Re: Der erste Satz ...
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robert.reicht.
Im Übrigen: www.die-horizonter.jimdo.com
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¡!
Owl owl!
@Robert: Ich störe mich an dem Satz: "Er kannte keine Worte." Keiner kennt keine Worte. Er schreit ja doch am Ende.
Anzeiger
Er bekam den Anruf frühmorgens um halb sechs. Der Anrufer ließ lange klingeln, bis er ranging. Er musste erst aufstehen. Er wälzte sich aus der Decke, fragte sich, wer so früh anrief. Draußen war es noch dunkel. Er rieb sich die Augen. Er stolperte durch die Wohnung. Es war kalt. Dann ging er ans Telefon.
Jetzt war er wach, trotz der Müdigkeit würde er nicht weiter schlafen können. Das war unmöglich.
Er ging unter die Dusche eine Weile später um sechs. Erst warm, dann kalt. Er trocknete sich ab. Schaute in den Spiegel, putzte Zähne, verließ das Bad, zog sich an. Am Fenster hörte er Vögel zwitschern. Langsam wurde es heller. Er schaute die Straße hinunter. Nichts war unterwegs. Dann schaute er auf die Uhr. Dann nochmals aufs Telefon.
Er aß sein Frühstück in der Küche gegen sieben. Zwei Frühstückseier, dazu geröstetes Brot. Und Kaffee. Im Radio lief ein Lied. Die Wohnung erschien ihm recht kahl. Er könnte mal wieder den Flur streichen. Von der Küche ganz zu schweigen. Von der Küche ganz zu schweigen.
Er zog sich die Schuhe an. Und seinen Mantel.
Er verließ die Wohnung durch die Haustür um halb neun. Er ging die Straße hinunter und stieg in die S-Bahn. Mit dieser fuhr er drei Stationen. Am Platz setzte er sich in ein Café und trank einen weiteren Kaffee. Er las eine Zeitung. Welche ist nicht bekannt. Er beobachtete die vorbeilaufenden Personen. Er hatte einen Fensterplatz.
Er bezahlte bei der Kellnerin im Café um elf. Er ging hinaus auf den Platz. Inzwischen waren die Straßen voller. Er kämpfte sich bis zum nächsten Kaufhaus durch. Dort kaufte er sich einen Notizblock und einen Bleistift. Die Rechnung enthält die Uhrzeit elf Uhr zweiunddreißig.
Dann muss er noch am See gewesen sein.
Er betrat das Anzeiger-Hochhaus gegen siebzehn Uhr dreißig. Das Anzeiger-Hochhaus wurde in den Jahren 1927 und 1928 erbaut. Die Entwürfe stammen von Fritz Höger. Die Verlagsgesellschaft »Madsack« erbaute es als Verlagshaus. In der Nachkriegszeit erschien hier erstmals »Der Spiegel«. Der Stahlskelettbau wird mit seiner
dunkelroten und goldglasierten Klinkerfassade dem Backstein-Expressionismus zugerechnet.
Er stürzte sich vom Dach um 18 Uhr.
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@Antonie: Schreit er Worte?
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Ja. Nüchtern und schön knapp erzählt, das gefällt mir. Die Satzwiederholung ist gut! Und "Welche ist nicht bekannt." sticht für mich auch raus.
Noch davor: Aber er denkt doch Worte.
Ja, er denkt Worte. Sollte man denken. Dachte ich auch. Dachte: Was soll er denn sonst denken? Er kann ja gar nicht denken, ohne Worte. Deswegen der philosophische Einschub zum Denken mit Worten.
Aber dann fiel mir auf, dass es um ein Baby geht, dass in einem Brutkasten liegt. Und das kann nicht denken, weil es keine Worte kennt. Aber ich wollte es denken lassen. Ich wollte es leben lassen. Leben ohne denken? Denken nur mit Worten? Ohne Worte kein Leben? Und schon war ich drin im Schlamassel...
robert.reicht.
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Das es ein Baby ist, kommt aber gar nict rüber und ist auch unlogisch. Wie kann denn ein Baby erkennen, dass sein Mund trocken ist? Furztrocken!
Natürlich ist es unlogisch!
Aber diesen Gedanken (den ich im Übrigen auch hatte) finde ich spannend: "Wie kann denn ein Baby DAS erkennen?" Tenor: "Kann es nicht!" Nein? Kann es nicht? Warum eigentlich nicht? Ok, es kann vielleicht nicht "furztrocken" empfinden, aber "trocken" schon! Ja? Kann es? Warum sollte es "trocken" ermpfinden, wenn es "furztrocken" nicht empfinden kann? "Also, dann kann es halt gar nicht empfinden!" DAS finde ich allerdings auch falsch!
Egal wie ich es drehe, das Baby stirbt. Entweder kann es die Worte für das Empfinden nicht kennen, oder es kann nicht Empfinden. Oder geht empfinden nur mit Worten? Vielleicht Ausdruck von Empfinden?
Der gleiche Text, logisch geschrieben müsste heißen:
"Wuahaaaaaaaaa!!!, heulte es." Mehr nicht. Mehr könnte man nicht ausdrücken. Ausdruck ist demnach qualitativ messbar an Intelligenz? Oder so... ? Jetzt mal platt formuliert. In welcher Region bewegen wir uns? Es geht mir gar nicht so um den Text, sondern um die Fragen, die sich mir aufdrängen. Spannend: Der Text wurde zunächst nicht kommentiert. Ist das schon Teil der Leblosigkeit eines Babys, dessen Empfinden in Worten nicht ausgedrückt werden kann? Ich provoziere grade mal...
robert.reicht.
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Oder noch weiter: "Wuahaaaaaa!" kann ja auch nicht empfunden werden. Weil ja Buchstaben auch nicht existieren, in der Intelligenz des Babys.
Und es ist auch die Frage der Erzählsituation. Schaffen wir es ganz nah am Baby zu sein, die Empfindungen zu beschreiben (in Worten) und trotzdem, der Logik wegen, eine auktoriale Erzählsituation zu bewahren? Oder werden wir automatisch personal. Ich finde in meinem kurzen Text schwankt es.
robert.reicht.
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Ein Baby kennt wirklich keine Worte. Nicht mal passiv. Nur Stimmen und Laute und andere Reize. Aber denken kann es trotzdem. Sagen wir, es macht sich so seine Gedanken. Wortlos.
Vielleicht solltest du den Text Brutkasten nennen, ich kam nicht drauf, dass es um ein Baby geht. Und Silke ist wenigstens über den vermeintl. Widerspruch gestolpert ...
Schöner Text. Der mit dem Hochhaus auch.
Owl owl!