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Sport - Frustration

Re: Sport - Frustration

Hey Anett,

um Gottes Willen, das ist ja furchtbar!!! Umso schöner, dass es Menschen gibt die wissen was in solch einer Situation zu tun ist (in diesem Falle der Sportlehrer).
Ich finde, dass es im Allgemeinen viel zu wenig Menschen gibt die wissen wie in solchen Notfällen gehandelt werden muss.
Dann könnte ich ja theoretisch auch während des Yogas Kammerflimmern bzw. eine TdP bekommen... ich werde mit Sport definitiv warten bis ich von den Ärzten grünes Licht erhalte. In meiner momentanen Konstitution ist Sport ja eh nicht drin.

Liebe Grüße und einen schönen Abend (bzw. schon fast eine gtue Nacht ;-) )


Long-QT-Syndrom
Herzstillstand mit Reanimation 2015
ICD-Implantation im Oktober 2016

Re: Sport - Frustration

Zitat: Anett
Mein Sohn, der im Alter von 12 Jahren mehrfach unter Belastung synkopierte,durfte nur noch begrenzt am Schulsport teilnehmen und das bis Ende der Schulzeit.Die Ansage des Kinderkardiologen vom Herzzentrum lautete: keine Sportarten, bei denen kurze Bewusstlosigkeiten zu schwerwiegenden Verletzungen führen können.Dazu zählen Klettern, Schwimmen,Judo, Ringen, viele Turnübungen...Liebe Anett,

es ist immer besonders tragisch, wenn bereits Kinder große Einschränkungen erleben müssen. Wenn das heute noch so ist, dass Tätigkeiten zu vermeiden sind, die bei kurzen Synkopen zu schwerwiegenden Verletzungen führen können, dann ist ja auch die Berufswahl schwer. Und kann er heute oder auch als Kind Fahrradfahren? Die Risiken im Straßenverkehr sind ja nicht gering?

Vielleicht muss ich hier auch nochmal das Wort Sport aus meiner Sicht definieren.
Für mich ist es Sport, wenn ich 30 Minuten auf dem Fahrradergometer sitze und zwischen 50 und 75 Watt trete. Die 75 Watt nur max. 5 Minuten.
Da ich mit den ersten Gehversuchen als Kleinkind auch mit einer vorgegebenen Leistungminderung lebe, habe ich tatsächlich Techniken entwickelt, die kraft- und sauerstoffsparend sind.
Beispiel: Bei Skifahren ersetze ich die Rauf-Runter-Bewegung durch eine Rechts-Links-Körperneigung - Gelähmte oder Beinamputierte machen das auch nicht anders.
3. Wenn ich Bergwandere, dann benötie ich in der Steigung ca. die 4-fache Zeit, weil ich ganz langsam sehr kleine Schritte gehe. So muss ich nur das Knie ein kleinwenig verändern, um in die Streckung zu kommen. Ich vermeide dadurch quasi den Treppensteigeffekt beim Bergwandern. Ich brauch dafür ca. die 4-fache Aufstiegszeit, das ist alles planbar. Und an doofe Gesichter und noch doofere Komentare wie "na, zuwenig Sport gemacht" konnte ich mich ja seit Kindertagen gewöhnen. Langsam komme ich in ein Alter, in dem ich endlich mein Tempo gehen darf.
4. Ich kann mit einem Minimum an Sauerstoff noch normal gehen und reden. Mein Körper kompensiert einiges, so habe ich immer einen Hämoglobin-Wert, als wenn ich aus dem Höhentraining komme. Das ist in etwa vergleichbar, mit gesunden Menschen, die es gewohnt sind auf 5.000 Höhenmeter zu leben und zu arbeiten. Die Kinder von Sherpas wachsen damit auf und werden z. B. nicht Höhenkrank.

Und genau diese moderaten Belastungen, die gleichzeitig Erfolgserlebnisse ermögliche (wenn man das als Erfolg zuläßt ;-), sind von den Kardiologen gewünscht!!

Meine geschätze Lebenserwartung war das Erreichen der Pubertät - das hat Prof. Kalfelz (Initiator der Kinderkardiologie in Hannover) so mir und meinen Eltern gesagt, als ich 5 Jahre alt war. Da sagten die Ärzte noch, lassen sie das Kind einfach alles machen, wenn es keine Luft mehr bekommt, hört es auf. Schicken sie es aber nicht zum Leistungssport. So ging ich zum Schulsport und bei der Vertretungslerherin bekam ich als Note eine 6!
Als die Medizin OP-VErfahrenentwickelte und ich mittlerweile 27 war, kamen aufeinmal alle Verbote auf den Tisch. Da war sogar das Singen auf der Bühne verboten - das könnte für mich zu aufregend werden.
Seit 2007 ist außer Extrem- und Leistungssport alles erlaubt. Ich profitiere heute, weil ich mich an die damligen Verbote nicht gehalten habe und so heute über sehr fitte Gefäße, super Beinmuskeln (die das Wasser aus den Beinen halten) und über viele hilfreiche Techniken verfüge.

Heutzutage geben Ärzte m. E. ihre Empfehlungen auch immer so, wie diese zur Mentalität des jeweiligen Patienten passen. Besonders wichtig, ist einfach auch Verschiedenstes auszuprobieren und in sich hinein zu spüren, was daran gut oder weniger gut war. Bitte dabei nicht nur die Aktivität bewerten, sondern dazu muss m. E. auch Schlaf, Ernährung, Wetter, Laune etc. mit berücksichtigt werden.

Okay, mein Plus ist, dass ich darin einfach super viel Übung habe und gar nicht weiß, wie man sich als gesunder Mensch beim Sport nach eurer Definition fühlt. Ich vermisse dadurch weniger und habe daher ggf. eine höhere gefühlte Lebensqualität. Ich weiß, dass mindestens 9 von 10 Ebsteinbabys heut Spätabgetrieben werden. Im Jahr 2016 gab es daher keine 30 lebendgeborenen Ebsteinkinder. Aber ich kann nicht sagen, das ich ein eingeschränktes, belastendes und unwürdiges Leben habe.
Ich habe Glück und Gottes Hilfe!! :-))

LG, Motte

Re: Sport - Frustration

Zitat: Evi
Zitat: motte
Vitamin D3 Mangel, Frühjahrsmüdigkeit, Herzschwäche, Medikamente... - ist halt so. Noch vor einem Jahr habe ich mich dafür geschämt!Du? Wieso das denn?Liebe Evi,

was verwundert Dich? Diagnosen, Symptome oder dass ich mich Schäme?

Klar Schäme ich mich. Das war schon immer so. Ich habe nie gesagt, dass ich Herzkrank bin, damit ich mich 'frei' bewegen konnte. Sobald das Wort Herzkrank fiel, durfte ich weder Kaffee noch Cola trinken, und hatte nur noch brav in der Ecke zu sitzen, ein Buch zu lesen oder das Häkelzeug vor zu holen. Im allgemeinen gesellschaftlichen Denken ist ja alles für Herzkranke verboten. Man gab mir als Kind dann Magarine (= super gefährliche gehärtete Industrie Fette = Triglycide, die seit 2014 in USA verboten sind), weil damals amerikanische Wissenschaftler tierisches Fett in der Butter verteufelten.
Wenn ich durch meine Erkrankung ein eingeschränktes Leben hatte und heute noch habe, dann immer nur durch das Denken der gesunden Menschen und ihren Moralvorstellungen, wie ich denn gefälligst als Herzkranker Mensch zu leben hätte. Durch diese Menschen hatte ich Schuldgefühle, wenn ich das Leben einfach mal nur genießen wollte. Also bin ich auf Popkonzerte dahin gefahren, wo mich keiner kannte. Das durfte ich ja nicht aus Sicht von anderen - viel zu laut, zu anstrengen, und dann noch nachts, wenn dann was passiert...
Und ich war bei den Stones :-)

Ja, und diese Scham vor der Meinung von Dritten, die meinen wissen zu können, wie ich besser und läger lebe, diese Scham baue ich langsam ab.

LG, Motte

Re: Sport - Frustration

Liebe Motte,
zunächst einmal finde ich es bewundernswert, wie du mit deiner Krankheit und den daraus resultierenden Umständen umgehst.Die ganze Geschichte hat dich stark gemacht.Du hast Recht, jeder sollte für sich selbst zum Experten werden, was die eigene Erkrankung, die Belastbarkeit und die machbaren Optionen angeht.Meine Sicht ist die einer selbst Betroffenen und gleichzeitig die der Mutter eines Sohnes, der eine Zeitlang hoch symptomatisch war.Meines Erachtens muss man in der ganzen Diskussion um Herzerkrankungen und Sport unterscheiden zwischen Erkrankungen, bei denen das vorherrschende Symptom high-risk-Synkopen sind und Herzerkrankungen, die vorrangig Auswirkungen auf die Lebensqualität haben.Die CPVT bringt im Verhältnis zu anderen Herzerkrankungen eine hohe Sterblichkeit mit sich.Rhythmogene Synkopen sind die gefährlichsten Synkopen und können das Symptom sein, das beim ersten Auftreten zum Tod führt.Insofern sollte körperliche Aktivität stark eingeschränkt werden.
Mit meinem Sohn, das ist so eine Geschichte für sich.Damals war ich (gefühlt) noch herzgesund, hatte keine Symptome.Er litt unter resultierenden Synkopen unter Belastung, die teilweise schwerwiegende Verletzungen nach sich zogen: Schädel-Hirn Trauma mit retrograder Amnesie, Knochenbrüche, blutende Wunden...Es vergingen keine 2 Wochen ohne Vorstellung beim Kinderarzt.Für mich als Mutter war das einfach eine furchtbare Zeit.Dann der ganze lange Weg der Diagnostik.Sportbefreiung.Er sollte dann einen Eventrecorder implantiert bekommen, wenn er wieder bewusstlos werden sollte.Dadurch, dass mein Sohn seine körperlichen Aktivitäten einschränkte und im Sportunterricht keine Leistung mehr bringen musste, passierte dann nichts mehr.Die Zeit der Synkopen war vorbei.Die Berufswahl wurde durch diese Geschichte nicht beeinflusst, er studiert Physik und Mathematik, ist ein "Kopfarbeiter".Momentan geht es ihm gut.Einmal im Jahr erfolgen EKG-Kontrolle, Echountersuchung und Ergometrie.Ich hoffe, er bleibt auch weiterhin symptomfrei.Von der Kardiologin weiß ich, dass auch bei diesen genetisch bedingten Erkrankungen die Symptome Schwankungen unterliegen.Es kann durchaus symptomfreie Intervalle geben.Ich habe z.Bsp. auch erst mit 40 Jahren richtig Probleme bekommen.
Nun versuche ich, mein Leben mit allen Einschränkungen so gut es geht zu gestalten.
Wenn ich darüber nachdenke, wie wertvoll das eine Leben ist, das jedem von uns gegeben ist, fällt mir die Entscheidung, welche Risiken ich bewusst eingehe oder nicht, leicht.
Aber wie gesagt, diese Entscheidungen muss jeder für sich selbst treffen.

Liebe Grüße von Anett


Re: Sport - Frustration

Hallo Pinksand,
(Diese Nachricht bezieht sich auf Deine ursprüngliche Nachricht):
Ich kann gut nachvollziehen wie es Dir geht: Auch ich hatte nach der Implantation noch einige Wochen ziemliche Rhythmusstörungen, die mich schon beim Versuch einer zügigen Überquerung einer Strasse plagten. Oder die mich nachts heimsuchten, mit dem Efekt, dass der Herzschlag bei jeder kleinsten Bewegung im Bett voll abzog.

Meine Erfahrung - wie hier auch schon andere geschrieben hatten - Bewusstere Aufnahme von Kalium (da hatte ich einen Mangel) hilft mir enorm.

Was Sport anbelangt: Optimal ist für mich Tanzen: Macht Spass, und wenn man merkt, dass man an irgendwelche Grenzen stösst kann man einfach Pause machen.

Viele liebe Grüsse und alles Gute!


Nein, das Gras ist nicht grüner auf der anderen Seite!

Kammerflimmern inc. PHT und Reanimation im November 2016, AV Block 3. ICD implantiert im Dez 2016

Re: Sport - Frustration

Das mit dem Schämen hat mich gewundert, denn ich habe dich als selbstbewußt und in dir ruhend, und gleichzeitig voller Power, kennengelernt.