Gruppe Enigma - Texthaufen

Grenzgänger

Re: Grenzgänger

Was für Fragen haste denn so?
Tschuldigung, dass ich Euren Thread besetzt habe. Werde wohl die nächste Fortsetzung aus der Perspektive des Diego schreiben und mal klären, was es mit dem Doppelnamen auf sich hat.


¡Nos vemos en el invierno, cabrones!

Re: Grenzgänger

Der Hauch ist gasförmig und von Natur aus nicht wörtlich zu nehmen. Schreib Du mann ruhig, es macht Spass, nach Fortsetzung zu geifern.
Und wieso überhaupt unserer Thread????

Ich leide sowohl unter meiner Inspirations- wie auch Grenzgängerlosigkeit!
(dies war eine Ich-Botschaft)

Re: Grenzgänger

Diego hatte seiner Mutter heute einen besonders edlen Bordeaux mitgebracht. Er hatte nach seinem sechzehnten Geburtstag damit angefangen, ihr Wein mitzubringen, und sie hatte nie etwas daran auszusetzen gehabt. Der Wein, den sie selbst auftischte, wenn Diegos Mitbringflasche aufgebraucht war, kam jedoch meist eher aus den unteren Etagen der Supermarktregale.

„Du verwöhnst mich heute ja wieder, mein Junge!“ Sie gab ihm einen Kuss auf den Mund. Diego wischte sich mit dem Ärmel darüber, sagte aber nichts. Nächstes Mal vielleicht, aber heute nicht.
„Weißt du, Mama, ich habe eine Bitte an dich. Kannst du diese CD hier an dich nehmen und sicher verwahren. Es sind wichtige Unterlagen darauf!“
„Ja? Was kann denn so wichtig sein?“
„Auf der CD ist nur eine Datei, ein passwortgeschütztes Archiv. Der Passwortschutz ist so ausgefeilt, dass du gar nicht erst versuchen brauchst, es zu knacken.“
„Warum gibst du es mir dann?“
„Es ist eine Versicherung. Wenn mir etwas passieren sollte, wird sich ein Freund bei dir melden und dir das Passwort sagen.“
„Das klingt ja sehr geheimnisvoll, mein Junge. Ich hoffe, du machst keine krummen Sachen? Das würde deinem Vater nicht gefallen!“
Diego seufzte. „Versprichst du’s?“
„Na gut, mein Junge. Ich werde die CD archivieren und eine Kopie davon an einem sicheren Ort verwahren. In Ordnung?“
„Danke, Mama!“

Sie saßen noch eine Weile in der Küche zusammen und redeten über Diegos Studium, seine Schriftstellerei, seine Freunde und die gestiegenen Lebensmittelpreise. Über Diegos Vater sprachen sie nicht. Als er sich schließlich verabschiedete, drückte er seiner Mutter 100 Euro in die Hand, 50 Euro mehr als letzte Woche. Ihr standen Tränen in den Augen, aber Diego blieb hart und bestand darauf, dass sie das Geld behielt. Es wurde von Woche zu Woche anstrengender mit ihr. Ob die CD mit dem Programm und der Dokumentation seiner Arbeit für seinen Vater bei ihr gut aufgehoben war? Vermutlich schon, schließlich war sie bestimmt kein Experte in Kryptographie.

Ihr Sohn war kaum aus der Tür geschritten, da wählte Frau Sánchez die Nummer ihres Ex-Mannes. Der hatte doch einen Kollegen an der Uni, wie hieß er noch gleich (irgendwas mit S), der eine Dissertation über diese Enigma-Maschine geschrieben hatte. Der könnte ihr bestimmt behilflich sein, diesen Code zu knacken. Wenn ihr Sohn ein Geheimnis hatte, musste sie einfach dahinter kommen!

Entweder ging er nicht ran, weil sie es war, oder er war wirklich nicht zuhause. Jedenfalls hinterließ sie ihm eine Nachricht, in dem sie ihn bat, ihr einen Kryptographieexperten zu empfehlen, sie wäre an einer heißen Sache dran. Sie legte einen derart geheimnisvollen Unterton in die Botschaft, dass sie sich relativ sicher war, er würde sie gar nicht ernst nehmen. Aber sie könnte es ja einfach morgen noch einmal versuchen.

Dann zog sie den neuesten Rockstein hervor, den sie vor ihrem Sohn hinter einer Packung Müsli versteckt hatte. Auf dem Cover hatte immer nur dieser eine Name gestanden, auch in den beiden Jahren, in denen sie verheiratet waren, was sie genaugenommen auf dem Papier immer noch waren. Sie liebte seine Romane, und sie hatte alle davon gelesen. „Hotel Tod“ las sie nun schon zum zweiten Mal, das verlieh ihr das angenehme Gefühl, die Handlungstragenden schon zu kennen. Wenn sie etwas aufmerksamer wäre, hätte sie allerdings bemerkt, dass sie die Handlungstragenden in der Tat kannte!

Nach fünf Minuten war sie am Küchentisch eingeschlafen, und weitere fünf Minuten später wurde sie vom Klingeln des Telefons wieder aus dem Schlaf aufgeschreckt. Es war ihr Ex-Mann, der sich dringend mit ihr treffen wollte. Am besten heute noch, ob es ihr bei ihr recht wäre, vielleicht in fünf Minuten.

Eine Minute später klingelte es an der Tür.


¡Nos vemos en el invierno, cabrones!

Re: Grenzgänger

Jahannes! Ich lese das sehr sehr gerne! Das wird noch keine Roman, aber ein schönes Heft! Sowas schmunzelt man gerne weg! Weiter!

Re: Grenzgänger

Jou, Johann, das schreit nach Fortsetzung!!!!

Re: Grenzgänger

Ich hab die halbe letzte Woche (abgesehen von anderen Dingen) damit verbracht, einen Text zu schreiben, den ich am Freitag dann doch nicht gelesen habe, darum bin ich zu solchen Dingen nicht gekommen. Aber ich schreibe demnächst weiter an der Geschichte, bin ja selber gespannt, was noch alles passiert ...

(aber schreibt doch auch wieder was hier in dem Fred...)


¡Nos vemos en el invierno, cabrones!

Re: Grenzgänger

Kalt -(Am Fenster)

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Diese Kälte ist nichts für mich.
Stumm lehne ich die Stirn an das beschlagene Küchenfenster, während die graugeschwängerte Luft zu mir hereinstarrt. Hohläugig bewacht sie das spärliche Leben auf der fast leeren Straße.
Die wenigen, die sich in ihre Welt wagen, sind versteinert. Sie tragen trotzende, starre Masken zum Schutz. Hochgeschlagene Kragen. Tiefgezogene Mützen. Zusammengebissene Lippen.
Die Schultern angezogen beeilen sie sich, ihr so schnell wie möglich zu entkommen und ihr Anblick macht mich krank.
Im Sommer war es so leicht, diese kalten Abende zu ertragen. Ich sog die Wärme durch das Fenster in mich hinein. Hörte das Gemurmel zu mir heraufschallen und legte meine Gedanken einfach in die tröstende Atmosphäre, die so leicht, so sanft über der Stadt tanzte.
Doch nun ist es sterbend still dort draußen.
Ich schaue kurz zu dir herüber. Dein Rücken ist mehr Schweigen als dein Mund es jemals war. Kalt kriecht die Stille über meinen Nacken und schneidet Schauer um Schauer aus meinem Mark.
Masken zum Schutz. Ja. Ich schmecke Blut.
Gegenüber hält der Frost die stolzen Wipfel der Bäume gefangen. Die kleinen, einst biegsamen Ästchen sind so starrgefroren, dass sie bei der kleinsten Erschütterung zerbrechen würden. Kälte macht zerbrechlich. Alles, was sonst stolz wachsend nach Wärme heischt, verkümmert nun still und unbemerkt. Schillernder Eisblumentod.
Ich fröstele und ziehe die Knie an.
Langsam legt sich der Mantel der Dämmerung über die Stadt und fegt die letzten Lichtfetzen von den Straßen. Einzig zwei Krähen bleiben. Schwarz. In Grau.
Was hast du gesagt? Du drehst dich nicht einmal um.
Nichts. Sage ich und drehe die Heizung hoch.
Diese Kälte ist einfach nichts für mich.
.


Re: Grenzgänger

Erst mal vorne weg: Du sprichst mir aus tiefster Seele! Meine Gedanken hierzu sind:

Ich würde versuchen, die zahlreichen Adjektive mehr zu umgehen.

Dein Rücken ist mehr Schweigen als dein Mund es jemals war. Ein wirklich schöner Satz.

Im Sommer war es so leicht, diese kalten Abende zu ertragen. Ich sog die Wärme durch das Fenster in mich hinein. Hörte das Gemurmel zu mir heraufschallen und legte meine Gedanken einfach in die tröstende Atmosphäre, die so leicht, so sanft über der Stadt tanzte.
Muss das nicht in einer anderen Vergangenheit geschrieben werden?

Den Schluss find ich sehr gut.
Insgesamt habe ich aber das Gefühl, es ist unrund, keine Ahnung, woher es kommt. Vielleicht, wenn Du den Sommer mehr ausbauen und in die Mitte des Textes stellen würdest, so als Bogen vom ersten zum letzten Satz.

Re: Grenzgänger

jupp, da muss ich nochmal ran.. danke! werd gleich mal loswerkeln..

*dicken ringelschal schenk*


Re: Grenzgänger

"Jupp, da muss ich nochmal ran.. danke! Werd gleich mal loswerkeln.. " Johannes schien für jeden außenstehenden Beobachter den Eindruck zu machen, ein glücklicher Mensch zu sein. Immerhin, soviel konstruktive Kritik wie heute hatte er lange Zeit nicht bekommen. Und ausgerechnet Claudia hatte sich dermaßen umfassend mit seiner Geschichte auseinandergesetzt, dass ihm nichts weiter eingefallen war, als sich unter ein paar Floskeln zu verabschieden und mit seinen Texten nach draußen zu verziehen. Gerade noch rechtzeitig hatte er die Tür zum Seminarraum 101 hinter sich schließen können, ehe jemand seine tatsächlich recht missliche körperliche Verfassung hätte bemerken können. Nur einen Augenblick später übergab er sich in den Blumenkübel des überdimensionieren Weihnachtsbaums in der Aula, ohne dass es nur ein einziger der anwesenden Erstsemester und ihrer Tutoren dies bemerkt hätte. Ausgerechnet Claudia! Mein Gott, wie sollte er mit dieser Frau ein Gespräch führen, wenn er nur an sie dachte, bekam er schon eine Erektion, und wenn er sie ansah, kam es ihm meist gleich, wenn auch nicht sonderlich erhaben.

"Du solltest einen Kurs in Selbstachtung machen!" sagte eine tiefe, immergrüne Stimme. Irritiert sah Johannes sich um. Vermutlich war das ein Signal in seinem Kopf, das ihn darauf hinwies, dass es einfach unerlässlich ist, neben dem Schreiben von Geschichten, in die man seine emotionalen Abgründe hineinfließen lässt wie ein Bartender Grenadine in den Tequila Sunrise, auch ab und zu einmal ein ganz normales Gespräch zu führen. Aber trotzdem, so stehen lassen konnte er das nun auch wieder nicht.

"Wer spricht da? Bist du das etwa, du Baum?"

"Dein Hemd hängt einseitig aus der Hose. Daran erkennt man Menschen, die sich gehen lassen!"

Johannes drehte sich einmal um sein Achse und sprach dann wieder den Baum an: "Du bist es in der Tat! Wie in einem superschlechten Hollywood-Weihnachtsfilm, wenn's ihn nicht gibt, wird ihn bestimmt bald einer drehen, den Film mit dem sprechenden Baum. Aber ich sag dir eins, du Baum! Ich werde nicht mitspielen!" Nach einer Pause fügte er hinzu: "Du bist es doch, der hier spricht, oder? Oder ist das eine Verschwörung, und irgendwer will mich verleiten, Geschichten über sprechende Bäume zu schreiben. Ist es das, was du willst?"

"Ist dir schon einmal aufgefallen, Johannes, dass du nichts sagst, bei all dem Gequassel und Gerede? Du lenkst dich mit Dingen ab und rückst nicht heraus mit der Sprache. Das ist auch dein Problem mit Claudia. Du denkst zuviel im Konjunktiv, warum fragst du sie nicht einfach mal etwas über sie, etwas, was dich wirklich interessiert, ohne Vorbehalte und einfach aus dir heraus? Sie steht gerade hinter dir!"

Johannes drehte sich mit der Geschwindigkeit eines Blitzes um und riss dabei eine Glaskugel vom Baum, die krachend auf dem PVC-Boden zerschellte. "Alles klar, Johannes?" fragte Claudia und blickte ihm mit leichter Besorgnis in die Augen. "Ja", entgegnete Johannes reflexhaft, und fügte dann, schwitzend wie ein junger Hund beim Versuch, über seinen seinen Schatten zu springen: "Hat dir meine Geschichte wirklich gefallen?"

"Ich mag alle deine Geschichten! Wenn ich deine Texte lese, reichen mir zehn Wörter, um in deine Psyche zu blicken. Es ist wirklich lustig. Das zehnte Wort ist entscheidend. Ich meine, es berührt mich wirklich. Es ist, wie wenn in mir eine Tür aufgeht, wenn ich etwas von dir lese, aber der Grund dafür ist, dass du selbst in deinen Texten Türen hast, und zwar immer im zehnten Wort. Ich hab es nachgeprüft. Und ich habe eine Liste von Wörtern gemacht, willst du sie sehen?

"Sag ja!" sagte der Baum. "Nein!" sagte Johannes, wischte sich über den Mund und rannte davon. Zehn Meter vor der Außentür kam es ihm, worauf er kurz die Augen schloss und danach unbeirrt der umstehenden Studenten den Weg zur Bushaltestelle fortsetzte. Oh mein Gott! Lange würde er das nicht mehr durchhalten!

Er stand etwa fünf Minuten an der Bushalte, ehe er es sich anders überlegt hatte und wieder umkehrte. Unter dem Baum saß Claudia in einem See von Tränen. Beschämt über seine Unzulänglichkeit, mit Menschen, insbesondere mit Claudia umzugehen, versteckte er sich hinter einer Betonsäule. Als er hinter ihr hervorlugte, sah er, dass Claudia einen Zettel in der Hand hielt, den sie offensichtlich der zerschellten Christbaumkugel entnommen hatte.


Das ist eigentlich alles.