Zweisprachige Schule für ein offenes Europa
Auf dem Friedrich-Schiller-Gymnasium in Pirna lernen Deutsche und Tschechen gemeinsam
Die Schlagbäume an der Grenze zu Tschechien sind schon weg, in Pirna vor den Toren Dresdens fallen auch die oft noch trennenden Sprachbarrieren. Rund 100 Kinder aus dem Nachbarland Tschechien besuchen dort das Friedrich-Schiller-Gymnasium. In der kleinen Elbestadt, nur eine halbe Autostunde von der tschechischen Grenze entfernt, wurde vor über zehn Jahren ein deutschlandweit einmaliger Bildungsgang eingerichtet: Deutsche und tschechische Schüler büffeln in gemeinsamen Klassen. Die Deutschen lernen Tschechisch, die jungen Tschechen Deutsch.
Mit ihrem Abschluss können sie später in beiden Ländern studieren. Was einst zaghaft begann, ist inzwischen ein großer Erfolg und hat sich längst herumgesprochen. "Wir haben hier mittlerweile Schüler aus ganz Tschechien, und von den Deutschen zog jemand mal von Hamburg nach Pirna für den Bildungsgang", berichtet Schulleiter Bernd Wenzel.
Jedes Jahr werden nach einer Aufnahmeprüfung pro Land 15 Schüler aufgenommen. Das Interesse ist groß. Besonders von deutscher Seite aus gebe es oftmals mehr Bewerber als Plätze, sagt Wenzel. Während der Großteil der deutschen Schüler aus den umliegenden Städten täglich zur Schule pendelt, leben die Tschechen zumindest unter der Woche im schuleigenen Internat. Bezahlen müssen die Osteuropäer die Unterkunft nicht. "Wir wollen keine Sozialauswahl", sagt Wenzel. Die Kosten für das von der Bundesregierung unterstützte Projekt werden zum großen Teil von deutscher Seite getragen.
Der Unterricht erfolgt mal gemeinsam, mal getrennt nach Nationalität. Je nach Kurs ändert sich auch die Unterrichtssprache. So ist im Fach Kunst laut Lehrplan alles auf Tschechisch. Die Realität sieht aber anders aus, wie Irena Hruskova, eine der rund 20 tschechischen Lehrkräfte am Gymnasium, berichtet. "Ich kann nicht alles nur auf Tschechisch machen, weil ich ja auch den Lehrplan einhalten muss". Würde sie nur in ihrer Heimatsprache reden und von den deutschen Schülern das gleiche verlangen, käme sie zu langsam voran. "Man muss bestimmte Methoden und Techniken entwickeln, die andere Lehrer nicht brauchen", sagt Hruskova.
Wer es in den Bildungsgang schafft, dem steht laut Wenzel eine gute berufliche Zukunft bevor. "Wir haben unter unseren Absolventen noch keinen Studienabbrecher gefunden", sagt Wenzel. Viele würden Europastudiengänge absolvieren und seien künftige Führungskräfte. "Sie haben hier gelernt, sich durchzubeißen, und mit anderen Nationen klarzukommen". Durch das gemeinsame Lernen solle ihnen vor allem mit auf den Weg gegeben werden, Grenzüberschreitungen positiv zu bewerten.
Unterschiede zwischen den Nationalitäten gebe es natürlich auch. Das wissen auch Cate und Jana. Die beiden Tschechinnen gehen in die zehnte Klasse des binationalen Bildungsgangs. "Die Zensuren sind strenger in Deutschland", meint die 16-jährige Cate. "In Tschechien kontrolliert auch niemand die Hefte", meint die 15 Jahre alte Jana. Beide hoffen, durch das Abitur in Pirna später bessere Jobperspektiven zu haben. "Mit dem Abschluss habe ich bessere Chancen, als Ausländer in Deutschland zu studieren", sagt Jana.
Ihre deutschen Mitschüler Juliane und Charlotte denken, dass die Erfahrungen am Friedrich-Schiller-Gymnasium für ihr späteres Leben wichtig sind. "Ich will vielleicht in Tschechien studieren, und es ist ein kleiner Bonus später bei Bewerbungen", sagt die 16 Jahre alte Juliane. Die Schüler lernen jedoch nicht nur die Sprache und Kultur des anderen Landes kennen, sondern sollen sich auch im Alltag zurechtfinden. Deswegen gibt es neben Schüleraustauschen auch Berufspraktika in der neunten Klasse. Dabei müssen die deutschen Schüler in einem Betrieb in Tschechien arbeiten und umgekehrt.
Lehrer und Eltern hatten die Idee zu dem binationalen Bildungsgang, als sich die Schule kurz nach der Wende zwischen allen anderen neugegründeten Gymnasien positionieren wollte. Die ersten tschechischen Schüler wurden 1998 aufgenommen. Mittlerweile haben rund 230 Jugendliche erfolgreich ihr deutsch-tschechisches Abitur gemacht. Dass das Gymnasium mit dem grenzüberschreitenden Weg zukunftsträchtig ist, beweisen die Nachahmer: In Görlitz ist ein ähnliches deutsch-polnisches Projekt entstanden, und von Pirnaer Lehrern erarbeitete Lehrbücher werden mittlerweile auch im Tschechischunterricht in grenznahen Gebieten in Bayern verwendet.
http://www.freiepresse.de/NACHRICHTEN/REGIONALES/7582059.php