Noch keine Entscheidung haben die tschechischen Behörden darüber getroffen, was mit jenen rund 20 Millionen Flaschen Spirituosen geschehen soll, die seit der Verhängung des Verkaufsverbotes in den Lagern von Geschäften und Restaurants unter Verschluss gehalten werden.
Sollte sich die genaue Herkunft des vergifteten Alkohols aber nicht zweifelsfrei feststellen lassen, gehen Experten davon aus, dass der gesamte eingezogene harte Alkohol vernichtet werden muss. Selbst eine stichprobenartige Überprüfung der eingelagerten Produkte käme wohl teurer als ihre Entsorgung, sagte der Vorsitzende des Verbandes tschechischer Spirituosenhersteller, Petr Pavlík, am Montagabend im Tschechischen Rundfunk.
Staat verliert Steuereinnahmen in Millionenhöhe
Auch der tschechische Staat verliert durch das Schnapsverbot Steuereinnahmen in Millionenhöhe.
Nach Angaben von Gesundheitsminister Heger nimmt der tschechische Fiskus durch den Alkoholverkauf pro Jahr rund 16 Milliarden Kronen (653,7 Millionen Euro) an Steuern ein. Das Finanzministerium spricht von einem monatlichen Verlust von umgerechnet rund zehn Millionen Euro alleine aus der Alkoholsteuer.
Tschechien beim Alkoholkonsum im Spitzenfeld
Gesundheitsminister Leo Heger, von Beruf Arzt, Universitätsdozent und vor seinem Einstieg in die Politik langjähriger Leiter einer Universitätsklinik, betont allerdings, dass Tschechien im Ranking von 30 OECD-Staaten zu jenen Ländern mit dem höchsten Pro-Kopf-Konsum von Alkohol gehöre. Sollte das Verkaufsverbot für Spirituosen eine Senkung dieses Alkoholkonsums bewirken, blieben dem tschechischen Gesundheitswesen Folgekosten in Millionenhöhe erspart.
Von den offiziellen Statistiken allerdings nicht erfasst ist der Konsum von illegal gebranntem Alkohol. Der Verband der tschechischen Spirituosenhersteller schätzt den Schwarzmarktanteil von in Tschechien verkauften hochprozentigen Getränken auf bis zu ein Viertel. Experten befürchten durch das Alkoholverbot eine noch weitere Zunahme der illegalen Alkoholproduktion sowie ein Ansteigen der Kofferraumimporte aus Polen und der Slowakei.
Gepanschter Alkohol auch mit echten Steuerbanderolen ?
Bei einer Razzia haben die Behörden im Osten Tschechiens zahlreiche Fässer mit insgesamt 260 Litern gepanschten Alkohols entdeckt, die 20 bis 30 Prozent des hochgiftigen Methanols enthielten.
Als alarmierend bezeichnete Minister Heger die Tatsache, dass Zollbeamte in einer illegalen Schnapsbrennerei in Westböhmen beinahe 100.000 offizielle Steuerbanderolen für Spirituosen beschlagnahmt haben. Die Banderolen seien von einem offiziellen Likörhersteller beim Zoll bezogen worden und dann auf bisher unbekanntem Weg verschwunden, so Heger. Dadurch besteht die Gefahr, dass auch offiziell gekennzeichneter Alkohol womöglich mit dem giftigen Methanol gepanscht wurde.
23. Methanol-Tote
Am Dienstag sind fünf weitere Personen mit Vergiftungserscheinungen in Krankenhäuser gebracht worden.
Laut Gesundheitsministerium werden zurzeit landesweit 35 Personen mit Alkoholvergiftungen behandelt. Die Zahl der bestätigten Todesfälle durch gepanschten Alkohol ist inzwischen auf 23 angestiegen. Das sagte Minister Heger heute Morgen zu Beginn der Beratungen im parlamentarischen Gesundheitsausschuss.
Aufhebung des Alkoholverbotes diskutiert
Hinter den Kulissen verhandelt bereits ein Expertenteam über eine mögliche teilweise Aufhebung des Verkaufsverbotes. Druck machen vor allem das Finanzministerium, das durch die Prohibition täglich Hunderttausende Euro an Steuereinnahmen verliert, sowie die tschechischen Spirituosenhersteller, die massive Verluste beklagen.
Ein mögliches Szenario könnte laut Finanzminister Miroslav Kalousek sein, dass in einigen Tagen neu produzierte Spirituosen von lizenzierten Herstellern wieder verkauft werden dürfen. Diese Spirituosen sollen speziell gekennzeichnet werden. Zuvor will das für die Lebensmittelaufsicht zuständige Landwirtschaftsministerium allerdings strengere Kontrollprozeduren für die Schnapsbrennereien einführen.
Die rund 20 Millionen Flaschen harter alkoholischer Getränke, die seit dem vergangenen Freitag von Geschäftsinhabern und Restaurantbetreibern unter Verschluss gehalten werden müssen, sollen bis auf weiteres eingelagert bleiben. Unklar ist zurzeit, was weiter mit diesen vor dem Ausbruch der Alkoholkrise produzierten Getränken geschehen soll. Nach Meinung des Gesundheitsministeriums sollen sie nur gegen einen eindeutigen Herkunftsnachweis - etwa durch Rechnungen oder Lieferscheine - wieder in den Verkauf gelangen.
Wachsende Kritik an tschechischen Behörden
Inzwischen wächst die Kritik an den tschechischen Behörden.
Die lokalen Spirituosenhersteller werfen den zuständigen Ministerien vor, jahrelang viel zu wenig gegen die illegale Herstellung von Spirituosen unternommen zu haben. Den Schwarzmarktanteil bei gebrannten Getränken beziffert der Herstellerverband auf bis zu ein Viertel.
Die Nachbarländer zeigen sich wiederum erstaunt darüber, dass Tschechien zwar im eigenen Land den Verkauf von Spirituosen untersagt hat, der Export von hochprozentigem Alkohol aber erlaubt bleibt. Polen und die Slowakei sowie Litauen haben deshalb die Einfuhr und den Verkauf von tschechischen Spirituosen verboten. In Deutschland warnt das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit vor tschechischem Alkohol ohne Herkunftsnachweis. In Bayern kontrolliert der Zoll verstärkt Alkoholimporte.
EU fordert Exportverbot für tschechischen Schnaps
Die Europäische Kommission hat wegen des Vergiftungsskandals durch gepanschten Alkohol Tschechien aufgefordert, jeglichen Export hochprozentiger Getränke in andere EU-Länder zu stoppen.
Andernfalls werde die EU eigene vergleichbare Maßnahmen ergreifen, hieß es. Verbraucherschutzkommissar John Dali hat dies bereits dem tschechischen Gesundheitsminister Leo Heger mitgeteilt.
In Polen und der Slowakei besteht nach Todesfällen durch den Genuss von Schnaps aus dem Nachbarland bereits ein Importverbot von Hochprozentigem aus Tschechien.
Tschechen kaufen Schnaps in Sachsen
Das strikte Verkaufsverbot für Spirituosen mit mehr als 20 Prozent Alkohol treibt viele Tschechen zum Einkauf über die Grenze nach Sachsen.
In der Grenzregion würden die Händler deutlich mehr Spirituosen verkaufen, seit die tschechischen Läden den Alkohol aus den Regalen genommen haben, sagte der Geschäftsführer beim Handelsverband Sachsen, René Glaser. Die Steigerung sei zwar nicht exorbitant, aber spürbar, so Glaser.
Alkoholverbot wird gelockert
Das Verkaufsverbot für hochprozentigen Alkohol in Tschechien wird bis Ende nächster Woche teilweise aufgehoben. Das Regierungskabinett in Prag billigte diesen Plan in der Nacht auf Donnerstag.
Alle Schnaps-Exporte gestoppt
Tschechien hat alle Exporte von hochprozentigem Alkohol gestoppt. Das beschloss die Regierung heute in Prag auf einer Sondersitzung. Gesundheitsminister Leos Heger verkündete die Notmaßnahme mit sofortiger Wirkung.