Re: Bist du am Leben interessiert - Große Tour 2006
ich habe auch was gefunden zu Stuttgart....
Xavier Horror Picture Show
Singender Erweckungsprediger aus der Kurpfalz: Xavier Naidoo füllt die Stuttgarter Schleyerhalle und macht das Publikum mit seiner Soulstimme selig
Von Inge Bäuerle
Stuttgart - Xavier Naidoo ist ein Vielbegabter. Nicht allein, dass der singende Kurpfälzer Erweckungsprediger seine drei Steckenpferde Soulmusik, Prophezeiungen und Pennälerlyrik unter einen Hut bekommt, er erklimmt mit ihrer Hilfe auch regelmäßig die Gipfel der Hitparaden. Neuerdings beschäftigt er sich zusätzlich mit der an einem Ostersonntag vor knapp 2000 Jahren entstandenen Disziplin des Auffahrens. In den Himmel reicht die Hydraulik, die nacheinander pünktlich zum Popgottesdienstbeginn die elf Sänger und Musiker aus Naidoos Tross aus der Tiefe auf die dunkel verhangene Bühne hebt, freilich nicht. Aber dafür sehen die mit ihren knöchellangen, schwarzen Soutanen Einherschwebenden aus wie der beflügelte Nicolas Cage und seine Kollegen aus "Stadt der Engel".
Fragen über Fragen
Nur der Boss braucht keine Verkleidung, er trägt Jeans, T-Shirt und Gottes Armyhemd. "Bist du aufgewacht" und "Wo willst du hin" schmettert er zur Begrüßung in die proppenvolle Schleyerhalle. Fragen über Fragen, so wie es das Motto seiner Mammut-Tour vorgibt, die mit 35 Stationen mehr als doppelt so viele Zwischenstopps hat wie ein ordinärer Kreuzweg: "Bist du am Leben interessiert?" steht auf den T-Shirts, die an den Merchandising-Ständen verkauft werden. Und irgendwie kommt nach einer ersten abwechslungsreichen halben Stunde inmitten wabernder Nebel, Bässe und rhetorischer Tiefsinnsschürferei tatsächlich diese Stimmung von drohendem Weltende und Orientierungslosigkeit auf, die von der Monty Python-Truppe in "Das Leben des Brian" so herrlich persifliert wird. Doch Naidoo macht sein Publikum mit seinem Soulstimmspektrum selig und zieht es mit den bewährten, aus Bibelzitaten, Nonsens und Kinderreimen zusammengekleisterten Versen in den Bann. So wie bei "Ernten was man sät": Dafür hat er den Galaterbrief flott mit dem prominentesten Laternenlied aus der Vorschulpädagogik gekreuzt und singt tapfer "brenne auf, mein Licht". Aaaaaah-Chöre und Stromgitarren plärren druckvoll dazu. Die Saat geht auf. "Das muss man erst mal verarbeiten", meint derweil Xavier Naidoo beeindruckt von der Resonanz. Und wie ein Pfarrer, der das Jahr über seine Kirche nicht voll bekommt und die Gemeinde zu Weihnachten mit einer besonders ausufernden Predigt beglückt, findet auch Xavier "Saviour" Naidoo kein Ende.
Und Naidoo hievt, was als Vorgruppe noch erträglich gewesen wäre, ins Hauptprogramm. Das dürfen die Berliner Soulsängerin Bintia sowie die rappenden Herrschaften Pal One, Jonesmann, Tone und Straßenreimer Danny Fresh ins Unerträgliche dehnen. Gnädig übernimmt der "Jesus der Hitparaden" wieder und beschreitet gummi-elastisch tanzend "Seine Straßen", die in eine flotte Sambastruktur überführt werden. Und obwohl Naidoo verspricht, "Dieser Weg" sei steinig und hart, gehen die Arrangements der Band den des geringsten Widerstandes und lehnen sich überall ein bisschen an: Jazz, HipHop, Reggae, Latin-Pop. Bis auf ein paar Gitarren-Ausreißer, die versuchen, zeitgeistigen Floskeln biblisch-bombastischen Furor zu verleihen, könnten sie von Herbert Grönemeyer stammen. Dessen gecoverte "Flugzeuge im Bauch" starteten immerhin Naidoos Karriere. Mittlerweile hat der 35-jährige Sänger fast alles, was es für deutsche Popmusiker zu gewinnen gibt, abgeräumt.
Solcher Erfolg heiligt die Mittel: Verse wie "Ich schreib' dir Zeilen aus Blut, und ich hoffe du fühlst es"; die riesige, pulsierende Projektion einer Ultraschallaufnahme im Bühnenhintergrund und begleitende Ansagen wie "Wir brauchen Nachwuchs"; das sinnlose Denglish-Dialektgeschwafel von Christian "Chako" Habekost, der in schwarz-roter Kutte die Bühne entert. Der Kabarettist markiert als "Maschinengewehr Gottes" - ein Attribut, das er sich wahlweise vom wortgewaltigen Jesuitenpater Johannes Leppich oder vom US-Evangelisten Billy Graham geborgt hat - mit müden Uralt-Gags über Hut tragende Kadettfahrer und George Bush den Tiefpunkt des Abends.
Wunderkerzenträchtige WiegenliederDoch nach knappen zweieinhalb Stunden ist auch die Xavier Horror Picture Show vorbei. Schnell noch ein paar wunderkerzenträchtige Wiegenlieder ("Ich kenne nichts, das so schön ist wie du", "Führ mich ans Licht"), Lichtgewitter zu "20 000 Meilen", schwere Reggaebeats zu "Sie sieht mich einfach nicht" vom Asterix-Soundtrack, und zum Schluss das tränenschwere "Abschied nehmen", für "alle, die euch fehlen". Da ist die Bühne schon halb abgebaut, die Stoffbahnen sind weg, nur noch das Metallskelett steht da - und fast will man den Worten glauben, die noch eben von dort hergeweht sind: "Wir haben alles Gute vor uns, alles Schlechte geht vorbei."
http://www.ez-online.de/lokal/kultur/schaufenster/Artikel120724.cfm
und wenn du nichts mehr fühlen kannst - ist es vorbei - dann bleibst du ewig leer.