Anmerkungen zum Opielka-Artikel
Zunächst der Artikel, vielleicht besser als pdf über die Liste - die Umformatierung eines pdf's hier hinein ist sehr anstrengend, die schlechte Formatierung bitte ich also zu entschuldigen.
Zitat:
Deutschland die Parole, die
aus dem angloamerikanischen Raum schon länger erklingt. Seither ist die Republik beunruhigt,
ziehen neue Montagsdemonstrationen vor allem durch ostdeutsche Städte, erhält die PDS massiven
Wählerzulauf und fürchtet die SPD weitere Verluste.
Durch einen eigentümlichen Zufall wurde am selben Tag in Berlin ein deutsches Netzwerk
Grundeinkommen gegründet. Es möchte die akademische und politische Diskussion um ein
Grundeinkommen befördern, das die Existenz sichert, auf einem individuellen Rechtsanspruch
beruht und ohne Bedürftigkeitsprüfung oder Zwang zur Arbeit auskommt.1 Alles Eigenschaften,
die mit dem Arbeitslosengeld II auf den ersten Blick nichts zu tun zu haben.
Was also sind Merkmale und Mängel von Hartz IV und wie müßte die taugliche Alternative beschaffen
sein? In diesem Beitrag werden in einem ersten Schritt Hartz IV und die ihm zugrunde
liegende Politik der Aktivierung kritisch analysiert. Im zweiten Schritt wird die Idee des
Grundeinkommens entlang der wichtigsten Varianten vorgestellt. Schließlich wird überlegt, ob
und inwieweit Hartz IV trotz aller Kritik dennoch ein Schritt in Richtung Grundeinkommen sein
könnte.
1 Mehr unter www.grundeinkommen.de sowie unter www.basicincome.org zum Basic Income European
Network (BIEN), das bereits seit 1986 existiert.
2
Arbeitszwang im Arbeitsmarkt
Sozialhilfeinitiativen wie Gewerkschafter sehen in Hartz IV einen Abbau von Leistungsrechten
und eine Verschärfung von Arbeitsverpflichtungen; viele sprechen sogar von Arbeitszwang.
Nun werden Arme heute nicht mehr ins Arbeits- oder Armenhaus eingesperrt. Ist der Begriff
Arbeitszwang somit übertrieben?
Von einem Arbeitszwang kann man dann sprechen, wenn mit einer Verweigerung solcher Sozialhilfeleistungen
gedroht wird, die den Leistungsberechtigten die Führung eines Lebens [...]
ermöglichen sollen, das der Würde des Menschen entspricht (§ 1 (1) des neuen SGB XII).2
Ohne Einkommen ist das Leben in einer Konsumgesellschaft unmöglich. Die Negation des Zugangs
zu sozialstaatlichen Geldleistungen wirkt somit als Zwang zum Angebot der eigenen Arbeitskraft,
das heißt als indirekte Arbeitsverpflichtung.
Nach den Neuregelungen des Arbeitslosengeldes II muss der Langzeitarbeitslose künftig jeden
legalen Job annehmen. Ausdrücklich werden Sanktionen benannt: Wer eine zumutbare Arbeit
oder Eingliederungsmaßnahme ablehnt, dem wird das Arbeitslosengeld II3 gekürzt: für drei Monate
um 30 Prozent, bei weiterem pflichtwidrigem Verhalten je um weitere 10 Prozent, für
junge Leute unter 25 Jahren auch vollständig. Das Arbeitslosengeld II arbeitet folglich mit einer
zwar nicht direkten, aber indirekten Verpflichtung zur Arbeit, die im sozialdemokratischen (und
teils auch grünen) Neu-Deutsch als Aktivierung bezeichnet wird.
Das passt zu einem Kanzler, der bereits 2001 verkündete: Es gibt kein Recht auf Faulheit.
Müssen aber tatsächlich 4,5 Mio. Arbeitslose aktiviert werden? Sind sie inaktiv, faul, träge?
Davon kann nicht die Rede sein: Die Mehrheit der Langzeitarbeitslosen bemüht sich teils verzweifelt
um einen Job und leidet - vor allem mit Kindern - unter der Stigmatisierung kaum weniger
als unter der Geldknappheit. Doch noch greift der Vorwurf der Faulheit, weil das Recht auf
Faulheit nur den Vermögenden und Rentnern gewährt wird. Derartige - wenn auch subtile - Un-
2 Parallel zur Eingliederung der Sozialhilfe als Zwölftes Buch in das Sozialgesetzbuch wurde das SGB II für
erwerbsfähige Arbeitsuchende im Alter von 15 bis 64 Jahren geschaffen, die nun Leistungen der neuen
Grundsicherung für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld II) erhalten. Dieser Personenkreis ist von Leistungen
der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII ausgeschlossen (§ 21 SGB XII). Nichterwerbsfähige
Haushaltsangehörige von ALG II-Beziehern erhalten Sozialgeld.
3 Zunächst wird der Regelsatz (345 Euro bzw. 331 Euro in Ostdeutschland) gekürzt, im weiteren aber auch
die sonstigen Leistungen (z. B. Unterkunftskosten). Bei einer Kürzung des Regelsatzes um mehr als 30%
können Sachleistungen (z. B. Lebensmittelgutscheine) ausgegeben werden.
3
terstellungen sollen die Würde der Betroffenen angreifen, ihnen Anerkennung entziehen, und sie
zu neuen Paupern degradieren, zu Halb-Bürgern.
Dabei erbringt, wer nicht erwerbstätig ist, oft sehr nützliche Tätigkeiten für die Gemeinschaft:
Pflege von Angehörigen und Nachbarn, Erziehung von Kindern, ganz allgemein gesprochen:
ehrenamtliches Engagement. Hartz IV will jedoch keine Tätigkeits-, sondern eine Erwerbsgesellschaft.
Disziplinierung statt Bürgerbeteiligung
Wenn jetzt seitens der Bundesregierung von mehreren hunderttausend gemeinnützigen Arbeitsgelegenheiten
gesprochen wird, für die maximal 10 Prozent der 4,5 Mio. Arbeitslosen durch
Mehraufwandsentschädigungen in Höhe von 1 bis 2 Euro pro Stunde interessiert oder gar verpflichtet
werden sollen, dann könnte man darin wohlwollend einen Dritten Weg in der Beschäftigungs-
und Armutspolitik sehen. Die Betroffenen dürften allerdings weniger begeistert
sein, weil sie ahnen, dass es dem Sozialstaat und seinen Eliten lediglich um Kompensation, um
Beschäftigung geht, also nicht um einen Schritt in Richtung Bürgerarbeit (Ulrich Beck) und
Bürgergesellschaft, sondern um eine disziplinierende statt auf sozialen Grundrechten fundierte
Aktivierung.
Schon in der Vergangenheit wurden durch Arbeitsbeschaffungsprogramme und Hilfe zur Arbeit
kaum Wege in den regulären Arbeitsmarkt geschaffen.4 Gerade in Ostdeutschland lässt sich
nach 15 Jahren Einheit die Zunahme eines sekundären Integrationsmodus beobachten: Sekundäre
Integration führt zu Erwerbsverläufen, bei denen der Wechsel zwischen Leistungsbezug,
Maßnahmen und kurzfristiger Beschäftigung zur systematischen Voraussetzung des Verlaufs
selbst geworden ist und sich wiederholt.5
Auch die international vergleichenden Bilanzen von Politiken der Aktivierung fallen negativ
aus. Joel F. Handler verglich die US-Erfahrungen insbesondere seit der unter Clinton eingeführten
großen Wohlfahrtsreform von 1996, die Sozialhilfe-Ansprüche auf zwei aufeinander folgen-
4 Vgl. hierzu informativ, wenngleich marktideologisch die neueste Benchmarking-Studie der Bertelsmann-
Stiftung, Werner Eichhorst u. a., Benchmarking Deutschland 2004: Arbeitsmarkt und Beschäftigung, Gütersloh
2004.
5 Holger Alda u. a., Erwerbsverläufe und sekundärer Integrationsmodus. Ergebnisse einer empirischen
Untersuchung, in: Berliner Debatte Initial, 2/2004, S. 73.
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de Jahre und fünf Jahre insgesamt beschränken soll (to end welfare as we know it), mit vergleichbaren
Trends in Westeuropa. Die beabsichtigte Politik der Inklusion in den Arbeitsmarkt
- from welfare to workfare -, insbesondere durch individuelle Kontrakte zwischen den Agenturen
und ihren Klienten, hat praktisch überall den fatalen Effekt, dass sie gerade die besonders
gefährdeten Personengruppen exkludiert. Die scheinbaren Erfolge der Aktivierungspolitik
sowohl in den USA wie in Europa haben praktisch nichts mit ihr, sondern fast ausschließlich
mit arbeitsmarktinternen Gründen zu tun (steigende Arbeitsnachfrage, Teilzeitarbeit usw.). Das
Hauptproblem ist, so Handler, die Verwaltung der Aktivierung. Die mit den Aktivierungsmaßnahmen
beauftragten Agenturen sind in der Regel weder für eine professionelle Begleitung der
Randgruppen des Arbeitsmarktes geschult, noch dafür ausgestattet oder entsprechend motiviert.
Zudem nützen die Sanktionen gegen nicht-kooperierende Klienten praktisch nichts. Handler kritisiert:
Die Politik ergeht sich in Reformsymbolik und kümmert sich nicht um ihre Umsetzung.
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Die deutsche Sozialdemokratie eifert sozialpolitisch vor allem der von New Labour in Großbritannien
seit 1997 - in Fortführung einer Politik der Regierungen Thatcher und Major - verfolgten
Konditionalisierung sozialer Leistungen nach.7 Dabei veröffentlichte sogar der der Labour-
Party nahe stehende Think Tank IPPR im Sommer 2004 eine ausgesprochen kritische Bilanz von
7 Jahren Aktivierungspolitik: Der Besitzanteil der reichsten zehn Prozent der Briten stieg von 47
auf 54 Prozent; die Kinderarmut ist nur geringfügig gesunken und noch immer die höchste der
EU-15 nach Portugal und Spanien; der Anteil der armen Erwachsenen im Erwerbsalter ohne
Kinder hat sich von 3,3 Mio. (1994/5) auf 3,8 Mio. (2002/3) erhöht und selbst die intergenerationale
soziale Mobilität hat sich verringert.8 Ob die Aktivierungspolitik dagegen irgend etwas mit
der Reduzierung der Erwerbslosigkeit zu tun hat - zwischen 1997 und 2003 von 6,9% auf 5,0%
(laut OECD Employment Outlook 2004) - kann niemand belegen. Es stellt sich die Frage, welche
gesellschaftliche Funktion dann die gewaltige Ideologie der Aktivierung überhaupt hat,
wenn nicht diejenige, soziale Grundrechte zu desavouieren?
Wim van Oorschot, einer der renommiertesten Vertreter der vergleichenden Sozialpolitikforschung,
zieht ein vernichtendes Resümee der holländischen Politik der Aktivierung in den
6 Joel F. Handler, Social citizenship and workfare in the US and Western Europe: from status to contract, in:
Journal of European Social Policy, 3/2003, S. 233 (Übers. M.O.).
7 Vgl. Katrin Mohr, Pfadabhängige Restrukturierung oder Konvergenz? Reformen in der Arbeitslosenversicherung
und der Sozialhilfe in Großbritannien und Deutschland, in: Zeitschrift für Sozialreform, 3/2004, S.
283-311.
8 Will Paxton/Mike Dixon, The State of Nation. An Audit of Injustice in the UK, London 2004.
5
1990er Jahren. Er kann nachweisen, dass die Aktivierungspolitik die sozialen Rechte und den
Bürgerstatus gerade jener Gruppen gefährdet, die traditionell besonders verletzlich sind. Während
das Dutch miracle, das Beschäftigungswunder in den Niederlanden, im Wesentlichen auf
ein geringes Beschäftigungswachstum in Bezug auf die jährliche Arbeitszeit, auf die Zunahme
der Teilzeitarbeit und eine hohe verborgene Arbeitslosigkeit zurück geht, droht aufgrund des
umfassenden Abbaus sozialer Rechte im Prozess der Aktivierung das Wunder im Fall einer
künftigen ökonomischen Rezession in einen Alptraum umzuschlagen.9
Wenn jetzt also auch in Deutschland unter dem Leitbegriff der Aktivierung mit der Agenda
2010 der rot-grünen Bundesregierung seit 2003 Leistungsansprüche an den Sozialstaat reduziert
werden und ab 2005 das Arbeitslosengeld II auf Sozialhilfeniveau für alle eingeführt wird, die
länger als ein Jahr arbeitslos sind, dann soll das zwar mit verstärkten Vermittlungsbemühungen
einer modernisierten Bundesagentur für Arbeit einher gehen, die Forderung der meisten Ökonomen
und vieler Sozialpolitiker zielt aber eindeutig auf einen Niedriglohnsektor. Das aber bedeutet
nichts anderes, als dass für die dort Tätigen die Erwerbsarbeit allein zur gesellschaftlichen
Teilhabe nicht reicht. Das Ergebnis ist schlicht Armut - mit oder ohne Arbeit, soziale Ausgrenzung
trotz Inklusion in den Arbeitsmarkt.10
Die Überflüssigen
Die Diskussion um Hartz IV verweist damit auf ein tief greifendes soziales Problem, das wohl
zur neuen sozialen Frage des 21. Jahrhundert wird: die Exklusion der Überflüssigen. Der
Prozess der Exklusion hat seine Ursache in den Umbrüchen der Erwerbsarbeit, dem Brüchigwerden
sozialstaatlicher Inklusion und der Schwächung familiärer Bindungen: Das Draußen der
Ausgrenzung liegt nicht im gesellschaftlichen Jenseits, sondern ist aufs engste mit dem Drinnen
verschränkt.11
9 Vgl. Wim van Oorschot, Miracle or Nightmare? A critical review of Dutch activation policies and their
outcomes, in: Journal of Social Policy, 3/2002, S. 339-420.
10 Vgl. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Armut trotz Erwerbstätigkeit. Analysen und sozialpolitische Konsequenzen,
Frankfurt/New York 2003.
11 Martin Kronauer, Exklusion. Die Gefährdung des Sozialen im hoch entwickelten Kapitalismus, Frankfurt/
New York 2002, S. 235.
6
Zwar geben die langfristigen Daten bislang wenig Anlass für die auch unter Linken und Ökologen
verbreitete Befürchtung einer technologischen Arbeitslosigkeit12, da die Inklusionsfähigkeit
der Arbeitsmärkte in den OECD-Staaten noch immer erheblich ist. Dennoch betrug die Arbeitslosigkeit
2003 in der EU-15 8,0 Prozent, in der gesamten OECD 7,1 Prozent und in
Deutschland sogar 9,3 Prozent.13 Außerdem kommt zur wachsenden Zahl der Arbeitslosen die
wachsende Zahl der Working Poor. Erst wenn man beide Gruppen zusammen betrachtet, wird
das Problem der Exklusion in Umfang und Dramatik klar. Während im Sozialstaat des 20.
Jahrhunderts die Gewerkschaften und die mit ihnen verbundenen Arbeiter-, aber auch die Volksparteien
als Anwälte der Arbeitnehmer wirkten, fehlen den Überflüssigen der neuen sozialen
Frage derart mächtige Anwälte. Hinzu kommt, dass der eingehegte Klassenkompromiss zwischen
Arbeit und Kapital zunehmend der Vergangenheit angehört.
Aufgrund der alten Schlachtordnung, der Verteilungsregel von Arbeit und Einkommen ausschließlich
über den Arbeitsmarkt, wird die Exklusion von immer mehr Bürgern riskiert, die
ihre fehlenden oder geringen Arbeitseinkommen nur sozialhilfeähnlich aufgestockt erhalten, sich
vorher weitgehend entsparen müssen und denen - im Unterschied zum Arbeits- und Vermögensbesitzer
- vollständige Transparenz abverlangt wird. Die Exklusion von immer mehr Menschen
aus dem Normal-Arbeitsmarkt verknüpft deshalb das ökonomische Problem der Kopplung
von (Erwerbs-)Arbeit und Einkommen unmittelbar mit der Notwendigkeit der Forderung
nach sozialen Bürgerrechten.
Die Alternative zum Sozialstaatsmodell des letzten Jahrhunderts wie auch zur propagierten Aktivierung
bestünde folglich darin, dass die Verteilungsregel grundsätzlich modernisiert und
grundrechtlich politisiert wird. Darauf basiert die Idee des Grundeinkommens.
Alternative Grundeinkommen
12 So unermüdlich Jeremy Rifkin, Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft. Neue Konzepte für das 21. Jahrhundert.
Neuausgabe, Frankfurt/New York 2004.
13 Vgl. OECD Employment Outlook 2004, Paris 2004. Die gestiegene Frauenerwerbstätigkeit ist ein Hauptfaktor
der Massenarbeitslosigkeit. Am besten schneiden Länder mit hohen Teilzeitquoten ab (z. B. Niederlande)
oder mit einer hohen Nachfrage nach familienbezogenen Dienstleistungen (wie die USA im privaten,
die skandinavischen Länder im öffentlichen Bereich), vgl. Fritz W. Scharpf/Vivien A. Schmidt (eds.), Welfare
and Work in the Open Economy. 2 Vols., Oxford et al. 2000.
7
Die Idee ist nicht neu; so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Erich Fromm, Rudolf Steiner,
Claus Offe oder André Gorz, aber auch umstrittene Ökonomen wie Milton Friedman haben sich
für sie verwendet.14
Grundsätzlich lassen sich zwei technische Varianten eines Grundeinkommens denken. Die eine
Variante garantiert zwar jedem Bürger das Grundeinkommen, geht aber davon aus, dass es nur
dann (ex post) ausgezahlt wird, wenn die primären Einkommen (Erwerbs- und Vermögenseinkommen
sowie Unterhaltsansprüche) nicht existenzsichernd sind. Die andere Variante zahlt
jedem Bürger vor allen sonstigen Einkommen (ex ante) ein Grundeinkommen. In der nun
schon mehr als 50 Jahre währenden Debatte wird die erste Variante als negative Einkommenssteuer
(in Deutschland als Bürgergeld bekannt), die zweite Variante als Sozialdividende
bezeichnet.
Beide Varianten unterscheiden sich nach den von ihnen angestrebten Zielen. Die negative Einkommenssteuer,
die von liberalen Ökonomen bevorzugt wird, möchte den Arbeitsanreiz perfektionieren
und gleichzeitig die Kosten begrenzen. Deshalb setzen sie das Grundeinkommensniveau
möglichst niedrig an. Zusätzliche Einkommen sollen zudem nur mit etwa 50 Prozent
besteuert werden, so dass alle Erwerbstätigen vom Existenzminimum bis zur doppelten Höhe des
Grundeinkommens (break even point) eine Mischung aus eigenem (primärem) Einkommen
und Negativsteuer erhalten. Faktisch handelt es sich um die Subvention eines Niedriglohnsektors.
15 Dadurch wird ein erheblicher Teil der Haushalte mit niedrigen Erwerbseinkommen zu
Grundeinkommensempfängern, was einen enormen Finanzierungs- oder genauer: Umverteilungsbedarf
zur Folge hat. Ein weiterer Nachteil sind die hohen Steuersätze für diejenigen, die
mehr Einkommen als das Grundeinkommen haben. Wie immer man zur Negativen Einkommenssteuer
steht, es gibt jedoch auch gute Nachrichten: So konnten regionale US-Experimente
mit einer Negativ-Steuer (New Jersey, Denver-Seattle) zwischen 1968 und 1980 zeigen, dass sie
die Erwerbsneigung praktisch nicht verringerte.16
14 Vgl. Michael Opielka/Georg Vobruba (Hg.), Das garantierte Grundeinkommen. Entwicklung und Perspektiven
einer Forderung, Frankfurt 1986; Robert van der Veen/Loek Groot (eds.), Basic Income on the Agenda.
Policy Objectives and Political Chances, Amsterdam 2000.
15 Vgl. Joachim Mitschke, Grundsicherungsmodelle - Ziele, Gestaltung, Wirkungen und Finanzbedarf, Baden-
Baden 2000.
16 Zu einem aktuellen Resümee der damaligen Evaluationsforscher vgl. Robert A. Levine u. a., A Retrospective
on the Negative Income Tax Experiments: Looking Back at the Most Innovative Field Studies in Social Policy.
USBIG Discussion Paper No. 86, June 2004, www.usbig.net.
8
Die zweite Grundeinkommensvariante möchte jedem Bürger eine Sozialdividende als Anteil
des gesellschaftlichen Wohlstands zahlen. Sie ist ein Grundeinkommen im eigentlichen Sinn: ein
individueller Rechtsanspruch und unabhängig von sonstigem Einkommen. Jedes zusätzliche
Einkommen muss dann versteuert und mit Sozialbeiträgen belastet werden. Wenn das Grundeinkommensniveau
auf dem EU-Armutsniveau angesetzt wird, also bei 50 oder 60 Prozent des nationalen
Pro-Kopf-Einkommens, kann man sich den erheblichen Umverteilungsbedarf vorstellen.
Alle Einkommensbezieher unterhalb des Durchschnittseinkommens verfügten bei dieser Lösung
über einen Mix aus Grundeinkommen mit Einkommen aus Erwerbsarbeit und Vermögen. Technisch
wirkt auch dieses Modell wie die Negative Einkommenssteuer, erfordert also eine sehr
hohe steuerliche Belastung der Primär-Einkommen. Die Staatsquote würde dadurch nicht gerade
sinken, die Einführung hätte jedoch einen gewaltigen Vorteil: Der Arbeitsmarkt könnte -
modelltheoretisch - vollständig dereguliert werden. Denn jedem Bürger wäre nicht nur stets und
antragsfrei das existenzsichernde Grundeinkommen garantiert, sondern auch die Gewissheit,
dass sich jedes auch noch so geringfügige Einkommen lohnt. Nur diese zweite Variante ist damit
ein echtes, weil bedingungsloses Grundeinkommen, das im Bereich des Existenzminimums Arbeit
und Einkommen vollständig entkoppelt.
Grundeinkommen und Wohlfahrtsregime
Die Modelle der Grundeinkommenssicherung können analytisch auch nach den aus der internationalen
Sozialpolitikdebatte bekannten Typen des Wohlfahrtsregimes unterschieden
werden:17 dem liberalen Regime mit Fokus auf das Steuerungssystem Markt, dem sozialdemokratischen
bzw. sozialistischen Regime, das auf staatliche Steuerung setzt, dem konservativen
Regime, das gemeinschaftliche Steuerung bevorzugt und schließlich dem garantistischen
Regime, das auf soziale Grundrechte (als legitimierende Werte) abhebt. Dabei entsprechen
die Grundeinkommensvarianten je einer Kombination von Regimetypen.
Am wenigsten anspruchsvoll sind die Varianten einer bloßen Grundsicherung innerhalb der
klassischen, lohnarbeitszentrierten Sozialversicherungssysteme. Zu ihnen zählen das Arbeits-
17 Vgl. Gøsta Esping-Andersen, The Three Worlds of Welfare Capitalism, Princeton, N.J. 1990; zur Erweiterung
um einen vierten, garantistischen Regimetyp vgl. Michael Opielka, Sozialpolitik. Grundlagen
und vergleichende Perspektiven, Reinbek 2004 (i.E.), sowie aus soziologischer Sicht ders., Gemeinschaft in
Gesellschaft. Soziologie nach Hegel und Parsons, Wiesbaden 2004.
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losengeld II und das Modell des Kombilohns.18 Sie entsprechen einer Kombination des sozialdemokratischen
mit einem liberalen (zu einem sozialliberalen) Regime und sind am
stärksten von allen Grundeinkommensmodellen am Arbeitsmarkt orientiert.
Die Negative Einkommenssteuer steht zwischen dem liberalen und dem konservativen Wohlfahrtsregime-
Typ, was der historische Rückblick auf diese Idee bestätigt, die anfangs vor allem
bei den englischen Konservativen beheimatet war.
Die Idee der Grundeinkommensversicherung könnte man als einen Versuch bezeichnen, das
sozialdemokratisch-sozialistische Gesellschaftsdenken mit einem garantistischen, im engeren
Sinne grünen Regimeprinzip zu verbinden.
Ein Grundeinkommen als Sozialdividende schließlich mischt Garantismus und Konservativismus,
weil ein unbedingtes Grundeinkommen stets eine Bedingung haben wird, nämlich den
Bürgerstatus, also die Zugehörigkeit zu der Gemeinschaft der jeweiligen Volkswirtschaftsangehörigen.
Dies macht besonders gut eine eigentümliche Variante des Grundeinkommens deutlich,
die von Bruce Ackermann und Anne Alstott als Stakeholder Society propagiert wird: Jeder
junge Bürger soll allein aufgrund seiner Bürgereigenschaft 80.000 Dollar erhalten (citizens
stake), sonst jedoch keine Transfers mehr bis zu einer Grundrente im Alter. Das besondere
Problem liegt hier natürlich in dem ausgesprochen statischen Charakter dieses Modells: Aufgrund
der hohen einmaligen Ausschüttung würde der Sozialstaat seine Bürger ein Leben lang auf
diese verweisen, nach dem Motto: Du hast deinen Anteil schon bekommen.
Einstiegsvarianten
Wie bei allen großen Reformentwürfen liegt die Frage nahe, ob es praktikable Zwischenschritte
gibt, die auf das Ziel eines echten Grundeinkommens hin führen. Zunächst gibt es eine Reihe
von durchaus wichtigen technischen Fragen, die man genauer beleuchten müsste und die im De-
18 Dazu gehören auch die (mit einer Mindestlohngesetzgebung kombinierten) Zuschüsse an Erwerbstätige in
den USA - Earned Income Tax Credit (EITC) - und für Erwerbstätige mit Kindern in Großbritannien -
Working Families' Tax Credit (WFTC). Formal entsprechen sie einer Negativen Einkommenssteuer und
werden auch über die Finanzbehörden ausgezahlt. Da aber der Anspruch nur bei Erwerbstätigkeit besteht,
entsprechen sie eher dem deutschen Arbeitslosengeld II.
tail erhebliche Auswirkungen vor allem auf das Grundeinkommensniveau haben, zum Beispiel,
ob und wie im Grundeinkommen die Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung ausgewiesen
werden soll, ob man bei einem allen Bürgern gezahlten Grundeinkommen nicht sinnvollerweise
die Wohnkosten außen vor lässt (und sie separat bezuschusst oder übernimmt), um nicht die
Wohnungseigentümer unnötig zu subventionieren, oder schließlich die Frage, ob ein allgemeines
Grundeinkommen nicht vollständig neutral sein sollte gegenüber der Haushaltsform - denn warum
sollte die Gesellschaft das Alleinleben prämieren oder den wirtschaftlichen Vorteil von
Mehrpersonenhaushalten abschöpfen? Schon aus diesen drei Fragen ergibt sich, dass die Niveaufrage
eines Grundeinkommens recht komplex ist.
Unterstellen wir, dass man sich auf eine möglichst neutrale Lösung einigen könnte, also auf eine
sozialpolitische Gesamtlösung, die Herausnahme der Wohnkosten und die Haushaltsunabhängigkeit,
dann kann man sich zwei Einstiegsvarianten für ein Grundeinkommen vorstellen:
In der ersten Variante wird das Grundeinkommen jedem dem Grunde nach gezahlt, praktisch
aber nur auf Antrag - den aber jeder ganz ohne aktuellen Einkommensnachweis stellen kann. Am
Ende einer Berechnungsperiode, dem Quartal oder dem Kalenderjahr, muss man, wenn das tatsächliche
Gesamteinkommen über dem Grundeinkommen lag, den sozusagen unberechtigt
erhaltenen Grundeinkommensbetrag mit banküblichen Dispo-Zinsen zurückzahlen. Das würde
es für die überwiegende Mehrheit unattraktiv machen, das Grundeinkommen abzurufen. Die
staatliche Grundeinkommenskasse würde für Gutverdiener zwar zu einer Art Hausbank werden,
die Zinseinnahmen wären aber erklecklich. Das mag gewohnheitsbedürftig sein - die soziale
Sicherungsfunktion des Grundeinkommens wird damit aber gut sichtbar. Man könnte diese Variante
als Grundeinkommenskredit bezeichnen.20
Die zweite Variante wäre ein partielles Grundeinkommen. In diese Richtung zielt beispielsweise
die derzeitige Regelung der deutschen Ausbildungsförderung für Studierende (BAföG),
wenn man die dabei noch geltende Berücksichtigung des Elterneinkommens fallen lässt. Das
BAföG wird zur Hälfte als Zuschuss, zur anderen Hälfte als (niedrig verzinsliches) Darlehen
gezahlt. Ein BAföG für alle, das jüngst für Deutschland mit dem Modell einer Grundeinkommensversicherung vorgeschlagen wurde21, würde auch denjenigen, die sich für den Arbeitsmarkt
nicht zur Verfügung stellen wollen, ein Grundeinkommen garantieren. Außerdem
kann man den Darlehensanteil durch zusätzliche (Erwerbs-)Einkommen bis auf Null reduzieren
(wobei diese auch auf den Zuschuss angerechnet werden). Tätigkeiten für gemeinnützige Organisationen
könnten pauschal (und nur) mit dem Darlehensanteil verrechnet werden. Wer mindestens
drei Jahre Beiträge gezahlt hat, sich vermitteln lässt, krank oder erwerbsunfähig ist oder
kleine Kinder erzieht, erhielte das Grundeinkommen ohne Darlehensanteil ganz als Zuschuss.
Der Unterschied zum Arbeitslosengeld II ist schlicht die Liberalität und Würde dieser Lösung:
Man wird weder als Billigarbeiter noch als pädagogisches Objekt behandelt, sondern als Bürger,
der über seine Zeit und sein Einkommen (einschließlich seiner Schulden) selbst gebietet.
Der Unterschied mag klein erscheinen, er geht aber aufs Ganze. Das unterscheidet das echte
Grundeinkommen und seine Einstiegsvarianten von jeder sozialhilfeähnlichen Lösung. Der entscheidende
Unterschied ist die Abkehr von der Arbeitsabhängigkeit, von einer Ideologie der Erwerbsarbeit.
Dass das Grundeinkommen daneben auch den Einstieg in den Arbeitsmarkt wie in
gemeinnützige Tätigkeiten im Dritten Sektor fördert, steht dazu nicht im Widerspruch. Das
Grundeinkommen soll nicht den Ausstieg aus der Gesellschaft fördern, sondern den selbst bestimmten
Einstieg. Es überlässt aber dem Einzelnen, wie er einsteigt.
Diejenigen, die aussteigen - meist aus Resignation, selten aus Überzeugung -, werden in diesem
Modell finanziell gegenüber der gegenwärtigen Situation nicht notwendigerweise besser gestellt,
im Einstiegsmodell des BAföG für alle sogar schlechter, weil sie eine ordentliche Schuldenlast
vor sich herschieben. Aber sie werden nicht mehr diskriminiert, sondern als freie Bürger behandelt - wie heute schon faule Erben oder träge Kinder wohlhabender Eltern. Die fehlende Diskriminierung wird jedoch die kulturelle und psychische Situation all derer gravierend verbessern, die überhaupt nicht aussteigen wollen, sondern oft genug verzweifelt, weil vergeblich einen Einstieg
in die gesellschaftliche Arbeit suchen - also all jene, die unter den stigmatisierenden Maßnahmen
von Hartz IV zu leiden haben.
Hartz IV als erster Schritt?
Dennoch, allen Widrigkeiten mit Hartz IV zum Trotz, wäre abschließend zu analysieren, ob das
Arbeitslosengeld II als ein erster Schritt zu einem echten Grundeinkommen fungieren könnte.
Zunächst stellt die von Hartz IV geleistete Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe
in der Tat die Voraussetzung dafür dar, dass Arbeiter und Arme nicht mehr gegeneinander
ausgespielt werden können. Das aber ist dringend notwendig, denn längst gibt es viel zu viele
Menschen, die beides sind: arme Arbeitende, working poor.
Tatsächlich handelt es sich bei Hartz IV, nach der regimetheoretischen Betrachtung, um ein
lohnarbeitszentriertes Grundeinkommen. Erklärtes Ziel ist es, die Annahme auch von gering
bezahlter Erwerbsarbeit attraktiver zu machen. Alleinstehende können das Arbeitslosengeld II
mit einem Nettolohn bis etwa 900 Euro (Familien bis 1500 Euro) kombinieren, sie stellen sich
dann um bis zu 270 Euro (Familien bis zu 220 Euro) günstiger, als wenn sie keiner Erwerbsarbeit
nachgehen.
Sollten die Betroffenen also froh darüber sein und die Demonstrationen einstellen? Das wäre
unangemessen. Viele der Arbeitslosehilfeempfänger vor allem in Ostdeutschland verlieren erheblich
an Zuwendungen - ohne dass es überhaupt Jobs gibt. Sie protestieren zurecht. Die Übergangszuschläge
für Arbeitslosengeld I-Bezieher werden auslaufen; verheirateten Frauen wird
kein eigenständiges Einkommen garantiert (Männer trifft die Anrechnung von Partnereinkommen
selten). Kurzum: Armut soll normal werden, damit die Leute sich bemühen, worum auch
immer. Das Arbeitslosengeld II wertet die da unten ab, macht sie nur im glücklichen Fall zu
Kunden einer Bundesagentur für Arbeit, diskriminiert im schlechten Fall die Mehrheit zum
überflüssigen Rest, der sich gefälligst um die wenigen Jobs rangeln soll. Für 1 bis 2 Euro pro
Stunde sollen sie gemeinnützige Arbeit leisten oder durch Billiglöhne das Arbeitslosengeld II
aufbessern. Was für junge Leute noch angehen mag, erleben Ältere als massive Entwürdigung.
Diese diskriminierende Intention von Hartz IV steht konträr zur Idee des Grundeinkommens.
Das neue Arbeitslosengeld II in Deutschland ist insofern noch weit davon entfernt, ein echtes
Grundeinkommen zu sein. Es ist allenfalls eine Grundsicherung, die weiterhin an die Arbeitsbereitschaft geknüpft bleibt. Fehlende Arbeitsbereitschaft führt, zumindest prinzipiell, zum Verlust
des Einkommensanspruchs.
Sozialpolitisch spricht alles für ein Grundeinkommen, das auf jede Form des staatlichen Arbeitszwanges
verzichtet und vollständig auf Anreize setzt. Anders als das Arbeitslosengeld II setzen
echte Grundeinkommensmodelle auf soziale Grundrechte, auf Anerkennung von gesellschaftlicher
Tätigkeit, nicht nur von Erwerbsarbeit. Ermunterung statt Exklusion, das mag heute utopisch
klingen - es spricht jedoch unverändert für das Grundeinkommen und gegen eine soziale
Realität, die Demokratie und Liberalität zunehmend gefährdet.
Dr. Michael Opielka, geb. 1956 in Stuttgart, Professor für Sozialpolitik an der Fachhochschule
Jena und Geschäftsführer des Institut für Sozialökologie in Königswinter.