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Der Aufklärer aus Kosovo

Der Aufklärer aus Kosovo

Der Aufklärer aus Kosovo

Während Politiker und Medien beinahe täglich den Teufel der Desintegration, des Sozialschmarotzertums und der Gewalttätigkeit von Ausländern in grellen Farben an die Wand malen, politisiert im Nationalrat ein ehemaliger afrikanischer Asylbewerber, ein ehemaliges Flüchtlingskind vom Balkan moderiert im Schweizer Fernsehen, und ein türkischstämmiger Filialleiter eines Grossverteilers wird in einer Lokalzeitung als besonders tüchtig hervorgehoben. Es sind Menschen, die sich hier blitzschnell zurechtgefunden haben. Auch Albert Ramaj, 37, fällt in diese Kategorie, die gerne übersehen oder sonst als grosse Ausnahme von der Regel in die Ausländergalerie gehängt wird.

Pragmatische Haltung

Der Kosovo-Albaner kam erst 2001 in die Schweiz wegen der Fortsetzung seines Theologiestudiums, geblieben ist er schliesslich wegen seiner heutigen Frau Kristina. Bereits sieben Jahre später hat er sich einen Namen gemacht. Heute kennt man den Mitbegründer und Leiter des Albanischen Instituts mit Sitz in St. Gallen als Experten, den die Medien anfragen, und als Ansprechpartner von Schulen oder Strafverfolgungsbehörden. Denn Ramaj beherrscht die deutsche Sprache – und er kennt die Geschichte des Balkans und die Mentalität seiner kosovarischen Landsleute. Er weiss, wie er sie nehmen muss. So gelingt es ihm mitunter, auf Fehlinterpretationen beruhende Konflikte rasch zu lösen. Er konnte in einigen schwierigen Fällen vermitteln – sehr oft in Schulen, dort zusammen mit Mica Mitrovic. «Beschönigen bringt nichts, aber man darf auch nicht übertreiben. Was zählt, sind pragmatische Lösungen», sagt er. Konsultiert man freilich Albaner-Blogs, findet man neben anerkennenden auch misstrauische Einträge gegen den liberalen Mann, dem einige wenige das Etikett des Kollaborateurs anhängen möchten, der sich der Schweiz andient.

Albert Ramaj kam nicht direkt aus Kosovo, er wanderte aus Österreich ein, wo der promovierte Philosoph sieben Jahre gelebt und studiert hatte. Im Nachbarland wurde er herzlich aufgenommen. Das vergisst er ihm nicht. Es mag auch daran liegen, dass die Menschen vom Balkan im ehemaligen Kernland der Habsburgmonarchie nicht als Fremde betrachtet werden. In St. Gallen stiess Ramaj zunächst auf eine Mauer der Vorsicht, die mittlerweile niedergerissen ist. Was das bedeutet, veranschaulicht er an einem Beispiel: Damals gaben sich Albaner, die eine Pizzeria betrieben, als Italiener aus. «Sonst wären die Gäste ausgeblieben.» Mittlerweile habe sich das geändert. Kosovarische Gastronomen stehen zu ihrer Herkunft und bewegen sich hier so selbstverständlich wie der aufgeschlossene Leiter des Albanischen Instituts.

Neun Kinder

Albert Ramaj wurde als viertes von neun Kindern im Dorf Stublla unweit der mazedonischen Grenze geboren. Der Vater arbeitete wie viele Männer des Dorfes im Ausland. Albert sah ihn kaum. Die Vaterrolle übernahm sein ältester Bruder, ein studierter Elektrotechniker und Physiker, der schliesslich ein Unternehmen gründete, das heute 70 Mitarbeiter beschäftigt.

Der 3000-Seelen-Ort Stublla ist eine der wenigen katholischen Inseln im moslemischen Kosovo. «Probleme im Zusammenleben gibt es nicht», sagt Ramaj. Religion spiele eine untergeordnete Rolle. Die atheistische Erziehung unter Tito habe Spuren hinterlassen, das Leben dort sei liberaler als in mancher Einwanderergemeinde.

In Ramajs Jugend spielte Religion aber eine Rolle. Er fühlte sich zum Priester berufen und besuchte kirchliche Gymnasien in Skopje und Subotica. «Ich wollte als Seelsorger den Menschen helfen.» In Zagreb trat er in ein Priesterseminar ein. Gerade in dieser Zeit brach der Krieg über den Balkan herein. «Es war schwierig, ich konnte die Stadt drei Jahre lang nicht verlassen.» Schliesslich wechselte er nach Graz. In Österreich wandte er sich vom Ziel, Priester zu werden, ab und begann sich intensiv mit der Geschichte des Balkans zu beschäftigen.

Sein Wissen und die Resultate seiner Forschungsarbeit – unter anderem über die Rettung der Juden in Albanien und Kosovo – bringt er jetzt gewinnbringend ein. Das von ihm geleitete Albanische Institut sammelt Fakten zu den Albanern in der Schweiz, es übersetzt Schweizer Autoren ins Albanische, um den Albanern die Denkweise der Schweizer näherzubringen – und es übersetzt albanische Autoren ins Deutsche. Es sind mittlerweile mehr als zwei Dutzend Publikationen.

Aber Albert Ramaj sieht sich nicht nur als Vermittler, sondern auch als Aufklärer. So wie die Schweiz ihre historisch nicht haltbaren Mythen habe ins rechte Licht rücken müssen, um wirklich ganz in der Moderne anzukommen, müssten dies auch die Albaner noch leisten. Eines jedenfalls ist sicher: Albert Ramaj ist in der Schweiz mit wertvoller Fracht angekommen – von seinem Wissen profitieren die Schweiz und seine Landsleute. Andreas Fagetti

Quelle:http://www.tagblatt.ch/index.php?artikelxml=1499823&ressort=tagblattheute/frontseite&jahr=2008&ressortcode=hp-tb&ms=hauptseite