Lichtung in einem Wald in Rumänien hatten die Mädchen ein kleines Camp aufgeschlagen. Cassie, die völlig erschöpft hier angekommen war, hatte sich erst einmal für einige Zeit neben ihrem ebenfalls erschöpften Pferd schlafen gelegt.
Dicht gedrängt saßen später alle um ein Lagerfeuer und aßen Stockbrot. Für sie war der Gang durch das ‚Tor’ nicht nur ein weiter Sprung vom anderen Ende der Welt nach Europa gewesen, sondern auch ein Sprung in eine andere Jahreszeit. Hier war es Frühlingsanfang und somit noch recht kalt.
Erst jetzt fanden sie Zeit, über die Ereignisse in der Stadt in Neuseeland und am dortigen Strand zu sprechen. „Was ist denn nun in der Stadt passiert?“ wollte Anna wissen. „Ach, überall sind plötzlich solche Typen aufgetaucht wie die, die Cassie verfolgt haben. Kamen da angefahren mit ihren Armeelastern und haben alle Kids, die in den Straßen rumliefen eingesammelt.“ „Mit unseren Tieren war es uns natürlich nicht möglich, uns zu verstecken. Und Sarah mit dem Planwagen konnte auch nicht schnell genug flüchten.“ „Ja, und außerdem hatten die irgendwelche merkwürdigen Waffen.“ „Erinnert mich bloß nicht daran. Ich habe jetzt noch Kopfschmerzen“, warf Sarah ein. „Sorry, aber das sah zum Schreien aus“, kicherte Sascha, „da war so’n fieser, blonder Giftzwerg, der unbedingt zeigen musste, wie toll er ist. Er hat auf Sarah geschossen. Leider wusste er nicht, mit wem er es zu tun hatte. Ihr hättet sein Gesicht sehen sollen, als er versuchte, die bewusstlose Sarah zu berühren. Zu dumm, dass er nichts von der magischen Aura wusste, die uns bei der Regeneration umgibt. Er hat voll einen gewischt gekriegt.“ „Der Arme. Er war echt cool drauf“, schwärmten die Zwillinge. „War ja klar, dass ihr ihn mochtet. Ihr könnt schließlich auch ganz schöne Giftzwerge sein“, konterte Jenny grinsend und sprang schnell auf, bevor sich die beiden Mädchen auf sie stürzen konnten. „Ein anderer hätte währenddessen fast Abby geschnappt, doch Merle kam ihr zu Hilfe, bevor der Typ sie auf einen der Laster verfrachten konnte“, fuhr Sascha trotz der kreischenden Mädchen gelassen fort. „Sarah ist zum Glück schnell wieder aufgewacht und wir sind dann gleich aus der Stadt raus. Den Rest kennt ihr“, beendete sie die Erzählung.
„Das war übrigens ganz schön knapp“, meinte Jenny an Cassie gewandt, „ich dachte schon, du schaffst es nicht.“ „Das dachte ich einen Moment lang auch“, grinste Cassiopeia. „Machst du so etwas öfter?“ wollte Merle wissen. Cassie sah von den Mädchen – die bei dieser Frage kicherten – zu Merle und meinte lachend: „Nein, eigentlich nicht. Diese Variante des Teleportierens habe ich ehrlich gesagt bisher auch noch nie ausprobiert und ich habe es auch nicht so schnell wieder vor. Das hat mich einige Kraft gekostet.“ „Sah auch ganz schön gefährlich aus, als Tir na n-Og plötzlich stieg. Bisher dachte ich, ihn kann nichts aus der Ruhe bringen“, meinte Jill. Cassie und Anna sahen sich schmunzelnd an. „Wollen wir es ihnen sagen?“ „Hmm... okay.“ Cassie lachte. „Es braucht schon etwas mehr als ein paar Kinder in Kostümen mit Strandbuggys, um Tir na n-Og Angst zu machen. Das Steigen war ein Trick, den ich mir bei Annas Pferden abgeschaut habe.“ Anna stimmte ihr lächelnd zu.

„Und was machen wir jetzt?“ fragte Jill. „Wollen wir die ganze Zeit in Rumänien bleiben?“ „Jetzt, wo wir schon mal hier sind, könnten wir doch ein wenig umherreisen. Wann haben wir schon die Chance, zu sehen, wie eine Welt ohne Erwachsene ist?“ meinte Jana. Tina und Eve, die sich wieder ans Feuer gesetzt hatten (jedoch nicht ohne dabei ständig zu Jenny zu schauen) nickten begeistert. Die Mädchen sahen sich der Reihe nach an. Schließlich standen Cassie und Anna auf, entfernten sich ein Stück von der Gruppe und berieten sich einen Moment lang. Als sie zurückkamen, meinte Anna: „In Ordnung, lasst uns diese verrückte Welt erkunden. Und keine Angst, wir lassen euch allein losziehen, wie es anfangs geplant war. Aber falls ihr uns braucht, werden wir in eurer Nähe sein. So lange ihr uns nicht braucht, werdet ihr uns auch nicht weiter bemerken. Wir wollen hier schließlich ein wenig Urlaub machen.“ „Ok, wohin geht’s?“ fragte Sascha begeistert an die anderen Mädchen gewandt. „Vor allem: wo treffen wir uns wieder, wenn es zurück geht?“ erwiderte Gina, „in Neuseeland war es einfach, aber wenn wir umherreisen...“ „Wie wär’s mit ’ner Rundreise und wir kommen hierher zurück?“ „Wie in ‚In 80 Tagen um die Welt’, oder wie?“ lachte Jenny. „Och ne, lieber wo anders hin.“ „Aber es muß ein Ort sein, wo uns die alten Hexen auch finden.“ Die Mädchen schauten ratlos drein. „Habt ihr keine Idee?“ wandten sie sich an die beiden Ältesten unter ihnen. Anna und Cassie tuschelten noch einmal kurz miteinander, dann fragte Anna: „Also schön. Wir wüssten da vielleicht einen Ort. Wie wäre es, wenn wir euch grob in die Richtung lenken und wenn es Zeit ist, hinführen?“ „Ok. Aber nur grob. Alles andere überlasst ihr uns, bis zum Zeitpunkt der Abreise? Ihr werdet nicht weiter eingreifen, wenn wir es nicht wollen?“ Anna nickte zustimmend. Während die Mädchen sich darüber berieten, ob sie auch wieder einen Tribe bilden sollten, mit allem, was dazu gehörte (Tribenamen, Tribesymbol, usw.), zogen sich Cassie und Anna zurück.

Als die Mädchen langsam schlafen gingen, winkte Anna Merle und Gina zu sich und Cassie. Die beiden hatten sich entschieden, Gina und Merle das Ziel der Reise zu verraten. Da sie nicht wussten, ob es an jenem Ort nicht auch einen feindlich gesinnten Tribe gab, hatten sie sich noch einen möglichen weiteren Ort ausgesucht, den sie jedoch nicht preisgaben. Die Vier einigten sich darauf, dass Anna und Cassie ihnen von Zeit zu Zeit grobe Richtungs-Hinweise gaben, die aber mehr für die anderen Mädchen sein sollten, denen Merle und Gina das Ziel nicht verraten würden. „Cassie und ich werden morgen früh aufbrechen. Wundert euch also nicht, falls wir weg sein sollten“, beendete Anna das Gespräch.

Anna fiel das Schlafen schwer. Eine innere Unruhe hatte sie erfasst. So lag sie da und lauschte. Wie sollte sie auch schlafen, wenn etwas –oder jemand– sie rufte? „Heute nicht, aber vielleicht Morgen“, flüsterte sie. Doch würden sie sie, eine Fremde, überhaupt in ihrer Nähe dulden?

Auf einmal merkte sie, dass sie scheinbar nicht die einzige war, die wach war. Jemand öffnete den Reißverschluß des Zeltes, in dem die jüngsten der Mädchen schliefen. Anna richtete sich auf und versuchte zu erkennen, wer es war. Die Person schien Anna bemerkt zu haben, denn sie kam auf sie zu. Im schwachen Schein des Feuers erkannte Anna Abigail. „Na, kannst du nicht schlafen?“ Abby schüttelte den Kopf. „Das Geheul macht mir zuviel Angst. Es kommt immer näher.“ „Ach, Abby. Na komm her.“ Anna machte eine Geste, dass Abby sich zu ihr setzen sollte, was diese auch tat, dann fuhr sie fort: „Du brauchst keine Angst vor ihnen zu haben. Die Wölfe werden uns schon nichts tun. Sie haben viel mehr Angst vor uns, als wir vor ihnen. Den ‚großen, bösen Wolf’ gibt’s nur im Märchen.“ „Aber sie sind so nah.“ Anna lauschte einen Moment, dann meinte sie überzeugt: „Sie werden uns nichts tun. Außerdem haben wir doch noch die Hunde.“ Abby sah sich um und meinte schmunzelnd: „Tara kannst du aber nicht mitzählen. Die schläft tief und fest und schnarcht so laut, dass sie die Wölfe gar nicht hört.“ Die Beiden lachten leise.

Plötzlich hörten sie ein Geräusch hinter sich. Vorsichtig blickten sie sich um... und atmeten erleichtert auf. Merlin, Cassies Rottweiler, lief hinter ihnen am Rand des Camps entlang, wobei er immer wieder zum Wald schaute. „Na also, zumindest Merlin passt auf. Du kannst beruhigt schlafen gehen.“ „Ok“, nickte Abby gähnend und stand auf. Sie hatte sich schon zum Gehen gewandt, als sie sich noch einmal umdrehte. „Wieso schläfst du eigentlich nicht?“ „Wegen der Wölfe“, grinste Anna. Abby war zuerst leicht verdutzt, dann überlegte sie kurz und verstand schließlich. „Wie kannst du Wölfe nur so lieben, wo doch einst einige Wochen ein Werwolf-Fluch auf dir lastete?“ „Tja, weißt du, meine Liebe zu diesen Tieren war meine größte Waffe gegen die Hexe, die den Fluch ausgesprochen hatte.“ Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Nur gut, dass Jake nicht hier ist.“ „Weiß er eigentlich davon?“ „Nein, bisher nicht und ich hoffe, es bleibt so.“ „Ich werde es ihm jedenfalls nicht erzählen“, meinte Abby und kehrte ins Zelt zurück.

Als Cassie und auch Anna früh am Morgen aufstanden, waren die anderen noch fest am schlafen. Unter den wachsamen Augen von Jay C., dem Falken, und Ginas Rabenkrähe, die ein wenig abseits saß, packten die beiden leise ihre Sachen zusammen und sattelten ihre Pferde. Nur schwer ließen sich Annas Hunde von Fang und Wolf trennen, die bei den anderen Mädchen bleiben sollten. Anna legte noch eine Notiz für die anderen hin, dann brachen sie auf.
***
Noch ein wenig müde verließ Abby das Zelt. Sie merkte gleich, dass Anna und Cassie fort waren. Merle war bereits wach und kümmerte sich um das Feuer. Gemeinsam bereiteten sie anschließend das Frühstück. „Hast du die Beiden noch gesehen?“ wollte Abby wissen. „Nein, sie waren schon weg. Ich habe nur eine Nachricht von Anna gefunden“, antwortete Merle. Langsam standen auch die anderen auf und fanden sich zum Frühstück ein. Als alle versammelt waren, holte Merle Annas Notiz hervor und sagte zwinkernd: „Das hier ist wohl ein Hinweis, wo die beiden hin sind. Nach dem Frühstück brechen wir auf.“ Dann reichte sie den Zettel weiter. „Was soll das denn heißen?“ fragte Jana verwundert. „Das ist ein Lied“, erklärte Gina lachend als Jana ihr den Zettel überreichte und las es vor:

„How d'you do, I see you've met my faithful handyman
He's just a little brought down because when you knocked
He thought you were the candyman.
Don't get strung out by the way that I look,
Don't judge a book by its cover
I'm not much of a man by the light of day,
But by night I'm one hell of a lover

I'm just a Sweet Transvestite from Transexual, Transylvania.

So let me show you around, maybe play you a sound
You look like you're both pretty groovy
Or if you want something visual that's not too abysmal
We could take in an old Steve Reeves movie.

I'm glad we caught you at home, could we use your phone?
We're both in a bit of a hurry.
We'll just say where we are, then go back to the car
We don't want to be any worry.

So you got caught with a flat, well, how about that?
Well babies, don't you panic.
By the light of the night when it all seems alright
I'll get you a satanic mechanic.

I'm just a Sweet Transvestite from Transexual, Transylvania.

So why don't you stay for the night? Or maybe a bite?
I could show you my favourite obsession.
I've been making a man with blond hair and a tan
And he's good for relieving my tension

I'm just a Sweet Transvestite from Transexual, Transylvania.

So come up to the lab. And see what's on the slab.
I see you shiver with antici... pation!
But maybe the rain isn't really to blame
So I'll remove the cause, but not the symptom.”

Gleich nach dem Frühstück malten sich die Mädchen ihre „Tribe-Symbole“ auf, auf die sie sich am Abend zuvor geeinigt hatten und kleideten sich ihrem „Tribe“ entsprechend. Da sie schon bei ihrem letzten Besuch in dieser Welt gesehen hatten, dass sich einige Kinder und Jugendliche hier andere Namen zugelegt hatten, suchten auch sie sich andere Namen aus. Dann brachen sie langsam auf.




Re: Der Traum vom Anderssein

7. Teil

Am frühen Abend erreichten Cassie und Anna Siebenbürgen, besser bekannt als Transilvanien. Da sich ein Unwetter ankündigte, suchten sie sich in der Nähe der Törzburg einen Unterschlupf in einem verlassenen Haus. Schon wenig später begann es zu regnen. Die Beiden hofften, dass die Mädchen auch einen trockenen und sicheren Platz für die Nacht gefunden hatten oder finden würden.
Während der Regen nur so auf das Dach trommelte, saßen Anna und Cassie vor einem alten Kamin, in dem Cassie ein Feuer entfacht hatte. Die Hunde lagen neben ihnen auf einer Decke und rekelten sich behaglich. Die Pferde hatten sie in einem alten Stall, der sich an den Wohnraum anschloß, untergebracht.
Als wenn der Regen noch nicht genügte, zog einige Zeit später auch noch ein Gewitter auf. Immer wieder erhellten Blitze
den dunklen Nachthimmel. Zwischen zwei Donnerschlägen war es Anna, als hörte sie Hufgeklapper und kurz darauf jemanden Schreien. Durch das laute Gewitter wusste sie jedoch nicht, ob sie es sich nicht vielleicht nur eingebildet hatte.

***

Spät am Abend erreichten auch die anderen Mädchen Transilvanien.

Es regnete in Strömen. Hin und wieder tauchte ein Blitz die dunkle Stadt in ein gespenstisches Licht. Ein kleines Mädchen lief durch die verlassenen Straßen.
Plötzlich ragte ein großer, schwarzer Schatten vor ihr empor. Ängstlich blickte das Mädchen nach oben... und erstarrte. Vor ihr stand ein grauenhaftes Ungeheuer, dass sie aus großen Augen ansah. Es hatte eine teuflische Fratze. Todesangst überkam das Mädchen. Das Monster würde sie sicher fressen.
Das Ungeheuer rührte sich nicht. Auf einmal jedoch gab es ein lautes Schnauben von sich. Irgendwie schaffte es das Mädchen, sich zusammenzureißen und – laut schreiend – wegzurennen.
Der unheimliche Schatten setzte sich in Bewegung. Allerdings in die entgegengesetzte Richtung. Er hatte kein Interesse an dem Mädchen.
***
Der kleine Treck folgte der Straße, bis er an den Fuß eines Berges kam. Dort stand es. Hoch oben auf dem Berg. Mit den zuckenden Blitzen, dem Donnergrollen und dem Regen sah es wirklich unheimlich und gruselig aus, das Schloß. Vor dem Virus waren viele Touristen dort gewesen, um einmal dieses berühmte Gemäuer zu sehen. Das Schloß, das viele aus einer weltbekannten Erzählung kannten...

Langsam ging es den Weg hinauf. Glücklicherweise ließ das Gewitter bereits nach. Nach schier endlos langer Zeit erreichten sie das Eingangstor. Einer nach dem anderen begab sich in den Innenhof. Als sie sich vergewissert hatten, dass sie allein waren, suchten sie sich geeignete Schlafplätze innerhalb des Schloßes. Die jüngsten unter ihnen hatten ein wenig Angst, weil es kurz vor Mitternacht sein musste. Doch sie alle waren so erschöpft, dass sie schnell auf ihren am Boden ausgebreiteten Decken, eingekuschelt in ihre Schlafsäcke, einschliefen.

***
Während die anderen Mädchen es sich auf der Törzburg bequem machten, lauschte Anna gebannt Cassies Erzählungen, bevor auch sie sich schließlich schlafen legten.
***

Lautes Hundegebell hallte durchs Schloß und unterbrach die Stille. Caprice nahm ihr Kopfkissen und legte es sich über die Ohren, doch es brachte nicht den gewünschten Erfolg. Nach mehrmaligem Hin- und Herwälzen richtete sie sich auf. „Könnte vielleicht endlich mal wer die Hunde rauslassen?“ rief sie ärgerlich. Keine Reaktion. „Bitte, ich möchte endlich weiterschlafen!“ „Wenn mir jemand ne Knoblauchknolle gibt, mach ichs“, kam eine Antwort aus der Dunkelheit. „Weihwasser wäre auch nicht schlecht“, ertönte eine andere Stimme. „Oder ein Pflock!“
„Ist ja schon gut, ich mach’s“, erwiderte Chenoa genervt, griff sich eine Taschenlampe, warf sich ihren langen, schwarzen Kapuzenumhang über und stand auf. „Angsthasen“, murmelte sie, dann verließ sie den Raum und ging zur Tür, die in den Innenhof führte.
Die Hunde bellten noch immer und sprangen an der Tür hoch. Schnell öffnete Chenoa die Tür. Fang, der weiße Schäferhund, stürmte als erstes hinaus, ihm folgte Wolf, ein Picard-Hütehund-Mix, dicht gefolgt von Kojak, Chenoas Labrador. Chenoa trat vor die Tür und hoffte, dass die Hunde bald wieder zurückkamen. Erfreut stellte sie fest, dass wenigstens das Gewitter und der Regen endlich vorbei waren.

Als sie –auf der Suche nach den Hunden– den Hof mit der Taschenlampe ableuchtete, entdeckte sie jemanden bei den Pferden. Wer war das? Sie hatte nicht gemerkt, dass noch jemand außer ihr den Raum verlassen hatte.
***
Gedankenverloren stand Maeve vor Lord und streichelte seinen Kopf. Der große, dunkelbraune Hannoveraner-Wallach stand ruhig – mit gesenktem Kopf – da und genoß die Streicheleinheiten.

Maeve trug (wie so oft) eines ihrer Lieblingskleider, das aus einem längst vergangenen Jahrhundert zu stammen schien. (ein langes, helles Leinenkleid) Um die Hüfte hatte sie sich ein blaues Tuch gewickelt, was schon fast ein Erkennungsmerkmal ihrer kleinen Gruppe war – neben den anderen Erkennungszeichen: eine blaue (aufgemalte) Träne unter dem rechten Auge, ein auf den Handrücken gemaltes, grünes Kleeblatt, ein Lederarmband mit ihrem Namen (welches mit Hufeisen verziert war) und ein keltisches Symbol auf der Kleidung. Über dem Kleid trug Maeve einen langen, dunkelgrünen Lodenumhang mit Kapuze.
Maeve faszinierte das Mittelalter, weshalb ihr auch das Leben hier in der Tribeworld gefiel, so (fast) ohne Strom und moderne Technik.
Sie musste an das Mädchen denken, dem sie im Ort begegnet waren. Einerseits tat ihr die Kleine leid, weil sie ihr so einen Schrecken eingejagt hatten. Andererseits konnte sie sich ein Lachen nicht verkneifen, wenn sie daran dachte, dass dem Mädchen Lord –als er ihr in der Dunkelheit so plötzlich gegenüber gestanden hatte– wie ein Ungeheuer vorgekommen sein musste. Maeve musterte den großen Wallach. Doch, in der Dunkelheit, noch dazu bei schlechtem Wetter, konnte er durchaus angsteinflößend aussehen. „Du bist mir einer“, meinte sie lachend und gab ihm einen Kuss auf die Nüstern.

Plötzlich hörte sie, wie die Schloßtür geöffnet wurde. Dann sah sie auch schon die Hunde hinausstürmen. Tara, Maeves schwarz-weiße deutsche Dogge, erhob sich von ihrem Schlafplatz neben Lord und lief zu den anderen Hunden.
Chenoa stand vor der Tür und sah zu Maeve. Maeve ging zu ihr. „Ach du bist das. Ich dachte schon...“ „Dass Dracula hier herumschleicht?“ fragte Maeve. „Du weißt doch, dass Vlad Dracul nie hier im Schloß war. Es diente Bram Stoker nur als Vorlage“, fuhr sie fort. Auf einmal entdeckten sie etwas im Schein der Taschenlampe... eine Fledermaus! Beide sahen sich fragend an, dann begannen sie zu lachen.
Endlich tauchten die Hunde wieder auf. Chenoa ließ Fang, Wolf und Kojak wieder rein, während Maeve ihrer Dogge zu verstehen gab, draußen bei den Pferden zu bleiben. Müde trottete die Hündin wieder zu ihrem Schlafplatz. Die beiden Mädchen taten es ihr gleich und marschierten zu ihren Schlafplätzen.
***

Obwohl sie erst spät schlafen gegangen waren, waren Cassiopeia und Anna schon früh wieder auf den Beinen. Das Gewitter und der Regen hatten zum Glück noch in der Nacht aufgehört. Nach dem Frühstück verließ Anna die Hütte, sah sich kurz um, kehrte ins Gebäude zurück und meinte schmunzelnd zu Cassie: "Sie sind hier, auf der Burg." "Wir sollten bald aufbrechen", meinte Cassie. Anna stimmte ihr zu. Schnell waren die wenigen Sachen gepackt, die Pferde gesattelt und aus dem Stall geholt. Bevor sie aufbrachen erklärte Anna ihrer Freundin: "Ich gebe den anderen nur noch einen groben Richtungshinweis." Sie schloß die Augen, konzentrierte sich auf Jay C. und rief ihn mittels Telepathie zu sich.
Schnell wie eine Gewehrkugel kam der Falke von der Burg ins Tal geschossen, öffnete seine Schwingen und flatterte zu Anna. Diese schrieb schnell 'Ungarn' auf einen kleinen Zettel, fragte kurz Cassie: "Grob genug?" - worauf diese lachend nickte - und band den Zettel dann ans Bein des Falken. Danach schickte sie den Vogel zurück zu Merle. "So, jetzt dürften wir etwas Zeit haben, uns in Rumänien umzusehen.“ Die Beiden bestiegen ihre Pferde und ritten los.




Re: Der Traum vom Anderssein

8. Teil

Langsam näherte er sich ihr. Fasziniert musterte sie ihn: Er trug dunkle, altmodische Kleidung, einen schwarzen Umhang und hatte herrliche, lange, dunkle Haare. Und diese Augen... als ob sie sie hypnotisieren wollten... Regungslos stand sie da, er hatte sie völlig in seinen Bann gezogen. Sanft strich er ihre Haare zur Seite und küsste ihren Hals. Dann plötzlich biss er zu. Begierig trank er ihr Blut. Sie spürte, wie ihr etwas von der warmen Flüssigkeit den Hals hinunterlief, spürte, wie er sie Schluck für Schluck austrank. Doch sie wehrte sich nicht. Es gefiel ihr irgendwie sogar.
Er löste seinen Biss und sah ihr in die Augen... Seine Lippen näherten sich ihren... Dann presste er die vom Blut noch feuchten Lippen auf ihre Lippen und küsste sie...

„Iiiiihh!“ Maeve schreckte aus dem Schlaf. Das war kein Kuss, sondern ein nasser, kalter Waschlappen gewesen. Schnell schnappte sie sich den Lappen und warf ihn der flüchtenden, vor Freude quiekenden Ivy hinterher. „Miststück“, rief sie halb wütend, halb lachend. „Guten Morgen, Maeve. Mach dir nichts draus, so haben die Beiden heute morgen alle geweckt“, berichtete Hope, die gerade dabei war, ihre Sachen zusammenzupacken.
Mit „die Beiden“ meinte sie die 10jährigen, eineiigen Zwillingsschwestern Ivy und Isa, die immer zu Streichen aufgelegt waren. Die beiden hatten schulterlanges, hellbraunes Haar, in das sie sich blaue und grüne Strähnchen gemacht hatten. Das und die Jeans-Schlaghosen, die beide momentan trugen, waren derzeit die einzigen Gemeinsamkeiten. Isa trug ihre Haare offen, mit bunten Spangen und einigen bunten Federn darin und bevorzugte bei ihrer Kleidung Rosa- und Rottöne. Ivy hingegen trug zwei hochangesetzte Seitenzöpfe, die sie mit bunten Bändern zusammengebunden hatte und bevorzugte dunkelblaue und dunkelgrüne Kleidung. Bei ihren zahlreichen Streichen allerdings liebten die Twins es, genau gleich herumzulaufen, oder ihre Klamotten zu tauschen.

„Morgen, Hope“, gab Maeve noch etwas schlaftrunken von sich, „oh man, so werden aus den beiden nie...“ „Pssst!“ Hope legte einen Zeigefinger auf ihre Lippen, „wir haben doch vor Reiseantritt schwören müssen, dass wir das Wort nie aussprechen.“ „Ach, hier ist doch sowieso niemand außer uns.“ „Sicher ist sicher.“ „Ja, hast ja recht“, meinte Maeve und musste lachen, „jetzt musst du mich schon an unsere Regeln erinnern. Dabei sollte ich doch auf euch aufpassen und nicht umgekehrt.“ Hope, die mit ihren 13 Jahren immerhin fünf Jahre jünger als Maeve war, sah ihr Gegenüber streng an, dann meinte sie gespielt ärgerlich: „Hey, seit wann haben wir dich zu unserer Anführerin gewählt?“ Sie verließ grinsend den Raum.

Nach dem Frühstück und den üblichen kleinen Streitereien („Wer kümmert sich um die Tiere?“ „Ich fütter die Pferde.“ „Nein, ich!“ „Hey, heute bin ich dran.“ „Du kannst die Hunde füttern, ich will die Pferde füttern.“ „Du hast doch gar keine Ahnung davon.“ - „Und wer ist heute mit Küchendienst dran?“ „Ich nicht.“ „Ich war gestern dran.“ „Ich auch nicht.“ usw.) – bei denen sich die Älteren jedesmal wunderten, wie es die jüngeren schafften, sich ohne Prügeleien zu einigen – sahen sich alle erstmal im Schloß um. Schließlich hatten sie es bisher noch nicht bei Tageslicht gesehen.
***
Das Aussehen des Schlosses deutete darauf hin, dass sie nicht die ersten hier waren, seit dem Virus. Trotzdem hatte es fast nichts von seinem Glanz verloren. Die Kinder waren ein wenig enttäuscht, dass es hier wirklich nichts gab, was mit Dracula, bzw. Vlad Tepes, zu tun hatte. Während sich die älteren Mädchen in Ruhe umsahen, tobten die jüngeren durchs Schloß. Die Twins waren es natürlich, die die geheimen Tunnel als erste entdeckten. Das machte das ganze doch noch spannend. Den ganzen Vormittag waren die Kinder auf Erkundungstour in den Geheimgängen und Tunneln – zur Freude von Maeve, Niamh und Chenoa, den drei Ältesten, die dadurch endlich mal wieder etwas Zeit für sich hatten.
***
Die drei saßen in einem abgelegenen Zimmer und genossen die Ruhe, die ohne die anderen und ohne die Tiere, die entweder draußen oder bei den Mädchen in den Tunneln waren, herrschte. Chenoa und Maeve unterhielten sich angeregt, während Niamh nachdenklich am Fenster saß.

Niamh war genau wie Maeve 18 Jahre, hatte langes, gelocktes, dunkelblondes Haar mit zwei blauen Strähnen und war charakterlich das Gegenteil von Maeve: sehr zurückhaltend und oft in sich gekehrt. Sie trug ein kurzes, helles Kleid, hatte ebenfalls ein blaues Tuch um die Hüfte gewickelt und trug ein weiteres blaues Tuch um die Schultern.
Chenoa war 17 Jahre, hatte langes, z.Zt. hellrot gefärbtes Haar, in das sie einige Federn eingeflochten hatte und trug eine geschnürte Lederhose und Bluse. Um den Hals trug sie ein Lederband mit Falkenfedern.

Niamh hielt den Delphinanhänger ihrer Halskette in Händen und schien mit ihren Gedanken meilenweit weg zu sein. Plötzlich wurde sie durch ein leises Klopfen aus ihren Gedanken gerissen. Draußen saß Una, Chenoas Rabenkrähe, und pickte gegen das Fenster. Niamh öffnete das Fenster und ließ den Vogel hinein. Una flatterte zu Chenoa und setzte sich auf ihre Schulter. Als Niamh das Fenster schließen wollte, rief Maeve ihr zu: „Lass das Fenster ruhig noch offen, Jay C. kommt bestimmt auch gleich.“ Kaum hatte sie das gesagt, kam der Falke auch schon angeflogen und ließ sich auf Maeves ausgestrecktem Arm nieder. Einige Minuten später hallte aufgeregtes Geschrei durchs Schloß. „Na toll“, meinte Chenoa, „die Kids scheinen ihre Entdeckungstour beendet zu haben.“ „Tja, nun ists vorbei mit der Stille. Lasst uns wieder nach unten gehen, sonst geben sie nie Ruhe“, erwiderte Maeve. „Es wird sowieso Zeit, dass wir aufbrechen.“
***
Während alle ihre Schlafsäcke, Decken und anderen Sachen einpackten und zu den Pferden brachten, berichteten die Zwillinge und die anderen Mädchen Niamh, Chenoa und Maeve von ihren Erlebnissen unter dem Schloß – von dunklen, unheimlichen Tunneln, Ratten und Fledermäusen, doch zu ihrer Enttäuschung waren sie auch dort auf keinen Vampir gestoßen. „Und wenn da ein Vampir war, hat er sicher vor den Twins reißaus genommen“, meinte Alisha lachend.
(Alisha – kurz Ally genannt – war 11 Jahre, dunkelhäutig und hatte langes, mit bunten Bändern zu Rastazöpfen geflochtenes Haar, trug ein buntes Kleid und einen breiten, beigen Schal (bzw. Tuch) um die Schultern, dazu eine Halskette mit einem kleinen, weißen Elefanten als Anhänger.)
***
Nachdem alle Pferde gesattelt und bepackt waren und Kaltblutmix Luisa vor den Wagen gespannt war, brach die kleine Gruppe – bestehend aus 10 Mädchen – auf.
Maeve ritt auf Lord voran, an der Hand führte sie Dreamdancer (genau wie Lord ein großer, dunkelbrauner Hannoveraner-Wallach) als Packpferd mit. Hinter ihr ritten Hope, Lily und Alisha.
Hope, die auf einer dunkelbraunen Shagya-Araber-Stute namens Scimitar ritt, hatte schulterlanges, blondes Haar mit einer grünen Strähne, welches sie bis auf einen kleinen Zopf offen trug. Ihre Kleidung bestand aus einem bunten T-Shirt, Reithose, Jeansjacke und einem blauen Halstuch.
Lily ritt auf einem schwarzen Wallach mit sichtbarem Araberanteil, der nur „der Schwarze“ genannt wurde. Lily war nur wenige Monate jünger als Hope, hatte schulterlanges, dunkelblondes Haar, welches sie mit einem breiten, blauen Haarband „bändigte“. Außerdem trug sie eine weiße (künstliche) Blüte im Haar. Ihre Kleidung ähnelte der ihrer besten Freundin Hope.
Alisha ritt auf Gismo, einem Haflingerwallach. Dahinter folgten Niamh und Ivy mit einem (kleineren) Planwagen, Isa ritt auf Shaggy (einem schwarzgescheckten dt. Reitpony-Hengst) nebenher. Hinter dem Wagen ritten Caprice (auf ihrem Fjordpferd Frechdachs) und Cheyenne (auf ihrer weißen Isländerstute Racker).
[Caprice, 15 Jahre, hatte schulterlanges, hellbraunes Haar mit hellblonden und roten Strähnchen; sie trug meist ausgeflippte Klamotten, Reithosen (auch, wenn sie gerade mal nicht ritt), eine rote Weste und eine Basecap.
Cheyenne war 14 Jahre, hatte langes, blondes Haar, das sie als Pferdeschwanz mit blauen Bändern und Federn trug und einen blaugefärbten Pony. Normalerweise trug auch sie ausgeflippte Klamotten, doch derzeit bevorzugte sie wie Maeve und Chenoa etwas altmodischere Kleidung: eine geschnürte Lederhose, dazu einen gestrickten, hellen Pullover oder graue /erdfarbene T-Shirts und eine erdfarbene Weste.
Cheyenne und Caprice liebten genau wie die Zwillinge Streiche, allerdings trieben es die beiden nicht mehr ganz so arg wie die Twins.]
Chenoa bildete die Nachhut auf ihrem – ebenfalls schwarzgescheckten Reitpony - Iltschi. Una saß dabei die meiste Zeit auf ihrer Schulter, während JC über der Gruppe flog. Die Hunde liefen frei neben den Mädchen her.

Wenn die Mädchen daran dachten, die nächste Nacht vermutlich wieder auf offenem Feld verbringen zu müssen, tat es ihnen richtig Leid, das Schloß hinter sich zu lassen.

***
Cassie und Anna durchstreiften einige Dörfer. Sie begegneten jedoch nur wenigen anderen Menschen, dafür umso mehr Straßenhunden und herrenlosen Pferden. Cassie war auffallend ruhig, noch ruhiger, als Anna es von ihr gewohnt war - und sie lachte auch nicht mehr. Es war aber auch recht deprimierend: Vor dem Virus war die Armut in Rumänien schon sehr groß gewesen - nun schien es noch schlimmer geworden zu sein. Scheinbar waren viele von denen, die überlebt hatten, fortgezogen -vermutlich in die größeren Städte- in der Hoffnung, dort genügend Nahrung vorzufinden.
Erst, als sie fast die Grenze zu Ungarn erreicht hatten, schien es Cassie langsam wieder besser zu gehen.
***
Ein ziemlich finster ausschauender Wald tat sich vor ihnen auf. Anna begutachtete den Weg, überlegte und meinte dann verschmitzt lächelnd: "Wir sollten das Waldstück lieber möglichst schnell hinter uns lassen." Cassie sah sie einen Moment an, begann zu lachen, rief: "Okay, folg mir!" und trieb dann ihr Pferd an. "Was? Hey, du folgst mir!" Anna trieb ihr Pferd ebenfalls an. Die Beiden galoppierten durch den Wald, wobei sie sich des öfteren gegenseitig überholten. Ihre drei Hunde machten das Spiel begeistert mit. Schließlich galoppierten sie beinahe gleichauf aus dem Wald. Im Trab ging es weiter bis zu einer Wiese in der Nähe, wo sie eine Rast einlegten.
***

Beinahe völlig lautlos flog –nein, schwebte er dahin. Die Stille wurde nur hin und wieder durch seine schrillen Rufe unterbrochen. Er nutzte geschickt die Thermik, um sich in die Höhe tragen zu lassen. Immer höher gleitete er, die Wolken waren zum Greifen nah. Runde um Runde drehte er dort oben. Er genoß die grenzenlose Freiheit.
Plötzlich erspähten seine scharfen Augen etwas. Dort unten im Gras bewegte sich etwas. Sogleich legte er die Flügel eng an den Körper an und begann zu fallen. Im Sturzflug schoss er auf den Boden zu. Das einzige Geräusch war das Rauschen der Luft an seinen Flügelspitzen. Kurz vor dem Boden öffnete er die Schwingen und streckte die Fänge vor. Zielsicher packten seine Klauen die Maus. Er breitete seine Flügel über die Beute und schirmte sie so vor möglichen anderen Beutejägern ab. Nachdem er die Maus verspeist hatte, erhob er sich wieder in die Lüfte.
Suchend blickte er sich um.
***
Maeve stand oberhalb einer Wiese auf einem Feldweg und wartete. Seit sie ein Gebiet mit dunklen Wäldern durchquerten, ritt sie voraus, um nach möglichen Gefahren Ausschau zu halten. Erneut rief sie nach dem Falken und stieß einen Pfiff aus. Endlich sah sie ihn. Er kam direkt auf sie zugeflogen. Mit einem schrillen Schrei landete er sicher auf ihrem ausgestreckten Arm. „Da bist du ja wieder“, meinte Maeve lächelnd, „na, bist du satt, so dass wir weiter können?“ JC antwortete mit einem leisen „fiieep“, was wohl soviel wie ‚ja’ bedeuten sollte. Maeve nahm mit der freien Hand Lords Zügel wieder auf und ritt langsam weiter.
***
Ihr Weg führte die Mädchen raus aus Siebenbürgen/ Transsilvanien, quer durch Rumänien, Richtung Ungarn. Auf ihrer Reise durch dieses Land begegnete ihnen kaum eine Menschenseele, dafür unzählige Straßenhunde. Tribes schien es hier nur sehr wenige zu geben, vermutlich nur die, die schon vorher existiert hatten, die Gypsy-Sippen.

Schließlich erreichten sie Ungarn. Was würde sie hier wohl erwarten?




Re: Der Traum vom Anderssein

9. Teil

Anna und Cassie übernachteten auf einer kleinen Waldlichtung dicht hinter der ungarischen Grenze. Während Cassie schon schlief, lag Anna abermals – wie so oft in letzter Zeit – wach da. Gebannt blickte sie zum beinahe vollen Mond und lauschte dem Wolfsgeheul. Es sehnte sie danach, endlich wieder als Wölfin durch die Wälder zu streifen, mal wieder dieses unglaubliche Gefühl von Freiheit zu spüren. Sie konnte dem Drang nicht mehr widerstehen. Leise stand Anna auf, sah sich noch einmal nach Cassie um und konzentrierte sich dann auf die Wölfin. Schon wenig später lief sie wieder als ‚Lupina’ durch den Wald.

Gespannt schaute sie sich um. Ob sie wohl den anderen Wölfen begegnete? Und ob diese sie dulden würden? Das Wolfsgeheul um sie her wurde eindeutig lauter. War dort vor ihr nicht eine Bewegung im Gebüsch? Hinter ihr raschelte etwas! Sie drehte sich um. Halt, war neben ihr nicht etwas? Einige Augenpaare leuchteten plötzlich auf und ein unheilvolles Knurren erklang aus allen Richtungen. Sie hatten sie umzingelt! Ein Wolf nach dem anderen tauchte auf und kam langsam näher. Fliehen schien sinnlos; Lupina unterwarf sich den Wölfen und hoffte, dass sie ihr nichts taten. Doch die Tiere verhielten sich irgendwie merkwürdig. Sie zögerten – als wenn sie zuerst berieten, was sie mit der ihnen fremden Wölfin tun sollten. Lupina war die Situation zunehmend unheimlicher. Diese Wölfe hatten irgendetwas sonderbares an sich. Wieso hatte sie ihre Anwesenheit nicht schon eher bemerkt?
Das Alpha-Tier sah sie eine Weile ohne jede Regung an. Eine große Narbe zierte sein Gesicht. Auf einmal schien der Wolf seinem Rudel zuzunicken und sie verschwanden genauso plötzlich wie sie erschienen waren wieder hinter den Bäumen. Zurück blieb eine verwirrte Lupina. Sie starrte den Wölfen noch einen Moment nach, dann kehrte sie zum Lager zurück.

Cassie schien zu schlafen, sie hatte allem Anschein nach nichts gemerkt. Schnell verwandelte sich Lupina zurück in Anna und legte sich wieder hin. „Na, schon zurück?“ Überrascht blickte Anna zu ihrer Freundin. „Du bist wach? Na ja, hätte mich auch gewundert, wenn du nichts gemerkt hättest“, meinte Anna schmunzelnd. „Der Wolf hört immer des Wolfes heulen, hm?“ stellte Cassie fest. „Ja“, grinste Anna, „ich konnte einfach nicht widerstehen.“ Etwas ernster erzählte sie Cassie schließlich von ihrer Begegnung mit den Wölfen.

Bedächtig ritt Cassie auf ihrem Irish Tinker voran, Anna folgte ihr auf ihrem Westfalen den schmalen Waldweg entlang. Sie schauten sich immer wieder um, ob sie etwas verdächtiges sahen. Die Hunde liefen angeleint neben den Pferden her. Das Verhalten der Wölfe hatte auch Cassie zu denken gegeben. Es ließ eigentlich nur einen Schluß zu, dem sie nun auf den Grund zu gehen versuchten.
Endlich fanden sie eine Spur, die auf die Wölfe hindeutete. Ein Geräusch ließ sie vorsichtig werden. Sie stoppten und lauschten. Ein Wiehern und Stimmen hallten durch den Wald. Die beiden Mädchen banden ihre Pferde und Hunde ein wenig abseits an ein paar Bäume und schlichen in den Wald, auf die Geräusche zu. Auf einer großen Lichtung entdeckten sie ein Lager –das einer Gypsy-Sippe, wie Cassie sogleich feststellte. Leise beobachteten die Beiden das Treiben im Camp, auf der Suche nach Hinweisen, die ihren Verdacht die Wölfe betreffend erhärteten. Einige der Jugendlichen bereiteten das Essen, ein paar kleine Kinder spielten in der Mitte des Lagers, während sich einige Jungs allem Anschein nach auf die Jagd vorbereiteten. Ein Rudel Hunde (bei denen es sich um Wolfshybriden zu handeln schien) das in der Nähe angebunden war, zerrte ungeduldig an den Ketten und konnte kaum erwarten, dass es losging. In ihrer freudigen Erregung bemerkten die Tiere die Fremden anscheinend gar nicht. Auf einmal blickte ein Junge in Cassies und Annas Richtung. Sie wagten nicht, sich zu bewegen. Ohne den Blick abzuwenden kam er ein paar Schritte näher. Hatte er sie etwa entdeckt? Der Junge drehte sich wieder zu den anderen um und wechselte ein paar Worte mit ihnen, woraufhin diese mit den Hunden das Camp in die entgegengesetzte Richtung verließen. Doch Cassie und Anna blieb keine Zeit zum Entspannen, der Junge wandte sich wieder in ihre Richtung um und näherte sich ihnen langsam. Er war groß und schlank, sein langes, schwarzes Haar –mit einer weißen Strähne– verdeckte sein Gesicht beinahe völlig. In seinen Händen hielt er eine Armbrust, die er nun spannte.

Als er sich bereits dicht vor den beiden Mädchen befand, strich er sich plötzlich die Haare aus dem Gesicht und eine lange Narbe kam zum Vorschein. Anna hatte eine Idee – zugegeben, eine ziemlich verrückte Idee – doch es war das einzige, das ihr in dieser Situation einfiel. Sie blickte zu Cassie, schloß kurz die Augen und als sie sie wieder öffnete, sah sie ihre Freundin mit den Augen eines Wolfes an. Cassie schüttelte den Kopf, doch Anna ignorierte es und begann, sich zu verwandeln. Sie wusste, dass es riskant war, denn während der Verwandlung war sie völlig wehrlos, aber sie vertraute auf ihr Gefühl.

Der Junge zögerte, die Waffe noch immer im Anschlag. Äußerst vorsichtig kam die Wölfin aus dem Gebüsch. Hoffentlich irrte sie sich nicht. Mensch und Tier blickten sich einen Moment in die Augen. Der Junge zeigte keinerlei Angst, höchstens ein wenig Überraschung. Er musterte die Wölfin genau, jedoch nicht als Jäger, da war sich Lupina sicher. Sie sah, wie er leicht zu lächeln begann und dann langsam – den Blick dabei ständig auf sie gerichtet – die Armbrust auf den Boden zu seinen Füßen legte. Er streckte die Hände aus, mit den Handflächen nach oben, um ihr zu zeigen, dass er nun unbewaffnet war und ihr von ihm keine Gefahr drohte. Die Wölfin setzte sich, wartete einen Augenblick, um sicher zu gehen, dass er nicht doch wieder nach der Waffe griff, drehte sich dann zu Cassie um und nickte ihr kaum merklich zu. Zögerlich kam nun auch Cassiopeia aus dem Versteck.
Lupina spürte etwas Unsicherheit bei dem Jungen. Sie fletschte die Zähne und knurrte, denn auch die Bewegung seines Armes in Richtung Waffe war ihr keineswegs entgangen. Der Fremde verstand und symbolisierte ihr abermals friedliche Absichten, um sie zu besänftigen. Mißtrauisch beobachtete Lupina ihn weiterhin genauestens. Erst als Cassie neben ihr stand, tat die Wölfin den letzten Schritt, der ihr Gewissheit verschaffen würde: Sie verwandelte sich zurück in einen Menschen. Cassie blickte Anna entsetzt an, denn schließlich war es untersagt, seine magischen Kräfte vor Fremden zu demonstrieren. Der Junge jedoch war erstaunlich gelassen geblieben. „Schon gut“, meinte er schmunzelnd, „so etwas ist nichts Neues für mich. Es hat mich nur ein wenig überrascht, es am helllichten Tag zu sehen.“ Anna grinste Cassie an, die nicht ganz so erfreut schien, dann stellte sie sich und ihre Freundin vor. Der Junge stellte sich daraufhin als Remus vor, was Anna unweigerlich einmal mehr an Jake denken ließ. Remus führte die Beiden zu einem Mädchen seines Stammes, das sich ihrer annehmen sollte.




Re: Der Traum vom Anderssein

10. Teil

Der Name des Mädchens lautete Amira. Sie begrüßte Anna und Cassie freundlich und führte sie ans Lagerfeuer, über dem in einem großen Kessel das Essen kochte. Die Wärme des Feuers tat den Beiden gut. Sie hatten gar nicht gemerkt, wie durchgefroren sie waren. Amira bot ihnen etwas von dem Essen an, was die Beiden zögerlich annahmen. Doch zuvor verließen sie kurz das Camp, um ihre Tiere zu holen.
Anna war Cassies Unbehagen nicht entgangen. Daher nutzte sie die Gelegenheit, sie darauf anzusprechen: „Was ist los mit dir?“ „Du weißt, was sie sind?“ erwiderte Cassiopeia. Anna nickte. „Und du weißt, was heute ist?“ fuhr sie fort. Die Beiden hatten ihre Tiere erreicht. „Vollmond, ja“, meinte Anna lächelnd und tätschelte den Hals ihres Pferdes. „Anna, sie sind nicht so wie wir. Sie sind echte Werwölfe!“ rief Cassie entsetzt, sah sich schnell nach allen Seiten um und meinte dann leiser: „Sie sind Kreaturen der Nacht. Für sie ist es ein Leichtes, jemanden wie uns zu töten.“ „Wenn sie das wollten, hätten sie dazu längst mehr als einmal eine Chance gehabt.“

Plötzlich begannen ihre Hunde zu bellen und unterbrachen so das Gespräch. Jemand näherte sich ihnen. Auf Annas und Cassies Befehl hin gaben die drei Hunde Ruhe. Nun konnten sie um sich herum deutlich knackende Äste hören. Sie waren umzingelt!

***

Mit großen Sprüngen lief er am Rand des Feldweges entlang. Endlich hatte er eine Spur ausfindig gemacht. Diesmal musste es die richtige sein. So ein merkwürdiges Wesen hatte er noch nie verfolgt. Mal schien es sich auf zwei Beinen fortzubewegen, dann wieder auf allen Vieren. Die Spur führte in einen Wald. Bevor er jedoch in den Wald hineinlief, um ihr weiter zu folgen, drehte er sich um und hielt nach seiner Herrin Ausschau.
Er musste eine Weile warten, bis sie in seinem Blickfeld auftauchte. Sie war bei weitem nicht so wendig und schnell wie er unterwegs. Er wartete, bis sie ihm das Okay gab, dann lief er in den Wald. Sie brauchte einen Moment, bis sie ihm folgen konnte, daher verlangsamte er zunächst seine Schritte. Im Gegensatz zu ihr war es für ihn kein Problem, selbst zwischen den Bäumen sein Tempo zu halten.

Die Fährte war noch recht frisch. Doch auf einer Lichtung hielt er mit einem Mal inne. Die Spur des Wesens, das er verfolgte, vermischte sich mit einigen anderen Spuren. Es war hier scheinbar auf andere seiner Art gestoßen. Auf einmal vernahm er verdächtige Geräusche. Seine Herrin schien es auch gehört zu haben und rief ihn zu sich. Gemeinsam zogen sie sich zurück, um nicht entdeckt zu werden.




Re: Der Traum vom Anderssein

11. Teil

Vier Wolfshunde brachen durchs Gebüsch und gingen knurrend auf Cassie und Anna los. Bevor sie den Beiden jedoch zu nahe kamen, wurden sie zurückgerufen. Hinter den Hunden tauchten die Jungs auf, die die Mädchen schon im Camp gesehen hatten. Ohne viele Worte geleiteten die Jungen die Beiden und deren Tiere zurück ins Camp, wo sie bereits von Amira erwartet wurden.

 

Amira, Anna und Cassie saßen den Nachmittag über – bei einigen Tassen Tee – beisammen und plauderten darüber, woher sie kamen und wohin sie wollten. Als es langsam Abend wurde, wurde Cassie unruhig. „Keine Angst, hier im Camp droht euch keine Gefahr“, versuchte Amira sie zu beruhigen, „sie sind keine so blutrünstigen, menschenfressenden Bestien, wie es die Werwölfe in so manchem Film waren. Keine dieser merkwürdigen, sich auf zwei Beinen fortbewegenden Wolfs-Mensch-Mischwesen... Ich möchte sie nicht zu sehr verharmlosen, doch sie würden nie jemandem im Camp etwas zuleide tun.“  „Aber was ist mit -“  „Euren Freundinnen werden sie auch nichts tun, sollten diese in der Nähe sein.“  Cassie war noch nicht völlig beruhigt, doch Remus näherte sich ihnen und unterbrach sie. „Möchtest du uns begleiten, Schwester?“ wandte er sich an Anna und streckte ihr seine Hände entgegen. Anna zögerte nicht lange und fasste seine Hände, worauf Remus sie an sich zog. „Gern“ hauchte sie. Die ganze Zeit über konnte sie ihren Blick nicht von seinen Augen abwenden. Cassie glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Ohne sie weiter zu beachten, verließ Anna Arm in Arm mit Remus das Lager, einige andere Tribe-Mitglieder folgten ihnen.

 

Mittlerweile war der Mond aufgegangen und leuchtete hell über dem Lager. Wolfsrufe hallten durch den Wald. Cassie saß noch immer am Feuer und schaute in den Wald. Sie hoffte, dass Anna wusste, was sie tat. „Anna weiß, was sie tut.“ Amira, die kurz in ihrem Wohnwagen verschwunden war, war mit einem Paar Decken zurückgekehrt, von denen sie eine Cassie gab. Erstaunt sah Cassiopeia das Mädchen an. „Woher weißt du...?“  „Die Gabe der Verwandlung ist nicht unsere einzige Fähigkeit.“  „Können alle -“  „Nein“, meinte Amira lächelnd, „nur ein kleiner Teil.“  „Von wem habt ihr sie?“  „Von meiner Großmutter. Sie verstand viel von Magie.“  Amira begann zu kichern. „Entschuldige, aber das muß sich ja fast schon nach dem Märchen vom Rotkäppchen anhören.“  Cassie schmunzelte, aber sie traute den Dakern noch immer nicht völlig. Doch das würde sie Amira ganz bestimmt nicht wissen lassen.

 

„Warum stört es dich so, dass Remus mit Anna unterwegs ist? Es hat nichts damit zu tun, was er ist, richtig?“  Cassie blickte zu Amira, einen Augenblick sahen sie sich schweigend an. Dann erhob sich Amira, griff in einen kleinen Lederbeutel, der am Gürtel ihres Rockes hing, holte scheinbar etwas heraus und warf es ins Feuer. Das Feuer loderte hell auf, eine große Rauchsäule stieg gen Himmel.  Plötzlich hatte es den Anschein, als tauchten zwei gelbe Augen im Rauch auf... der dichte, weiße Qualm formte sich zu einem Kopf... Es war der Kopf eines Tigers. Nun manifestierte sich auch der Rest des Körpers. Der Tiger erhob seine Pranken vor Cassies Augen zum Sprung. Er machte einen Satz nach vorn, dann wendete er den Kopf, bog geschmeidig seinen Körper um die Rauchsäule und schien sich mit ihr nach oben zu winden. Bald war er nicht mehr zu sehen. Das Feuer wurde wieder schwächer, nur noch eine kleine Rauchfahne stieg davon empor.  Cassie wusste, was es mit der Erscheinung auf sich hatte, verlor jedoch kein Wort darüber. Allerdings fragte Amira sie auch nicht danach. Stattdessen bot sie ihr an, in ihrem Wagen zu übernachten.

 




Re: Der Traum vom Anderssein

12. Teil

Mitten in der Nacht schwoll das Geheul der Wölfe urplötzlich an und ließ Cassie aus dem Schlaf schrecken. Doch da war noch ein anderes Geräusch, das ihre Aufmerksamkeit weckte. Es war weder wölfisch noch menschlich. Cassie verließ den Wohnwagen und schaute sich um. Einige Daker waren ebenfalls bereits draußen und versuchten herauszubekommen, was los war.  Da war das Geräusch wieder. Es hörte sich ganz nach einer Raubkatze an. Was es für eine war, wusste Cassiopeia nicht. Nur eines wusste sie ganz sicher: es war kein Vertreter der Gattung Panthera leo oder tigris. Deren Laute kannte sie gut.

Ein großer, weißer Schatten huschte am Rand der Lichtung vorbei und ward schnell wieder spurlos verschwunden, noch bevor Cassie hatte erkennen können, was es war. Im Camp herrschte Aufregung. Weitere Daker hatten ihre Wagen und Zelte verlassen. Niemand wusste, was vor sich ging.  Amira trat an Cassies Seite. Der Schmerzensschrei von einem der Wölfe hatte sie aus dem Wagen gelockt.  Auf einmal spürte Cassie die Anwesenheit einer starken Macht. Instinktiv drehte sie sich um – und entdeckte den weißen Schatten am anderen Ende der Lichtung. Diesmal verharrte er einen Moment, gerade so lange, dass ihn die Daker nicht zu fassen bekamen. Nun erkannte Cassie, worum es sich handelte. Unmerklich nickte sie in seine Richtung. Amira schaute sie fragend an, doch ihr war klar, dass sie keine Antwort bekommen würde.  Wieder verschwand der Schatten und Cassie wusste, dass er zumindest in dieser Nacht nicht zurückkehren würde. Ein kleinerer, dunkler Schatten folgte ihm einen Augenblick später.

„Der Spuk ist vorbei“, meinte sie daher ruhig und Amira stimmte ihr zu. Sicherheitshalber suchte Cassie den Wald mit Hilfe ihrer Fähigkeiten aus dem Camp heraus noch einmal ab und stellte beruhigt fest, dass alle Wölfe wohlauf zu sein schienen. Sie teilte es Amira mit, die es daraufhin ihrem Tribe berichtete.  Bis auf ein paar Wachen zogen sich die Daker wieder in die Zelte und Wagen zurück. So manchem fiel das Schlafen nach der Aufregung nicht leicht, doch bald lag wieder Ruhe über dem Camp.

 

Als der Morgen graute, kehrten Anna und die anderen ins Lager zurück. Einer der Jungen humpelte leicht, aber keiner war ernstlich verletzt. Sie wurden bereits sehnsüchtig erwartet und mit Fragen überhäuft. Gespannt lauschten Cassie und die Daker, welche die Nacht im Camp verbracht hatten, den Erzählungen der anderen.  Sie berichteten alle von einer großen, schwarzen Katze, die plötzlich aufgetaucht war. Die Katze war den Wölfen zu nahe gekommen, weshalb diese sie angegriffen hatten.  Mit einem Mal hatte jedoch eine unerklärliche Kraft die Wölfe zurückgedrängt und so der Katze zur Flucht verholfen. Weder die Daker noch Anna hatten dafür eine Erklärung.

 

Ånna war hin- und hergerissen. Einerseits wollte sie herausbekommen, was das für eine seltsame Kraft gewesen war und was es mit der Katze auf sich hatte, andererseits wollte sie gerne noch bei den Dakern bleiben. Sie unterhielt sich mit Cassie darüber. „Vielleicht war es ja Phantom?“ meinte Cassie. „Nein, es war kein Leopard, da bin ich mir sicher“, erwiderte Anna. Sie kannte die Laute von ‚Phantom’ – dem schwarzen Panther eines Bekannten – gut genug. „Eher ein Jaguar“, fuhr sie fort. „Hier? In Ungarn?“ „Das ist es ja, was mich wundert. Vor allem, da diese Tiere gewöhnlich nicht in Zirkussen oder von Privatpersonen gehalten werden. Wo sollte er also herkommen?“  Sie diskutierten noch eine Weile, bis es Cassie irgendwie gelang, Anna zu überzeugen, nicht kopflos irgendwelchen Phantomen hinterherzujagen. Anna wiederum schaffte es, Cassie zu überreden, noch ein wenig zumindest in der Nähe der Daker zu bleiben. Sie entschlossen sich, ein Stück weiterzuziehen und die anderen Hexen zum Camp zu lotsen. Amira erklärte sich damit einverstanden, sie freute sich sogar über weitere Gäste.

Anna überlegte, wie sie den anderen eine Nachricht zukommen lassen konnte. Jay C war noch zu weit entfernt. Als sie Remus sah, kam ihr eine verrückte Idee – doch dazu musste sie in ihre Dimension zurück. „Kannst du ein Tor nach Hause öffnen?“ fragte sie ihre Freundin. Als Cassie nickte, erzählte sie ihr, was sie vorhatte. Zu ihrer Überraschung gelang es ihr, Cassies Zustimmung zu bekommen. Noch erstaunlicher fand sie es, dass Cassie sich freiwillig bereit erklärte, selbst durch das Tor zu gehen. Dankbar umarmte Anna sie, bevor sie das Tor aus purer, magischer Energie öffnete und hindurchschritt. Nun konnte Anna nur noch hoffen, dass Johanna mitspielte.  Bereits wenig später kehrte Cassie mit Rosalie, der Schleiereule, auf dem Arm zurück.