Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen
Re: SUBs...oder was lest Ihr derzeit?
Nachdem ich nun Meister Atami beendet hatte, der mir ein wenig zu sehr ein flacher asiatischer Harry Potter war, habe ich nun mit Philip José Farmers Die Liebenden begonnen, für den er 1952 den HUGO-Award bekam.
Obwohl ich erst bei Kapitel 5 bin, muss ich doch sagen, wie sehr mich bereits die detailreiche Tiefe und Relevanz der Geschichte begeistert. Die Novelle führt uns ins Jahr 3050 auf eine übervölkerte Erde, in der sich mehr oder minder totalitäre Regimes feindlich gegenüberstehen. Der Held lebt in den ehemaligen USA, die seit 300 Jahren von einem klerikal-faschistischen System beherrscht werden, dass eine Mischung aus den Taliban und Orwells Big Brother darstellt. Jedes noch so private Tun ist strikt reglementiert und jeder denunziert jeden, um den Segen des Propheten und seiner Kleriker zu bekommen. Der Protagonist wird als einer der ersten auserwählt, Kontakt zu einer ausserirdischen Zivilisation aufzunehmen, wobei er sich in eines der Aliens verliebt und sich damit mehr und mehr zum Ketzer macht.
Farmers Welt strotzt von das System spiegelnden klerikalen Neologismen und erinnert dabei ein wenig an Herberts Dune. Darüber hinaus steht die Novelle in der Tradition hervorragender Dystopien, wie Bradburys Fahrenheit 451, Orwells 1984 oder
Re: SUBs...oder was lest Ihr derzeit?
Hallo Seblon,
"Nachdem ich nun Meister Atami beendet hatte, der mir ein wenig zu sehr ein flacher asiatischer Harry Potter war [...]" Das ist ja Schade - damit sinkt meine Bereitschaft mich mit der Oriental Fantasy weiter zu beschäftigen wieder etwas...
"Bei der Lektüre solcher Romane merke ich doch immer, wie sehr ich die kritische Intellektualität der Science Fiction bei 99% der Romane vermisse, die unter dem Label "Fantasy" erscheinen. Ich frage mich tatsächlich, warum es so wenige Fantasy-Romane zu geben scheint, die eine ähnliche gesellschaftlich relevante Reflexion der Welt betreiben Muss "Fantasy" fast zwangsläufig Eskapismus bedeuten?"
Hui, starkes Stück. Ich glaube, eine Entgegnung muss sehr differenziert ausfallen, soll sie dem Phänomen gerecht werden; mal sehen.
Zunächst würde ich dir insofern zustimmen, als dass auch ich meine, dass in Deutschland unter "Fantasy" klar weniger gesellschaftliche Reflexionen veröffentlicht werden, als unter "SF". Nun würde ich der SF per se (SF maximalistisch begriffen: Alles mit wissenschaftlich erklärten Wundern) aber diese Qualität nicht zuschreiben - "Battle Tech", wahllos als Beispiel herausgegriffen, scheint mir nicht so geartet zu sein. Und ob wirklich sooo wenig Fantasy keine gesellschaftlichen Reflexionen betreibt, weiß ich auch nicht so genau. Terry Pratchett z.B. greift in beinahe jedem seiner Scheibenwelt-Romane ein solches Thema auf, auch wenn es nicht immer leicht als solches zu erkennen ist.
Der große Bonus ist wohl die Utopie, die heutzutage ja kaum mehr aus der SF wegzudenken ist, imho da aber eigentlich nicht hingehört - die drei großen phantastischen Genres sind meiner Ansicht nach die Utopie (gesellschaftliches Wunder), SF (wissenschaftliches Wunder) und die Fantasy (magisches Wunder). Ursprünglich war die Utopie einfach nur ein Nicht-Ort, i.e. ein Ort jenseits der Grenze der bekannten Welt - und die war im antiken Griechenland noch relativ schnell erreicht. Im Ausgehenden 19 Jh. gab es noch einige Fantasy-Utopien - "Hinter dem Nordwind" von George MacDonald kommt mir da in den Sinn. Die Antwort auf die Frage, warum in der Folgezeit die Utopie sich in der SF einbettete, ist meiner Meinung nach weitgehend identisch auf deine Frage, warum so viel Fantasy eskapistisch sei.
Im 20. Jh. wurde der Fortschrittsgedanke immer stärker (in der wissenschaftlich-westlichen Wertegemeinschaft; in Afrika, Arabien, ja schon in Südamerika sah und sieht das anders aus). Das Erfinden von magischen Welten kann nach dem sehr einflussreichen Max Weber nur noch als bedauerlicher Ausdruck der Schwächlinge, die sich im stahlharten Gehäuse der modernen Welt nicht mehr zurechtfinden, gedeutet werden. Wer Fantasy schreibt/liest, erträgt die entzauberte Moderne nicht. (Als postmoderner Ethnologe kann man das natürlich nur für Nonsense halten.) Von der Fantasy wurde eine einfache, pastorale, reaktionäre Welt erwartet, in der Gut & Böse noch klar zuerkennen ist, und es Helden gibt, die am Ende die (entzaubernden) Bösewichte besiegen - Clute bemerkt in seiner Encyclopadia of Fantasy, dass das "Thinning", das Schwinden der Magie aus der Welt, ein zentrales Thema der Fantasy sei. Kein Zufall, möchte ich meinen. Dieses ist keine inhärente Qualität der Fantasy, aber es wird von Vielen, von Fans wie Feinden, von der Fantasy erwartet. Und solche Traditionen setzen sich fest: Tolkien gehörte wohl noch zu den besseren der Autoren, die sich dieser Tendenzen bedienten, aber viele, die ihm nacheiferten, führten die Fantasy endgültig in diese Richtung. (BTW: Rassismus ist nur noch in der Fantasy und der SF möglich: Wo sonst wäre noch ein Endsieg, bei dem die Helden den Gegner total auslöschen, bis zum letzten Ork/Alien, möglich?) Fans erwarten Helden und epische Schlachten von der Fantasy, die Verleger glauben, dass Fans dieses am ehesten kaufen werden, und Autoren werden die entsprechende Schere schon im Kopf haben. Literaturpäpste &-päpstinnen, halten dann Alice Sebolds "Lovely Bones" zwar für ein gutes Buch, aber nicht für Fantasy - den diese ist mit Helden, die epische Schlachten schlagen.
Ich meine ja, dass sich nicht zuletzt durch Autoren wie China Miéville, Jeff VanderMeer, Terry Pratchett, Ursula Le Guin, Michael Moorcock u.a. dieses ändert. Eigenartigerweise findet sich im Deutschen mehr gesellschaftlich Reflektierendes in Rahmen der Kinder/Jugendbücher - anscheinend kann man dort eher den 'moralischen Zeigefinger', als den solches Reflexionen häufig verstanden werden, erheben. Doch generell gilt: Im deutschen Sprachraum sind derartige Themata in der Fantasy eher unerwünscht, man findet sie dann eher in der 'Hochliteratur' (wie Matt Ruff: "Fool on the Hill" oder William Goldman: "Die Brautprinzessin") und nur selten verirrt sich ein solches Buch in die Sparte "Fantasy" der großen Verlage.
Meine 42 Cent, wenn auch deutlich vereinfacht - z.B. die SF-Seite fehlt.
Theophagos
BTW: Kennst du eigentlich von Maureen F. MacHugh "ABC Zhang"? Könnte dich interessieren.
Re: SUBs...oder was lest Ihr derzeit?
Vielen Dank für Deine interessanten Ausführungen.
Tatsächlich habe ich die Utopie bzw. ihre dunkle Schwester der Endzeit, die Dystopie, als sehr eindeutig immer nur der SF zugerechnet. Fantasy-Utopien sind mir bisher nicht begegnet. Danke für den Hinweis auf den Roman von MacDonald.
Ich frage mich tatsächlich, ob sich die SF durch ihr längeres Bestehen als literarisches Genre in soweit freigeschwommen hat, dass sie Autoren hervorgebracht hat, wie z.B. Philip K. Dick, Ray Bradbury, Robert Sheckley oder eben auch Philipp José Farmer etc. die detailverliebte, gesellschaftskritische Phantastik mit literarischen Anspruch zu vereinen wussten. Natürlich gibt es die BATTLE-TECH-Leser, aber ich halte sie für eine eher kleine Gruppe innerhalb des SF-Fandoms.
Im Bereich der Fantasy ist Tolkien ein übermächtiger Schatten, der sowohl die Leserschaft, wie auch die Verlage in einer sehr engen Schublade gesteckt hat, aus der sie sich seit 50 Jahren kaum befreien konnten. Leider verkaufen sich die flachsten Tolkien-Plagiate immer noch sehr viel besser als jeder Autor, der versucht, in der Fantasy andere und neue Wege zu beschreiten. Weil dies so ist, wirkt der Fantasy-Markt sehr homogen flach. Dazu passt eben auch, dass Miéville zum Beispiel in Deutschland immer nur ein Geheimtipp ist und bei jedem seiner neuen Romane die Gefahr besteht, dass dieser nicht mehr in einer deutschen Übersetzung erscheint, weil z.B. Bastei Luebbe lieber den 100. Tolkien-Verschnitt veröffentlicht, der sehr erfolgreich ist, als einen Roman, der den vielleicht eher konservativen Fantasy-Lesern in seiner Originalität zu prätentiös ist und der dann wie Blei in den Regalen liegen bleibt.
Während ich bei der SF so etwas wie eine gesunde, dynamische Evolution wahrnehme, erscheint mir das Fantasy-Genre doch eher statisch und unbeweglich. Aber vielleicht kommt man auch über diesen Gedankengang dem Phänomen näher. Während die Sehnsucht nach Wundern, Göttern, Magie und Traditionen der Fantasy immanent erscheint, ist gerade die Veränderung bzw. die Evolution (technisch und gesellschaftlich) die Essenz der SF. Während die Fantasy von der Hoffnung auf ein Zurück lebt, fordert die SF mit lauter Stimme ein "Vorwärts".
Bleibt also zum Schluss der Eindruck, dass der herkömmliche Fantasy-Leser ein konservativer Traditionalist ist, der sich eben gegen jede Veränderung stemmt?
Es grüßt
Actibus aut verbis noli tu adsuescere pravis.
Re: SUBs...oder was lest Ihr derzeit?
Ich weiß nicht. Der pessimistischen Sicht auf den deustchen SF/Fantasy/Phantastik-Markt stimme ich ja gern mal zu. Ich denke aber, daß es deshalb nicht gerade superwenig anspruchsvolle/kritische Phantastik-Leser bei uns gibt.
Deren schwache Stimme auf dem deutschsprachigen Markt erklär ich mir so: die anspruchsvollen Leser sind zu einem Gutteil auch solche Leser, die es nicht nötig haben sich gutes Zeug vermitteln zu lassen. Sprich: wer sich halbwegs mit Genre-Zeug auskennt, orientiert sich nach USA oder England und liest Originalausgaben.
Da diese Leser also bereits mit O-Ausgaben bedient sind, fallen ungewöhnlichere/kritischere Sachen bei uns durchs Rost (kleinerer Markt usw). Übrig bleibt die Ware von der Stangem, die ja auch entsprechend gut geht. Da ich selber als Teen ziemlich maues Zeug verschlungen hab, seh ich das aber geslassen. Ich baue darauf, dass die jungen Leser von heute sich geschmacklich noch entwickeln und also z.B. ihre Klassiker und gehaltvollen Werke entdecken wird.
Grüße Alex / molo
Re: SUBs...oder was lest Ihr derzeit?
"Bleibt also zum Schluss der Eindruck, dass der herkömmliche Fantasy-Leser ein konservativer Traditionalist ist, der sich eben gegen jede Veränderung stemmt?"
Jain. Er trägt eine gewisse Erwartung an Fantasy-Geschichten heran und mag es nicht, wenn all zu sehr davon abgewichen wird. Aber die meisten Menschen sind recht kompliziert: In anderen Belangen kann er wieder viel fortschrittlicher sein - vielleicht erwartet er von der Fantasy muskelbepackte Schwertschwinger und von der SF gesellschaftskritischen Cyberpunk; je nach Stimmung kann er beides goutieren.* Außerdem glaube ich, dass die meisten Leser zu jung und unerfahren sind, um ernsthaft konservativ zu sein; die Fähigkeit - und der Wunsch - Romane reflektierend und nicht bloß konsumierend zu betrachten muss erst geweckt werden. Wie Alex hoffe ich, dass eine Reihe von ihnen erkennt, dass Fantasy mehr kann, als Drachen in Großaufnahme abzuschlachten. Aber ich denke, dass sich in letzer Zeit einiges getan hat und sich noch mehr tun wird; von der "Contemporary Fantasy" und der "Urban Fantasy" erwarte ich noch einiges und ich hoffe, dass weiterhin Weird-Fiction und Science Fantasy darüber hinaus geschrieben wird.
Theophagos
*Edit - kleiner Nachtrag: Vielleicht macht ein Vergleich mit der Horror-Lektüre deutlich, worauf ich hinaus will. Ich lese gerne Horror-Geschichten. Von einer guten Horror-Geschichte erwarte ich, dass ich mich ängstige. Heißt das, dass ich am liebsten im Bürgerkrieg leben wollte - dann hätte ich guten Grund, mich stets zu ängstigen? Nein, keineswegs, ich paktiere in den meisten Diskussionen mit Pazifisten. Aber manchmal ängstige ich mich gerne. Bloß weil man etwas von einer Geschichte erwartet, heißt das nicht, dass man dasselbe vom Leben erwartet; aber: Es heißt, dass man hin und wieder derartiges gut heißt.
Re: SUBs...oder was lest Ihr derzeit?
Zitat: Seblon Ich frage mich tatsächlich, ob sich die SF durch ihr längeres Bestehen als literarisches Genre"Literarisches" Schreiben macht sich in erster Linie an der Sprache fest, nicht an "anspruchsvollen" Inhalten. Und dabei fällt mir auf, dass ich die heute weithin populäre Forderung nach "Inhalt vor Form" vor allem in der SF kennen gelernt habe. Selbst viele der "inhaltlich anspruchsvollen" SF-Autoren sind sprachlich eher anspruchslos - mit ein Grund, warum die SF aus Sicht der Literaturwissenschaftler immer wenig Beachtung gefunden hat. Diesem Diktum hat sich die Fantasy sehr viel weniger unterworfen, und da ist es meist so, dass, sobald man die anspruchsvolleren Werke betrachtet, die Sprache zumindest ebenso gepflegt wird wie der Inhalt. Insofern würde ich durchaus sagen, dass die Fantasy eher das "literarischere" Genre ist - und weitaus weniger unter dem Problem zu leiden hat, das Andreas Eschbach mal sinngemäß auf einer Buchmesse für die SF genannt hat: Wenn etwas gut ist und eindeutig Literatur, sagen die Literaten gleich, dass es keine SF mehr sein kann. Zitat: Seblon Während die Sehnsucht nach Wundern, Göttern, Magie und Traditionen der Fantasy immanent erscheint, ist gerade die Veränderung bzw. die Evolution (technisch und gesellschaftlich) die Essenz der SF.Auch mit solchen Urteilen muss man vorsichtig sein. Viele Fantasy-Werke haben durchaus sehr vielschichtige Inhalte und aktuell relevante "Botschaften". Aber während diese in der SF gerne an der Oberfläche erzählt werden, also die "Vision" zugleich auch die Geschichte ist, arbeitet man in der Fantasy sehr viel mehr mit dem Subtext. Die erzählte Geschichte, die Handlung, ist also nur der Hintergrund, vor dem der Autor dann seine unterschwelligen Botschaften platziert. In dieser Hinsicht ist die Fantasy also auch die "intellektuellere" Literaturform Das Problem ist dabei nur, dass je nach Zielgruppe vermutlich 90% der Leser diese Inhalte gar nicht wahrnehmen, und 99% nicht bewusst. Aber gerade diesen Prozentsatz, der die Botschaften unbewusst als emotionalisierte Aussage aufnimmt, erreicht man dafür sehr viel besser, als die SF es mit ihren meist leicht durchschaubaren Botschaften kann. Ich persönlich würde daher als Autor immer lieber mit dem Subtext arbeiten, als im Buch deutlich zu machen, dass ich eine Botschaft habe - was ja oft genug auch als "moralischer Zeigefinger" erst zum Widerspruch einlädt. Und ich vergesse auch nicht, dass es ein Fantasy-Werk war, aufgrund dessen ich zum ersten und einzigen Mal eine "politische" Einstellung um 180 Grad geändert habe. Diese Wirkung hat noch kein SF-Roman bei mir erzielt, obwohl ich in der SF bei der Lektüre schon oft das Gefühl hatte, dass der Autor genau das bei mir gerne erreicht hätte Die Fantasy platziert also ihre relevanten Botschaften unterschwelliger als die SF, und im Gegensatz zur SF betreffen diese Botschaften zumeist keine komplexen, gesellschaftlichen Szenarien, sondern Fragen der allgemeinen menschlichen Lebensführung - also eher die Ethik als die Politik. Und auch das hat seinen Grund, denn die Fantasy hat durchaus keine so kurze Geschichte, sondern literaturhistorische Vorbilder, von denen sie vieles übernommen hat. Tolkien beispielsweise hat den Herrn der Ringe als "Mythos für England" konzipiert und sich ganz bewusst an den Bauformen von Sagen und frühen epischen Schriften orientiert. Im Vergleich mit diesen Vorbildern ist die Fantasy natürlich "künstlich", weil sie die vordergründige Handlung einem anderen Zeitalter entnimmt. Aber ähnlich wie bei Mythen und Legenden dient auch in der Fantasy dieses vordergründige Setting nur als "vereinfachtes Modell", in dem sich ein Wertekanon tradieren und vermitteln lässt. Und diese Werte sind durchaus oft genug deutlich moderner als das Setting der Geschichte, die im Vordergrund erzählt wird. Das merkt man recht schnell, wenn man moderne Fantasy und ihre Botschaften mit tatsächlichen mittelalterlichen Sagen vergleicht.
Nun gibt es in der Fantasy natürlich jede Menge Werke, die gar nichts enthalten: Weder eine ausgefeilte Sprache, noch einen Subtext. Charakterlose Kopien der Oberflächenmerkmale des Genres ... Nun gut, aber die gibt es in der SF auch. Ich glaube nicht, dass sich beide Genres in dieser Hinsicht viel geben. Aber im Gegensatz zur SF sind gerade die besseren Werke der Fantasy selten welche, die den Leser an der Hand nehmen und ihm genau zeigen, was er sehen soll. Ich persönlich finde das eigentlich besser so - und umso bedauerlicher, dass gerade der deutsche Markt sich zumeist auf die Oberflächenkopien beschränkt und man für "richtige" Fantasy tatsächlich meist auf englische Autoren angewiesen ist. Dabei vertrete ich persönlich die Ansicht, dass man auch für den reinen "U-Bereich" der Fantasy nicht auf diese Vielschichtigkeit verzichten muss, gerade weil die Fantasy unterschwellig arbeitet und niemand einen Autor daran hindert, mehr reinzupacken, als der Leser eigentlich haben will, und das dann so zu verpacken, dass es auch beim oberflächlichen Lesen zumindest nicht stört.
Re: SUBs...oder was lest Ihr derzeit?
Zitat: molosovsky Sprich: wer sich halbwegs mit Genre-Zeug auskennt, orientiert sich nach USA oder England und liest Originalausgaben.Das Lesen von Originalausgabe spielt insgesamt sicher eine kleine Rolle. Allerdings ist es schon wahrscheinlich, dass in der Gruppe der "anspruchvollen Leser" auch überproportional häufig Leute zu finden sind, die auch zum Original greifen (können). Und da die Zielgruppe insgesamt deutlich kleiner ist, schlägt dieser Schwund dann auch etwas stärker zu Buche. Insgesamt aber trotzdem eher eine Erscheinung, die an den Rändern des deutschen Marktes knabbert und nicht für das Kernproblem verantwortlich ist. Zitat: molosovsky kleinerer Markt uswFrüher dachte ich auch, dass die höheren Auflagen englischer Bücher in erster Linie darauf zurückzuführen sind, dass es nun mal deutlich mehr englischsprachige Leser gibt als deutsche. Leider musste ich mich dann schon während meiner ersten Unterhaltungen bei Lübbe belehren lassen, dass in England allein Fantasy, zumal anspruchsvolle, schon die 10-fachen Auflagen erzielt wie hier in Deutschland. Und England ist insgesamt auch kein größerer Markt als Deutschland. Es ist also nicht nur ein Masseproblem, sondern schon Ausdruck einer ganz anderen Marktstruktur hier in Deutschland. Zitat: molosovsky Ich baue darauf, dass die jungen Leser von heute sich geschmacklich noch entwickelnEs lässt sich tatsächlich bestätigen, dass die Leser der "Stangenware" im Durchschnitt eher jüngeren Datums sind, und dass mit steigendem Alter auch die Zahl anspruchsvollerer Leser steigt. Leider sinkt der Lesekonsum insgesamt in den höheren Altersgruppen, so dass man davon ausgehen kann, dass nur ein kleiner Teil der jetzigen "Jugend" später auch anderes kauft. Aber insgesamt hoffe ich trotzdem auf einen langfristigen Strukturwandel in Deutschland. Für irgendwas muss die Harry-Potter-Manie ja gut sein
Re: SUBs...oder was lest Ihr derzeit?
Obwohl ich mein mündliches Abi im Fach Englisch mit einer 1 abgeschlossen habe, muss ich doch gestehen, dass man die englischen Originalausgaben, die ich gelesen habe, an zwei Händen abzählen kann. Ich hasse es, wenn ich aufgrund mir unbekannter Vokabeln aus dem Lesefluss gerissen werde und irgendetwas nachschlagen muss, während der Held gerade in einer spannenden Situation steckt. Das ist mir dann doch zu sehr Stream of VERY Consciousness. Ich denke mal, so geht es vielen Lesern.
Was die Sehnsucht vieler Fantasy-Fans nach bekannten und traditionellen Klischees angeht, habe ich vor kurzem eine ähnliche Diskussion in verschiedenen CRPG-Foren gehabt. Dort habe ich auch meinen Unmut darüber geäußert, dass in 95% aller erscheinenden CRPG's Elfen, Zwerge, Orks, Drachen etc. im Mittelaltersetting auftauchen und ich mich frage, wann auch der letzte CRPG-Fan mal etwas neues und originelles sehen möchte.
Für diese Ketzerei wurde ich teilweise in der Luft zerrissen.
Es grüßt
Actibus aut verbis noli tu adsuescere pravis.
Re: SUBs...oder was lest Ihr derzeit?
Zitat: Seblon Dort habe ich auch meinen Unmut darüber geäußert, dass in 95% aller erscheinenden CRPG's Elfen, Zwerge, Orks, Drachen etc. im Mittelaltersetting auftauchen und ich mich frage, wann auch der letzte CRPG-Fan mal etwas neues und originelles sehen möchte.Zum einen muss ich mich als Historiker immer ärgern, wenn bei Fantasy von einem "Mittelaltersetting" gesprochen wird, weil für mich das Mittelalter doch etwas sehr Spezifisches ist und nicht jedes archaische Setting gleich mittelalterlich. Und die Settings, die mittelalterlich sind, orientieren sich eher an den Mittelalterbildern der Romantik als am Mittelalter an sich. Ein richtiges mittelalterliches Setting hat also durchaus noch Innovationskraft
Zum anderen erinnere ich mich gerne an meine Fantasy-Blütezeit in den 80ern. Gegen Ende kamen die Verlage offenbar auch zu dem Schluss, dass die üblichen Settings zu abgegriffen waren, und man fand (tatsächlich) immer seltener HdR-Klone und immer öfter Bücher, die "alles neu" machen wollten. Leider erschöpfte sich dieses "neue" zumeist auf immer exotischere Welten, zu denen man keinen Zugang fand, und immer ausgefallenere und größere Monster. Daraufhin war die Fantasy 10 Jahre lang für den deutschen Buchmarkt tot, und meines Empfindes nach war es ein verdienter Tod. Meine Lehre daraus ist: Lieber gut kopiert als schlecht selbst gemacht. Wenn ein Autor kein mitreißendes Setting konzipieren kann, soll er es lieber bleiben lassen und sich auf altbewährtes stützen. Denn man sollte nicht vergessen, dass das Setting nicht alles ist: Eine gute Geschichte kann davon unabhängig erzählt werden, und wenn die Geschichte gut ist, dann wirkt sie vor einem altbekannten Setting immer noch besser als vor einem missglücktem. Innovation ist ja schön und gut, aber nicht, wenn man krampfhaft und aus Selbstzweck danach suchen muss.
Auch klassische Settings haben durchaus noch ihre Berechtigung. Sie sind dem Leser vertraut, und er findet rasch hinein - und das bedeutet auch, wenn ein Autor noch wirklich etwas neues zu erzählen hat, kann er bei einem so altvertrautem Setting den Blick der Leser rascher aufs Wesentliche lenken. Und wer das "Mittelaltersetting" nimmt und in entscheidenden Punkten davon abweicht, findet für diese Dinge, die anders sind, auch mehr Aufmerksamkeit als ein Autor, der alles ohne Sinn und Verstand neu machen will und bei dem dann die wichtigen Innovationen in dem Wust untergehen. Ich würde also nicht sagen, dass das "klassische" Setting vermieden werden muss. Viele Geschichten können damit sogar besser erzählt werden. Und gerade dann, wenn der Autor außer Action und farbenfrohen Fantasien noch mehr zu bieten hat, beispielsweise auch kritische und gesellschaftliche Aussagen, dann kann er die in vertrautem Rahmen oft besser herausarbeiten, als wenn er sie mit "Farbe" zuklatscht. Das Problem sind also weniger "Mittelaltersettings" oder gebräuchliche Versatzstücke wie "Elfen, Orks und Zwerge". Immerhin kommen in den meisten Romanen auch Menschen vor, ohne dass das abgegriffen wirkt Das Problem ist, wenn diese Romane keine starke Geschichte mehr zu erzählen haben, wenn außer den üblichen Klischees in den Büchern nichts passiert, wenn "Elfen, Orks und Zwerge" ziellos durch die Bücher stapfen und keinen dramturgischen Nutzen mehr haben. Ich denke also, die Fantasy sollte sich eher auf das Stück konzentrieren und nicht so sehr auf die Kulisse. Und natürlich auf die Sprache ... aber das ist natürlich ein ganz anderes Thema, weil mein Missfallen da nicht fantasyspezifisch ist, sondern ein Grunsätzliches.
Re: SUBs...oder was lest Ihr derzeit?
Ganz kurz nur: Allgemein Werke und vor allem solche der Phantastik von abgegriffen über innovativ bis überkandidelt zu beurteilen ist ja ziemlch heikel, weil man schließlich nur vor dem Hintergrund des bisher Gelesenen urteilen kann. Auf diesem Umstand, besteht meine Ambition nicht zum Phantastikfachdeppen zu verkommen.
Auch wenn ich mir in letzter Zeit so eine Anti-Mittelalter-Attitüde zu eigen mache, hab ich prinzipiell nichts gegen Mittelalter als Handlungsrahmen. Allzubekannter Fundus (Elfen, Zwerge, Feudalismus, ungebrochener Heroismus) nervt mich schon eher, ist aber auch kein zwingender Minuspunktegrund. Allegemeinere Ausnahmen sind bei mir (i) satirische Schreibweisen (mein neuster Fund: Duves »Entführte Prinzessin«) oder (ii) knalliges/hardcorigeres Zeug. Besondere Ausnehme der letzten Zeit: Lukianenkos Wächterreihe z.B. fährt sowohl Altbekanntes en masse auf, als auch ziemlich unverblümt adaptierte RPG-/ Konsolenspiel-Denke/Begriffe, und funktioniert dennoch hervorragend bei mir. Dank seiner kommentierenden Zeitgenossenschaft liefert Lukianenko etwas, was bei Fantasy eher selten vorkömmt: die Wächter-Bucher funktionieren ganz vorzüglich als Popromane.
Wie Lomax schon sagt, gibts Mittelalter und Mittelalter. Da kann man nach der Pirates of Caribean-Regel gehen: sind die Zähne alle blitzeweiß, ists total Fantasy, hats grauslig verfallene Gebisse, ist das ganze schon näher an der Wirklichkeit von Einst. Sprich: für mich wirkt z.B. jede Monthy Python-Vergangenheit trotz ihrer krassen Klabautik um einiges authentischer als solche romances wie »A Knights Tale« (den ich übrigens damit nicht als schlechten Film abtun will). Andererseits, wenn ich wie heut im Radio höre, daß Sting jetzt so Lieder von einem Mittelalterbarden singt, denk ich eh, es ist Hopfen und Malz verlohren (Sting singt Dowland, und der war ein Renaissance-Engländer). Diese ganze historische Settings-Kiste bringt mich immer dazu, allen die nach PHANTASTIK dürsten zu empfehlen sich auf dem Feld des historischen Romans umzutun: sowas wie Thornton Wilders »Iden des März«, »Q« von Luther Blissett, der große Eco, oder die drei bisherigen Romane von Lawrence Norfolk, oder auch hemdsärmeligere historische Romane wie die von Haefs, Robert Harris oder Glenn David Gold zünden bei mir als Phantastikraketen um einiges besser, als Fantasy-Welten, die außer verklärten Gipsabdrücken historischer Szenerien nix groß bieten.