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Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen

Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen

Zitat: Seblon
Mein Problem mit diesen Werken ist, dass sie den Markt beherrschen und es dadurch für anspruchsvollere Autoren, die neue Wege beschreiten wollen schwer ist, überhaupt einen Verlag zu finden.Da würde ich Ursache und Wirkung eher andersrum sehen ...
Zitat: Seblon
Ein Autor, der einen phantastischen Roman schreibt, bei dem er das klassische Fantasy-Mittelalter mit den klassischen Fantasy-Archetypen und Klischees benutzt, muss mir als Leser sehr deutlich machen, warum er gerade diese für meinen Geschmack ausgebluteten Versatzstücke nutzt, um eine Geschichte zu erzählen. Nur passiert dies zu 90% eben nicht. Zurück bleibt meist ein triviales kommerzielles Produkt, dass weder mehr kann oder im schlimmsten Fall mehr will, als Popcorn-Literatur für jugendliche Leser zu sein.Das ist wohl so. Aber es muss nicht in jedem Einzelfall so sein.
Als Beispiel dafür habe ich ja Geraldine Harris angeführt: Da habe ich tatsächlich erst mal den viertel Zyklus lesen müssen, um zu erkennen, dass diese Geschichte anders ist - man sieht es also nicht, wenn man nur auf die gängigen Marker schaut. Und der Grund, warum ich dieses Buch so lange nicht angerührt habe, war derjenige, dass vorher einige maßgebliche Leute aus meinem Bekanntenkreis über die "klischeehafte Story" gelästert haben - und später, als ich mich bei ihnen über den schlechten Rat beschwert habe, zugeben mussten, dass sie das Buch gar nicht gelesen haben, sondern nur nach dem Klappentext beurteilt.
Diese persönliche Erfahrung mag auch ein Grund sein, warum mich jetzt im Brustton der Überzeugung vorgetragene Wertungen stören, die sich nur auf eine Handvoll Äußerlichkeiten stützen.
Zitat: Seblon
Ich halte es nur für problematisch, dass gerade diese Autoren enorm erfolgreich sind und damit das Genre für Phantastik-ferne Literaturfreunde ein zu tiefst triviales und eskapistisches Stigma geben.Ich möchte das Argument gerne andersrum wieder ins Rennen schicken: Gerade weil es zu viele Leute gibt, die das Phantastik-Genre nur nach Äußerlichkeiten beurteilen - und zwar sowohl innerhalb wie außerhalb des Genres - gibt es in dem Genre kaum eine Selektion nach "innerer" Qualität, sondern nur durch den Markt. Und das ist im Zweifel der kleinste gemeinsame Nenner.

Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen

>> Seblon:
>> Mein Problem mit diesen Werken ist, dass sie den Markt beherrschen
>> und es dadurch für anspruchsvollere Autoren, die neue Wege
>> beschreiten wollen schwer ist, überhaupt einen Verlag zu finden.
> Lomax:
> Da würde ich Ursache und Wirkung eher andersrum sehen ...
Ich würd sagen, daß es ein sich gegenseitig hochschaukelnder
Teufelskreis ist, der sich irgendwann mit Übersättigung und
gegenseitiger Rohrverstopfung von selbst erledigt.
Grüße
Alex / molo

Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen

Zitat: molosovsky
Ich würd sagen, daß es ein sich gegenseitig hochschaukelnder
Teufelskreis ist, der sich irgendwann mit Übersättigung und
gegenseitiger Rohrverstopfung von selbst erledigt.Wie schon damals, Ende der 80er? Das mag sein, aber ich wünsche es mir nicht. Denn die damalige Erfahrung lehrt, dass das keinesfalls Raum für "bessere" Werke schafft, sondern das komplette Genre danach in den Buchhandlungen als Kassengift gilt und auch viele von den anspruchsvolleren Autoren rausfliegen, die derzeit zur Imagepflege in den Verlagen "querfinanziert" werden.

Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen

>> molosovsky:
>> Resummee: nein, nicht das Setting an sich
>> bestimmt die Qualität, sondern eben die Inszenierung und
>> Instrumentalisierung des Settings
> Lomax:
> Mach aus dem "bestimmt" ein "bestimmt mit" oder "hat Einfluss auf",
> und ich stimme zu Und damit wäre man dann wieder vom
> Betrachten der Äußerlichkeiten zum Betrachten von Abhängigkeiten
> gekommen - denn "Inszenierung" und "Instrumentalisierung" ist ja eine
> Antwort auf die Frage "wie", nicht mehr auf die Frage "was". Und genau
> dafür habe ich plädiert.
Ich WUSSTE, dass wir nicht weit auseinander liegen bei dieser Frage.
Mir ist schon aufgefallen, daß Du keiner bist, der sich schnell mal von
diese Oberflächen-Ebene blenden läßt. Den Ergänzungen meiner
Formulierung kann ich nur zustimmen.

Was den Begriffsdschungel angeht, versuch ich je nach Situation
anzupassen, auch wenn ich ein Maximalist bin.

> Ich persönlich bemühe mich, den Begriff "kontrafaktische Literatur" zu
> verbreiten, den ich in der "Cities"-Anthologie kennen gelernt habe und
> als Oberbegriff sehr sympathisch fand.
Auch wenn man eine griechische Vokabel lernen muß, ist ›Uchronie‹ doch
um einiges handlicher, denn ›kontrafaktische Literatur‹. Bzw. wenn Du
eben nicht auf Alternativweltgeschichten spezialisiert bist, ist Dein
Ettikett ganz schon mißverständlich.

Ohje. Schon wieder mitm Einspruch aufgehört.
(Mir hat man heut nen Zahn rausgesäbelt. Ich bin also etwas
weinerlich-unleidlich).
Grüße
Alex / molo

Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen

>> Molo: … gegenseitiger Rohrverstopfung von selbst erledigt.
> Lomax: Wie schon damals, Ende der 80er? Das mag sein, aber ich wünsche
> es mir nicht. Denn die damalige Erfahrung lehrt, dass das keinesfalls
> Raum für "bessere" Werke schafft, sondern das komplette Genre danach
> in den Buchhandlungen als Kassengift gilt und auch viele von den
> anspruchsvolleren Autoren rausfliegen, die derzeit zur Imagepflege in
> den Verlagen "querfinanziert" werden.
Kurz: es liegt an der Dummheit und Unkultiviertheit der entsprechenden
>Entscheider‹ in den Verlagen. — Überhaupt: es liegt ja immer nur an
der Dummheit, Gier und Niedertracht der Menschen. — Zudem: soll man bei
solchen Unglücksentwicklungen z.B. der Buchbranche an große
Infowargeschichten glauben, oder beruhen solche Erschütterungen
wirklich nur auf der allgemeinen Entropie einer enger werdenden
Echtwelt?

(Sorry, ich bekomme mich nicht mehr konzentriert heute abend. Ich
sabber wie ein Alien und die Spritze vom Zahnarzt hat vor ner Stunde
ihre Wirkung eingestellt.)

Grüße
Alex / molo

Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen

Zitat: molosovsky
Auch wenn man eine griechische Vokabel lernen muß, ist ›Uchronie‹ doch um einiges handlicher, denn ›kontrafaktische Literatur‹. Bzw. wenn Du eben nicht auf Alternativweltgeschichten spezialisiert bist, ist Dein
Ettikett ganz schon mißverständlich.Na, na - wo ist denn da der Maximalist geblieben? Diesmal ziehst du dich ja auf die speziellste Wortbedeutung zurück, die man finden kann

Mein Fremdwörterduden definiert "kontrafaktisch" ganz allgemein als "nicht der Wirklichkeit entsprechend"; und in der literarischen Vorlage, der ich es entnommen habe, hatte ich auch das Gefühl, dass die "kontrafaktische Literatur" ganz allgemein verstanden war. Dann würde der Begriff auch die Phantastik im weiteren Sinne abdecken.
Hm, oder beziehst du dich auf den Begriff "kontrafaktische Geschichte"? Da ist das "kontrafaktisch" ja durch die "Geschichte" noch näher spezifiziert - und zwar durch "Geschichte" im Sinne von "Historie", nicht "Erzählung". Ich glaube nicht, dass ich mir den Begriff "kontrafaktische Literatur" davon determinieren lassen muss.
Denn wenn die "kontrafaktische Geschichte" sich mit Parallelwelten im Sinne von "nicht-wirklicher Historie" beschäftigt, kann doch die "kontrafaktische Literatur" auch alles andere umfassen, was "nicht wirklich ist".

Jedenfalls leuchtet mir nicht ein, warum Uchronie das Problem dann lösen sollte, steckt doch hier die "Geschichte" schon fest im Wort drin und lädt wirklich zu Missverständnissen ein.
Zitat: molosovsky
Kurz: es liegt an der Dummheit und Unkultiviertheit der entsprechenden
>Entscheider‹ in den VerlagenHm, eine sehr fragwürdige Schuldzuweisung. Es ist halt einfach so: Egal, was die Entscheider in den Verlagen gerne wollen - es muss finanziert werden. Und die Art Fantasy-Literatur, die hier im Forum schon mal so nett als "Bücher fürs jugendliche Proletatriat" bezeichnet wurde, verkauft sich nun mal besser als der anspruchsvolle Stoff. Und zwar auch, wenn beides angeboten wird.
Und solange sich das Zeug gut verkauft, ist in den Verlagen auch mehr Geld für andere Dinge da - für Liebhaberprojekte und Experimente und auch für Dinge, mit denen man sich schmückt, die aber keine so guten Einnahmen bringen. Denn meiner Erfahrung nach sitzen in den Verlagen keinesfalls unkultivierte Leute, aber Leute, die sich den Schmuck eben nur dann leisten können, wenn das Geld dafür da ist.
Wenn dieses Marktsegement wegfällt, blühen die anderen Bereiche nicht auf, sondern verkümmern mit. So war es Ende der 80er, so kann es auch wieder kommen. Weil die meisten jungen Post-HdR-Leser dann eben doch nicht die anspruchsvollere Fantasy kaufen, sondern entweder aussteigen und nur noch Computerspiele zocken, oder komplett das Genre verlassen.
Das können die "Entscheider" in den Verlagen auch nur beschränkt steuern.
Zitat: molosovsky
Ich sabber wie ein Alien und die Spritze vom Zahnarzt hat vor ner Stunde ihre Wirkung eingestellt.Erinnert mich an den Tag, als ich nach einem Zahnartbesuch mit noch wirkender Spritze in der Videothek war und einen Film reklamiert habe. Ich hatte mich schon gewundert, warum die Angestellte so zuvorkommend war und sich so oft entschuldigt hat - bis ich zu Hause festgestellt hatte, dass nicht nur meine Lippen aufgequollen waren, sondern auch überall getrocknetes Blut klebte. Vermutlich sah ich gerade nicht so aus wie jemand, der einfach wieder geht, wenn seine Reklamation nicht angemessen bearbeitet wird
Aber ansonsten habe ich eine ausgewachsene Zahnarztphobie und will gar nichts mehr von diesem Thema hören ...

Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen

Mitternachts-Delirium.
(OT: Danke, Lomax für die Arzt/Videothekanekdote! Das tröstet.)

Ansonsten will ich unbedingt, sobald ich wieder ›grad aus denken‹ kann,
versuchen baldig wieder etwas ernster zum Thread beizutragen. — Es ist
für mich etwas schwer, knapp und genau zu sein. Ich hoffe, man kann oft
genug ›raushören‹, wann ich mich selbst nicht ganz ernst nehm, sondern
eben Exempel-›Mem-Schleuder‹ spiele.

Immerhin stößt Dein letzter Beitrag in ein Gebiet vor, das sehr
spannend ist. Was ich meine kann ich im Augenblick am besten als reth.
Frage formulieren: Wenn Kinder (siehe ›jugendliche Prollleser‹) selbst
ihr Essen kaufen könnten, wofür würden sie wohl mehr ausgeben: Gemüse
oder Süßigkeiten? — Sprich: ich rede vom Sweet Tooth-Phänomen und das
Fantasy und allgemein Phantastik eben starker Süßkram für das
metapherngenießende und -ausscheidende menschliche Hirn sind.

Grüße
Alex / molo

Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen

An Theophagos,

Danke für die vielen Tips. Ich werd mal sehen ob ich Julio Cortázars
"Das besetzte Haus" irgendwo bekomme. Das klingt sehr interessant.
Lovecraft werd ich mir wohl auch mal zu Gemüte führen. Der ist hier nun
schon so oft genannt worden. Ich kenne ihn natürlich, hatte ihn schon
oft in der Hand, nur gelesen nie.

An Seblon:

Du sagtest den Kubrik-Film kennt vermutlich jeder. Dann binn ich einer
von den Deppen ._. . Wie heißt n der?

Gr Alechadro

Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen

Zur Info:
»Das besetzte Haus« ist Teil der Kurzgeschichtensammlung »Bestiarium« von 1951, und liegt Deutsch vor bei Suhrkamp in dem Taschenbuchband »Die Nacht auf dem Rücken« (= Band 1 der gesammelten Erzählungen, die’s gebunden auch einbändig beim selben Verlag gibt). (Lustig und typisch verklemmt, dass ›phantastisch‹ im Zusammenhang mit einem literarischen Autoren natürlich in Gänsefüßchen auf der Verlagsseite steht.)
Grüße
Alex / m.—

Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen

Zitat: Alechadro
An Seblon:

Du sagtest den Kubrik-Film kennt vermutlich jeder. Dann binn ich einer
von den Deppen ._. . Wie heißt n der?

Gr AlechadroDer Film heißt wie der Roman Shining, ist 1978 entstanden und Jack Nicholsen und Shelley Duvall spielen die Hauptrollen. King hasst den Film (weil er ihm nicht phantastisch genug ist!) und ich halte ihn für einen Meilenstein nicht nur des Horrorfilms. Man bekommt ihn bei amazon.de bereits für unter 6,- € auf DVD.

Es grüßt




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