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Ein Wintermärchen - Thread 1

Re: Ein Wintermärchen

Hollis

„Interessant, was man alles so erfährt“, bemerkte Hollis grinsend in Jethros Richtung und fügte hinzu: „Eine süße Kleine“, während sie lächelnd das kleine dunkelhaarige Mädchen auf dem Foto betrachtete und Stolz in den Augen ihres Großvaters entdeckte. Der Mann war eindeutig ein Fall für sich. Hollis konnte sich gut vorstellen, dass Gibbs und er früher ein klasse Team waren. Zwei Dickschädel, die mit Sicherheit jeden ihrer Fälle gelöst hatten. Mike schien zudem ebenfalls kein Kostverächter im Bezug auf Frau zu sein, wie sie unschwer durch seines unverhohlenes Flirtens erkennen konnte. Es machte ihr nichts aus und sie sah es als Kompliment an. „Mike, was hat Sie auf den Friedhof getrieben? Das würde mich jetzt auch interessieren“, wollte sie an Gibbs´ Frage anschließend wissen und lehnte sich bequem zurück.

Frank musterte seine Gegenüber mit einem geheimnisvollen Schmunzeln und nahm einen kräftigen Hieb aus seiner Kaffeetasse. „Der Stützpunkt ist ein Dorf. Manche Dingen sprechen sich schneller herum als ein Lauffeuer und eines dieser Dinge war, dass dieser verrückte Gunny hier...“, dabei schlug er Gibbs freundschaftlich auf die Schulter. „Sein Apartmentzimmer lieber gegen eine Nacht auf dem Friedhof mit anschließenden Krankenhausaufenthalt eingetauscht hat. Als man mir dann im Bethesda sagte, dass du entlassen wurdest, war es nicht schwer eins und eins zusammen zu zählen“, brummte Mike und warf einen Seitenblick zu Hollis. „Das du dort allerdings in attraktiver Begleitung bist, hätte ich nicht erwartet.“

Die Agentin grinste „Das hätte ich zugegebener Weise bis vor kurzem auch nicht erwartet, aber manchmal geschehen noch Zeichen und Wunder.“ Jethro räusperte sich leicht, da ihm das Gespräch im Beisein von Mike doch etwas peinlich war. Seinen alter Freund schien das jedoch nicht im Geringsten zu stören. „Ja, so etwas soll es Hin und wieder tatsächlich noch geben“, stimmte er Hollis zu bevor er langsam zum Aufbruch drängte. „Halten Sie mir ja ein wachsames Augen auf den Probie und geben Sie ihm ab und zu eine Kopfnuss, wenn er sich nicht anständig benimmt.“

Hollis lachte und ergriff Mikes gereichte Hand. „Keine Sorge, daran werde ich mich bestimmt halten. Es war nett Sie kennen zu lernen, Mike. Ich würde mich freuen, wenn wir uns mal wieder sehen.“

Der alte Mann grinste und hielt Hollis Hand fest. „Ganz meinerseits. Falls Sie mal in Mexiko sind, mein Haus steht Ihnen jederzeit offen.“ Schmunzelnd zog Hollis dankbar nickend ihre Hand aus seiner und ließ die Freunde noch eine Weile allein.




Re: Ein Wintermärchen

Gibbs

Schmunzelnd blickte JEthro seiner Freundin nach. "Glückwunsch, Probie!" Mike grinste über das ganze Gesicht. "Du scheinst Jennys Tod endlich hinter dir gelassen zu haben." Das Gesicht des Agenten wurde ernst. "Das weiß ich nicht, Mike. Ich habe ziemlich lange nicht mehr daran gedacht, aber... nun, wir werden sehen." Mike nickte und bohrte nicht weiter nach.

"Kannst du mir einen Gefallen tun?" wechselte der Grauhaarige das Thema. "Ich wollte mich eigentlich selbst darum kümmern, aber du warst der leitende Agent und hast einfacher Zugang. Kannst du mir Kopien von Shannons Akte besorgen, ehe du zurück nach Mexiko fliegst?" "Kopien?!" Die dunklen Augen bohrten sich fest in die blauen seines Gegenübers. "Du bist verrückt, Jethro. Was willst du damit? Sie sind tot, du wirst es nicht mehr ändern! Lass die Sache ruhen - was willst du jetzt noch herausfinden, was damals offen geblieben ist? Wenn du neue Spuren hättest, würdest du mich nicht bitten, sondern die Ermittlung offiziell neu aufrollen. Also, warum brauchst du sie?!"

Jethro blickte schweigend auf seinen Teller. "Ich... ich will sie noch einmal lesen, Mike. Mehr nicht. Damals... damals war ich kaum in der Lage, wirklich zu begreifen, was dort stand. Ich konnte nicht damit abschließen, niemals. Aber... aber heute glaube ich, dass ich es kann. Und ich weiß, dass ich es muss, wenn ich mit Hollis glücklich werden will." Er erwiderte den Blick seines Freundes. "Ich will keine Rache mehr, Mike. Es hilft niemandem, und es bringt die Toten nicht zurück. Das habe ich in jenem Sommer gelernt - und Hernandez suche ich nicht mehr." Weil ich ihn längst gefunden habe, setzte er in Gedanken hinzu, und auch Mike Franks hatte den Satz durchaus richtig verstanden.

"Ich werde sehen, was ich tun kann," brummte er und erhob sich. "In einem gebe ich dir Recht: so was kann man wesentlich besser tun, wenn man sich nicht von schönen Frauen durch die Gegend schieben lässt. Andererseits kann sie sicher hervorragend die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Wir sehen uns in einer Stunde bei dir - und Gregory Pyle hat gesagt, du sollst dich mal bei ihm blicken lassen!." Damit verschwand er ohne ein weiteres Wort.

Als Hollis wenige Minuten später zurückkehrte, war auch Jethro bereit zum Aufbruch. Ohne große Worte dirigierte er sie durch den Stützpunkt und stattete einigen Kollegen aus alten Zeiten einen kurzen Besuch ab. Da sich mittlerweile längst herumgesprochen hatte, das der große Jethro Gibbs es tatsächlich wagte, sich im Rollstuhl blicken zu lassen, herrschte auf den Fluren ein regelrechtes Gedränge. Jeder wollte einen Blick erhaschen, doch der Agent trug es mit Fassung. Er begrüßte jeden, der ihn noch kannte, schüttelte tausend Hände und grinste die meiste Zeit bis über beide Ohren. Dennoch schaffte er es geschickt, zur vereinbarten Zeit wieder im Apartment zu sein - ebenso pünktlich wie Mike, der tatsächlich einen dicken Papierstapel unter dem Arm trug.

"Deine Vergangenheit," brummte er, während er die Seiten auf den Tisch knallte. "Und wenn ich dich richtig verstanden habe, deine Zukunft wohl ebenso."



Re: Ein Wintermärchen

Hollis

Kaum das die Papiere auf dem Tisch gelandet waren, erschien Hollis mit drei Tassen in der Hand aus Küche. „Mike, ich gehe davon aus, dass Sie noch einen Kaffee mit uns trinken, bevor Sie das Weite suchen.“

„Gerne, wer kann solch einer charmanten Einladung schon widerstehen“, lachte der alte Agent und zog sich einen Stuhl heran. Mike war unverbesserlich. In der Beziehung waren sie sich wohl ähnlicher als gedacht. Schmunzelnd rollte Gibbs an seine Seite und schob die Akte zunächst beiseite. Es blieb noch genügend Zeit sie durchzusehen. Anschließend unterhielten sie sich noch ein Weile über belanglose Dinge. Mike interessierte sich unter anderem für Hollis Arbeit beim CID und wollte wissen, ob der ein oder andere Bastard dort noch zu tun hatte oder schon pensionierte war. Nach einer guten Stunde verabschiedete er sich dann und bestand darauf, dass sie ihn im Laufe des Jahres besuchen kommen . Vor allem Jethro legte er ans Herz seine Patentochter zu besuchen, bevor sie in der Lage war Auto fahren zu lernen.

„Was für ein verrückter Hund“, stellte Hollis schmunzelnd fest nachdem Mike die Wohnung verlassen und es sich nicht hatte nehmen lassen, sie noch einmal darauf hinzuweisen, dass Gibbs ab und zu einen kräftigen Tritt in den Hintern brauchte. „Jetzt ist mir auch klar, von wem du deine exquisiten Führungsqualitäten hast. Wobei...“, verführerisch grinsend gab sie ihrem Freund einen Kuss „...ich mich davon nie habe ins Boxhorn jagen lassen.“ Dann lehnte sie sich in den Türrahmen und schielte auf die noch immer auf dem Tisch liegende Akte deren Titel nicht zu übersehen war. „Ist es das, für was ich es halte? Uhm... wenn du alles in Ruhe durchsehen möchtest, kann ich dich auch gern eine Weile allein lassen“, schlug sie ihm vor und meinte es vollkommen ernst. Falls es sich tatsächlich um die Akte seiner Familie handelte, wie sie annahm, war es allein seine Entscheidung. Da hatte sie kein Recht ihm über zu Schulter zu schauen, auch wenn sie ihn ungern damit allein lassen wollte.


Maria + Shania Mondego

Der Mutter-Kind-Vollzug verlief für Maria und Shania Mondego relativ problemlos. Shania hatte sich recht schnell an die Gewohnheiten im Gefängnis gewöhnt und fand vor allem an den Schulstunden an denen sie teilnehmen durfte gefallen. Hin und wieder vermisste sie die beiden Agent, aber sie erzählte ihrer Mummy fiel von ihnen und freute sich darauf, sie bald wieder besuchen zu dürfen. Maria indes war froh Shania bei sich zu haben und betete jeden Tag, dass der Albtraum bald ein Ende haben würde. Seit Shania bei ihr war, hatte ihr Anwalt sich kaum noch blicken lassen und sie darauf vertröstet Geduld zu haben. Es würde alles gut werden, hatte er ihr mehrfach versichert. Viele große Worte, an die die junge Mexikanerin nicht recht zu glauben wagte.

„Shania, nun zieh dich endlich aus. Wir haben nicht ewig Zeit um zu duschen. Desto länger du bummelst, umso weniger Zeit hast du zum matschen“, ermahnte die Mutter ihre Tochter und sah sich suchend in der Umkleidekabine nach ihr um.

„Aber Mummy, was hast du denn? Sie ist doch schon längst ausgezogen“, vernahm Maria zu ihrer Verwunderung neben dem lauten Rauschen diverser Duschen die rauchige Stimme einer Mitinsassin. Entsetzt entdeckte Maria Shania mit zugehaltenem Mund in den kräftigen Armen der Frau. Mit weit aufgerissenen Augen und starr vor Schreck starrte die Kleine zu ihrer Mutter. „Lass sie sofort los!“, befahl Maria mit möglichst fester Stimmer ihrer Gegenüber an und erntete nur ein hämisches Lachen.

„Ach komm schon Süße. Du denkst doch wohl nicht etwa, dass du etwas ausrichten kannst. Bevor du bei deiner Tochter bist, habe ich ihr längst den süßen Hals durchgeschnitten“, bei diesen Worten ließ die Frau demonstrativ eine Rasierklinge in ihrer Hand auf blitzen. „Aber keine Sorge,“ beschwichtigte sie Maria im gleichen Atemzug lachend. „Ich will der Kleinen im Grunde nichts tun. Das heißt,“ dabei zog sie Shania ihren Pedro aus der Hand. „Solange du keine Dummheiten machst und einfach das gestehst, was man dir vorwirft. Ansonsten...“. Ratsch, mit einem einzigen Schnitt fiel der Kopf des Plüschhundes zu Boden und Shania schrie herzzerreißend hinter der vorgehaltenen Hand auf. Völlig außer sich strampelte und biss das kleine Mädchen sich schließlich frei und kniete schluchzend neben ihrem Kuscheltier nieder. Die kurzhaarige Frau gab Pedros Kopf noch lachend einen Tritt bevor sie Mutter und Tochter mit den Worten: „Mit schönen Grüßen von Ethan“, in der Dusche allein zurück ließ.

Re: Ein Wintermärchen

Gibbs

"Ich weiß nicht, wofür du es hältst, aber ich würde sagen: ja, genau das ist es." Jethro blickte Hollis ernst an. "Ich denke, wenn ich mich mit meiner Vergangenheit auseinandersetzen will, dann sollte ich es richtig machen. Mit allem, was dazu gehört." Er spürte, wie seine Stimme zu zittern begann. Die Gelassenheit, die ihn nach seinem letzten Gespräch mit Shannon begleitet hatte, war inzwischen Hals über Kopf auf der Flucht, und er war längst nicht mehr so sicher, ob es wirklich so eine gute Idee gewesen war. Ob er wirklich noch einmal durchleben wollte, was damals geschehen war. Er war Ermittler, es war sein Beruf, aus trockenen Akten ein möglichst realistisches Bild zu formen, und sein Verstand tat es längst automatisch. Doch dies war ein Fall, zu dem ihm jede gesunde Distanz fehlte, und der ihn erneut in den Abgrund zu zerren drohte.

Der Agent rollte in die Küche und setzte frischen Kaffee auf. "Ich will keine Geheimnisse vor dir haben, Holly," erklärte er. "Jedenfalls nicht mehr als nötig," setzte er schmunzelnd hinzu, ehe er wieder ernst wurde. "Die Akten sind nicht unter Verschluss. Du kennst genug Mittel und Wege, sie auf dem kurzen Dienstweg einzusehen, ebenso wie ich. Warum sollte ich sie also vor dir verbergen?" Er schüttelte einen Moment den Kopf, ehe er den Papierstapel ergriff und mitsamt der dampfenden Tasse zurück zum Sofa rollte. "Ich bin nicht ohne Grund mit dir hierher gekommen," brachte er schließlich hervor. "Ich möchte, dass du verstehst, was damals passiert ist. Dass du begreifst, warum ich bin, wie ich bin. Ich war damals ein völlig anderer Mensch, und dieser Mensch werde ich nie wieder werden. So lange du das akzeptierst, freue ich mich über deinen Beistand. Ich glaube, das ist nicht unbedingt eine Gute- Nacht- Geschichte."

Er klopfte mit der Hand auf den Papierstapel und atmete tief durch. Anschließend hievte er sich vom Rollstuhl auf das Sofa und lud Hollis mit einer Handbewegung ein, sich neben ihn zu setzen.



Re: Ein Wintermärchen

Hollis

Demzufolge hatte sie mit ihrer Vermutung richtig gelegen. Es handelte sich um die Todesakte seiner Familie. Hollis musste schlucken, als ihr bewusst wurde, was das bedeutete. Er war bereit sie an seiner Vergangenheit teilhaben zu lassen. Ihr einen Einblick in den schmerzlichsten Teil seines Lebens zu gewähren. Ein Beweis seines Vertrauens, der sie unendlich glücklich und auch ein wenig unsicher machte. Würde sie im Nachhinein ebenfalls den Mut aufbringen, ihn an ihrer Vergangenheit teilhaben zu lassen? Ein Schritt, den sie unausweichlich gehen musste, wenn sie sein Vertrauen nicht missbrauchen wollte. Würden sie es schaffen, das gemeinsam durchzustehen?

Schweigend ließ die blonde Frau sich neben dem Agenten nieder und legte ihre Hand auf seine. Für einen Moment sah sie ihn nur an und erwiderte dann: „Nicht nur du hast dich im Laufe der Jahre verändert. Das tut jeder – mich eingeschlossen - und irgendwann werde ich dich womöglich um das Selbe bitten.“ Hollis machte eine kurze Pause und ließ ihm Zeit über ihre Worte nachzudenken bis sie hinzufügte: „Ich habe mich in dich verliebt, in den Mann der du heute bist. Daran wird sich nichts ändern, egal was geschieht.“ Hollis sah Gibbs fest in die Augen und unterstrich ihre Worte mit einem zärtlichen Kuss. „Ich weiß wie viel dir das bedeutet und ich bin froh, dass du mich nicht ausschließt. Ich werde sicherlich Fragen haben. Fragen, die du mir vielleicht beantworten wirst oder auch nicht. Antworten, die ich akzeptieren werde.“ Dann rutschte sie ein Stück von ihm ab und setzte sich aufrecht hin. Sie nahm an, dass er verstand was ihre Worte zu bedeuten hatten. Das sie für ihre Vergangenheit genauso zutrafen wie für seine. Dass sie hoffte, er würde eines Tages ebenso reagieren und akzeptieren.

Die Akte lag noch immer unberührt vor ihnen und Gibbs scheute sich offenbar sie aufzuschlagen. Hollis bemerkte sein Zögern und das Zittern seiner Hände. Tief durch atmend nahm sie ihm die Entscheidung ab und schlug wortlos die erste Seite auf.

Re: Ein Wintermärchen

Gibbs

Jethro war heilfroh, das Hollis an seiner Seite war und ihm die Entscheidung abnahm. Doch nachdem die Akte geöffnet war, gab es kein Zurück mehr. Ruhig, wenn auch mit zitternden Händen, griff er nach dem ersten Blatt. Wie jede NIS-Akte begann auch diese mit einem Deckblatt, auf dem die wichtigsten Zahlen und Fakten zusammengefasst waren. Das Formblatt hatte sich seit damals kaum verändert, und es war ihm schrecklich vertraut. Normalerweise war er es, der dieses Blatt füllte, oder genauer gesagt: der prüfte, was DiNozzo, Ziva, Tim oder ein anderer Agent dort hingeschrieben hatte. Er machte sich längst keine Gedanken mehr darum, dass jedes dieser Blätter für die Angehörigen eine Katastrophe bedeutete. Er hatte gelernt, mit dem Leid anderer Menschen zu leben und Distanz zu wahren. Doch dies hier war sein Fall, sein Leben und sein Leid. Und dazu hatte er auch nach achtzehn Jahren keinerlei Distanz.

Die Worte trafen ihn mit der Wucht eines Paukenschlags. Das Wunderbarste und Schönste, das ihm in seinem Leben je begegnet war, wurde hier auf wenige Buchtaben reduziert. Mit heiserer Stimme begann er, vorzulesen, als würden seine Worte die anonymen Zeichen mit Leben füllen.

"Name des Falls: Mordfall Orales / Gibbs. Aktenzeichen: CP 0291/34-F95382. Leitender Ermittler: Special Agent Franks. Datum: 25.02.1991. Status des Falls: ungelöst. Tatbestand: Mord." Er hörte einen Moment auf zu lesen und blickte Hollis an. "Bist du sicher, dass du das wissen willst?" Doch er wusste, dass er ihre Antwort kannte und fuhr einfach fort, die Zusammenfassung vorzulesen.

"In der NAcht von Freitag auf Samstag entdeckt Mr. Fred Hunger an Strandabschnitt drei die Leiche von PFC Orales, getötet durch einen Schuss aus nächster Nähe. Team Franks sichert den Fundort und übernimmt die Ermittlungen. Samstag morgen meldet sich eine weitere Zeugin, Mrs. Shannon Gibbs, welche behauptet, den Mord beobachtet zu haben. Ihre detailreiche Beschreibung gibt keinen Anlass zur Unglaubwürdigkeit. Die Zeugin erstellt gemeinsam mit Agent Svensson ein Phantombild, welches rasch als Pedro Hernandez identifiziert werden kann. Am Sonntag erhält das Team Franks erste Hinweise, dass Mrs. Gibbs am Tatort gesehen wurde und veranlasst einen sofortigen Personenschutz. Nachmittags gegen sechzehn Uhr übernimmt Agent Cunningham die erste Schicht. Am Montag morgen gegen halb neun bringt Agent Cunningham Mrs. Gibbs und ihre Tochter, die am fraglichen Abend ebenfalls zugegen war, zum NIS- Stützpunkt in Camp Pendleton. Auf der 51. Straße überholt ein unbekannter Motorradfahrer den Wagen und feuert auf Agent Cunningham, dieser ist sofort tot. Der Wagen schlingert und schleudert gegen einen abgestellten Truck. Mrs. Gibbs und ihre Tochter versterben noch am Unfallort. Hernandez ist zu diesem Zeitpunkt bereits unterwegs nach Mexico, ein Auslieferungsgesuch ist bislang erfolglos geblieben, da er dort nicht auffindbar ist."

Jethro blickte erneut auf. "Vier zerstörte Leben in so wenigen Worten. Das war die Zusammenfassung - auf den nächsten Seiten geht es ans Eingemachte. Wobei ich zugebe, das ich bisher nie alles gelesen habe, vor allem die Autopsieberichte... habe ich nie lesen können. Du weißt, das Autopsien auch damals in detailierten Bildern festgehalten wurden, oder? Und ich weiß nicht, ob ich Kelly... ob ich das sehen will. Aber vielleicht willst du es. Und vielleicht hilft es auch mir. Ich weiß es nicht." Er legte das Blatt beiseite und sah Hollis hilflos an.



Re: Ein Wintermärchen

Hollis

Für die blonde Frau waren die Worte aus der Akte mindestens ebenso schockierend wie für Gibbs gewesen, wobei er zu ihrem Erstaunen relativ gefasst wirkte. Bei seinem Vorschlag sich die Bilder der Autopsie anzusehen, hob Hollis allerdings abwehrend die Hand. Das hielt sie für gar keine gute Idee, zumindest nicht was ihn betraf. Sie würde es ihm zu liebe tun, aber ihm riet sie davon ab. „Jethro, wenn du möchtest, dass ich mir die Berichte und die Bilder ansehe, dann werde ich das tun, aber...“ Sie machte eine kurze Pause und sah ihn ernst an. „ich halte es für keine gute Idee, dass du es tust. Und ich bin mir sicher, dass das auch Shannon so sehen würde. Glaub mir, damit wirst du es nicht besser machen und auch nichts ändern können. Du solltest die Bilder von und mit ihnen aus glücklichen Tagen in Erinnerung behalten und nicht irgendwelche Fotos, die man...“ Ihr versagte die Stimme und sie nahm an er wusste was sie meinte. Als erfahrener Ermittler wusste er nur zu gut, welche Auswirkungen solche Fotos oder eine Identifikation für die Angehörigen hatte. Manche wurden diesen Anblick ein Leben lang nicht wieder los. Wollte er das wirklich?

„Wenn du dich auf etwas konzentrieren willst, dann auf diesen Hernandez, Hat man den Mann eigentlich jemals gefasst? Wurde er für den Mord verurteilt? Fragen, die nicht aus der Akte nicht hervorgehen.“ Es kam ihr schon etwas merkwürdig vor, dass die Akte an dieser Stelle enden sollte und kein einziger Hinweis weiter auf diesen Typen vermerkt war. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass ein Mann wie Gibbs den Mörder seiner Familie frei herum laufen ließ.

Re: Ein Wintermärchen

Gibbs

Jethro atmete tief durch. Er wusste, das Hollis Recht hatte und es tatsächlich besser war, die Bilder nicht anzusehen. Andererseits hatte er das zerstörte Auto schon damals gründlich unter die Lupe genommen, er hatte ihr Blut gesehen und das Ausmaß der Zerstörung. Eigentlich suchte er nur nach einem Strohalm, einem Funken Hoffnung, der ihm bestätigte, dass sie nicht lange gelitten hatten. Er war so in seine Gedanken versunken, dass er Hollis Frage nach Hernandez beinahe überhörte.

"Hernandez?!" schnaubte er wütend. "Auf den werde ich mich nicht konzentrieren, das wäre Verschwendung." Er blickte Hollis fest in die Augen, und sie wusste, dass er nichts mehr über dieses Thema sagen würde. Selbstjustiz war auch in Mexiko juristisch gesehen nichts anderes als Mord, und Jethro würde sich auch ihr gegenüber nicht selbst belasten. Je weniger sie davon wusste, desto besser - dennoch sagte sein Blick ihr klar und deutlich, dass er seine Rache bekommen hatte. Und auch, dass sie ihm nichts von der erhofften Erleichterung verschafft hatte.

"Ich habe Mike nicht um die Akte gebeten, weil ich noch einmal ermitteln will," fügte er schließlich hinzu. "Mike hat getan, was er konnte, und ich vertraue ihm. Es gibt weder neue Hinweise noch Parallelen zu aktuellen Fällen. Alle Beteiligten sind tot." Er schwieg einen Moment, ehe er erneut nach der Akte griff. "Ich will wissen, was damals passiert ist, Holly. Jeden Schritt. Ich will wissen, wie sie wirklich gestorben sind. Man hat mir damals gesagt, sie seien sofort tot gewesen, aber was hätten sie mir sonst erzählen sollen? Kein Seelsorger dieser Welt überbringt eine Todesnachricht mit dem Hinweis, dass es ein langer und qualvoller Tod war, wenn er es vermeiden kann. Was ist sofort? Hat Shannon sich noch von Kelly verabschieden können, ihr über den Abgrund helfen können? Ist der Tod im Augenblick des Aufpralls eingetreten oder erst eine halbe Stunde später? Sie waren tot, als die Rettungskräfte eintrafen - aber bis dahin ist eine Menge Zeit vergangen."

Sein Blick wanderte durch den Raum und blieb an einer verstaubten Grünpflanze hängen. "Den Großteil dieser Akte kenne ich. Jeden Satz, der über Shannon und Kelly dort steht, als sie noch gelebt haben, kann ich dir auswendig hersagen. Sie haben im Rahmen der Ermittlung unsere Wohnung durchsucht, in der Hoffnung, irgendwelches belastendes Material zu finden. Aber das einzige, was Mike gefunden hat, war eine Kassette in einem bunten Plastikrekorder." Er suchte Hollis Blick, sie wusste, von welchem Tape er sprach. "Sie haben es am gleichen Abend aufgenommen, als Shannon bei Mike gewesen ist. Am nächsten Morgen waren sie tot."

Seine Stimme zitterte, und er musste eine Pause machen, ehe er weitersprechen konnte. "Ich will diese Bilder nicht sehen, Holly. Aber ich will wissen, was passiert ist. Ich habe Angst davor, diesen Bericht zu lesen. Seit achtzehn Jahren drücke ich mich davor, und in dieser ganzen Zeit träume ich immer wieder davon. Ich sehe ihre zerschmetterten Gesichter und gebrochenen Knochen. Ich höre sie schreien, höre, wie Kelly um Hilfe ruft und nach ihrem Daddy schreit. Nach ihrem Daddy, der am anderen Ende der Welt nichtsahnend in der Wüste patroulliert. Ich habe es nachgerechnet. Zu dem Zeitpunkt, als der Unfall geschehen ist, hatte ich Nachtwache, kurz vor der Ablösung. Wir sind erst am nächsten Morgen ins Camp zurückgekehrt, dort haben der Colonel und der Kaplan schon auf uns gewartet. Genauer gesagt, auf mich."

Er schwieg einen Moment, um der Erinnerung an diesen Tag den Raum zu geben, den sie benötigte. "Ich träume immer wieder davon, Holly," fuhr er schließlich fort. "Ich sehe sie in diesem Auto, und überall ist Blut. Ich will, dass diese Träume aufhören. Ich träume mir seit über achtzehn Jahren Horrorszenarien zusammen - weil ich es nicht besser weiß. Glaub mir, Holly, was immer in diesen Berichten steht: es wird nicht schlimmer sein als das, was ich in den letzten Jahren geträumt habe." Erneut blickte er die blonde Frau an. "Ich stimme dir zu, was die Bilder angeht. Aber lesen... lesen will ich es. Ich will endlich Ruhe finden..."



Re: Ein Wintermärchen

Hollis

Gibbs´ Antwort auf die Frage nach Hernandez ließ Hollis eine Ahnung aufkommen, die sie lieber nicht weiterverfolgen wollte. Ihr war klar, dass es besser war, nicht immer die Wahrheit zu kennen. Aus diesem Grund akzeptierte sie seine Aussage auch ohne weiteres. Tränen standen in ihren Augen und sie wusste nicht, was sie auf all das Gesagte erwidern sollte. Sie konnte ihn verstehen, wusste was er meinte und ahnte was er damals und auch heute noch immer durchmachte. Nachdem Unfall und dem Tod ihres Bruders Colin war es ihr ähnlich ergangen. Ebenso nach dem Tod ihres Babys und nach dem Verschwinden Robins, von dem sie bis heute nicht wusste, ob er wirklich tot war. Alles Dinge, die sie durchaus verstehen konnte, sich aber trotzdem nicht traute, sie auch nur ansatzweise so brutal zu beenden wie er. Sie hatte auf ihre Art versucht damit abzuschließen. Ein Versuch, der sich mittlerweile allerdings immer mehr als gescheitert herausstellte.

Hollis erwiderte seinen Blick, griff nach seiner Hand und schob ihre Finger zwischen seine. Dann zog sie die Akte näher zu sich heran und schlug die erste Seite des Autopsieberichts auf. Die Bilder waren am Ende abgeheftet und stellten somit keine unmittelbare Gefahr dar. „Dann lass es uns gemeinsam durchsehen. Ich weiß nicht, ob es dir wirklich die erhoffte Ruhe bringen wird. Doch egal was du finden wirst, ich möchte, dass du weißt, dass ich immer für dich da bin. Egal in welcher Form.“ Automatisch drückte sie dabei seine Hand und versuchte so ruhig wie möglich zu bleiben. Sie wusste, dass sie ihn nicht aufhalten und nur hoffen konnte, dass keine seiner Befürchtungen eintrafen. Dass die Aussage der Ärzte und Seelsorger der Wahrheit entsprachen und beiden nicht gelitten hatten.

Re: Ein Wintermärchen

Gibbs

Jethro atmete ein letztes Mal tief durch und erwiderte den sanften Druck ihrer Finger. Anschließend begann er zu lesen. Kellys Bericht lag oben, das war gut, da er ohnehin damit hatte beginnen wollen.

Er war ein erfahrener Agent, der mit Sicherheit tausend Autopsieberichte oder mehr gelesen hatte. Er wusste, was sich hinter den Abkürzungen und Fachbegriffen verbarg, und welche Geschichte sie erzählten. Der Bericht war nur etwas mehr als eine Seite lang, und Jethros Hände zitterten so stark, dass er Mühe hatte, die Buchstaben zu entziffern. Er kämpfte sich von einer Verletzung zur nächsten, versuchte zu verdrängen, welchen Anblick seine kleine Kelly geboten hatte. Doch hinter jedem Absatz fand sich der Vermerk: vermutlich nicht die Todesursache. Erst in der drittletzten Zeile entdeckte Jethro, was er gesucht hatte. "Bruch des ersten und zweiten Halswirbels infolge eines heftigen Aufpralls auf einen harten Gegenstand, möglicherweise die Rückenlehne des Vordersitzes, Todesursache. Der Tod ist innerhalb weniger Sekunden eingetreten."

Mit einem heiseren Stöhnen legte der Silberfuchs den Bericht zu Seite und versuchte, das Gelesene zu verarbeiten. Kelly hatte nicht gelitten. Ihr Genick war gebrochen, ehe sie die anderen Verletzungen gespürt hatte. Eine Welle der Erleichterung überrollte den Agenten, Tränen der Freude suchten ihren Weg über seine Wangen. Vielleicht würde er wenigstens diese Bilder nun aus seinen Träumen verbannen können. Vielleicht würde zumindest Kelly ihm nun nicht mehr als blutüberströmte Schreckgestalt heimsuchen.

Doch seine Unruhe war noch nicht verschwunden - Shannons Bericht lag noch immer in der Akte. Und er wollte auch das Schicksal seiner Frau erfahren, selbst wenn es schmerzen würde. Mit eisernem Willen zwang er sich, auch diesen Bericht Zeile für Zeile zu lesen. Shannon war weitaus schlimmer verletzt worden als Kelly. Der Bericht umfasste drei Seiten, was selbst für Ducky viel gewesen wäre. Etwa in der Mitte der zweiten Seite war Jethros Kraft verbraucht, er fragte sich unweigerlich, ob überhaupt irgendein Knochen im Körper seiner Frau heil geblieben war. Und ähnlich wie bei Kelly stand auch in diesem Bericht hinter jedem Absatz: Vermutlich nicht alleinige Todesursache. Mittlerweile war er kaum noch in der Lage, die Buchstaben vor seinen Augen zu entziffern. Er spürte, das Hollis ihn festhielt und sanft an sich drückte, und ihre warme Nähe verhinderte, dass er in den kalten Abgrund ihres Todeskampfes gezogen wurde.

Hollis entging nicht, wie sehr sich der Ermittler quälte und legte erneut eine Hand auf seine. "Lass es gut sein," flüsterte sie sanft in sein Ohr. "Quäl dich nicht, du musst nicht alles auf einmal lesen. Morgen ist auch noch ein Tag." Behutsam zog sie die Akte aus seiner Hand und schloss den Deckel über den grausamen Worten. Doch Jethro schüttelte verzweifelt den Kopf. "Nein," widersprach er mit rauher Stimme. "Wenn ich es jetzt nicht lese, werde ich es nie tun. Noch einmal bringe ich die Kraft dazu nicht auf." Er nahm das Papier erneut an sich und öffnete die Akte heftiger auf als geplant. Seine Finger griffen ungedulig zwischen die Seiten und schlugen wahllos eine Seite auf. Vor seinen Augen lag mit einem Mal ein Bild von Shannon - bleich und fremd, die Ansätze des vernähten Y-Schnitts deutlich zu erkennen. Jethro stockte der Atem, er starrte wie hypnotisiert auf das Bild, ein Kaninchen im Angesicht der Schlange. Hollis reagierte in Sekundenbruchteilen, sie löste seine Finger von den restlichen Seiten, so dass erneut der Autopsiebericht zum Vorschein kam.

Jethros Gesicht wurde zu einer steinernen Maske, während er weiterlas. Eine eindeutige Todesursache wie bei Kelly gab es hier nicht, erst am Ende des Berichtes fand sich eine Zusammenfassung. "Todesursache: multipes Organversagen, verursacht durch massive innere und äußere Verletzungen infolge des Aufpralls. Es ist möglich, dass das Opfer nach Eintritt der Verletzungen noch bis zu dreißig Minuten gelebt hat. Allerdings ist aufgrund der Schwere der Verletzungen von einem sofortigen Bewusstseinsverlust auszugehen." Wie in Trance klappte der Ermittler die Akte zu. Dreißig Minuten. Eine Unendlichkeit. Ihre Schreie gellten erneut durch sein Ohr, und er spürte, wie sein Körper unkontrolliert zu zittern begann.