Schon früh das Lernen lernen
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Schon früh das Lernen lernen
Berlin (dpa) - Für die einen ist es der Verlust der Kindheit, für die anderen ein spielerisches Lernen lernen. Frühkindliche Bildung in Kinderhorten oder Vorschulen - im Ausland seit Jahrzehnten üblich, in der Bundesrepublik lange verpönt - hält Einzug in deutschen Kindergarten.
Die natürliche Neugier der ganz Kleinen soll dabei genutzt werden, um die in internationalen Vergleichen immer wieder festgestellten Leistungsschwächen deutscher Schüler abzubauen.
Mehr Sprachbildung, Förderung von Lern- und Aufnahmevermögen, Stärkung der Persönlichkeit, spielerisches Heranführen an naturwissenschaftliches und mathematisches Wissen, aber auch musische und künstlerische Bildung - so steht es im Rahmenplan für die frühe Bildung der Drei- bis Sechsjährigen, über den sich die Kultus- und Jugendminister der 16 Bundesländer jüngst verständigten. Zugleich sollen die Kinder den Übergang in die Grundschule nicht mehr länger als «Bruch zwischen zwei Lebensphasen» oder als «Eintritt in eine neue Welt» erfahren.
Bisher galt der deutsche Kindergarten eher als buchstabenfreie Zone. Sein geistiger Vater, der Pädagoge Friedrich Fröbel, der 1840 seiner Verwahranstalt für verwahrloste und verwaiste Jungen und Mädchen erstmals den Namen Kindergarten gab, war bekannt für seine Anti-Schulhaltung.
Abgeschirmt und beschützt vor feindlicher Umwelt dürfen die Kleinen ganz Kind sein: Spielen, Singen und allenfalls noch Malen. Während das deutsche Wort Kindergarten zwar weltweit Einzug fand in viele Sprachen, wollte man im Ausland von der Fröbelschen Spielpädagogik hingegen wenig wissen. Die Écoles Maternelles im Nachbarland Frankreich geben beredt Beispiel dafür, was Vier- und Fünfjährige alles schon lernen können.
Noch bis in die 50er Jahre hinein war der Kindergarten in Deutschland Teil der Armenpflege und Sozialfürsorge von Kirche und Staat. In der «gesunden» Familie hingegen hatte die nicht- berufstätige Mutter für die Kleinen im Hause da zu sein. Auch die deutsche Halbtagsschule - nahezu weltweit ebenfalls ein Ausnahmefall - gilt als Relikt dieses überkommenen deutschen Familienbildes.
Doch der Wandel scheint nicht mehr zu stoppen. Per Gesetz wollen SPD und Grüne jetzt wenigstens dem gröbsten Mangel an Kinderkrippen- Plätzen für die unter Dreijährigen in den West-Bundesländern abhelfen. Nicht einmal für drei Prozent der Kleinen gibt es dort Betreuungsangebote. Die neuen Länder kommen auf knapp 40 Prozent - ein Erbe noch aus DDR-Zeiten, wo die Berufstätigkeit der Frau als selbstverständlich galt.
Für die Drei- bis Sechsjährigen gibt es seit der Reform des Abtreibungsparagrafen 218 Mitte der 90er Jahre einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Rechnerisch sind zwar heute für 90 bis 92 Prozent der Kinder zumindest Halbtagsangebote vorhanden.
Es fehlt jedoch an ganztägiger Betreuung, und in der Praxis sind die Plätze leider auch nicht immer dort, wo sie gerade gebraucht werden. Eltern transportieren ihre Kinder oft quer durch die Stadt. Und unter dem Druck der Sparhaushalte haben Kommunen und freie Träger in den vergangenen Jahren immer kräftiger an der Gebührenschraube gedreht. Ausnahme ist das Saarland, das zumindest für die Fünfjährigen den Kindergartenbesuch kostenfrei gestellt hat.
Bereits Anfang der 70er Jahre hatten die Experten des Deutschen Bildungsrates den Kultusministern einen Ausbau der frühkindlichen Bildung nahe gelegt und einen Abschied von der reinen Spielpädagogik verlangt. Doch erst mit dem PISA-Schock und dem miserablen Abschneiden der deutschen Schüler kam drei Jahrzehnte später der Sinneswandel: Der Kindergarten soll künftig zur Bildungseinrichtung werden - und auch die Deutschdefizite bei Migranten- und Unterschichtkindern abbauen helfen.
Kindergärtnerinnen und Erzieher verstehen sich heute längst nicht mehr als die alten «Spieltanten» und «Spielonkels» vergangener Zeiten. Doch ihre neue Rolle wird für ihre Ausbildung auf Dauer Konsequenzen haben.
Vor allem aus Kostengründen lehnen die Länder bisher ein Hochschulstudium ab - was im Ausland dagegen meist üblich ist. Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Doris Ahnen (Rheinland-Pfalz/SPD) propagiert jetzt gemeinsame Fortbildungen von Erziehern und Grundschullehrern - auch um den Übergang vom Kindergarten in die Grundschule fließender zu gestalten.