Re: Meta-Diskussion wegen Revolutionärer 1. Mai Demos in Berlin
Zitat:
... wie ich gestern schon schrieb, Du hast gerade für einen Ex-Punk, insbesondere für einen "alternden", ein eigenartiges Verhältnis zu Staatsbütteln, Altersweisheit isses doch wohl kaum - oder? Doch, in gewisser Weise schon , jedenfalls nimmt mit steigendem Alter das Bedürfnis ab , sich auf eine dogmatische Weltsicht zu beschränken
Jetzt mal im Ernst: Du machst es dir echt zu einfach, wenn du die angeblich freiheitsliebenden, gerechtigkeitsgeleiteten, sympatisch-verrückten, gutmenschlichen linken Demonstranten den ach so bösartigen, gewaltversessenen, knüppelwichsenden Bullen gegenüber stellst. Sicher sind da, wie in jeder menschlichen Gruppierung, auch viele Arschlöcher drunter, aber ich denke man kann dem EBLT ruhig glauben, wenn er sagt, dass sich nach solchen Einsätzen kein Bulle die Finger leckt. Aggressionen kann man schließlich auf viele verschiedene Möglichkeiten loswerden, ohne sich vorher auch noch stundenlang beschimpfen zu lassen.
Ich weiß einfach aus eigener Erfahrung, dass es eher bei den Punks und Autonomen so ist: Die vermeintliche Gegnerschaft der Bullen braucht man wie die Luft zum Atmen, damit man sich als verfolgt und unterdrückt empfinden kann, dann macht nonkonformes Verhalten nämlich erst richtig Spaß! Und jedwedes Aufbegehren in welcher Form auch immer kann dann mit Hinweis auf die allgegenwärtige Unterdrückung gerechtfertigt werden.
Masse gegen Masse, Ideologie gegen Ideologie, so wird man Teil eines größeren Sinnzusammenhangs und wächst über sein eigentlich kümmerliches Dasein als Erdenmensch weit hinaus.
Es ist aber immer die Überbetonung der angeblichen Wichtigkeit der eigenen Ideologie und ihrer Vorkämpfer, die auf den Rest der Welt so lächerlich wirkt, zumal wenn sie nicht auf wirklicher , sondern nur auf herbeigeredeter und selbstgewünschter Unterdrückung beruht.
Anfang der 90er Jahre, Demo in Göttingen, Stichwort: "Conny, von den Bullen ermordet!" (Du weisst sicher , worum es ging). Ich als guter Linker da zum Protestieren, weil ich auch mal richtig gefährlich sein wollte, hab ich mir vorher sogar ne Hasskappe geliehen. Tausende Leute da, aber der Zug kommt ewig nicht los. Plötzlich eine Lautsprecherdurchsage, vorgetragen von der typisch geschlechtskorrekten Hysterikerin auf dem vorderen Autonomenlaster: "Hier vorne im Demozug befinden sich viele Mütter mit kleinen Kindern, das ist viel zu gefährlich! Wir bitten euch, zieht euch nach hinten zurück, an die Spitze NUR DIE REVOLUTIONÄRE!"
Die Revolutionäre! Spontan brechen 10000 Menschen in Gelächter aus, was auch sonst? Wie soll man sowas ernst nehmen? Wir bzw. ihr habt nie eine Revolution gemacht und ihr werdet auch nie eine machen, findet euch damit einfach ab!
Dann während der Demo hab ich mich mal kurz in den schwarzen Block geschlichen, untergehakt, mit Hassi, einfach mal sehen wie das ist.
Und: OH, was war ich, was waren wir auf einmal mächtig, die ganze Welt, zumindest aber Göttingen musste Angst vor uns haben. Die restlichen Leutchen waren schwach und kompromisslerisch, wir aber waren die harten, die kompromisslosen, wir würden die ganze Welt auf den Kopf stellen, wartet es nur mal ab. Sofort gehen die Sprechchöre los, wider besseres Wissen stimme ich mit ein, schließlich sieht mich ja keiner: "SS, SA, SEK!" Genau betrachtet heißt das, dass SS und SA damals genau so drauf waren und genauso gehandelt haben wie die heutige Polizei; das ist natürlich gegenüber den Nazis eine Verharmlosung erster Güte, aber was solls, Hauptsache die Bullen ärgern sich.
Dann, kaum kommt die erste Bank in Sicht, schmeisst einer den ersten Stein gegen die Scheibe, spontanes Gefühl : das ist der erste Held der Stunde, großer Jubel, endlich passiert was aufregendes, der nächste Stein folgt sofort. Dabei soll es hier ja gar nicht um Banken und Kapital gehen, aber egal, es hängt ja eh alles mit allem zusammen. Wen juckts, wenn die Demo deswegen morgen ne schlechte Presse kriegt, obwohl die öffentliche Meinung bis dahin noch mit den zu Unrecht verfolgten Linken sympatisierte.
Na, ich bin dann wieder raus aus dem Block, Hassi runter, war mir irgendwie zu...prollig. Ja genau, prollig, das war es. Ich hab mich aber nie als Proll empfunden, und ich wollte keiner werden, ich war ein Gymnasiasten-Punk, der Glatzen hasste, sie jagte , aber wegen körperlicher Schwäche eher selbst verprügelt wurde, der vor der Schule die Antifa verteilte und ansonsten nur seinen Spaß haben wollte.
Selbstbewusstsein aus einer Masse zu ziehen, ist immer scheisse und vernebelt recht schnell den Blick auf Zusammenhänge, Ausnahmen und eigene Fehler.
Fortsetzung folgt