Im Behandlungsraum 4 herrschte Chaos. Ein zierliches Mädchen mit Bretzelkrümeln im Haar stand den Schwestern heulend im Weg. Zwei Uniformierte, der eine nass bis auf die Knochen, diskutierten, ebenfalls im Weg rumstehend, über Beerdigungsrituale. Ein halbstarker Schwarzfuß lehnte lässig am Reanimationswagen und nickte im Takt seine plärrenden Handymusik. Der diensthabene Oberarzt Eilers fummelte am Körper des Patienten rum und murmelte immer wieder: "Was ne Zumutung, was ne Zumutung, ich wechsel bald den Job!" Schwester Inge hatte eine Wäscheklammer auf der Nase und erschien Dr. Kleuber heut ungewöhnlich blass. Sie schnitt gerade mit einer OP-Schere die Kleidung des übelriechenden Patienten auf, als
Re: Zeilenroman. Jetzt erst recht!
seinem Bauch ein fremdartiges Wesen inkubierte. Nein, es war doch nur ein getrockneter Klumpen Erbrochene. Nach einer kurzen Phase der Atemnot entschloss sich Dr. Kleubner kraft seines Amtes als Klinikleiter zu einem gewagten Schritt, ohne den es, soviel war ihm klar, wahrscheinlich zum Zusammenbruch des Klinikbetriebs kommen würde. Er hielt am Fahrstuhl an und drückte auf den Knopf für die Sechste. "Aber das ist doch die Gynäkoogie?" entgegnete verwirrt der anwesende Zivi. "Ja, da schieben Sie jetzt auch hin und setzten den Kerl erstmal in die Wanne! Ich komme gleich nach, ich muss noch ... äh, Antiseptikum holen!" antwortete der Chefarzt, und der Anästhesist fügte hinzu: "Ach, ich habe ganz vergessen, meine Emails abzurufen!"
"Fix, Schwyz!" quäkt Jürgen blöd vom Paß.
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Karl würde übel. Es lag nicht nur an seinem eigenen Gestank, nein, es lag auch an diesem verdammten Krankenhausgeruch. Schon als Kind hatte er immer brechen müssen, wenn seine Eltern mit ihm zu diesen zahlreichen Untersuchungen in diversen Kliniken gefahren sind. Jessica hielt seine Hand. Sie sah ihn unverwandt an und schon sammelte sich wieder der Speichel und sein Magen röhrte laut. Dann nahm ihn ein Hüne von Pfleger unter die Schultern und hob ihn wie ein Spielzeug hoch. Justamente saß er, Jessicas Hand verloren, in einer medizinischen Badewanne und er merkte jetzt erst, dass ihm seine Kleidung abhanden gekommen war. Verschämt schützte er sein Geschlecht vor den Pflegerblicken. Das Wasser verfärbte sich grünbraun und
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musste insgesamt viermal ausgetauscht werden, ehe der Pfleger ihm erlaubte, er könne die Wanne jetzt verlassen. Das tat er aber auch nur, weil auf dem Stationsflur eine lautstarke Demonstation hochschwangerer Frauen stattfand, die für ihre Entbindung ins Mutter-Kind-Zimmer ausweichen sollten. Als der Pfleger die Tür öffnete, bekam eine der Frauen durch die aus dem Kreissaal ausströmende Geruchswolke vor Schreck heftige Presswehen. Das neugeborene Mädchen wurde spontan von einer danebenstehenden werdenden Mutter aufgefangen, die in einem Anfall von Empathie in Tränen ausbrach.
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Karl hüpfte aus der Wanne, entwischte den Pflegerpranken und lief, wie Gott ihn schuf, an den strengen Mütterblicken vorbei. Jessica kreischte und sprang ihm nach, folgte ihm den langen Korridor entlang zum Treppenhaus. Erst Karl dann Jessica flohen die Stufen hinab. An einer Metalltür hielten sie beide kurz inne. Karl zitterte vor Kälte und Jessica strich ihm zart über seine Hüften, ihr Atem ging schwer. Einen Augenblick lang erinnerten sich die beiden an den grandiosen Sex, den sie vor Jahren genossen hatten, dann wurden ihre Gedanken jäh unterbrochen als
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die Tür aufging und ihr ein kleiner, untersetzter Typ mit Hornbrille entstieg. Seine grauen Haare standen in alle Richtungen ab, als ob sie Gedankenfetzen wären, die in alle Richtungen davondriften. So wirr seine äußere Erscheinung jedoch war, so klar war sein Blick, als er die beiden beiläufig musterte und trocken bemerkte: "Da seid ihr ja endlich! Kommt rein, wir warten schon alle!"
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Jessica zog ihre Teddyplüschjacke aus und reichte sie Karl. "Zieh das an, Du holst Dir ja sonst den Tod!" meinte sie streng und folgte dann dem Herrn Professor. Gekachelte Wände glänzte kühl im Neonlicht. Die Stille dröhnte und wurde von dem fast lautlosen Schlappen des alten Mannes begleitet. Am Ende des Ganges sah man eine angelehnte Tür. Ein Schild zierte die Aussenseite. Nahe genug herangekommen las Karl:
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"GRUPO ENIGMA HEADQUARTER Wir essen gerade" Bei der Vorstellung, vielleicht endlich ein bisschen was zwischen die Rippen zu bekommen, begann Karls Magen wohlig zu gurgeln. Tatsächlich roch es auch nicht mehr so sehr nach Krankenhaus, eher nach Frittenbude, was seinem Allgemeinzustand sehr zu gute kam. Beiläufig flüsterte er Jessica zu: "Ist das hier die Kantine?" Jessica legte den Finger auf ihre Lippen und antwortete dann leise:
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Re: Zeilenroman. Jetzt erst recht!
"Schsch, Liebling, wir werden schon satt werden." In dem Raum hinter der Tür stand ein langer Tisch und eine Menge Stühle um ihn herum. Auf ihnen saßen Leute, die besessenen Blickes mit Kugelschreibern auf den vor ihnen liegenden Papieren schrieben. Niemand schaute hoch, als Jessica und Karl eintraten. Im Nebenraum hörte man Töpfegeklapper und jemand pfiff eine bekannte Melodie. Eine Frau mit langen blonden Haaren erhob sich abrupt von ihrem Stuhl, schritt auf die beiden Besucher zu und sagte, ohne sie anzugucken:
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"Gutes Essen hat wohl eilige Gewohnheiten." Karl nickte und schaute den Professor fragend an. "Was is?", entgegnete dieser leicht genervt. "Hier bewahren wir unsere besonderen Fälle auf, Leute, die sich von der Öffentlichkeit ausgeschlossen und hier eingeschlossen haben." Karl zuckte mit den Schultern und dann leicht zurück, als der kleine Mann sehr nahe an ihn rantrat und ihm zuflüsterte: "Es ist nicht immer alles so wie es scheint. Wir haben hier einen Gehweg gebaut, der uns in höhere Gefilden bringen soll." Jessica, die sich derweil in dem Raum umschaute und einen laufenden Rechner in einer dunklen Ecke bemerkte, bekam von dem Gespräch nichts mit. Sie setzte sich an den Computer und kräuselte die Stirn als sie auf den Monitor schaute und sah,
das sollte eigentlich davor, passt aber eventuell auch so..