Alles wiederholt sich ...
Kriegserklärung an Aborigines
Nach einer alarmierenden Sozialstudie will die konservative Regierung Australiens Ureinwohnergemeinden unter Polizei- und Militärkontrolle stellen. Dabei verursacht ihre rigorose Politik schon seit elf Jahren tiefes soziales Elend
Von Thomas Berger
Gegen rassistische Polizisten und Diskriminierungen aller Art: Australiens Ureinwohner demonstrierten im März 2004 gegen staatliche Gewalt
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The Little Children are Sacred« (Die kleinen Kinder sind heilig)* ist Auslöser für eine Kontroverse, die derzeit Australien spaltet. Was die Einwohner des fünften Kontinents hingegen eint, sind Erschrecken und Empörung über die Ergebnisse, zu denen eine unabhängige Untersuchungskommission nach wochenlangen Recherchen in diversen Aborigines-Gemeinden der Provinz Northern Territory gelangt ist. Das Team, das im Auftrag der Regionalregierung agierte, hat in alarmierenden Zahlen Gewalt und sexuellen Mißbrauch von Kindern festgestellt. Schon bei Fünfjährigen seien sexuell übertragbare Krankheiten festzustellen. Da die Autoren des Papiers über den Verdacht erhaben sind, Fakten aus niederen politischen Beweggründen zu manipulieren und aufzubauschen, wird letztlich auch nicht über die Zahlen als solche, sondern über die Folgen und notwendigen Schritte diskutiert.
Mögen die Kommissionsmitglieder lediglich ihrer Aufgabe nachgekommen sein, so bildet das von ihnen erarbeitete Papier für die konservative Zentralregierung im Vorwahlkampf gewissermaßen eine Steilvorlage. Während die sozialdemokratische Provinzregierung als eigentliche Auftraggeberin in Darwin die schrecklichen Erkenntnisse erst einmal auf sich wirken ließ, reagierte das Kabinett in Canberra prompt. Der konservative Premier John Howard und sein für Ureinwohnerfragen zuständiger Ressortchef Mal Brough stellten ein Maßnahmepaket vor, das etliche Aborigines-Gemeinden wieder direkter staatlicher Kontrolle unterstellt wissen will. Außerdem sollen ein generelles Alkohol- und Pornographieverbot verhängt und alle Ureinwohnerkinder bis 16 Jahre obligatorischen medizinischen Untersuchungen unterzogen werden. Nicht nur Aborigines-Verbände laufen dagegen Sturm, auch Menschenrechtsgruppen und progressive Politiker kritisieren den Vorstoß der Regierung als untauglich und werten ihn als einen verheerenden Rückfall in gescheiterte Politikmuster im Umgang mit der wichtigsten nationalen Minderheit. Selbst Malcolm Fraser, ein früherer konservativer Regierungschef, rügt seinen Parteifreund Howard: »Die Maßnahmen der Regierung sind ein Rückschritt zum Paternalismus der Vergangenheit.«
So sieht sich Clare Martin plötzlich zwischen Baum und Borke. Die sozialdemokratische Chefministerin des Northern Territory, Auftraggeberin für den alarmierenden Report, hätte mit ihren Mitstreitern gern in Ruhe über notwendige Schritte beraten und unter Einbeziehung von Aborigines-Vertretern, Sozialarbeitern und anderen gesellschaftlichen Kräften ein wirksames Konzept zur Lösung der Probleme erarbeitet. Nun haben ihr Howard und die Zentralregierung nicht nur das Zepter aus der Hand genommen. Schlimmer noch: Es sind ausgerechnet Clare Martin und ihre Labor-Genossen im Northern Territory, die in ihren Wahlkreisen die kochende Volksseele der Ureinwohnergemeinschaften beruhigen müssen. Nirgendwo sonst sind Empörung, Wut und Proteste wegen der aggressiven Politik der Konservativen so groß wie im Norden, wo die Kontroverse ihren Ursprung nahm.
Doch auch in anderen Teilen des Landes gibt es Widerstand. Bei einer kurzfristig anberaumten Protestkundgebung vor dem tasmanischen Parlament in Hobart kamen am 27. Juni 250 Menschen zusammen. Sprecher wie der grüne Senator Bob Brown werteten das Vorgehen des Premiers als »durchschaubare Wahlkampfstrategie einer Regierung, die in elf Amtsjahren nichts für die Ureinwohner getan hat«. Als rassistisch brandmarkten andere Redner die Pläne. Trotzdem wurde auch die tasmanische Regionalregierung von der Aborigines-Aktivistin Sara Maynard wegen der Unterstützung für die Maßnahmen scharf kritisiert.
Ayers Rock als Druckmittel
Zum Northern Territory, wenngleich in seinen südlichsten Ausläufern, gehört auch der Ayers Rock, jener imposante rötlichbraune Tafelberg, der ein Nationalheiligtum vor allem seiner Ureinwohner ist und deshalb als eine der wichtigsten Touristenattraktionen gilt. Aus aller Welt fliegen die Besucher ein, rund eine halbe Million pro Jahr. Deshalb schaffte es in den letzten Junitagen auch die Meldung von der beabsichtigten Sperrung des Uluru, wie die Aborigines ihren heiligen Berg nennen, weltweit in die Schlagzeilen. Für den Fremdenverkehr wäre das ein Desaster, weshalb man über das rabiate Verhalten der Regierung sehr verbittert ist.
Der Uluru gehört zum Gebiet von Mutitjulu. Die wichtigste Ureinwohnersiedlung im Zentrum des fünften Kontinents, südlich des Provinzstädtchens Alice Springs gelegen, ist eine der fünf ersten Aborigines-Communities, die jetzt unter direkte staatliche Kontrolle gestellt werden. Vince Forrester, Mitglied des Ältestenrates von Mutitjulu, konnte vor Vertretern des australischen Rundfunks seine Empörung nicht verbergen: »Wir werden eine Kampagne des zivilen Ungehorsams starten. Welche anderen Möglichkeiten haben wir denn, als uns beispielsweise mit der Sperrung des Uluru Aufmerksamkeit zu verschaffen? Die Touristenindustrie bringt schließlich eine Menge Dollar in die Region.« Dollar, von denen die Ureinwohner nur wenig sehen. Ungeachtet des Widerstandswillens hätten viele Aborigines aber einfach Angst, sagte Forrester. »Unsere Gemeinschaft ist entsetzt, daß es eine Art militärische Operation gegen die ärmsten Bürger Australiens gibt.«
Mit einer gemeinsamen Erklärung haben sich die Führer von Mutitjulu am 27. Juni an die breite Öffentlichkeit gewandt. »Der Umstand, daß wir diese Siedlung ohne Geld, ohne Hilfe, ohne Arzt und Regierungsunterstützung zusammenhalten, grenzt an ein Wunder. Jede Gemeinschaft, ob schwarz oder weiß, hätte zu kämpfen, wenn ihr selbst die grundlegendsten Ressourcen vorenthalten werden«, heißt es darin. Akribisch wird die dramatische Lage dokumentiert: Für eine dringend benötigte Dialysemaschine gibt es Geld über eine Stiftung, doch die zuständige Behörde verweigere den Kauf. »Wenn es angeblich einen Notstand gibt, warum sorgt dann Minister Brough nicht für die unverzügliche Anschaffung der Maschine?« Das örtliche Krankenhaus sei derzeit faktisch geschlossen, die medizinische Versorgung in der Region katastrophal, mahnen die Unterzeichner. Was gebraucht werde, seien langfristige Programme mit gesicherter Finanzierung, um Bildungssystem, Gesundheitswesen und lokalen Beschäftigungssektor auf Vordermann zu bringen.
Die Regierung setzt auf staatliche Machtpräsenz. Drei Beamte der nationalen Australian Federal Police (AFP) sollen ihren einheimischen Kollegen allein in Mutitjulu auf unbestimmte Zeit zur Seite gestellt werden. Insgesamt wurden zunächst zehn AFP-Angehörige in einem siebentägigen Kurzlehrgang auf die »besonderen Herausforderungen« ihres Einsatzes vorbereitet. Natürlich seien die Polizisten bewaffnet, betonte David Bachi, Kommandeur der AFP-Einheit, auf Reporterfragen. Bei seinen Kollegen handle es sich um Beamte, die bereits bei Auslandsmissionen auf den Salomonen oder in Osttimor dabei waren. Warum ausgerechnet dies sie für den sensiblen Einsatz im Outback qualifiziere, wo ganz eigene Regeln gelten, wurde allerdings nicht erklärt.
Schlimme Erinnerungen geweckt
Stets kontrolliert und bedrängt: Eine Aborigines-Gemeinde im australischen Redfern wird mit Spürhunden nach Rauschgift durchsucht
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Linke Gruppen und die Grünen als einzige der großen politischen Kräfte solidarisieren sich mit dem wachsenden Widerstand der Aborigines. Anders die Labor Party als wichtigste Oppositionskraft, die aber in sich gespalten ist: Die Spitzen der von den Sozialdemokraten gestellten Regionalregierungen leisten der Howard-Administration bei der Entsendung von zusätzlichen Polizeikräften ins Northern Territory Schützenhilfe. Nur Alan Carpenter, Premier von West Australia, verweigert sich. Von einem »nationalen Notstand«, wie ihn Australiens Regierungschef in Canberra bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit beschwört, will er nichts wissen. Besonders Minister Brough reagierte darauf sauer. Wenn Carpenter sich weigere, wie die anderen Regionalführer den »bedrängten Nachbarn« im Northern Territory zu Hilfe zu kommen, werde sich das künftig negativ auf die Beziehungen zwischen Zentrale und West Australia niederschlagen, drohte er unverhohlen. Ein Ausscheren aus der gemeinsamen Front würde »Konsequenzen« haben. Broughs Chef ist ohnehin bekannt für verbale Attacken. Mehrfach hat sich Howard in seinen bisher elf Amtsjahren durch drastische Äußerungen in die Nesseln gesetzt. Auch aktuell wartet er wieder mit einem unpassenden Vergleich auf: Die ermittelten Fälle von häuslicher Gewalt, Alkoholsucht und Kindesmißbrauch seien eine nationale Katastrophe wie Ende August 2005 der verheerende Hurrikan »Katrina« im Süden der USA.
Die Kritiker des konservativen Premiers sehen nicht ein, mit ihm verbal diplomatischer umzuspringen. Howard werde bei seinem Feldzug sein persönliches Irak erleben, kündigen seine Gegner an. Eine regelrechte Kriegserklärung habe Howard ausgesprochen, zitiert das linksalternative Magazin Green Left Weekly den Ureinwohneraktivisten Michael Mansel, Direktor des Tasmanian Aboriginal Centre. Nirgendwo in »The Little Children are Sacred« sei als Vorschlag von einem Einmarsch durch Polizei und Militär die Rede gewesen. Statt harter Hand von außen, wie jetzt die Marschrichtung sei, hätten die Autoren des Reports verstärkte Konsultationen angeregt. In überaus selektiver Weise habe der Premier Auszüge des Materials für seine eigenen Zwecke mißbraucht.
Weder die Beruhigungsversuche der Abgeordneten in ihren Heimatwahlkreisen noch erst recht die verschärfte Präsenz von Vertretern der Staatsmacht können den Aborigines ihre Ängste nehmen. Wie die National Indigenous Times wichtigstes Medium der Ureinwohner in einem Beitrag herausstellte, fühlen sich gerade die Älteren mit einigen Regierungsmaßnahmen in schlimmer Weise an die Vergangenheit erinnert. Die »gestohlene Generation« ist noch allzugut im kollektiven Bewußtsein verankert. Bis zur Aufhebung der Praxis im Jahr 1975 hatten staatliche Stellen in Tausenden Fällen Aborigines-Kinder zwangsweise ihren Eltern weggenommen, in Heime gesteckt und an weiße Familien zur Adoption freigegeben. Der 2002 nach einer wahren Begebenheit gedrehte und im Folgejahr auch in deutschen Kinos gezeigte Film »Long Walk Home« erinnert an diese düstere Episode: Drei Mädchen, aus einem Heim ausgebrochen, flüchten Hunderte Kilometer entlang des Kaninchenzauns, der Australien von Nord nach Süd durchschneidet, nach Hause. Ziel der Politik der siebziger Jahre war es, mit dieser drastischen Methode schrittweise die Jahrtausende alte Aborigines-Kultur zu zerstören. Aus den Kindern sollten »dunkle Weiße« werden, die weder die Sprache ihrer Vorfahren sprechen noch deren Bräuche kennen. Bis heute wirkt das Trauma und ist bei »Nachgeborenen« durch Erzählungen der Eltern und Großeltern präsent. Aus Furcht, bei den jetzt angeordneten medizinischen Zwangsuntersuchungen könnte es erneut zum staatlichen Kinderraub kommen, haben einige Mütter mit ihren Sprößlingen schon die Flucht in den Busch angetreten. Die Zentralregierung, zu diesem Schluß kommen die Reporter der National Indigenous Times zwischen den Zeilen, führe sich auf wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen.
Am Rand der Gesellschaft
Die dramatischen Fakten zur Situation in den Ureinwohnersiedlungen, die im aktuellen Report akribisch aufgelistet sind, lassen sich nicht wegdiskutieren, und niemand unternimmt einen solchen Versuch. Daß Alkoholismus und daraus resultierend häusliche Gewalt in vielen Aborigines-Familien zum Alltag gehören, haben auch Sozialarbeiter und Ureinwohnervertreter in der Vergangenheit immer wieder zur Sprache gebracht und Aktivitäten der Politik eingefordert. Getan hat sich allerdings wenig. Auch jetzt glänzt Premier Howard nur durch billige Rhetorik. Keiner der konservativen Spitzenpolitiker fragt nach den Ursachen der Krise. Denn der dramatische Alkohol- und Drogenkonsum ist für viele Ureinwohner nur der letzte verzweifelte Versuch, der Perspektivlosigkeit zu entfliehen. Die meisten Aborigines-Familien leben von der staatlichen Sozialfürsorge. Schon früh müssen die Jugendlichen erfahren, daß es für sie kaum einen Job geben wird, und während bei ihrer Generation der angestaute Frust bisweilen in Aggressionen ausbricht, ertränken die etwas Älteren ihre Hoffnungslosigkeit im Alkohol. Was deswegen viele Frauen von ihren Ehemännern an Mißhandlungen erdulden müssen, ist erschreckend. Die zunehmende Gewalt und der sexuelle Mißbrauch von Kindern setzt der dramatischen Entwicklung jetzt noch die Krone auf. Schon Mädchen und Jungen im Grundschulalter seien für Alkohol oder andere Waren regelrecht gehandelt worden, haben die jüngsten Untersuchungen ergeben.
Priscilla Collins von der Nordaustralischen Aborigines-Gerechtigkeitsagentur hat 18 Jahre in der zentralen Wüstenregion gearbeitet und kennt die Situation in den tristen Outback-Siedlungen genau. »Es gibt keine Rehabilitationsprogramme, um den Alkoholkranken dort beim Ausstieg aus der Sucht zu helfen. Das Gebiet lediglich durch ein generelles Alkoholverbot auszutrocknen, bringt nichts. Das lenkt die unkontrollierten Wut- und Gewaltausbrüche der Süchtigen nur noch stärker gegen die eigenen Familienmitglieder.« Die Handlungsweise der Regierung sei extrem kurzsichtig. »Beschäftigung ist doch der Schlüssel«, betont Collins. »Wer keinen Job hat, kann ja nur den ganzen Tag zu Hause sitzen und in Depressionen verfallen. Wir müssen diese Gebiete entwickeln, mit Tankstellen, Läden und Krankenhäusern Arbeitsplätze schaffen.«
Bis heute leben Australiens Ureinwohner am Rande der Gesellschaft. Ihre Lebenserwartung ist im Durchschnitt um zwei Jahrzehnte geringer als bei Weißen. Nur jeder zweite männliche Aborigine hat Aussichten, älter als 50 zu werden. »Als Australier mögen wir es nicht, als Rassisten bezeichnet zu werden. Doch es gibt zur Beschreibung kein anderes Wort«, schrieb Herausgeber Chris Graham in der jüngsten Ausgabe der National Indigenous Times. Unter dem Titelthema »The awful truth« (Die schreckliche Wahrheit) wird aufgedeckt, daß die vermeidbaren Todeszahlen unter den Ureinwohnern noch höher liegen als bisher bekannt. Statt jährlich etwa 2000 Fällen, in denen Aborigines wegen mangelnder medizinischer Versorgung sterben, sollen es nach neuesten Erkenntnissen im Vorjahr bis zu 10236 Tote gewesen sein. In nunmehr elf Jahren konservativer Regierung habe sich nichts positiv bewegt, so Graham.
Jugend ohne Perspektive
Wenn es hier und dort gewisse Fortschritte im Vergleich zu früher gibt, dann aufgrund lokaler Initiativen, nicht aber wegen des Einsatzes der Zentralmacht. Zum Beispiel in Newcastle, der ehemaligen Industriestadt, drei Autostunden nördlich der größten Metropole Sydney. Nicht nur, daß der Stadtrat hier seinerzeit einer der ersten war, der sich für das in mehr als 200 Jahren an den Ureinwohnern begangene Unrecht offiziell entschuldigte und die Versöhnung zwischen weißer Mehrheitsgesellschaft und Aborigines zur Leitlinie künftiger Politik machte. In Newcastle gibt es auch ein Museum, das die gravierenden Menschenrechtsverletzungen von der britischen Kolonialära bis in die achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts schonungslos darstellt, die Lebenssituation der Ureinwohner deutlich macht und einige jener Aborigines porträtiert, die es trotz ihrer Herkunft in hohe Positionen von Wissenschaft, Kultur und Justiz geschafft haben.
Ray Kelly zum Beispiel. Er leitet einen Sozialbetrieb, der sich in vielfältiger Weise um die Belange der Minderheitsangehörigen kümmert. Zwischen 17000 und 18000 Aborigines gibt es in der Stadt, erzählt der vielbeschäftigte Chef, der sich trotz der Arbeitsbelastungen gerne Zeit nimmt, um Außenstehenden die Probleme und Lösungsansätze zu erläutern. »Die meisten Ureinwohner leben am Rand der Gesellschaft. Wir Sozialarbeiter versuchen, ihnen zu helfen, bieten medizinische Versorgung, Hilfe bei der Ausbildungs- und Jobsuche, stehen bei psychologischen Schwierigkeiten zur Seite.« Aber auch sie können letztlich keine Wunder vollbringen. »Am schlimmsten ist«, so der Mann, der selbst stolz auf seine Abstammung von den ersten Bewohnern des Kontinents ist, »daß unsere Jugend kaum eine Perspektive hat.«
Junge Aborigines sind an den Universitäten selten anzutreffen. Ihnen ist bereits im Bildungssystem ein gleichberechtigter Zugang verwehrt. Sogar, wer gute Leistungen nach Hause bringt, hat im Beruf mehr als seine weißen Altersgenossen zu kämpfen, um auf dem eingeschlagenen Weg voranzukommen. Rassismus und Diskriminierung haben heute andere Gesichter als vor 100 oder 150 Jahren, als »die Wilden« teilweise zu Dutzenden in Massakern niedergemetzelt wurden. Dabei hat sich im Denken nicht immer viel geändert: Für etliche weiße Australier beginnt die Geschichte ihrer Heimat erst in jenen Januartagen 1788, als die Flotte mit den ersten Sträflingen in der Botany Bay vor Anker ging. Der aktuelle Streit ist somit auch ein Stück Kulturkampf: Was die Regierung Howard wahlkampfübereifrig angeschoben hat, ist nur dazu angetan, den bestehenden Graben gegen alle erzielten Fortschritte wieder stärker aufzureißen, warnen Ureinwohneraktivisten und linke Intellektuelle.
Was sich in den Siedlungen zusammenbraut, ist eine explosive Mischung aus alten Ängsten, neuer Wut und auch einem Stück gewachsenen Selbstbewußtsein. Notfalls mit zivilem Ungehorsam nach dem Vorbild Mahatma Gandhis wollen sich die Ureinwohner gegen den Bruch mühevoll erstrittener Rechte und für den Erhalt von Freiheiten wehren. Denn hinter den Maßnahmen der Regierung stecke nichts anderes als neuer, großangelegter Landraub, so Pat Turner. Die Frau, die einstmals an der Spitze der inzwischen aufgelösten nationalen Ureinwohnerkommission stand, sieht bei den Konservativen eine ganz andere Agenda als die angebliche Hilfsbereitschaft: »Wir glauben, daß diese Regierung die Fälle von Kindesmißbrauch nur wie das Trojanische Pferd benutzt, um wieder die totale Kontrolle über Ureinwohnerland auszuüben.« Die Betroffenen seien aber nicht dumm und würden nicht hinnehmen, daß letztlich im Interesse von Minengesellschaften und anderen Nutznießern Landrechtsgesetze ausgehebelt werden. Gegenwärtig müssen Weiße um Erlaubnis bitten, wenn sie Aborigines-Gebiete besuchen. Wer dieses System abschaffen wolle, so Pat Turner und andere, werde auf geballten Widerstand stoßen.
* Die Studie ist im Internet herunterzuladen unter:
nt.gov.au/dcm/inquirysaac/pdf/bipacsa_final_report.pdf
"Mit Uhren kennen wir
uns nicht aus.
Wir tun die Dinge dann,
wenn wir bereit sind."
(Redewendung der Irokesen)