Lafontaines Rede vor dem Investmentkongreß in München
zitiert aus: http://www.jungewelt.de/2013/09-28/022.php
Entfesselte Finanzmärkte
Dokumentation. Analyse des modernen Kapitalismus
Von Oskar Lafontaine
Die DAB Bank AG in München veranstaltet jährlich einen Investmentkongreß. Dieses Jahr fand er am vergangenen Mittwoch, am 25.9., statt. Einer der beiden Hauptredner war Oskar Lafontaine. Er sprach vor etwa 1000 Finanzintermediären und institutionellen Anlegern im Münchner Nobelhotel »The Westin Grand Arabellapark«. Es gab darüber im Vorfeld ein paar »unwirsche E-Mails«, wie das Handelsblatt auf seiner Internetseite erwähnt. Letztendlich so heißt es im Bericht der Finanzzeitung weiter trat Lafontaine »unter Beifall von der Bühne«. Das Vortragshonorar wird der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im saarländischen Landtag spenden. jW dokumentiert an dieser Stelle seine Rede.
Zuerst bedanke ich mich für die Einladung. Es hat mich überrascht zum Investitionskongreß der DAB-Bank München eingeladen worden zu sein. Ich kann mir vorstellen, daß diejenigen, die den Vorschlag gemacht haben, einen linken Politiker zu bitten, zu diesem Thema zu sprechen, auf erhebliche Vorbehalte gestoßen sind. Aber es gibt auch Argumente, die diese Einladung rechtfertigen könnten. ( ... )
( ... ) Wie immer man zu einer solchen Wirtschaftsordnung steht, sie setzt eine stabile Geldordnung voraus. Das wußte schon Lenin, der einmal sagte: »Um die bürgerliche Gesellschaft zu zerstören, muß man ihr Geldwesen verwüsten.«
Die Erkenntnis, daß die Verwüstung des Geldwesens zur Zerstörung einer bestehenden gesellschaftlichen Ordnung führt, ist nicht neu. Als im 14. Jahrhundert die Ming-Kaiser in China Papiergeld einführten, sorgten sie sich, daß ihr Geldwesen durch Fälscher verwüstet würde. Deshalb stand auf den Geldscheinen: »Wer Geldscheine fälscht oder gefälschte Scheine in Umlauf bringt, wird enthauptet. Wer einen Fälscher anzeigt und verhaftet, erhält 250 Taels Silber zur Belohnung sowie das gesamte Vermögen des Verbrechers.« ( ... )
( ... ) In der Welt der Finanzmärkte aber gilt eher: Die Kleinen hängt man, die Großen läßt man laufen. Zwar wurden einige erwischt und vor den Kadi gestellt, aber viele Täter werden immer noch mit einem goldenen Fallschirm in den Ruhestand geschickt.
Doch bleiben wir bei der These Lenins. Die Verwüstung des Geldwesens zerstört die vorhandene gesellschaftliche Ordnung. Genau das bewirken die entfesselten Finanzmärkte. Sie führen zu einem Werteverfall der bürgerlichen Gesellschaft, verschärfen die ungerechte Verteilung, untergraben die parlamentarische Demokratie, rauben der europäischen Jugend die Zukunft und vielen Menschen in Europa die Freiheit und mindern die Produktivität der Wirtschaft. ( ... )
( ... ) aus einem Aufsatz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom Januar dieses Jahres: »Die Schonung der Gläubiger der Banken wird dramatische Umverteilungswirkungen haben. Typischerweise konzentriert sich der Besitz der europäischen Bankaktien und Bankschulden auf die reichsten fünf Prozent der Haushalte ( ). Sie nicht an den Verlusten zu beteiligen kommt einer riesigen negativen Vermögenssteuer gleich. Der Reichtum der Vermögenden wird zu Lasten der Steuerzahler, Rentner und Sozialhilfeempfänger der Euro-Zone gesichert.« ( ... )
( ... ) Wer am Monatsende nicht weiß, ob er die Miete oder die Stromrechnung bezahlen kann, wer Angst hat, seine Familie nicht ernähren zu können, ist nicht wirklich frei. (Der französische Philosoph, d.Red.) Pierre Bourdieu hat darauf hingewiesen, daß Freiheit heißt, sein Leben in den Griff zu bekommen und planen zu können. Davon kann bei vielen Südeuropäern nicht mehr die Rede sein. Angst und Verzweiflung breiten sich aus, wie die gestiegenen Selbstmordraten zeigen.
David Graeber hat in seinem berühmten Buch »Schulden. Die ersten 5000 Jahre« den Zusammenhang von Schulden und Freiheit glänzend dargestellt. Bei einem Ernteausfall gerieten die Bauern vor mehreren tausend Jahren schnell in die Schuldknechtschaft. Familien wurden auseinandergerissen. Bald lagen Ländereien brach, weil verschuldete Bauern vor Angst aus Enteignung ihre Höfe verließen und sich halbnomadischen Banden anschlossen. Angesichts des dadurch drohenden Verfalls der Gesellschaft verkündeten die sumerischen und später die babylonischen Könige in regelmäßigen Abständen eine Generalamnestie. Ihre Dekrete erklärten ausstehende Konsumentenschulden für null und nichtig, gaben alles Land den ursprünglichen Besitzern zurück und erlaubten allen Schuldknechten, zu ihren Familien zurückzukehren. Bezeichnenderweise bedeutet das sumerische Wort »amargi«, der erste überlieferte Begriff für Freiheit in einer uns bekannten Sprache, wörtlich: »Zurückkehren zur Mutter«. Genau das nämlich wurde den Schuldknechten erlaubt.
Sie sehen den feinen Unterschied. In den Gesellschaften früherer Jahrtausende wurden den Armen die Schulden erlassen, um den Zerfall der Gesellschaft zu stoppen. In der Ära der entfesselten Finanzmärkte werden den Reichen die Schulden erlassen, und die Tilgung der Schuld wird den Armen auferlegt. So kann man den Zerfall einer Gesellschaft mit Sicherheit nicht aufhalten. Die Europapolitik Merkels führt zum Verlust der Freiheit. Freiheit aber ist, nach ihrem Selbstverständnis, die Grundlage der bürgerlichen Ordnung. ( ... )
( ... ) Es wäre traurig, wenn Verantwortungslosigkeit, Maßlosigkeit, Untreue, Betrug und Selbstsucht, von den entfesselten Finanzmärkten freigesetzt, unsere Gesellschaft prägen würden. Aber vergessen wir nicht: Institutionen, von Menschen geschaffen, formen und verändern ihre Schöpfer. In seinem 1939 erschienenen Roman »Früchte des Zorns« schildert John Steinbeck das Schicksal überschuldeter Farmer, die im Auftrag der Banken von ihrem Land vertrieben werden. Zur Rolle der Geldhäuser heißt es dort: »Die Bank ist etwas ganz anderes als Menschen. Jeder Mensch in der Bank haßt das, was die Bank tut, und doch tut die Bank es. Die Bank ist mehr als Menschen sind. ( ) Sie ist ein Ungeheuer. Menschen haben sie zwar gemacht, aber sie können sie nun nicht mehr kontrollieren.«
Die Reregulierung der entfesselten Finanzmärkte und die Erneuerung unseres Wertekanons hin zu mehr Gemeinsinn und Verantwortung sind die zwei Seiten einer Medaille, die wir prägen müssen, um die fortschreitende Zerstörung der bürgerlichen Gesellschaft jetzt zu stoppen. Daß die uns vertraute bürgerliche Gesellschaft nicht das Ende der Geschichte sein wird, steht auf einem anderen Blatt.
Für
jW
-OnlineAbonnentInnen ( https://www.jungewelt.de/abo/onlineabo.php ) ist die vollständige Lafontaine-Rede nachzulesen unter http://www.jungewelt.de/2013/09-28/022.php... ich tue was Linke tun, Ungerechtigkeit bekämpfen!
von Yossi Wolfson