Der Tod ist ein Meister aus Deutschland
kopiert aus: http://www.neues-deutschland.de/artikel/167998.die-wahl-zwischen-cocktailparty-und-bombardierung.html
Von Hans Wallow 27.03.2010
Thema: Rüstungswirtschaft
Die Wahl zwischen Cocktailparty und Bombardierung
Seit Helmut Kohl wurde die Bundesrepublik mit Hilfe vieler Steuermilliarden zur militärischen Weltmacht
Dieser Tage stellte das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI fest, dass deutsche Rüstungsfirmen in den letzten fünf Jahren ihre Exporte verdoppelt haben. Der enorme Zuwachs resultiert vor allem aus dem Verkauf von Kriegsschiffen und Panzerfahrzeugen, darunter der Panzer Dingo. Hans Wallow beschreibt den Aufschwung Deutschland zur Militär- und Rüstung-Weltmacht. Der 70-Jährige war lange Regierungsbeamter, bevor er 1980 in den Bundestag gewählt wurde. Er war bis 1983 und dann noch einmal von 1990 bis 1998 SPD-Abgeordneter. 2001 trat er nach 35 Jahren aus der SPD aus. Anlass waren seine Recherchen über die NATO-Luftangriffe vom 30. Mai 1999 auf die serbische Stadt Varvarin, bei denen zehn Zivilisten getötet und viele weitere schwer verletzt wurden. Deutschland war unter der SPD/Grünen-Regierung an dem Krieg gegen Serbien beteiligt.
Als wachsende Bedrohung »für die internationale Sicherheit und einen dauerhaften Frieden im 21. Jahrhundert« sieht US-Verteidigungsminister Robert Gates die kontinuierliche »Entmilitarisierung Europas«. Vor der »National Defence University« in Washington äußerte er seinen Unmut darüber, dass »große Teile der Öffentlichkeit und der politischen Klasse militärischer Gewalt grundsätzlich ablehnend« gegenüberstünden.
Dass der oberste US-Waffenlobbyist die Dysfunktionalität moderner Zerstörungssysteme wegen Vietnam und nachfolgender Niederlagen verdrängen muss, ist nachvollziehbar. Unbegreiflich ist dagegen, dass der Verteidigungsminister der Weltmacht USA die europäische Realität auf dem Sektor der militärischen Rüstung ins Gegenteil verkehrt: Obwohl die Teilung Europas durch eine beharrliche Entspannungspolitik ohne einen Schuss beendet wurde, gab es nie eine nennenswerte »Friedensdividende« für die Bevölkerung. Am wenigsten hat die politische Klasse in Deutschland aus der eigenen jüngsten Geschichte gelernt. Sie hat weiter aufgerüstet.
In der Bundesrepublik Deutschland, obwohl von Demokratien umzingelt, wuchs der Verteidigungshaushalt ausgerechnet während der rot-grünen Koalition kontinuierlich. Es wurde hauptsächlich neues Kriegsgerät bestellt, das die Fähigkeit zum Angriff steigert, obgleich die Bundeswehr entsprechend dem Grundgesetz allein zur Verteidigung dienen soll.
Das konkrete Startsignal für die endgültige Umstrukturierung der Bundeswehr von einer verfassungsgemäßen Verteidigungsarmee zu einer das Grundgesetz ignorierenden Interventions- und Angriffsstreitmacht gab der sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder im November 1999 auf einer Kommandeurstagung der Bundeswehr. Bereits wenige Monate vorher hatte er durch deutsche ERC-Tornados vom Jagdbombergeschwader 32 aus Lechfeld vom italienischen Piacenza aus die jugoslawische Luftabwehr mit HARM-Raketen der US-Firma »Texas Instruments« völkerrechtswidrig bombardieren lassen. Die 236 von deutschen Kampfpiloten abgefeuerten Raketen zum Stückpreis von 200 000 Dollar hinterließen eine Vielzahl von Toten, Verletzten und Verkrüppelten.
Schröder führte auf dieser Tagung seiner Spitzenmilitärs aus, dass wir »vor einer entscheidenden Weichenstellung deutscher Sicherheitspolitik« stünden, die »durchaus verglichen werden kann mit der Situation in den 50er Jahren, als es darum ging, Deutschland verteidigungsfähig zu machen«. Und er fuhr fort: Mögliche Einsätze der Bundeswehr würden in Zukunft »bis hin zu militärischen Optionen bei humanitären Einsätzen oder bei der Durchsetzung von Bündnisverpflichtungen reichen«. Im Klartext: Von einer Verteidigungsarmee wurde die Bundeswehr zur Angriffsmaschine. Eine hörbare Opposition gab es dagegen nicht.
Unter »Normalität« in der Bundesrepublik Deutschland verstand der Sozialdemokrat Schröder die rückschrittliche Denkweise, nach der wieder Krieg die Fortsetzung der Außenpolitik mit anderen Mitteln sein sollte. Ein Trugschluss. Dies gelingt heutzutage jedoch nicht einmal mehr mit professionell ausgerüsteten und hoch spezialisierten Kämpfern der Berufsarmeen, die weltweit in den Bergen Afghanistans wie auf den Weltmeeren und demnächst vielleicht in den Wüsten Irans ihr Todeshandwerk praktizieren. Die künftige Rüstungspolitik blendet die Realität aus. Laut Bundeswehrplanung werden für 215 Rüstungsprojekte, die Einsätze außerhalb des NATO-Territoriums durchführbar machen sollen, bis zum Jahr 2015 circa 230 Milliarden Euro an Steuergeldern benötigt. Treibstoff und Munition noch nicht eingerechnet.
Entsprechend der militärischen Zielsetzung, Interventionskriege zu führen, sollen vor allem die Luftwaffe und die Marine auf Angriff getrimmt werden. Von diesem Etat entfallen daher auf das Heer nur 15 Prozent, während für die Luftwaffe 25 Prozent und für die Marine über 40 Prozent veranschlagt werden.
Welche Bedeutung man der Marine bei der zukünftigen Kriegführung zumisst, erklärte Dieter Stockfisch, Mitglied im Führungsstab der Marine, in der Zeitschrift »Wehrtechnik« wie folgt: »See- und Luftstreitkräfte sind Kräfte der ersten Stunde. In der Regel können sie aus dem Stand heraus flexibel und weiträumig eingesetzt werden und damit eine zunächst politische Aufgabe erfüllen, nämlich Flagge zeigen und Präsenz und Entschlossenheit demonstrieren (...). Mit maritimen Mitteln hat man (...) immer die Wahl zwischen einer Cocktailparty oder einer Bombardierung.« Stockfisch zufolge garantiert die Flotte in Zukunft »die Politikfähigkeit unserer Nation« die Kanonenboot-Politik von Kaiser Wilhelm II lässt grüßen. Militärische Drohgebärden, obwohl ständige Praxis, sind nach der Charta der Vereinten Nationen übrigens verboten.
Solche Vorstellungen entspringen keinesfalls der Imagination durchgeknallter Militärs, sondern von politischer und militärischer Größe träumenden deutschen Politikern und Bürokraten im Auswärtigen Amt. Dafür erhält die Marine fünf neue Korvetten und zwei Fregatten; der Gesamtwert inklusive vier bereits angeschaffter U-Boote beträgt 7,7 Milliarden Euro. Als Kernstück soll ein Landungsschiff gebaut werden, von dem aus 800 Soldaten mit ihren schweren Waffen auf fremde Küsten stürmen können. Für die Luftwaffe wurden 60 Militärtransporter A400M, 180 Kampfflugzeuge vom Typ Eurofighter (ehemals Jäger 90) sowie zahlreiche Kampfhubschrauber bewilligt. Hinzu kommen noch Panzerhaubitzen, ein Luftabwehr- und Satellitenspionagesystem.
Allein der Militärtransporter A400M, welcher jetzt 5 Milliarden Euro Mehrkosten verursacht, wird dem deutsch-französisch-spanischen Rüstungskonzern EADS etwa 25 Milliarden Euro in die Kassen spülen. Vergleichsstudien des Verteidigungsministeriums kamen zwar einst zu dem Ergebnis, dass die russisch-ukrainische Antonow An-72 wirtschaftlicher und auch dem EADS-Produkt technisch überlegen sei. Den Zuschlag erhielt aber der um 3,3 Milliarden teurere EADS-Lufttransporter. Der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Karl Heinz Däke, stellte kürzlich fest, dass die Hälfte der Flugzeuge den Bedarf der Bundeswehr decken würde. Auch das ist nur ein Schätzung, denn eine realistische Bedrohungsanalyse wie zu Zeiten des Kalten Krieges gibt es heute nicht.
Das darf niemanden wundern, denn aus einem Antrag der Linksfraktion im Bundestag (Drucksache 16/4488) erfährt man, dass der EADS-Konzern und sein Tochterunternehmen seit 2006 insgesamt 20 Empfänge, Bälle und Essen für das Verteidigungsministerium gesponsert haben. Wie prächtig sich das Rüstungsgeschäft trotz der Schelte aus Washington entwickelte, bestätigte der Chef der EADS-Rüstungssparte, Stefan Zoller, auf einer Pressekonferenz: »Wir entwickeln uns zu einem Stabilitätsanker der EADS.« Konkret: Ohne die Rüstungsmilliarden der Steuerzahler der beteiligten europäischen Staaten wäre der Konzern längst pleite. Insgesamt stehen Rüstungsaufträge für 53 Milliarden Euro in den Büchern des Konzerns. Was die Steuerzahler nach der Mitte des kommenden Jahrzehnts erwarten können, ließ Zoller auch schon einmal durchblicken: »Wir brauchen aber Anschlussaufträge für den Zeitraum nach der Auslieferung.«
Auch beim Export von Waffen haben die deutschen Regierungen unter den Bundeskanzlern Kohl, Schröder und Merkel alle Skrupel verloren. Bis zum Beginn des Regierungswechsels 1982 von Helmut Schmidt (SPD) auf Helmut Kohl (CDU) wurden die deutschen Gesetze, nach denen Kriegswaffen nicht in Krisengebiete geliefert werden dürfen, weitestgehend beachtet. Helmut Schmidt scheiterte einst in der SPD-Fraktion mit dem Versuch, bei der Mehrheit der Abgeordneten Unterstützung für den Export von Leopard-II-Kampfpanzern nach Saudi-Arabien zu erlangen. Die Möglichkeit zur Sicherung von Arbeitsplätzen in der wirtschaftlichen Schwächephase beeindruckte die Abgeordneten mehrheitlich nicht.
Das änderte sich, als die Regierung unter Kohl nach der Vereinigung 1990 Waffenbestände der NVA in die halbe Welt verscherbelte. Damit konnte sich die BRD zwischenzeitlich auf Platz zwei der Weltrangliste der Waffenexportländer vorschieben; heute liegt Deutschland hinter den USA und Russland auf Rang drei. Die Regierung Kohl erlaubte der Rüstungsindustrie, Kampfpanzer (was allerdings am Bundestag scheiterte), Spürpanzer sowie leichte Panzer vom Typ Dingo und moderne U-Boote der Delphin-Klasse zu exportieren. Die Lieferungen gingen unter anderem nach Israel und in die Türkei, also in Spannungsgebiete. Die U-Boot-Lieferung mit einem Wert von 900 Millionen Mark finanzierten zu einem Drittel über den Bundeshaushalt die Steuerzahler.
Die demokratisch verfasste Bundesrepublik Deutschland folgt wieder, ohne dass eine offene gesellschaftliche Diskussion darüber stattfindet, der simplen und gefährlichen Steinzeitdevise: Mehr militärische Stärke bedeutet mehr politische Macht. Diese Vorstellung gehört ebenso in die Welt des Unrealen wie das Argument, Rüstungsaufträge würden Arbeitsplätze sichern. Der Niedergang der Ostblockstaaten hat das Gegenteil bewiesen. Die Überrüstung der UdSSR gipfelte im völligen Kollaps der politischen Macht. Dagegen gründete sich Japans Aufstieg zu einer der führenden Industrienationen nach dem Zweiten Weltkrieg beinahe ausschließlich auf der Produktion nichtmilitärischer Güter. Millionen von japanischen Autos, Kameras, Küchengeräten, Handys und Fernsehern in der ganzen Welt sind der Beweis dafür, dass Wirtschaft und Handel auch ohne die Produktion wertunechter Rüstungsgüter florieren.
Die Rüstungsindustrie wird durch die staatliche Nachfrage zur Hälfte Staatswirtschaft und von der Gemeinschaft der Steuerzahler alimentiert. Das unternehmerische Risiko der Konzerne ist deshalb gleich Null. Fehlkalkulationen werden wie bisher bei allen Rüstungsgroßprojekten widerspruchs- und geräuschlos mit Steuergeldern bezahlt, hinter denen die Lebensenergien von Millionen Menschen stehen. Die horrenden Gewinne werden privatisiert. Kritiker der Rüstungswirtschaft wie der US-Ökonom John Kenneth Galbraith bestreiten den kurzfristigen konjunkturpolitischen Aspekt der Rüstungsindustrie keineswegs er beweist aber auch, dass der Staat durch Investitionen in Wohnungen, Schulen, Umweltschutz, Kinder-, Freizeit- und Bildungseinrichtungen problemlos Sinnvolleres erreichen könnte. Hier werden die Zuschüsse jedoch immer nur gekürzt.
... ich tue was Linke tun, Ungerechtigkeit bekämpfen!
von Yossi Wolfson