Allgemeine News zu den Telenovelas
Die Liebe in den Häusern der Drogenbosse
Von Tobias Käufer in Bogota 25. April 2010, 04:00 Uhr
Sie heißen "Die Püppchen der Mafiosi" oder "Ohne Brüste gibt es kein Paradies". Seifenopern über Drogenbosse sind in Kolumbien Teil der Jugendkultur
Am Ende entscheidet ein Münzwurf über das Schicksal von Andres Lopez. Gehetzt von der US-amerikanischen Drogenfahndung, stellte sich der Kolumbianer die Frage seines Lebens: aufgeben oder im Kugelhagel sterben? "Die Münze hat entschieden, dass ich kooperieren soll", sagt Lopez. Noch in der gleichen Nacht beginnt er in der Gefängniszelle unzählige Seiten zu bekritzeln. "Ich wollte aufschreiben was ich selbst gesehen und erlebt habe, in einer Welt, die leider jeden Tag noch ein bisschen stärker und gefährlicher wird."
Andres Lopez, 1971 in der kolumbianischen Großstadt Cali geboren, war in seinem ersten Leben Drogendealer. Er arbeitete für das milliardenschwere und gefürchtete Kokainkartell "Norte de Valle", das zu den gefährlichsten und mächtigsten Drogenbanden Lateinamerikas zählt. Lopez tauchte ein in die Welt voller atemberaubender Models, teurer Sportwagen und edler Apartments in Miami und New York. Und er sah in dem Krieg, den sich die Banden täglich untereinander und mit der Polizei oder Armee liefern; viele seiner Bandenmitglieder sterben.
Bereits im Alter von 15 entschied sich Lopez für die schillernde Welt des weißen Goldes: "Ich wollte Geld, Macht und Frauen." Weil Lopez funktionierte, wie es die Bosse von ihm verlangten, stieg er schnell auf. Doch eines Tages wendete sich das Blatt. Wer zu schnell groß wird, erweckt die Neugier der Drogenfahnder - vor allem in den USA. Als sich die Schlinge der Ermittlungsbehörden immer enger um seinen Hals schnürt, stellt sich Lopez und machte einen radikalen Schnitt.
Tag für Tag ließ der Häftling nun seine Erlebnisse Revue passieren, schrieb alles auf. Sein Buch mit dem Titel "Das Kartell der Kröten" avancierte zu einem Beststeller und bildet nun Vorlage für einen neuen, höchst umstrittenen Typus von TV-Serien in Lateinamerika. In den Telenovelas wie die Südamerikaner ihre Seifenopern nennen, geht es nicht um Teenager-Liebe und Beziehungsprobleme wie im Marienhof oder bei "GZSZ". Die lateinamerikanischen Serien tragen Namen wie "Das Kartell" oder "Die Püppchen der Mafiosi". Aber auch sie erzählen von den Träumen der Teenager: vom Leben im Reichtum, von Macht und Sex.
"Ich glaube, die Serien sind deswegen so erfolgreich, weil die Leute die Geschichten aus erster Hand hören wollen. Ich habe die Dinge ja selbst erlebt", sagt Lopez, der mit seiner Serie "Das Kartell" dem TV-Sender Caracol traumhafte Einschaltquoten und damit hohe Werbeeinnahmen einbringt. Der Erfolg der ersten Staffel war so groß, dass vor wenigen Wochen die zweite Staffel auf Sendung ging.
Da wird schon mal eine ganze Hochzeitsgesellschaft mit dem Maschinengewehr niedergemetzelt oder eine Nebenbuhlerin von der eifersüchtigen Konkurrentin in der Badewanne ertränkt. Auftragsmord, Drogenhandel und Prostitution sind die Zugaben, keine Sendung ohne Schießerei, Entführung oder nackte Gewalt. Wie in der Serie "Die Püppchen der Mafiosi", die das Leben von sechs Frauen beschreibt, die allesamt versuchen, etwas vom großen Kuchen abzubekommen. "Schenk mir deine Liebe, aber zeige sie mir mit Gold und Scheinen. Lass mich fliegen, aber im Flugzeug. Ich möchte die Königin von Miami und New York sein", heißt es im Titelsong zur Serie. Sie zeigt den Versuch eines jungen Mädchens aus dem Armenviertel, im Drogenhandel Fuß zu fassen. "Ich will einen Drogenboss als Freund", sagt Serienheldin Violeta und lässt nichts unversucht, sich einen zu angeln. Oder Renata, die sich überzeugen lässt, einen Flug als Drogenkurier zu wagen, um der Armut zu entfliehen.
Nicht alle Serienschicksale enden erfolgreich, die Autoren lassen auch Menschen sterben und scheitern. Sie zeigen korrupte Polizeibeamte und skrupellose Bosse, die vor allem naive Teenager instrumentalisieren. Das überwiegend junge Publikum vor den Bildschirmen von Mexiko bis nach Feuerland verfolgt gebannt, wie sich die Drogenhändler gegenseitig umbringen und die schönsten Frauen um die Gunst der reichsten Ganoven buhlen.
Die Politiker sind entsetzt: "Diese Serien richten einen großen Schaden in unserem Land an. Sie verherrlichen den Drogenhandel, den Raub und die Gewalt. Sie korrumpieren unsere Werte", wettert Panamas Staatspräsident Ricardo Martinelli und ist besorgt um die Jugend. Gerade in den lateinamerikanischen Slums genießen die Serien Kultstatus, nicht wenige Kids aus den Armenvierteln wollen sich genauso wie ihre TV-Helden nach oben schießen. Sie träumen von einem Porsche, von einem Leben in Miami und von atemberaubenden Latina-Schönheiten aus den Klubs in New York oder Los Angeles.
Die Serien kommen zu einem Zeitpunkt auf dem Markt, in denen die Drogenkartelle so mächtig sind wie selten zuvor. Vor allem in Mexiko tobt derzeit ein blutiger Drogenkrieg. In den Armenvierteln der Städte finden die Kartelle unendlich viel Nachwuchs, Kinder und Jugendliche morden für eine Handvoll Dollar. Erst vor wenigen Tagen machte der Fall eines 13 Jahre alten Auftragskillers in Guatemala Schlagzeilen, der für zehn Euro seinen ersten Mord begehen wollte.
Doch die Autoren wehren sich gegen die beißende Kritik: "Die Zone, in der wir gedreht haben, ist eine mit der höchsten Mordrate des Landes. Es gibt dort diesen Krieg, den wir nicht verschweigen und verstecken können", rechtfertigt sich Drehbuchautor Carlos Duplat. Auch in Ursprungsland Kolumbien sind die handwerklich professionell gedrehten brutalen Seifenopfern umstritten: Die Tageszeitung "El Colombiano" aus der Drogenmetropole Medellin sieht den Ruf der Stadt gefährdet, denn die Novelas werden nach ganz Lateinamerika verkauft. "Die Serie ist ein weiterer Versuch, die Stadt in Misskredit zu bringen. Die Mehrzahl der Menschen ist anständig und ehrlich", kommentiert ein Journalist.
Gerade erst hat sich die Millionenmetropole, die zu Zeiten des legendären Drogenbarons Pablo Escobar und seines Medellin-Kartells von der "Washington Post" zur gefährlichsten Stadt der Welt gekürt wurde, berappelt. Jetzt gehen wieder Bilder um die Welt, die für Medellins Kulturbeauftragten Luis Miguel Usuaga einfach nur noch "jämmerlich und entwürdigend" sind. Die aktuelle Realität gibt den Filmemachern recht: In Medellin ist die Mordrate im vergangenen Jahr stark gestiegen. Grund ist eine blutige Fehde verfeindeter Auftragsmörder, die unter dem Namen "Büro von Envigado" die Armenviertel der Stadt terrorisieren.
Vor allem das vermittelte Frauenbild erntet Kritik: Chirurgisch aufgerüstete Silikon-Schönheiten wetteifern um die Gunst von Auftragsmördern und Drogenbaronen. In der Novela "Ohne Brüste gibt es kein Paradies" wird genau dieses gesellschaftliche Phänomen aufgegriffen. Medellin steht nicht nur für Kokain, sondern auch für Hunderte legale und illegale Schönheitskliniken, die vergleichsweise günstig einen normalen Mädchenkörper in traumhafte Modelmaße verwandeln. So aufgerüstet, versuchen sich junge Frauen die Aufmerksamkeit der Drogenbarone zu gewinnen.
Der Start der Serie "Rosario Tijeras", die den Weg einer jungen Frau zur Auftragskillerin erzählt, brachte vor wenigen Wochen das Fass zum Überlaufen. Eine Gruppe von einflussreichen kolumbianischen Unternehmern in Medellin entschied, trotz der hohen Quoten keine Werbespots in der Serie zu schalten, weil sie um den Ruf der Stadt besorgt sind. Das wiederum fordert die Verfechter der Meinungsfreiheit heraus: "Bis zur Bücherverbrennung ist es dann nur noch ein kleiner Schritt", sagt Medienwissenschaftler German Yances von der Universität Javeriana.
Bestseller-Autor Juan Camilo Ferrand macht im Gespräch mit der Welt am Sonntag die Realität für das gewalttätige Image des Landes verantwortlich: "Keine TV-Serie und kein Buch beeinflusst das Image eines Landes. Das Bild eines Landes wird immer noch von der Wirklichkeit bestimmt. Das Problem des Drogenhandels ist greifbar, das geben ja sogar der Staatspräsident und der Polizeichef zu."
Auch für den mittlerweile in Cannes prämierten Drehbuchautor Andres Lopez ist die Debatte über die moralischen Einflüsse des Drogenhandels nur vorgeschoben: "Es sind nicht die Serien, die einen schlechten Einfluss ausüben. Wirklich gefährlich ist die Korruption, der Hunger und das Fehlen von Perspektiven für die Menschen."
http://www.welt.de/die-welt/politik/article7324907/Die-Liebe-in-den-Haeusern-der-Drogenbosse.html