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Ein Wintermärchen - Thread 1

Re: Ein Wintermärchen

Hollis

Die Dusche tat gut und Hollis genoss das warme Wasser auf ihrer Haut. Die Wunde unter ihrem Arm begann gut zu verheilen und machte sich kaum noch bemerkbar. Aus diesem Grund beschloss Hollis auch den Verband weiterhin abzulassen. Insofern sie sich nicht überanstrengte, ging sie davon aus, dass schon nichts passieren würde. Zurück im Schlafzimmer war Jethros Seesack schon gepackt und ihre wenigen Kleidungsstücke auch innerhalb weniger Minuten sicher verstaut. Ein paar von ihren neuen Sachen beschloss sie dazu lassen, da sie sich in Kalifornien mit Sicherheit leichtere Stücke zulegen musste. Nachdem sie das Gepäck im Flur abgestellt hatte, folgte sie dem verführerischen Duft des Kaffees. Shania genoss genüsslich ihr zweites Toast, während Jethro alles andere als glücklich aussah. Für einen Moment war sie versucht die Reise abzusagen und ihm vor zu schlagen noch eine Woche zu warten. Sein Zustand hatte sich nicht sonderlich gebessert, sondern eher verschlechtert und Hollis hatte Bedenken, ob ihm die Reise wirklich gut tun würde. Doch ein Blick von Gibbs genügte, um ihre stumme Frage erst gar nicht auszusprechen und sie beschloss es letztendlich auch nicht zu tun. Dafür bestand sie jedoch darauf die Fahrt zum Frauengefängnis an diesem Tag zu übernehmen und überließ es Jethro, Shania auf der Weg dorthin zu beschäftigen.

Es war am späten Vormittag als sie relativ zügig das Gefängnis erreicht hatten und das kleine Mädchen es kaum erwarten konnte ihre Mutter zu sehen. Susan, die Vollzugsbeamtin, erwartete sie schon am Eingang und lotste sie dieses Mal ohne Kontrolle und viel Aufsehen sogleich in den Besucherraum. Während Shania nicht von Gibbs´ Seite wich und ungeduldig von einem Bein auf das andere trippelte, stellte Susan an Hollis gerichtete fest: „Keine Ahnung wie ihr das hin bekommen habt, aber die Kleine und ihre Mutter können sich glücklich schätzen in das Programm hinein gerutscht zu sein. Es gab einigen Stunk, als die anderen Erfahren haben, wer den Platz erhalten hat, aber ich denke, so ist es die beste Lösung für alle.“

Hollis lächelte zufrieden und nickte ihrer ehemaligen Kollegin zu. „Ja, das denke ich auch. Es ist wenigstens ein kleiner Lichtblick nachdem was die beiden durchmachen mussten. Ich hoffe ganz fest, dass sie das alles bald überstanden haben werden.“ Vielmehr brauchte sie auch nicht zu sagen, da eine Tür auf ging und kurz darauf Shania ihrer Mutter glücklich in die Arme sprang.

Re: Ein Wintermärchen

Gibbs

Jethro war den Frauen so gut es ging gefolgt und hoffte inständig, dass die ganze Sache nicht lange dauern würde. Tatsächlich flog Shania ihrer Mutter regelrecht in die Arme, und Maria Mondego war so überwältigt davon, ihre Tochter wieder bei sich zu haben, dass sie den ramponierten Auftritt des Ermittlers glücklicherweise übersah. Hollis schaffte es sogar, sie von überschwänglichen Dankesreden abzuhalten, so dass sie wenig später wieder vor dem GEbäude in der Wintersonne standen.

Jethro hoffte, das Hollis nicht auf die Idee kam, irgendetwas in seinen Zustand zu interpretieren, weil er sie ohne Widerrede fahren ließ. Wenn er ehrlich war, war ihm das im Moment nämlich tatsächlich verdammt recht... "Wir haben noch zwei Stunden," erklärte er unterwegs. "Wir sollten also besser unsere Sachen holen und zum Flughafen aufbrechen, damit wir genug Zeit zum Einchecken haben. Ich bin im Moment wohl nicht unbedingt der Allerschnellste." Hollis nickte, und eine knappe Stunde später erreichten sie im Taxi den Flughafen. Immerhin hatte Jethro diesmal rechtzeitig daran gedacht, für den Flug vorzusorgen, und sich zu Hause erneut von Hollis verarzten lassen, so dass er diesmal nicht in Gefahr lief, wegen Terrorverdachts aufzufallen.

Mühsam arbeitete er sich in Richtung Terminal und protstierte nicht einmal, als Hollis beide Gepäckstücke ergriff. Die Frau am Check-In Schalter sah etwas sparsam drein, als er die geforderten Unterschriften mit der linken Hand leistete - und die Unterschrift dementsprechend unleserlich und vor allem unvergleichbar ausfiel. Aber sie gab sich zufrieden und ließ die beiden PAssagiere schließlich an Bord. Mit einem erleichterten Stöhnen ließ Gibbs sich in den Sitz fallen und fragte sich, wann die Schmerztablette, die er unterwegs unauffällig eingenommen hatte, eigentlich zu wirken gedachte. Bisher merkte er jedenfalls nichts davon...

Als das Flugzeug sich in die Luft erhob, blickte er noch einmal auf Washington herunter. Diese Stadt war seit Jahren sein zu Hause, hier hatte er Freunde gefunden und ein Team, das für ihn durchs Feuer gehen würde. Er hatte alles, was ein Mensch sich wünschen konnte, in Washington gefunden. Und trotzdem war er nicht sicher, ob er dort je glücklich gewesen war. Glücklich wie in seinen Kindertagen in Stillwater, als ihm Jack noch wie der beste Vater von allen vorgekommen war. Glücklich wie in jenen unbeschwerten Momenten am Strand, in denen er bei seiner Familie gewesen war. Gleichzeitig verband er mit dem Sonnenstaat allerdings auch seine schrecklichsten Erinnerungen - nun, er würde schon sehen, wohin ihn diese Reise führen würde. Liebevoll blickte er die Frau an seiner Seite an. "Wir sind unterwegs... jetzt gibt es kein Zurück mehr. Zufrieden?"



Re: Ein Wintermärchen

Hollis

„Wenn du es bist, dann bin ich es auch“, gab Hollis zurück und kuschelte sich an seine Schulter. „Kalifornien ist immerhin meine Heimat und ich bin gerne dort, auch wenn ich nach wie vor San Francisco bevorzuge. San Diego und L.A. haben nicht das Flair, daher bin ich dort meist nur dienstlich unterwegs gewesen. Ich liebe die Golden Gate, die CableCar und vor allem die Weinberge meines Vater“, begann sie zu schwärmen und sah zu ihm auf. „Vielleicht ergibt sich ja die Gelegenheit einen kleinen Abstecher dorthin zu machen, wenn wir schon einmal da sind. Aber…“, fügte sie schnell hinzu als sie seinen zögerlichen Blick bemerkte. „es muss auch nicht sein, wenn du nicht willst. Es ist nur eine fixe Idee. Habe ich dir schon mal gesagt,“ dabei wanderte ihre Hand automatisch streichelnd auf seinen Oberschenkel. „dass es immer wunderschön mit dir ist. Jetzt weiß ich auch, was mir das ganze letzte Jahr unter anderem am meisten gefehlt hat.“ Die Panne mit Shania überging sie dabei gekonnt, obwohl sie insgeheim neugierig war, ob er eine ähnliche Situation schon mal erlebt hatte. Kinder waren unberechenbar und schafften es meistens in den ungünstigen Momenten aufzutauchen.

Während Hollis noch immer eine Hand auf seinem Schoß hatte und sich mit der anderen abschnallte, um bequemer sitzen zu können, war schon die erste Stewardess mit dem Speisewagen neben ihnen aufgetaucht. Bei den Inlandsflügen schienen sie es besonders eilig zu haben ihre Sachen an den Mann bzw. an die Frau zu bekommen. Allerdings hatte Hollis weder Hunger noch Appetit auf abgepacktes 0815 Essen. Daher schüttelt sie ablehnend mit dem Kopf und wandte sich fragend an Gibbs: „Du hast mir noch gar nicht verraten wo wir eigentlich genau hin wollen und wo wir übernachten werden. Ich hoffe, dort gibt es etwas besseres als Alunahrung aus der Bordküche.“

Re: Ein Wintermärchen

OOC: Du weißt, dass die Einwohner von San Franciso "Frisco" heute gar nicht mehr gerne hören? ;-)
Oh, und ich hab "Hotelzimmer" mal in "Unterkunft" editiert...


Gibbs

Der Silberfuchs grinste breit. "Dort gibt es mit Sicherheit etwas besseres zu essen... nämlich das, was wir uns kochen. Nein, im Ernst, das Marine Corps hat ganz in der Nähe von Camp Pendleton eine kleine Pension, wo es ein paar hübsche Appartments gibt. Eigentlich ist die Anlage für Marines gedacht, die Besuch von ihren Familien bekommen, oder für besondere Anlässe, wenn man Zivilisten länger zweckmäßig unterbringen muss. Da im Moment ohnehin wenig los ist, war es kein Problem, dort unterzukommen, da vermieten sie auch schon mal an Bundesagenten - falls die auf die verrückte Idee kommen, auch im Urlaub die Nähe des Corps zu suchen." Er bemerkte Hollis überraschten Blick und fügte hinzu: "Es gibt dort mittlerweile sogar einen Brötchenservice - und die Kantine vom Camp hat einen excellenten Ruf. Wir werden also nicht selbst kochen müssen, immerhin soll es ja so was wie Urlaub werden." Er sah Hollis ernst an. "Und ich... ich hielt es für ruhiger als ein Hotel. Kein Zimmerservice, der morgens an die Tpr klopft, keine festgelegten Essenszeiten... und ich glaube, wir werden ein bisschen Freiraum nötig haben. Außerdem ist die Wohnung recht groß, so dass wir uns notfalls... auch aus dem Weg gehen können."  Dieser Punkt war ihm sehr wichtig gewesen, weil er keine Ahnung hatte, welche Auswirkungen seine Rückkehr an seine alte Wirkungsstätte nun haben würde. Da war ein gewisser Sicherheitsabstand auf jeden Fall anzuraten, auch wenn es im Haus leider keinen Bootskeller gab.

"Was San Francisco angeht..." nahm er ihren Gesprächsbeginn auf, "dort bin ich als Kind mal gewesen, und ich weiß noch, dass ich es überhaupt nicht gemocht habe. Aber das kann auch an anderen Dingen gelegen haben." Er erinnerte sich gut an diese Reise, kurz nach dem Tod seiner Mutter. Er hatte Jackson gehasst, und er hatte diese Reise gehasst, ebenso wie er sein Leben und überhaupt alles um sich herum gehasst hatte. Er war froh, dass sich die Dinge mittlerweile geändert hatten. "Den Weinberg besuche ich sehr gerne mit dir. Ich bin nur nicht sicher, ob... wann das sein wird. Sei mir nicht böse... ich habe einfach keine Ahnung, was mich dort erwartet und wie... wie ich damit umgehen kann," gab er zu.

Anschließend streckte er sich müde in seinem Sitz aus. Eine freundliche Stewardess hatte einen Hocker organisiert, und zwischen den Sitzreihen war sogar ausreichend Platz, dass er einen schmerzenden Fuß darauf hochlagern konnte. Die Hand hatte sich mittlerweile einigermaßen beruhigt, so lange er nicht versuchte, sie zu bewegen oder gar eine Krücke festzuhalten. Irgendeine Lösung musste ihm dafür wohl auch besser noch einfallen... Seufzend lehnte er seinen Kopf an Hollis, legte seine Hand auf ihre und schloss die Augen.



Re: Ein Wintermärchen

Hollis

Die Idee mit der Unterkunft auf dem Stützpunkt war eine gute Idee, wobei Hollis ein Hotelzimmer trotzdem lieber gewesen wäre, aber sie sagte nichts dazu. Nur der Unterton in seiner Stimme bereitete ihr Sorgen. Sie wusste nicht wie sie es deuten sollte. Die Reise brachte für ihn eine Menge schmerzliche Erinnerungen mit sich und sie hatte Angst. Angst,dass er sie womöglich wieder zurück weisen. Angst, die sie einfach nicht abschütteln konnte. Schweigend genoss sie daher einfach seine Berührung und versuchte sich auf den gezeigten Film zu konzentrieren. „Message in a bottle“ war nicht gerade ein Film der ihre Stimmung hob, schaffte es aber sie eine Weile lang abzulenken und die Zeit schneller zu überbrücken.

Gibbs schlief noch immer tief und fest neben ihr, als die Anschnallzeichen aufleuchteten und die Stewardessen die Passagiere baten sich in aufrechte Sitzposition zu bringen. Die Maschine befand sich im Landeanflug auf San Diego und würde in wenigen Minuten landen. „Hey, Schlafmütze“ Hollis küsste Gibbs zärtlich munter und schnallte ihn gleichzeitig an. „Wir sind gleich da.“

Re: Ein Wintermärchen

Gibbs

Verschlafen registrierte der Silberfuchs Hollis Bemühungen und ließ sich widerstandslos von ihr anschnallen. Kurz darauf war das Flugzeug sicher gelandet, und er folgte Hollis langsam die Gangway entlang. Eine weitere halbe Stunde später hatten sie dank eines Mietwagens Camp Pendleton erreicht. Das Appartmenthaus lag nicht direkt auf dem Gelände des Camps, doch die Umzäunung war auch in der Dunkelheit noch zu erkennen. Jethro unterdrückte ein Zittern, als er an diesen einen Besuch auf dem Gelände dachte... gemeinsam mit Mike, der damals die Ermittlungen geleitet hatte.

Es war noch nicht spät am Abend, doch der Agent war völlig erschöpft. Wie in Trance räumte er seine Sachen ein und war erleichtert, dass die Betten bereits bezogen waren. Müde ließ er sich auf eines von ihnen sinken. "Was möchtest du denn zum Abend essen?" fragte Hollis, die in der Tür lehnte und ihn aufmerksam betrachtete. ÜBerrascht blickte Jethro auf, er hatte sie nicht einmal kommen hören. Gleichzeitig wurde ihm bewusst, dass er seit Betreten des Hauses noch kein Wort gesprochen hatte. "Holly?" fragte er leise und stellte fest, das seine Stimme ihm nicht gehorchen wollte. "ICh.... ich bin einfach nur müde. Bist du mir sehr böse, wenn ich mich hinlege? Eine Karte vom Lieferservice wird in der Küche am Kühlschrank hängen, der Wok Express ist in dieser Gegend immer sehr zu empfehlen gewesen."

Ohne eine Antwort abzuwarten, ließ er sich auf die Kissen sinken. Ihm fehlte sogar die Kraft, sich auszuziehen, statt dessen blieb er einfach nur regungslos liegen, starrte an die Decke und war wenige Sekunden später fest eingeschlafen. Er bekam nicht mit, dass Hollis ihn eine halbe Stunde später dort entdeckte und ihm seufzend wenigstens Hose und Pullover auszog und eine Decke über ihn breitete. Ihr Stirnrunzeln beim Abnehmen der Schiene verschlief er ebenso wie ihre erneute Spritzaktion, an die sich die blonde Frau langsam mehr oder weniger zu gewöhnen begann. Auch von ihrer Wut über sein Verhalten bemerkte Jethro nicht das geringste.

Er schlief unruhig und begann schließlich, sich immer wieder herumzuwälzen. Er träumte wirres Zeug, von Shannon und Kelly, von Hollis, Leon Vance und Ducky, auch seine erste Exfrau und Jenny mischten sich munter dazwischen. Schließlich fuhr er schweißgebadet aus dem Schlaf hoch und blickte verstört um sich. Er brauchte einen Moment, um sich zu orientieren und zu erinnern. Der Wecker auf dem Nachttisch zeigte halb drei, Hollis lag neben ihm auf der anderen Seite des Bettes und schien tief zu schlafen. Jethro fühlte sich schrecklich, er war aufgewühlt und völlig durcheinander und seltsam unruhig. Ihm graute vor diesem Tag, davor, sich seiner Schuld und seinem schlechten Gewissen stellen zu müssen. Wie hatte er Shannon nur zehn Jahre lang allein lassen können? Warum war er so feige gewesen? Angefangen hatte alles mit dem Jahr in Moskau, das es ihm zum ersten Mal unmöglich gemacht hatte, sie an ihrem Todestag zu besuchen. Doch in den Jahren danach hatte er immer wieder eine Ausrede gefunden, einen großen Bogen um Kalifornien zu machen.

Er ließ sich erneut auf das Kissen sinken, doch er fand keinen Schlaf mehr. Schließlich griff er kurzentschlossen nach seiner Hose und em Pulli und humpelte langsam in die Küche. Nach dem ersten Kaffee ging es ihm etwas besser, doch die Unruhe blieb. Schließlich wurde es ihm zu bunt, er bestellte sich ein Taxi und humpelte langsam auf die Straße. Es war die kälteste Zeit der Nacht, wenn auch um vieles wärmer als in Washington. Doch der Agent fror nicht, im Gegenteil, er hatte das Gefühl, innerlich zu glühen. Er wusste, dass er Hollis einiges erklären musste, wenn er zurückkam, und dass sie sich nicht mit seinem hastig hingekritzelten Zettel zufrieden geben würde. Aber sie würde ihn verstehen, sie würde ihm vertrauen müssen. Den ersten Besuch auf dem Friedhof hatte er ohnehin allein machen wollen, auch wenn er zwischenzeitlich gezweifelt hatte, ob er das durchstehen würde. Doch seit er in dieser Nacht erwacht war, wusste er, dass er keine weitere Zeit verlieren durfte. Er hatte lange genug gezögert, und seine innerste Beziehung mit Shannon ging Hollis nichts an.

Das Taxi kam, und der Fahrer rieb sich verwundert die Augen, als sein Gast ihm das Fahrziel nannte. "Sie wissen, wie spät es ist, oder?" fragte er vorsichtig. "Ja," erwiderte Gibbs knapp, dessen Stimme noch immer nicht so recht zu funktionieren schien. Doch sein Blick war so stechend, dass der Fahrer hastig den Wagen startete. "Was... ähm, ich meine, es geht mich ja nichts an, aber... was wollen Sie denn um diese Zeit dort draußen?" fragte er vorsichtig, als sie unterwegs waren. "Wie Sie schon ganz richtig erkannt haben: das geht Sie nichts an," krächzte Gibbs knapp. Der Rest der Fahrt verlief schweigend. Jethro bezahlte den Fahrer und wartete darauf, dass das Taxi davonfuhr, ehe er sich zum Eingang des Friedhofes umdrehte. Das eiserne Tor war nicht verschlossen, und der Agent humpelte langsam hindurch und sah sich um. Es war eine klare, wolkenlose Nacht, und der fast volle Mond tauchte den Friedhof in ein silberglänzendes Licht. Sein Atem bildete dampfende Wolken, doch die Kälte drang noch immer nicht zu ihm durch, obwohl er den Mantel nicht geschlossen hatte.

Einen Moment lang blieb er stehen und ließ den Anblick auf sich wirken, ehe er sich erneut auf den Weg machte. Gleichzeitig überfiel ihn ein Deja-vu in nie gekannter Heftigkeit und Intensität. Genauso hatte er sich schon einmal hier entlang geschleppt. Vor siebzehneinhalb Jahren war es Hochsommer gewesen und drückend heiß, nun war es klirrend kalt und dunkel. Doch er fühlte sich genau wie damals, als er auf seinen Krücken genau den gleichen Weg entlang gehumpelt war. Damals war es sein Knie gewesen, heute der Fuß, doch die Wirkung war die gleiche. Der Schmerz erfasste ihn mit voller Wucht und in der gleichen Intensität wie damals. War es wirklich schon so lange her? Waren sie schon so lange tot? Warum fühlte es sich noch immer an, als sei es gestern gewesen? Warum schnürte der Schmerz ihm noch immer die Brust zusammen, dass er glaubte, keine Luft mehr zu bekommen?

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, ehe die beiden Grabstellen erreichte. Sie sahen noch immer so aus wie bei seinem letzten Besuch, der für die Pflege zuständige Gärtner hatte eine schlichte, aber passende Winterbepflanzung angelegt. Die Grabsteine glänzten silbrig, und Jethro konnte nicht verhindern, dass ihm die Tränen über das Gesicht liefen. "Verzeiht mir," schluchzte er schließlich. "Ich... ich konnte... ich konnte es einfach nicht!" Gleichzeitig fiel ihm auf, was er da gerade zugegeben hatte. Wie konnte er nur vor seiner eigenen Familie gefüchtet sein? Vor den Menschen, die er mehr geliebt hatte als sein Leben? Wie hatte er nur glauben können, dass er jemand anderen liebte? Wie sollte er Shannon das begreiflich machen? Ein letzter Rest Verstand meldete sich durch die Trauer u Wort und erklärte, dass sich völligen Schwachsinn zusammenspann. Doch all die über Jahre hinweg aufgestauten Emotionen und Schuldgefühle waren stärker.

Jethro stand lange einfach nur reglos da und weinte, ehe der Schmerz ihn in die Knie zwang.  Das Brennen in seinem Knöchel hatte sich mittlerweile durch den ganzen Körper ausgebreitet, sein Kopf pochte und drohte zu platzen. Doch der Agent bemerkte es nicht einmal, er war dermaßen in seiner Trauer versunken, dass der körperliche Schmerz nicht mehr zu ihm durchdrang. Doch seine Kräfte ließen nach, er schwankte hin und her, um in der Hocke das Gleichgewicht zu behalten. Schwindel überkam ihn, immer und immer wieder, und schließlich wurde es schwarz vor den rotgeweinten blauen Augen. Jethro stürzte vornüber und blieb reglos liegen. Das Heidekraut, das sein Gesicht empfing, spürte er nicht mehr.





Re: Ein Wintermärchen

Hollis

Als Hollis in der Nacht zu sich kam, war das Bett neben ihr leer. Verschlafen lauschte sie in die kleine Wohnung hinein und glaubte Wasser rauschen zu hören. Mittlerweile hielt sie es für keine gute Idee mehr, in unmittelbarer Nähe des Stützpunktes zu wohnen. Hier war es vorprogrammiert, dass die Erinnerungen ihn einholten und Hollis Befürchtung, Gibbs erneut verlieren zu können, wuchs immer mehr. Sie war sich sicher, dass eine ruhige, abgelegene Pension eine bessere Lösung gewesen wäre. Ein Ort, der keine Erinnerungen barg und ihnen die Möglichkeit gegeben hätte sich langsam und gemeinsam der Vergangenheit zu stellen. Gibbs´ Ignoranz gegenüber seiner Gesundheit und vor allem seine Einsilbigkeit bereiteten ihr Bauchschmerzen. Er benahm sich merkwürdig und begann sie erneut aus zu grenzen. Die Vertrautheit und Unbeschwertheit vom Morgen schien verflogen. Eine Erkenntnis, die sie enttäuschte und traurig machte. Natürlich hatte sie bisher auch nicht alles von sich preisgegeben, aber sie vertraute ihm, was er scheinbar immer noch nicht tat.

Seufzend dreht Hollis sich um und ließ ihre Ankunft in San Diego noch einmal Revue passieren. Lustlos hatte sie am Abend die Bestellkarte des Wok Express überflogen und sich letztendlich doch für etwas entschieden. Da Gibbs fest schlief, hatte sie entschieden allein zu essen. Anschließend war sie eine Weile über das Gelände geschlendert und hatte die Abendstimmung genossen. Von weitem hatte sie sogar geglaubt das Meer rauschen und den Duft der See riechen zu können. Sie freute sich am nächsten Morgen am Strand laufen gehen und einfach die Seele baumeln lassen zu können. Einfach ein paar Tage Ruhe zu genießen. Der Anblick eines verlassenen Kinderspielplatz hatte ihr auf dem kleinen Ausflug Tränen in die Augen getrieben und ihr schmerzlich bewusst gemacht, wie sehr Shania ihr fehlte. Das kleine Mädchen war ihr mehr ans Herz gewachsen als sie vermutete hatte. Ihre Anwesenheit hatte sie glücklich gemacht und von allen Problemen abgelenkt. Doch nun waren sie wieder allein und ein trüber Schatten hüllte sie ein. Sie hatte keine Ahnung was die richtige Entscheidung war. Sie war hin und her gerissen, denn neben den offenen Fragen, die in Washington zurück geblieben waren, gab es auch noch ein Leben auf Hawaii für sie. Ein Leben und Verpflichtungen, die sie ein Jahr lang aufgebaut hatte und nicht einfach ignorieren konnte. Trotzdem hatte sie das Thema weit von sich geschoben, weil es so am einfachsten war. Ein Trugschluss, wie sich vor ein paar Tagen, nach einem Anruf von Nick, herausstellt hatte. Der Professor hatte sie gebeten zurück zu kommen. Zurück nach Hawaii, an die Uni und zu den Studenten. Zurück zu einer Aufgabe, die ihr Freude bereitete, die sie neu ausgefüllt hatte und keine Zeit für schmerzliche Erinnerungen ließ. Eine Menge Gedanken, die sie zurück in den Schlaf begleiteten und nicht merken ließen, dass das Bett neben ihr leer blieb.

Erst am frühen Morgen bemerkte sie verwundert, dass die Seite neben ihr immer noch kalt war. Kein Kaffeeduft war zu riechen, kein Geräusch zu hören – die Wohnung war leer. Gibbs´ Sachen samt Schuhe waren weg, nur sein Handy lag mit leerem Akku auf dem Nachttisch. Von einem unguten Gefühl begleitet, wartete Hollis ungeduldig Vielleicht war er auf dem Weg zum Supermarkt, frische Brötchen und etwas zum Frühstück holen? Doch weit gefehlt. Als Gibbs nach über einer Stunde noch immer nicht aufgetaucht war, wich der Sorge Panik. Warum nur, hatte er ihr keine Nachricht hinterlassen? Sie hatte keine Ahnung bis ihr die leise Hoffnung auf einen wagen Hinweis kam. Zielsicher griff sie nach dem Haustelefon und drückte die Wahlwiederholung, worauf sich am anderen Ende ein Taxiunternehmen meldete. Mit kurzen Worte schilderte sie worum es ging und bekam zu ihrer Erleichterung eine sofortige Auskunft. Ja, ein Fahrer hatte einen grauhaarigen Mann mit Krücken mitten in der Nacht zu einem Militärfriedhof außerhalb der Stadt gefahren. Die Beschreibung passte auf Gibbs und Hollis musste sich vor lauter Aufregung ermahnen ruhig zu bleiben. Was war nur in ihn gefahren?

Nachdem sie sich eine genaue Wegbeschreibung hatte geben lassen, machte sie sich sogleich mit dem Mietwagen auf den Weg. Es war ein herrlicher Morgen und im Gegensatz zu Washington fast frühlingshaft mild, kaum noch ein Anzeichen von der winterlich kühlen Nacht zu spüren. Als Hollis den Friedhof erreichte, hatte die Sonne sich ihren Weg gebahnt und spiegelte sich auf vereinzelten weißen Marmorgrabsteinen wieder. Eine kaum überschaubare Fläche lag vor ihr und ein mulmiges Gefühl von Angst und Scheu beschlich die blonde Frau, als sie den Rasen des Friedhofs betrat. Erinnerungen an Colins Beerdigung wurden in ihr wach. An den Tag, an dem sie zum ersten und auch letzten Mal an seinem Grab gestanden hatte. Ziellos lief sie drauf los. War Jethro überhaupt noch hier oder längst schon wieder fort? Wo um alles in der Welt sollte sie ihn suchen?

Re: Ein Wintermärchen

Gibbs

"Jethro?" Eine leise Stimme drang an sein Ohr, eine Frauenstimme, die ihm furchtbar vertraut war. "Jethro?!" Noch einmal hörte er die Stimme, diesmal kräftiger und mit einem wütenden Unterton. Aber das... das konnte einfach nicht sein. Das war unmöglich. "Jethro!!" Diesmal war die Wut in der Stimme nicht mehr zu überhören. "Sha... Shannon?!" fragte der Ermittler verwirrt und versuchte, die Augen zu öffnen. Seltsamerweise war er nicht sicher, ob es ihm gelang, doch er konnte sie sehen. Shannon stand vor ihm, die Hände in die Hüften gestemmt, und ihre Augen funkelten vor Zorn. "Sag mal, bist du noch zu retten?!?!" fauchte sie ungehalten. Gibbs versuchte etwas zu erwidern, doch er brachte kein Wort hervor. "Was zum Teufel tust du mitten in der Nacht hier? Verdammt noch mal, hast du es eigentlich immer noch nicht begriffen?!" Jethro versuchte noch immer, sich zu rechtfertigen, aber so sehr er es versuchte, es gelang ihm nicht. Was ging hier vor sich? Warum war Shannon auf einmal hier? War er etwa gestorben? Erneut in diesem Zwischenraum zwischen Leben und Tod, wie damals, als er im Auto eingeschlossen war? Doch von Kelly war nichts zu sehen, nur Shannons grüne Augen funkelten ihn an und sprühten vor Wut. Er erinnerte sich an diese Augen, nur zu gut. Shannon war immer schnell wütend geworden, ein temperamentvoller Hitzkopf, der seiner Sturheit einiges entgegen gesetzt hatte.

"Verdammt, Jethro, hör mir doch endlich einmal zu!!" Warum kam sie ihm so real vor? Wo war er überhaupt? Der Agent versuchte, sich umzusehen, doch er konnte keine Konturen erkennen. "Wie oft haben wir das jetzt schon durchgemacht?" schrie Shannon weiter. "Wie oft soll ich es dir noch sagen?! Verdammt, komm zur Vernunft und hör mit dieser Selbstzerstörung auf!" "Ich... ich wollte... es tut mir leid!!" Endlich hatte er geschafft, auszusprechen, was ihm auf der Seele brannte. Die Worte verfehlten ihre Wirkung nicht, Shannons Wut verflog auf der Stelle. "Was tut dir leid, Jethro?" fragte sie ruhig. "Dass du zehn Jahre lang nicht hier gewesen bist? Warum sollte dir das leid tun? Was haben wir davon, dass du herkommst und traurig bist? Du denkst an uns, jeden Tag. Meinst du nicht, dass das genug ist? Hast du immer noch nicht begriffen, dass wir immer bei dir sind, egal wo du bist?" "Es... ich..." Schon wieder fehlten ihm die Worte. "Es... es tut so weh!" brach es schließlich aus ihm hervor. "Shhhhh...." flüsterte Shannon. "Ich weiß. Ich weiß... Aber es hilft nichts, dass du dich quälst. Ich habe dir schon so oft gesagt, dass du weiterleben sollst. Und zwar LEBEN, Jethro." Ihre Stimme war fest und ließ keine Widerrede zu. "Das ist dir bisher nicht besonders gut gelungen!!" setzte sie mahnend hinzu.

"Es ist... ich habe... ich weiß nicht, wie..." Herrgottnochmal, früher hatte er nicht so viel gestottert! Warum konnte er mittlerweile nicht einmal mehr mit Shannon vernünftig reden?! Es durfte einfach nicht wahr sein. "Du hast was?" fragte Shannon ruhig. "Eine neue Frau kennen gelernt? Ich weiß, Jethro. Ich kann es in deinen Augen sehen." Sie schwieg einen Moment und blickte bis in die Tiefen seiner Seele - so, wie sie es schon immer zu tun vermocht hatte. "Du liebst sie, Jethro. Und du gehörst an ihre Seite, und nicht mitten im Winter zu nachtschlafender Zeit auf einen Friedhof. Ich bin tot, Jethro, und ich werde nicht zurückkehren. Das weißt du. Also hör auf, dir Vorwürfe zu machen. Ich weiß, dass du uns nicht vergessen wirst. Es hätte nicht so sein sollen. Aber es ist passiert, und niemand wird daran etwas ändern. Das haben wir schon so oft durchgemacht... verdammt, Jethro, ich will dich nicht ständig trauern sehen. Achtzehn Jahre sind eine viel zu lange Zeit, um unglücklich zu sein. Du hast meinen Segen, Gunny, und das weißt du. Also hör endlich auf, dich zu verkriechen. Lebe, Jethro. Jeden Tag. Das Leben ist zu kurz, um unglücklich zu sein."

Jethro wollte noch etwas erwidern, doch im nächsten Moment war Shannon verschwunden. Um ihn herum war es dunkel und kalt, und etwas kratzte in seinem Gesicht. Und irgend jemand rüttelte an seiner Schulter. "Sir?!" fragte eine Männerstimme. "Ist alles in Ordnung?" Der Chefermittler versuchte zu antworten, doch aus seiner Kehle drang lediglich ein heiseres Stöhnen. Sein gesamter Körper schien in Flammen zu stehen, während er gleichzeitig vor Kälte zitterte. Er blieb einfach nur reglos liegen und versuchte zu verarbeiten, was gerade passiert war. Sein Kopf drohte zu platzen, und es fiel ihm schwer, überhaupt einen Gedanken zu fassen. Mühsam erinnerte er sich, wo er war und wie er hergekommen war. Wie aus weiter Ferne hörte er die Stimme des Mannes, der einen Notruf absetzte, spürte Hände, die ihn fassten und eine Decke über ihn breiteten. Dann tauchten plötzlich weitere Stimmen auf, hektisch, aber dennoch bestimmt. Fragen prasselten auf ihn ein, die er nicht beantworten konnte, weil seine Zunge ihm nicht gehorchte. Ein Licht stach in seine Augen, weitere Hände fassten ihn an und hoben ihn hoch. Er versuchte zu protestieren, als sie ihn auf die Trage legten, doch ein stechender Schmerz in seinem Fuß ließ ihn aufschreien und jede Bewegung unterlassen. Gesichter beugten sich über ihn, verschwommene Kleckse im Nebel. Jemand machte sich an seinem Arm zu schaffen, er spürte einen kurzen Schmerz und die Gesichter verschwanden.


Tess Kaufman

In den frühen Morgenstunden wanderte die sechsundneunzigjährige Dame wie jeden Morgen über den Militärfriedhof. Drei ihrer fünf Söhne waren hier begraben, und sie liebte die Ruhe und die Stille, die dieser Ort bot. So früh war nur sehr selten jemand hier, für gewöhnlich war sie allein. Doch heute entdeckte sie eine junge Frau, die zwischen den Gräbern umherlief und etwas zu suchen schien. "Kann ich ihnen helfen?" fragte Tess freundlich. Die blonde Frau drehte sich erschrocken um und musterte sie neugierig. "Ich weiß nicht..." seufzte sie schließlich unentschlossen. "Ich suche jemanden. Haben sie vielleicht einen Mann gesehen, ein bisschen älter als ich, mit grauen Haaren? Er hatte Krücken dabei und hat vermutlich das Grab seiner... seiner Frau besucht."

Die alte Frau schüttelte bedauernd den Kopf. "Ich habe niemanden gesehen," erwiderte sie. "Wie hieß denn seine Frau? Ich kenne viele der Gräber hier, vielleicht kann ich ihnen die Richtung sagen." "Shannon Gibbs," antwortete Hollis zögernd. "Sie ist... müsste 1991 hier beerdigt worden sein." "Einundneunzig..." murmelte Tess. "Dann müsste sie dort hinten beerdigt sein - oh mein Gott!" Sie schlug sich mit der Hand vor die Stirn. "Wie konnte ich das nur vergessen?! Natürlich!" Sie bemerkte Hollis entsetzten Gesichtsausdruck gar nicht und sprach einfach weiter. "Wissen Sie, Jefferson, mein Jüngster, war heute morgen sogar noch vor mir hier. Er hat die Nacht durchgearbeitet, und heute ist Tommys Todestag, deshalb ist er direkt nach der Arbeit hergefahren. Er ist ein guter Junge, Jefferson..." Ihre Gedanken schweiften ab, und erst ein vorsichtiges Räuspern der blonden Frau holte sie in die Gegenwart zurück. "Also, jedenfalls hat Jefferson mir von einem Mann berichtet, den er heute Morgen hier gefunden hat. Er lag mitten auf dem Grab, wie tot! Jefferson hat einen gehörigen Schreck bekommen, wissen sie, es war noch dunkel und er war ganz allein. Er hat geglaubt, dort läge ein Toter!!" Sie blickte die junge Frau mit weit aufgerissenen Augen an. "Aber Jefferson ist ein guter Junge, so tapfer... Er ist hingegangen und hat nachgesehen, und der Mann hat wirklich noch gelebt! Er hat gestöhnt  und gemurmelt "Es tut so weh.." Jefferson hat gleich einen Krankenwagen gerufen, und die haben ihn dann mitgenommen." "Wissen Sie, in welches Krankenhaus man ihn gebracht hat?!" Hollis wahrte nur mühsam ihre Geduld. "Das weiß ich nicht, Lady," antwortete Tess etwas pikiert. Eigentlich wollte sie viel lieber erklären, warum Tommy damals zu Tode gekommen war und dass Jefferson und er sich immer so wunderbar verstanden hatten. Doch das schien die fremde Frau nicht sonderlich zu interessieren. "Aber hier gibt es nur wenige Krankenhäuser, und da dies hier ein Militärfriedhof ist, haben sie ihn vermutlich ins Bethesda gebracht. Das ist ein paar Kilometer weiter auf der anderen Seite vom Camp. Fahren Sie einfach die Hauptstraße entlang, das können sie gar nicht verfehlen."


Bethesda Naval Hospital

"Wie geht es unserem Patienten?" fragte die junge Assistenzärztin Janice Johnson leise. Ihr Kollege und Vorgesetzer, Dr. Jack Brentwood, zuckte mit den Schultern. "Er schläft," kommentierte er, während beide den grauhaarigen Patienten betrachteten. "Er war stark unterkühlt und hat hohes Fieber, aber nichts lebensbedrohliches. Die Verletzungen an Hand und Knöchel scheinen älter zu sein, wobei mir insbesondere der Knöchel etwas Sorgen macht. Aber bis er wieder wach wird, unternehmen wir erst mal gar nichts, außer ihn warmzuhalten und Flüssigkeit zuzuführen." "Wissen wir schon, wer er ist?" "Nein," antwortete Jack. "Er hatte etwas Geld in der Tasche, aber keine Papiere, ebenso wenig wie ein Handy. Warten wir ab, bis er wieder zu sich kommt, er wird es uns sicher sagen können. Dem Haarschnitt nach... war er mit Sicherheit ein Ex- Marine, der einen alten Kameraden besuchen wollte. Warum er das mitten in der Nacht gemacht hat, ist mir allerdings schleierhaft..." Seine Kollegin lachte. "Lass das nicht den Boss hören," grinste sie. "Du weißt doch, es gibt keine Ex-Marines..."



Re: Ein Wintermärchen

Hollis

Kaum das Hollis den Namen des Krankenhauses wusste, murmelte sie der älteren Dame ein flüchtiges Danke entgegen und machte sich mit raschen Schritten auf den Weg zu ihrem Auto. Die Nachricht, dass man Jethro erneut in ein Krankenhaus gebracht hatte, hatte die blonde Frau eiskalt erwischt. Sie waren doch nicht nach Kalifornien geflogen, damit alles noch einmal von vorne begann. Sie waren hierher gekommen, weil er es vorgeschlagen hatte, weil er es gern wollte. Erst bei diesen Gedanken wurde Hollis plötzlich bewusst, wieso sie hier waren. Warum er ihr den Vorschlag gemacht hatte und wieso er hierher kommen wollte. Er hatte Angst gehabt. Angst, alleine zurück zu kehren. Er brauchte jemanden der ihn bekleidete. Aber wieso wollte er sie bei sich haben, wenn er sie letztendlich doch wieder aus schloss? Lauter offene Fragen auf die nur Gibbs die Antwort kannte.

Hollis´ Schritte wurden immer langsamer, bis sie vor dem eisernen Tor des Friedhofs ganz zum stehen kam. Ihre Angst, die sie die ganze Zeit über begleitet hatte, war plötzlich eingedämmt worden. Ein Gefühl sagte ihr, dass es ihm trotz aller Widrigkeiten gut ging und er versorgt war. Dass es keinen Grund zur Panik gab und sie sich erst einmal beruhigen musste. Dass sie versuchen sollte zu verstehen, bevor sie etwas unüberlegte tat. Aus diesem Grund machte sie auf dem Absatz kehrt und suchte die Stelle, an der man Gibbs gefunden hatte. Die ehemalige Agentin brauchte nicht lange bis sie Shannon und Kellys Grab entdeckt hatte. Auf dem Boden waren noch immer die Abdrücke seines schweren Körpers zu sehen. Die noch sichtbaren Dellen im Gras und das eingedrückte Heidegras ließen darauf schließen, dass er ziemlich lange dort gelegen haben musste. Verständnislos schüttelte Hollis den Kopf. Was war nur los mit ihm? Warum tat er sich das an?

Mit traurigem Blick sah sie auf das gepflegte Grab mit dem schlichten weißen Grabstein. Im Gedanken, das Geburtsjahr von Shannon überschlagend, stellte sie fest, dass sie fast im gleichen Alter waren. Nur  ein bisschen Unterschied. Und Kelly, seine Tochter, wäre jetzt eine junge Frau. Im besten Alter selbst Kinder zu haben. Seufzend flüsterte Hollis leise: „Es tut mir so leid “, bevor sie sich eine lose Haarsträhne hinters Ohr strich und zu einem stummen Dialog überging: „Für ihn - für euch. Bis vor über einem Jahr habe ich gar nicht gewusst, dass es euch gab. Er hat nie erwähnt, dass er eine Familie hatte. Er liebte euch und liebt euch noch immer. Er liebt euch so sehr, dass er diese Erinnerungen mit niemanden teilen will. Aber...“ Hollis seufzte erneut und blickte zum Himmel auf. „Ich liebe ihn auch. Mehr als ich in Worte fassen kann. Ich will für ihn da sein. Ihm beistehen, wenn... ja wenn er es zulassen würde. Es gibt so viele Dinge, die ich ihm sagen möchte. So vieles, dass ich mit ihm teilen will. Alles damit er bemerkt, dass er nicht allein ist. Damit er begreift, wie froh er sein kann, dass er euch an seiner Seite haben durfte, wenn es auch nur für eine viel zu kurze Zeit war.“ Tränen kullerten über ihr Gesicht und Hollis spürte einen warmen Windzug über ihre Haut fahren. Ein eigenartiges, angenehmes Gefühl, das ihr die Kraft gab, das stumme Gespräch zu beenden. „Es ist nicht einfach geliebte Menschen zu verlieren. Sie nie wieder sehen und im Arm halten zu können. Aber was noch viel schwer ist, ist die Ungewissheit. Die Ungewissheit, wenn man nicht weiß, ob der Mensch, den man geliebt hat, noch lebt. Wenn man nicht weiß, ob man um ihn trauern oder noch auf ihn hoffen darf.“ Mit einer energischen Handbewegung wischte Hollis sich die Tränen aus dem Gesicht und sah erneut auf den Grabstein. „Es tut mir wirklich Leid und ich weiß, wie weh es ihm immer noch tut. Aber, ich hoffe für ihn und für mich, dass wir die Kraft aufbringen, einen gemeinsamen Weg zu finden.“ Sie lachte wehmütig auf. „Ich habe es ihm bisher nie gesagt, aber trotz all seinem Verlust, hat er mit der Gewissheit eures Todes und der Möglichkeit eines Ortes, um euch zu trauern, mehr als ich je hatte.“ Schniefend schloss sie einen Moment lang die Augen, genoss die warme Morgensonne auf ihrem Gesicht und wandte sich zum gehen. Es wurde Zeit herauszufinden, ob Gibbs wirklich in das Krankenhaus gebracht wurden war und wie es ihm ging. Langsam drehte Hollis sich noch einmal kurz um, sah den weißen Stein hell im Sonnenlicht leuchten und versprach den beiden laut: „Egal was geschieht. Ich werde auf ihn aufpassen.“

Eine Viertelstunde später erreichte sie das Bethesda Hospital und erkundigte sich am Empfang nach einem grauhaarigen Mann den man auf dem Militärfriedhof gefunden hatte.

Re: Ein Wintermärchen

Gibbs

Jethro erwachte, weil jemand seinen Arm fasste. Er schoss hoch und griff instinktiv nach seiner Waffe, doch ein brennender Schmerz stoppte ihn. Mit einem leisen Aufschrei zog er die Hand zurück, sie war verbunden und offensichtlich war es keine gute Idee gewesen, damit gegen die Bettdecke zu stoßen. Neben ihm stand eine hagere Krankenschwester, die sich ebenso erschreckt hatte wie er und ihn nun aus einem gewissen Sicherheitsabstand heraus anstarrte. Sie hatte eine Hand vor die Brust geschlagen und wagte es kaum, wieder näher zu kommen. Der Ermittler ließ seinen Blick rasch durch den übrigen Raum schweifen und versuchte herauszufinden, wo er war. Offensichtlich lag er schon wieder im Krankenhaus, aber warum? Wegen einer verbundenen Hand? Wie war er hier hergekommen? Und was war mit Hollis passiert?

Langsam ließ er sich wieder in die Kissen sinken, und die hagere Schwester trat vorsichtig näher. "Schön, dass sie endlich aufgewacht sind," sagte sie und versuchte zu lächeln. Der Agent lächelte ebenfalls. Sein Hals kratzte wie verrückt, und er musste sich kräftig räuspern, ehe er etwas hervorbringen konnte. "Wo... wo bin ich hier?" fragte er heiser. "Bethesda Naval Hospital, San Diego," antwortete die Schwester. "Dr. Brentwood wird gleich hier sein, Mr. ..." Sie stockte. "Gibbs," half Jethro weiter. "Leroy Jethro Gibbs." Die Schwester lächelte erleichtert, aus irgendwelchen Gründen schien es sie zu freuen, dass er in der Lage war, sich vorzustellen. Nicht ganz grundlos, wie dem Agenten durch den Kopf schoss, er hatte am eigenen Leib erlebt, dass es auch anders sein konnte.

Bevor er weitere Fragen stellen konnte, tauchte ein schlanker, breitschultriger Mann auf, der etwa in seinem Alter war. "Guten Tag, Mister Gibbs," begrüßte er den Patienten. "Mein Name ist Dr. Brentwood, ich bin für sie verantwortlich, so lange sie bei uns sind." Er reichte dem Grauhaarigen die Hand und lächelte, als dieser sie etwas umständlich mit der Linken ergriff. "Was ist passiert?" fragte Jethro ohne Umschweife. "Und wie geht es Hollis? Ich meine, Mrs. Mann." Der Arzt blickte ihn überrascht an. "Um ehrlich zu sein, hatten wir gehofft, dass Sie uns das sagen könnten, Sir. Ein Besucher hat sie heute morgen gegen halb acht auf dem Friedhof südlich von Camp Pendleton entdeckt. Von einer Frau hat er allerdings nichts bemerkt."

Der Agent blickte stumm an die Decke. Er erinnerte sich langsam wieder. An ihre Ankunft und den gestrigen Abend, an seine wirren Träume und die Unruhe, die ihn befallen hatte. Er erinnerte sich an seine Fahrt zum Friedhof - und daran, dass Shannon ihm kräftig die Leviten gelesen hatte. Shannon... im gleichen Moment sah er sie wieder vor sich, mit vorgerecktem Kinn schien sie ihn herausfordernd anzusehen. Fängst du etwa schon wieder damit an?! fragte ihr Blick, und Jethro schmunzelte. Ja, das war Shannon, die Frau, die er geliebt hatte. Ist ja schon gut, schickte er einen Gedanken zurück und wandte sich wieder dem Arzt zu.

"Sie haben ziemlich lange in der Kälte gelegen," erklärte der Mediziner gerade. "Als man Sie gefunden hat, waren Sie bewusstlos und hatten hohes Fieber. Mittlerweile haben wir das wieder in den Griff bekommen. Was ihre weiteren Verletzungen angeht, haben wir zunächst abgewartet, aber das werden wir uns auch noch genauer ansehen. Was um alles in der Welt haben Sie dort draußen eigentlich gesucht?" "Es war eine private Sache," wich der Ermittler aus. Brentwood nickte und fragte nicht weiter nach. "Haben Sie irgendwelche Identitätsnachweise bei sich?" fragte er stattdessen. "Und sagen sie mir bitte ihre Sozialversicherungsnummer - wir konnten nichts bei ihnen finden." Gibbs lächelte und gab ihm die gewünschten Daten, woraufhin der Arzt rasch verschwand.


Dr. Jack Brentwood

Erleichtert, dass der Patient wieder bei Bewusstsein und offensichtlich bei klarem Verstand war, eilte der Mediziner rasch zur Zentrale, um die erhaltenen Daten der Verwaltung zu übermitteln. Zu seiner Überraschung hörte er hinter sich plötzlich eine Frauenstimme, die sich an der Pforte nach einem grauhaarigen Mann erkundigte, den man auf dem Friedhof gefunden hatte. "Mister Gibbs?" fragte Brentwood nach. Die Erleichterung im Gesicht der blonden Frau war ihm Antwort genug. "Es geht ihm den Umständen entsprechend, Miss..." "Mann," erwiderte die Frau. "Hollis Mann." Und wie geht es Hollis? Ich meine, Mrs. Mann. Die Stimme des Patienten klang wie ein Echo in seinem Kopf. "Er ist erst vor wenigen Minuten aufgewacht," erklärte der Mediziner. "Aber er hat bereits nach ihnen gefragt," setzte er schmunzelnd hinzu, während er den Besuch durch die Gänge geleitete und vor einer Tür stehen blieb. "Sie können für ein paar Minuten zu ihm, wenn Sie wollen," schlug er vor. "Allerdings... allerdings ist er wie gesagt gerade erst zu sich gekommen, es wäre nicht gut, wenn er sich aufregt." Die blonde Frau nickte. "Und... und wir haben seine weiteren Verletzungen noch nicht untersucht, das müssen wir bald tun. Sie haben also leider nur ein paar Minuten, Ma'am." Die blonde Frau nickte noch einmal, und Jack Brentwood ließ sie allein zurück, um sich einem anderen Patienten zu widmen.