Der Ermittler klopfte seinem Schützling anerkennend auf die Schulter. "Du hast dich wirklich gut geschlagen, Kenny," lobte er den Kleinen. "Da hab ich schon Erwachsene gesehen, die sich viel schlimmer anstellen." "Wirklich?!?!" fragte Kenny mit großen Augen zurück. "Oh ja," nickte Jethro todernst. "Die machen ein fürchterliches Theater und stellen sich schlimmer an als ein Baby." Ian warf dem Ermittler einen warnenden Blick zu. Er ahnte, dass Gibbs sich für seinen "Fehlgriff" noch in irgendeiner Weise "bedanken" würde, aber er hielt es für keine gute Idee, ausgerechnet Kenny von seiner Nadelphobie zu erzählen. Jethro fing seinen Blick auf und konnte ein amüsiertes Zwinkern nicht unterdrücken. Doch der Kleine hing wie gebannt an den Lippen des Grauhaarigen und bekam von der stillen Kommunikation nichts mit. "Dabei ist das doch nur so ein kleiner Pieks", prahlte er. "Davor muss man doch nun wirklich keine Angst haben!" Jethro schmunzelte. "Na, das klingt ja schon ganz anders als vor fünf Minuten, hm?" Kenny grinste verlegen. "Jetzt weiß ich ja, dass das gar nicht so schlimm ist. Aber das müssen ja echt Angsthasen sein, wenn sie sich so fürchterlich anstellen. Die können bestimmt nicht so einen coolen Beruf machen wie du." Diese Behauptung wollte Jethro allerdings auch nicht so im Raum stehen lassen. "Das stimmt nicht ganz, Kenny. Weißt du, manche Menschen haben einfach ganz viel Angst vor Nadeln. Vielleicht, weil sie als Kind nicht so einen netten Arzt wie Ian hatten, sondern immer zu jemandem wie Dr. Hopsted gehen mussten. Weißt du, einen dieser Menschen kenne ich ziemlich gut, und wenn er nicht gerade eine Nadel auf sich zukommen sieht, ist er einer der tapfersten und mutigsten Menschen, die ich kenne." Ian warf dem Agenten erneut einen potentiell tödlichen Blick zu, auch wenn er genau wusste, dass es Gibbs nicht aufhalten würde. Der Grauhaarige schien es überhaupt nicht zu bemerken und sprach seelenruhig weiter. "Wirklich?!" fragte Kenny atemlos zurück. "Wirklich." bestätigte Jethro. "Er hat mir schon oft das Leben gerettet, weil er keine Angst davor hatte, das ihm selbst etwas passiert. Er ist Bundesagent, einer der Leute aus meinem Team." Ian atmete hörbar auf, doch Kenny bemerkte es nicht. "Tony DiNozzo kann einem schrecklichen, grausamen Mörder gegenüberstehen, und er bleibt völlig cool. Aber sobald er eine Spritze sieht, wird er ganz blass. Du siehst also, selbst wenn du jetzt weiterhin Angst vor so einem kleinen Pieks hast, kann trotzdem noch was aus dir werden. Bundesagent, wenn du willst. Oder auch Arzt." Ians Kopf flog hoch, gerade rechtzeitig, um Kennys nachdenklichen Blick aufzufangen. Der Kleine grübelte über Gibbs' Worte nach und legte schließlich den Kopf schief. "Arzt zu sein ist bestimmt cool," überlegte er laut. "Aber wenn man dann immer den Leuten Spritzen geben muss und immer so viele Nadeln sieht... das ist doch bestimmt ganz doof, oder? Wenn die Leute dann Angst haben und weinen?"
Ian war von dieser Erkenntnis einen Moment lang überrumpelt und gab ein nicht näher definiertes Geräusch von sich. "Na ja... man gewöhnt sich dran," murmelte er schließlich. Das Grinsen, dass der Chefermittler ihm bei den Worten zuwarf, bemerkte Kenny nicht.
"Nicht alle Leute weinen beim Arzt, Kenny," zog Jethro das Gespräch wieder an sich. Die roten Ohren seines Freundes waren ihm nicht entgangen, und für das Danebenstechen würde er sich ein anderes Mal revanchieren. "Arzt ist ein sehr schöner Beruf, glaube ich. Man hilft anderen Menschen, wieder gesund zu werden. Und auch, wenn die Leute zwischendurch weinen müssen, geht es ihnen am Ende wieder viel besser. Aber du hast ja noch ein bisschen Zeit, bis du dich für einen Beruf entscheiden musst." "Ich weiß das jetzt schon," verkündete Kenny stolz. "Ich werd Arzt und mache alle Menschen wieder gesund!" "Das ist eine gute Idee," lobte Jethro. "Aber bis dahin kannst du dich noch ein bisschen hinlegen und schlafen, meinst du nicht? Ich glaube, du bist mittlerweile wieder ziemlich müde... und du hast dir eine Pause echt verdient." Kenny sah nicht so aus, als ob er ausgerechnet jetzt schlafen wollte, aber Jethros Tonfall ließ keine Widerrede zu. "Schlaf gut, Kenny. Bis später, okay?" "Okay..." gähnte der Kleine und ließ sich in die Kissen sinken. Jethro schmunzelte und zog behutsam die Decke um die Schultern des Kindes, ehe er Ian leise in die Küche folgte.
Re: Kinderkrankheiten
McNamara In der Küche ging Ian schnurstracks zur Kaffeemaschine, einen Koffeinschub hatte er jetzt dringend nötig. Nicht genug, dass Jethro es wieder einmal geschafft hatte, ihn bis zuletzt in dem Glauben zu lassen, er wäre mit dem Bekannten gemeint. Nein, natürlich war ihm auch das Aufatmen nicht entgangen, als schließlich doch Tonys Name gefallen war. Verlegen und sich zugleich über seine Verlegenheit ärgernd, schenkte Ian sich von dem inzwischen erkalteten Kaffee ein und lehnte sich an die Theke. Grinsend nahm Gibbs die Glaskanne und füllte den Rest in seine eigene Tasse, ehe er die nun leere Kanne neben der Spüle abstellte. Das Glas klirrte leise, was ihn an das kleine Röhrchen mit seinem Blut erinnerte. Er ließ den Blick über Ian schweifen, was diesen sichtlich irritierte. "Her damit.", forderte Jethro schließlich, als der Arzt schon zu der Frage nach dem Grund für den suchenden Blick ansetzen wollte. Ians Irritation wuchs. "Bitte?" Gibbs hob eine Braue. "Die Ampulle bleibt hier." Einen Moment lang verstand Ian gar nichts mehr. Wozu hatten sie denn dann bitte das ganze Spektakel veranstaltet, wenn nicht um Kennys Blut im Labor untersuchen zu können? Dann aber fiel der Groschen und nun war es an Ian, breit zu grinsen. "Angst, dass ich was drin finden könnte?" Die Braue wanderte ein Stückchen höher. "Her damit, McNamara.", forderte Gibbs mit etwas mehr Nachdruck, ohne auf die Anspielung einzugehen. Feixend stellte Ian den Becher neben sich ab und verschränkte die Arme vor der Brust. "Und was, wenn ich sie Ihnen nicht gebe?" Gibbs grinste hinterhältig. "Wollen Sie sich allen Ernstes mit einem Marine anlegen, McNamara?" Bevor Ian darauf antworten konnte, trat Jethro einen Schritt vor und verringerte so die Distanz zwischen ihnen auf ein allmählich wirklich unangenehm geringes Maß. Ian schluckte und räusperte sich. "Ähem... wenn ich's recht bedenke... nein." Amüsiert hob Jethro eine Braue. "Nein?" Ian grinste schief. "Ich fürchte, das erlaubt meine Lebensversicherung nicht." Gibbs machte noch einen Schritt auf den Arzt zu, der allmählich ernsthaft nervös wurde. "Ich warte, McNamara.", erinnerte er ihn schon fast sanft an die Ampulle. "Äh..." Ian schluckte hart. Jetzt wusste er definitiv, was Gibbs' Agenten Tag für Tag erlebten. Laut DiNozzo müsste als nächstes eine der berüchtigten Kopfnüsse folgen, jedenfalls, solange man ein Mitglied des Teams war. Er war aber kein Teammitglied, also war er sicher. Oder? Er erstarrte, als Gibbs die Hand hob. Fassungslos starrte er den Agenten an, in dessen Augen es funkelte. Moment mal... funkelte? Ein Verdacht stieg in ihm auf, der sich auch sofort durch das sichtbare Beben von Gibbs' Schultern bestätigte. "Oh nein... Sie verdammter, hinterhältiger..." Jethro prustete los, sein schallendes Lachen übertönte das Schimpfwort, mit dem McNamara ihn bedachte. Das zunehmend entgeisterte Gesicht des Arztes hatte seine Selbstbeherrschung bis an die Grenzen des Erträglichen strapaziert - aber es hatte sich gelohnt! "Bastard!", kam es hörbar erleichtert von McNamara. "Sie sind wirklich ein..." - "Bastard, ich weiß.", beendete Gibbs grinsend und nach Luft ringend den Satz. "Sie sind übrigens reichlich blass um die Nase, Doc." Wider Willen musste Ian lachen. "Als ob Sie's nicht genau darauf angelegt hätten. Verdammt, natürlich bin ich blass - ich hab gedacht, mein letztes Stündlein hätte geschlagen!" Kopfschüttelnd wollte er die Küche verlassen, um - nur zur Sicherheit - die Ampulle aus seiner Tasche zu holen. Jethros Stimme hielt ihn noch vor der Tür auf und überrascht drehte Ian sich um. "Suchen Sie die hier?" Ian sah ihn verwirrt an, wollte zur Tasche auf dem Flur deuten und erblickte im selben Moment etwas in Gibbs' Hand, was ihm dieses Mal wirklich und wortwörtlich die Kinnlade herunterfallen ließ. Die Ampulle, die er eben aus seiner Tasche hatte holen wollen. Seiner verschlossenen Tasche. Ian schnappte nach Luft. "W..wie zum...?" Als Jethro nur grinste, brach er ab, kniff die Augen zusammen und stöhnte leise auf. "Vergessen Sie's... ich will eigentlich gar nicht wissen, wie Sie das schon wieder geschafft haben."
Re: Kinderkrankheiten
Gibbs
"Das haben Sie gut erkannt, Ian," lobte Gibbs. "Sie dürfen alles essen, aber nicht alles wissen, oder wie sagt man so schön?" Er grinste den Mediziner breit an, der noch immer sichtlich um seine Fassung kämpfte. Dieser Kampf wurde allerdings im gleichen Moment erneut auf eine harte Probe gestellt, als der Agent die fragliche Ampulle mit Nachdruck in Ians linke Hand legte und dessen Finger darum schloss.
"Ich wollte Sie nur ein bisschen auf den Arm nehmen, Doktor," grinste der Ermittler. "Es ist einfach immer wieder schön zu sehen, wie leicht Sie aus der Ruhe zu bringen sind." Der Mediziner starrte den Grauhaarigen an. Was zum Kuckuck sollte dass denn jetzt werden?! "Wenn ich mich schon von Ihnen stechen lasse, dann mit Sicherheit nicht, um das Ergebnis anschließend in den Ausguss zu schütten," erklärte der mit einem Augenzwinkern. Doch sein Tonfall war ernst, als er fortfuhr. "Ich habe nichts zu verbergen, Ian. Ich bin nicht krank, und ich habe schon gar keine Masern. Aber ich denke, für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich mich tatsächlich angesteckt habe, ist es gut, wenn Sie zumindest früh genug Bescheid wissen." Ian blickte den Grauhaarigen an und spürte, dass er nicht scherzte. Der Agent war eindeutig ein pragmatischer Realist, so viel wurde ihm in diesem Moment eindeutig klar. Vermutlich war es in seinem Beruf im wahrsten Sinne des Wortes überlebenswichtig, auf alle Unwägbarkeiten vorbereitet zu sein.
"Okay," erklärte er bemüht gefasst. "Ich mache mich dann am Besten gleich mal auf den Weg ins Labor - je schneller, desto eher wissen wir Bescheid. Und bis dahin sollten weder Kenny noch Sie das Haus verlassen, Jethro - und auch keinen Besuch empfangen. Kenny ist immer noch infektiös, und selbst wenn Sie sich nicht angesteckt haben sollten, tragen Sie das Virus an der Kleidung und würden es weiter verbreiten. Ihr Team wird wohl notgedrungen ein paar Tage ohne Sie auskommen müssen." "Ich habe sowieso im Moment Urlaub," knurrte der Grauhaarige. "Die werden mich erst mal nicht vermissen - DiNozzo zumindest nicht." Ian nickte. "Ich werde Sie krankschreiben, dann können Sie Ihren Urlaub bei Gelegenheit nachholen." "Unterstehen Sie sich!" brummte Gibbs drohend, ging aber nicht weiter darauf ein. "Wir werden sehen," wich Ian aus und griff erneut nach seinem Block. "Wie lange ist Kenny schon krank?" wechselte er das Thema. "Ich meine, wann hat er die ersten Symptome gezeigt?" "Gestern morgen war er sehr müde, aber es ist am Abend zuvor auch ziemlich spät geworden. Wir sind zum Hafen gefahren und waren den ganzen Tag mit einem Skipper unterwegs. Kenny war Feuer und Flamme, obwohl es geschüttet hat wie aus Kübeln. Am Abend war er dann ziemlich angeschlagen, ich habe es auf den aufregenden Tag geschoben. Und heute morgen fing er dann an, zu husten und zu schniefen, und kurz bevor ich Sie angerufen habe, hat er auch Fieber bekommen." Er blickte den Mediziner an. "Verdammt, ich hätte ihn nicht so lange im Regen bleiben lassen sollen!! Aber er war so begeistert dabei, dass ich es nicht übers Herz gebracht habe, ihn in die Kajüte zu schicken."
Für einen winzigen Moment ließ der Ermittler seine Emotionen an die Oberfläche kommen, wurde sichtbar, welche Sorgen er sich um den Jungen machte. "Es ist nicht Ihre Schuld, Jethro," erklärte Ian leise. "Kenny hat sich lange vorher infiziert, er wäre ohnehin krank geworden, Kajüte hin oder her. So hat er wenigstens einen schönen Tag, an den er sich erinnern kann." Jethro blickte aus dem Fenster, es war deutlich zu sehen, dass Ians Worte nichts an seinen Selbstvorwürfen ändern würden. Doch er ging nicht weiter auf das Thema ein.
"Wie geht es jetzt weiter?" fragte er statt dessen. "Nachdem Sie das Blut analysiert haben, meine ich? Kommen Sie dann wieder vorbei und verpassen Kenny und mir eine doppelte Dosis "Masern-Ex"?" "Masern-Ex?" widerholte Ian verständnislos. "Na, irgend ein Wundermitttel wird die Pharmaindustrie doch wohl dagegen erfunden haben!" Der Jüngere lachte aus vollem Halse. "Nein, tut mir leid... gegen Masern gibt es keine Medikamente. Ich kann die Symptome behandeln, die Halsschmerzen und den Juckreiz und was auch immer. Aber die eigentliche Therapie bei Masern heißt auch heute noch: Bettruhe." Er griff hastig nach seiner Tasche, ehe dem Chefermittler die volle Bedeutung dieser Aussage klar wurde. "Okay, ich melde mich, sobald ich genaueres weiß!" erklärte er. "Und bis dahin gilt: Weder Sie noch das Kind verlassen das Haus - Ist das klar oder muss ich eine Polizeisperre vor der Haustür errichten?!" Gibbs grinste. Seine Augen funkelten, während er den Mediziner ein weiteres Mal neckte. "Glasklar, Doc. Und ich hoffe, Sie wissen, dass mich so was nicht aufhalten würde."
Re: Kinderkrankheiten
McNamara Ian rollte die Augen. "Schon klar, es war auch eher... ach, vergessen Sie's." Kopfschüttelnd verließ er die Küche, und kurz darauf hörte Gibbs die Haustür. Eine Stunde später öffnete Ian seine eigene Haustür. Er hatte die beiden Probenröhrchen ins Labor gebracht, nun konnte er für den Moment nichts anderes tun als zu warten. Sein knurrender Magen erinnerte ihn daran, dass er nach Gibbs' Anruf ohne ein Frühstück aus dem Haus gegangen war und bisher auch nur Kaffee zu sich genommen hatte - was sich nun mit einem unangenehmen Brennen revanchierte. "Großartig...", dachte er und machte sich seufzend daran, seinem Körper die geforderte Nahrung zukommen zu lassen. Nach dem verspäteten Frühstück holte Ian auch endlich die Dusche und die anschließende Rasur nach - es reichte, von Gibbs wegen der Nadelgeschichte aufgezogen worden zu sein, da mussten nicht unbedingt auch noch Kommentare zu einem Dreitagebart folgen. Er hatte im Labor darum gebeten, angerufen zu werden, sobald die Blutproben von Gibbs und Kenny untersucht waren, doch der Anruf ließ auf sich warten. Erst am späten Nachmittag klingelte das Mobiltelefon endlich. Zwei Minuten später war er auf dem Weg zum Labor. Eine weitere Stunde später stand er zum zweiten Mal an diesem Tag vor Gibbs' Haus. Allein das Wissen, dass es dem Ermittler mit Sicherheit nicht entgangen war, dass er vorgefahren war, ließ ihn aussteigen und auf das Haus zugehen. Lieber wäre er allerdings im Auto sitzen geblieben. Oder am besten gleich wieder heimgefahren. Er hatte eine vage Ahnung davon, wie Gibbs auf die Testergebnisse reagieren würde und er hätte es vorgezogen, dann nicht in dessen Nähe zu sein. Er war gerade zu dem Schluss gekommen, dass er besser damit aufhören sollte, auf die Eingangstür zu starren, als die Tür aufgerissen wurde und Gibbs ihn mit erhobener Braue musterte. "Trauen Sie sich nicht rein?", fragte er amüsiert. Ian zuckte die Schultern und bemühte sich um ein Grinsen. "Vielleicht habe ich ja einen Grund dafür?" Gibbs' Braue wanderte ein Stückchen höher. "Also sind beide Tests positiv ausgefallen." Ian rieb sich den Nacken. "Ähem... ja." Eigentlich hatte er das nicht unbedingt an der Tür besprechen wollen, doch wie üblich war Gibbs mit seiner Fähigkeit, auch aus den kleinsten Hinweisen die Fakten herauszulesen, schneller gewesen. Wortlos drehte sich Gibbs um, und ein Seufzen unterdrückend folgte Ian ihm in die Küche. Schweigend griff Jethro nach der Kaffeekanne und füllte zwei Becher, von denen er einen dem Arzt hin schob. Perplex sah Ian auf die Tasse. "Äh... Danke."
Re: Kinderkrankheiten
Gibbs
"Er hat also tatsächlich die Masern," widerholte Gibbs, während er ebenfalls nach der Kaffeetasse griff. "Gibbs..." setzte Ian vorsichtig an, wurde aber auf der Stelle wieder unterbrochen. "Und es gibt kein anständiges Medikament dagegen," fuhr der Ermittler fort. "Ian... wie gefährlich ist diese Maserngeschichte? Und jetzt erzählen Sie mir nicht irgendwelche hypothetischen Extremfälle auf!!" Ein drohender Blick machte dem Arzt klar, dass Gibbs in diesem Moment nicht zum Scherzen aufgelegt war. Ian war überrascht, dass der Agent seine vorige Warnung offensichtlich doch nicht völlig in den Wind geschlagen hatte. Er schien sich tatsächlich Sorgen zu machen - in der Formulierung hatte eine Mischung aus Hoffnungslosigkeit und Trotz mitgeschwungen. Und Ian wollte sich lieber gar nicht vorstellen, wie man sich in so einer Situation fühlen musste. Keinerlei Symptome zu haben und gleichzeitig zu wissen, dass einem dennoch eine verdammt schwere Zeit bevorstand. "Na ja...." druckste der Mediziner herum. "Mit zunehmendem Alter wird das Risiko einfach immer größer. Ich will Ihnen da nichts vormachen, es kann zu Durchfall kommen, zu Mittelohrentzündugen, aber auch zu Lungen- oder zu Hirnentzündungen. Und bei erwachsenen Patien...."
"Ich spreche von Kenny, Ian." Der Tonfall des Chefermittlers machte mehr als deutlich, dass ihn seine eigene Erkrankung nicht im Geringsten interessierte. "Kenny? Oh, er wird den typischen Masernausschlag bekommen und noch eine Weile fiebern, aber er ist eigentlich ein sehr robuster junger Mann, wenn ich ihn richtig einschätze," beeilte Ian sich zu antworten. "Man kann nie ausschließen, dass es Komplikationen gibt, und einfach wird es für ihn mit Sicherheit auch nicht. Aber in einer Woche dürfte er das Schlimmste überstanden haben. Was Sie allerdings angeht..."
Ein finsterer Blick des Agenten ließ Ian erneut verstummen. "Was mich angeht, Ian: ich bin nicht krank. Ich habe nicht einmal Halsschmerzen. Und mit Hirnentzündungen oder sonstigen Begleiterscheinungen beschäftige ich mich dann, wenn tatsächlich so weit gekommen ist. Nicht vorher. Okay?!" Ian nickte, und Jethro atmete erleichtert auf. Er verschwieg, dass er bereits seit dem Mittagessen ein immer stärker werdendes Kratzen in seinem Hals verspürte, und dass der Lymphknoten hinter seinem rechten Ohr ungewöhnlich druckempfindlich geworden war. Allerdings wurde er das Gefühl nicht los, das Ian ihn dieser Hinsicht rasch durchschauen würde. Der junge Mediziner hatte einen ungewöhnlich scharfen Verstand und einen außergewöhnlichen Instinkt, was Krankheiten anbelangte. Ähnlich wie der Ermittler selbst schien er in gewissen Situationen über eine Art siebten Sinn zu verfügen, der nur schwer zu täuschen war. Zu Gibbs Erleichterung war McNamara allerdings praktischerweise verdammt leicht einzuschüchtern und ließ sich zumindest bis zu einem gewissen Grad von übertriebener Fürsorge abhalten.
"Und, wie geht es jetzt weiter?" fragte Jethro nach einem weiteren Schluck Kaffee. "Kenny war vorhin wieder wach und wollte wissen, was los ist. Die Tabletten scheinen ihm aber anscheinend zu helfen, er ist im Vergleich zu heute morgen quietschfidel. Das Fieber scheint gesunken zu sein, im Moment hat er es sich mit so einem elektronischen Spieldings gemütlich gemacht. Wenn er nicht doch wieder eingeschlafen ist.... Wollen Sie noch mal nach Ihm sehen?"
Re: Kinderkrankheiten
McNamara Ian hatte das dumpfe Gefühl, dass Gibbs ihn lediglich von sich selbst ablenken wollte. Doch da er ohnehin noch einmal nach Kenny hatte schauen wollen, ging er auf den Vorschlag ein. Vorerst, jedenfalls. Der Junge war tatsächlich über dem Gameboy eingeschlafen, schreckte aber sofort hoch, als Jethro das Gerät sanft aus seinen Händen löste. "Hey, Kenny.", begrüßte Ian ihn. Blinzelnd richtete Kenny sich auf. "Hi...", erwiderte er den Gruß verschlafen. "Wie geht's dir?" Der Junge überlegte kurz. "Immer noch Halsweh, aber nicht mehr so schlimm. Hast du dir mein Blut mit dem Mikroskop angeguckt?", wollte er dann wissen. Ian schüttelte den Kopf. "Ich nicht, aber ein Freund von mir hat es sich angesehen und mir gesagt, was er rausgefunden hat. Du hast die Masern." Kenny sah ihn fragend an. "Masern?" Ian nickte. "So heißt die Krankheit, die du hast." Der Junge verzog das Gesicht. "Muss ich jetzt Medizin nehmen?" Ian schmunzelte. "Erstmal nur die Lutschtabletten gegen das Halsweh." Kenny atmete auf. "Gut." Die Erwachsenen wechselten einen belustigten Blick. Die nächste Frage des Jungen wischte Ian das Grinsen allerdings schnell wieder vom Gesicht. "Hat dein Freund sich Jethros Blut auch angeguckt?" Bevor der Arzt darauf antworten konnte, schaltete Gibbs sich ein: "Mach dir keine Sorgen um mich, Kenny. Mir geht es gut, also kannst du dich ganz darauf konzentrieren, wieder gesund zu werden." Der Kleine nieste und zog geräuschvoll die Nase hoch. "Hoffentlich dauert das nicht lang!", murrte er. "Wenn du brav im Bett bleibst, bist du bald wieder gesund.", versprach Ian. "Aber immer nur im Bett liegen ist langweilig!", kam postwendend der Protest. "Du hast Ian gehört, Kenny.", sagte Gibbs bestimmt. Der Junge verzog das Gesicht, protestierte aber nicht mehr länger gegen die Bettruhe. Jethro reichte ihm ein Taschentuch. "Du hast ja den Gameboy, mit dem du spielen kannst. Also wird es schon nicht so langweilig werden. So, und jetzt putz dir die Nase, du hörst dich ja schon fast an wie Donald Duck!" Kichernd nahm Kenny das Taschentuch und schnäuzte sich lautstark. "Das hört sich schon eher nach einem Elefanten an.", bemerkte Ian amüsiert. Sofort begann Kenny grinsend, das Trompeten der Dickhäuter nachzuahmen. Schmunzelnd verwuschelte Jethro ihm die Haare. "Scheint dir ja wirklich schon viel besser zu gehen. Trotzdem wird Ian dich jetzt noch mal kurz durchchecken." Kenny rutschte reflexartig zurück. "Noch mal?" Ian tat, als hätte er das Zurückweichen nicht bemerkt. "Nicht alles, Kenny. Ich will nur in den Mund gucken und Fieber messen" Beleidigt verschränkte der Kleine die Arme vor der Brust. "Aber warum denn? Das hast du doch alles schon gemacht!" Ian nickte. "Ja, da hast du schon Recht. Aber die Entzündung in deinem Hals und das Fieber möchte ich im Auge behalten. Sonst wird es schlimmer und ich weiß nichts davon, verstehst du?" Trotzig schüttelte Kenny den Kopf. "Es ist aber nicht schlimmer!" Gibbs runzelte die Stirn. "Komm schon, Kenny. In den Mund gucken und Fieber messen tut nicht weh." Der Kleine schnaubte. "Ich will aber nicht, dass er mir in den Mund guckt! Und Fieber messen mag ich auch nicht!" Ian unterdrückte ein Seufzen. "Kenny, ich weiß, dass du Fieber messen nicht magst, aber ich hab das Ohrthermometer, erinnerst du dich? Mit dem dauert es nur ein paar Sekunden, das ist gleich wieder vorbei. Und in den Mund gucken hat doch auch nicht lange gedauert, oder?" Der Kleine presste demonstrativ die Lippen aufeinander. Ian neigte den Kopf. "Heute Vormittag hast du mich gucken lassen, warum jetzt nicht?" Kenny schob die Unterlippe vor. "Da hast du bei Jethro auch was gemacht! Ich lass dich nur gucken, wenn du bei Jethro auch wieder guckst!"
Re: Kinderkrankheiten
Gibbs
Während Ian bei diesen Worten innerlich grinste, war Jethros Geduld erschöpft. "Stell dich nicht so an, Kenny. Los jetzt, zack, zack - hinsetzen, Mund auf! Um so schneller hast du es hinter dir." Sein Tonfall war weder unfreundlich noch drohend, aber er ließ keinerlei Widerspruch zu. Murrend fügte Kenny sich in sein Schicksal und schob sich widerwillig ein Stück vor, so dass Ian das Thermometer in sein Ohr halten konnte. "Prima," lobte der Arzt. "Du hast zwar immer noch Fieber, aber es ist schon ein bisschen besser als heute morgen." "Kann ich dann wieder aufstehen?" fragte Kenny hoffnungsvoll. "Na, so gut ist es auch noch nicht. Aber wenn du dich fit genug fühlst, kannst du dich nachher ein bisschen ins Wohnzimmer setzen, wenn Jethro dich warm einpackt. Immer im Bett liegen ist nämlich wirklich langweilig, da gebe ich dir völlig Recht. Nur nach draußen gehen kannst du nicht, und zum herumtoben ist es auch noch ein bisschen zu früh. Aber das weißt du bestimmt selber am besten. Wenn du müde bist, legst du dich hin, einverstanden?" Kenny nickte, erleichtert, dass er offensichtlich doch nicht vollständig ans Bett gefesselt wurde.
"So, dann zeig noch mal eben deinen Mund her, dann sind wir doch auch schon so gut wie fertig," bat Ian, und Kenny zog einen kräftigen Schmollmund, ehe er der Aufforderung nachkam. "Hm, das sieht leider noch nicht besser aus," gab der Mediziner zu, während Jethro ihm neugierig über die Schulter blickte. "Aber schlimmer geworden ist es auch nicht, das ist schon mal ein gutes Zeichen."
Er löschte die Stablampe und Kenny machte rasch den Mund wieder zu. "Das ist gemein!" protestierte der Kleine anschließend. "Was ist gemein, Kenny?" fragte Gibbs belustigt. "Ihr könnt in meinen Mund gucken und alles sehen, nur ich, ich kann das überhaupt nicht sehen! Das ist voll gemein!" Jethro nickte ernst. "Da hast du Recht, Kenny. Aber ich glaube, das können wir ändern, warte mal einen Moment." Er trat zur Tür, um einen Spiegel zu holen, als Kennys Stimme ihn zurückhielt. "Wenn du gar nicht krank bist, Jethro, kann ich dann mit Ian mal in deinen Hals gucken? Bitte! Ich will auch mal das machen, was Ian macht. Ich will doch schließlich auch mal Arzt werden!" Dem Grauhaarigen drohten einen Moment lang alle Gesichtszüge zu entgleisen. Und ihm war auf der Stelle klar, dass Ian sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen würde. Verdammt! Tatsächlich machte sich auf dem Gesicht des Arztes ein unverhohlenes Grinsen breit. "Das ist eine gute Idee, Kenny!" pflichtete er dem Jungen bei. "Dann kann ich dir mal genau zeigen, was ich vorhin mit dir gemacht habe." Die Augen des Agenten funkelten wütend, doch Ian störte sich diesmal nicht daran. "Los, kommen Sie, Jethro. Fieber messen und in den Hals gucken tut nicht weh, das haben Sie doch grade selbst noch gesagt!" Im nächsten Moment war Ian sich nicht mehr sicher, ob es wirklich so eine gute Idee gewesen war, sich auf diese Weise mit dem Ermittler anzulegen. Doch nun war es zu spät, und zu seiner Überraschung kehrte Gibbs tatsächlich zum Bett zurück und setzte sich.
"Dann mal los mit den Doktorspielen," brummte er ergeben. Kenny flog vor Begeisterung fast unter der Decke hervor, erst Ians Hand bremste ihn. "Bleib ruhig, Kenny. Wenn man bei einem Patienten ist, muss man immer ganz ruhig bleiben. Sonst macht man die Leute nämlich nervös." Kenny nickte aufgeregt und rutschte dicht an den Mann heran, vor dem er am Morgen noch so viel Angst gehabt hatte. Ian griff erneut nach der Stablampe und konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, als er Gibbs missmutiges Gesicht sah. "Dann sperren Sie mal den Schnabel auf," forderte er den Agenten auf, der daraufhin ein protestierendes Knurren von sich gab. Doch dann gab sich der Ermittler einen Ruck und spielte das Spiel mit - immerhin konnte er sich vor Kenny nicht allzu sehr anstellen, wenn er sich nicht völlig unglaubwürdig machen wollte.
Ian unterdrückte ein weiteres Schmunzeln und konzentrierte sich darauf, die seltene Gelegenheit zu nutzen und Gibbs' Rachenraum gründlich in Augenschein zu nehmen. Zu sehen war noch nicht viel, doch erste Rötungen und leichte Schwellungen zeigten eindeutig, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis die Krankheit auch bei dem Ermittler ausbrechen würde. Kenny schielte ihm die ganze Zeit neugierig über die Schulter, und Ian begann, ihm ausführlich zu erklären, was er sehen konnte. Kurzentschlossen zog er einen Latexhandschuh über seine linke Hand. "Siehst du diese kleinen roten Dinger da hinten?" fragte er und versuchte, mit dem Zeigefinger in den Rachen zu deuten, ohne Kenny die Sicht zu vesperren oder bei dem Ermittler einen Würgereiz auszulösen. Er konnte Gibbs wütendes Knurren regelrecht fühlen, aber die Gelegenheit war einfach zu günstig. Er konnte gar nicht anders, als den Grauhaarigen ein bisschen zu ärgern.
"Das sind die Mandeln. Die sind bei dir im Moment viel größer und heller, weil sie entzündet sind. Das ist einer der Gründe, weshalb dir dein Hals wehtut." Kenny nickte aufgeregt und lauschte gebannt Ians Worten, was es im Rachenraum sonst noch so zu sehen gab. Da Ian seine Finger zwischen den Backenzähnen des Agenten positioniert hatte, blieb diesem nicht viel anderes übrig, als geduldig zu warten, bis der Mediziner mit seiner Demonstration fertig war. Kenny kicherte jedes Mal, wenn sich die Zunge hob und der Ermittler trocken schluckte. Nach dem fünften Mal beschloss Ian, ihn nicht noch weiter zu reizen und zog Hand und Lampe wieder zurück.
"Jetzt noch Fieber messen!" forderte Kenny, begeistert, dass er nicht länger der Einzige war, der solche blöden Sachen über sich ergehen lassen musste. Jethro unterdrückte ein Seufzen und hielt Ian das Ohr hin, und Kenny ließ die Anzeige keine Sekunde aus den Augen. "Drei, sieben, zwei," las er stolz vor, als das Display etwas anzeigte. "Sehr gut, Kenny," lobte Ian. "37,2° C, das ist völlig normal. Bei dir war es viel mehr, 38,9° C." "Wow," staunte Kenny. "So viel?"
Ian lachte. "Das wird auch wieder weniger." "Sind Sie jetzt fertig, Doc?" knurrte Jethro neben ihm ungeduldig. Ian wollte ihn gerade erlösen, doch Kenny kam ihm zuvor. "Nein," kicherte er vergnügt. "Ian muss dich doch ganz genau untersuchen, so wie mich heute morgen. Du musst dir noch den Pulli ausziehen und auf deinen Hals drücken muss Ian auch noch!" Gegen diese Logik hatte Ian nicht das geringste einzuwenden, und so sah er den Ermittler nur mit einem hilflosen Schulterzucken an. Immerhin war das nicht auf seinem Mist gewachsen. Jethro zog genervt die Brauen nach oben, beugte sich aber gehorsam vor, so dass Ian die Lymphknoten am Hals abtasten konnte. Ihm war klar, dass der Arzt die schmerzende Schwellung dort entdecken würde, egal, ob er auf den Reiz reagierte oder nicht. "Oh, das ist interessant," stellte Ian wie erwartet fest. "Komm mal her, Kenny, gib mir mal deine Hand." Er legte die Finger des Jungen hinter das linke Ohr des Ermittlers. "Merk dir mal genau, was du fühlst," forderte er das Kind auf. "So, und jetzt legst du deine Finger auf die andere Seite, aber ganz vorsichtig. Merkst du was?" "Hier ist ein Knubbel," stellte Kenny konzentriert fest. "Sehr gut," lobte Ian. "Ich sehe schon, du wirst sicher ein guter Arzt, wenn du groß bist. So fühlt sich das bei dir auch an, da ist ein Knoten, der ist ein bisschen entzündet." Er legte die Finger des Jungen auf dessen eigenen Hals. "Spürst du das?" Kenny nickte. "Es tut weh, wenn man drauf drückt," stellte er fest. "Tut dir das auch weh, Jethro?"
"Nein," antwortete Gibbs knapp. "Sein Hals ist viel weniger entzündet als deiner, Kenny, deshalb tut ihm das nicht so weh," erklärte Ian rasch. "Er hat ja auch kein Fieber und ist im Moment viel gesünder als du." Das sah Kenny ein. "Dann kommt jetzt nur noch das Stecherskop!" forderte er und begann, an Jethros Pulli zu ziehen. "Langsam, langsam," bremste Gibbs ihn und musste gegen seinen Willen lachen. "Ich bin schon groß, Kenny, ich kann mich alleine ausziehen." Dennoch ließ er zu, dass der Kleine ihm "half", Pulli, Hemd und T-Shirt auszuziehen.
Ian war überrascht, dass der Grauhaarige das Spiel tatsächlich so weit mitspielte und nun mit bloßem Oberkörper vor ihm saß. "Darf ich?!" fragte Kenny atemlos, als Ian das Stethoskop aus der Tasche zog. "Klar," antwortete der Mediziner und positionierte die Ohrstöpsel in Kennys Ohren. "Soll ich mal die Membran nehmen und dir zeigen, wo man die interessantesten Dinge hören kann?" Kennys Augen leuchteten und waren Antwort genug. Langsam und ruhig ließ der Mediziner das Instrument über Brust und Rücken des Agenten wandern, ließ den Grauhaarigen tief ein- und wieder ausatmen und verfolgte Kennys faszinierten Gesichtsausdruck. "Darf ich auch noch mal?" fragte er den Jungen schließlich. "Okay," willigte Kenny ein. "Es klingt total komisch, aber ganz anders als heute morgen." "Jethro ist ja auch viel größer, und in seine Lungen passt viel mehr rein als bei dir." Er steckte die Stöpsel in seine eigenen Ohren und wandte sich wieder dem Grauhaarigen zu. "Noch mal tiiiief einatmen," bat er, und die Membran verstärkte das leise Seufzen des Agenten um ein vielfaches. Eine halbe Minute später hatte Ian gehört, was er hören wollte, und erlöste den Agenten aus seiner Patientenrolle.
"Sie können sich wieder anziehen, Jethro," erklärte er im besten Medizinertonfall, auch wenn er ein breites Grinsen dabei nicht unterdrücken konnte. "Für den Moment sind wir fertig." "Für den Moment, ja?!" Gibbs Stimme hatte einen verdächtig bedrohlichen Unterton, und Ian ahnte, dass ihm eine bittere Rache bevorstand. Doch das war ihm in diesem Moment egal. "Yop," antwortete er fröhlich. "Morgen machen wir das nochmal!" krähte Kenny begeistert. "Ian muss doch gucken, ob du auch immer noch gesund bist!"
Gibbs zog es vor, auf diese Ankündigung nicht zu reagieren, und wuschelte dem Kleinen noch einmal durch die Haare. "Wir werden sehen, Dr. Mattingly," erklärte er liebevoll. "Aber jetzt schlaf erst mal noch eine Weile, damit du schnell wieder gesund wirst. Ich komme nachher noch mal hoch, und dann gucken wir mal, ob du ein bisschen aufstehen kannst." "Okay!" erklärte Kenny begeistert. "Aber erst rhst du dich aus!" mahnte Jethro, und der Kleine kuschelte sich gehorsam in seine Kissen. "Bis nachher, Jethro," murmelte er müde. "Bis nachher, Kenny," antwortete Gibbs leise und löschte das Licht, ehe er Ian auf den Flur folgte.
Doch er schwieg, bis beide in der Küche angekommen waren und Kenny sie auf keinen Fall mehr hören konnte. Erst jetzt machte der Ermittler seinem Unmut Luft. "Was zum Teufel sollte das, McNamara?!"
Re: Kinderkrankheiten
McNamara Ian hob abwehrend die Hände. "Hey, das war nicht meine Idee!" Gibbs funkelte ihn finster an und Ian beeilte sich, sich zu korrigieren. "Okay, okay, die Racheninspektion schon. Aber der Rest ist nicht auf meinem Mist gewachsen." Er konnte es sich nicht verkneifen, süffisant hinzuzufügen: "Da haben Sie sich ganz allein hineingeritten, Jethro." Gibbs' Miene verfinsterte sich bedrohlich, aber dieses Mal ließ Ian sich davon nicht einschüchtern. "Abgesehen davon... Sie wissen, dass es ohnehin früher oder später dazu gekommen wäre. Und da Sie bereits erste Symptome zeigen, ist es nur gut, dass ich sie früher statt später erfahre!" Leicht tadelnd sah er den Agenten an. "Oder hatten Sie ausnahmsweise vor, mir freiwillig davon zu erzählen!?" "Ich habe keine...", setzte Gibbs gereizt an. "Blödsinn!", unterbrach der Arzt ihn nicht weniger gereizt. "Nicht einmal Halsschmerzen, das waren doch Ihre Worte, oder?!", zitierte er scharf. "Treffender wäre wohl eher gewesen, noch keine Halsschmerzen, nicht wahr?!" Gibbs zog es vor, nicht darauf zu antworten, was McNamara im Grunde bereits Antwort genug war. "Verdammt, Gibbs!" Frustriert fuhr er sich übers Gesicht. "Haben Sie denn nicht verstanden, was ich Ihnen heute Morgen gesagt habe? Für einen Erwachsenen können die Masern verdammt gefährlich werden, das ist keine der üblichen Erkältungen, die Sie mal eben ignorieren können!" Der Arzt brachte es fertig, Gibbs gleichzeitig besorgt und vorwurfsvoll anzusehen. Ein paar Sekunden herrschte Schweigen, dann seufzte Jethro leise. "Ein leichtes Kratzen im Hals, seit heute Mittag.", gab er mit undurchdringlicher Miene zu. Ian war im ersten Moment überrascht, dass Gibbs tatsächlich das Vorhandensein von Symptomen zugab, dann fiel ihm etwas auf und er hakte nach: "Erst seit heute Mittag?" Die Schwellung der Lymphknoten war zwar noch nicht besonders ausgeprägt, aber eindeutig vorhanden gewesen. Gibbs sah ihn gereizt an. "Ja!", knurrte er. Beschwichtigend hob Ian die Hände. "Ich glaube Ihnen ja, ich bin nur überrascht." Gibbs hob eine Braue. "Worüber?" Ian rieb sich den Nacken. "Es passt nicht wirklich.", versuchte er zu erklären. "Wenn Sie sich bei Kenny angesteckt haben, dürften eigentlich noch keine Symptome auftreten." Er kratzte sich am Kopf. "Die Inkubationszeit bei Masern beträgt zwischen zehn und vierzehn Tagen, erst danach treten die ersten Symptome auf." Gibbs hob eine Braue. "Und das heißt?" Ian seufzte. "Das heißt, dass Sie und Kenny sich gleichzeitig oder zumindest annähernd gleichzeitig angesteckt haben könnten. Bei Kenny ist die Krankheit bereits über das Initialstadium hinaus, wohingegen es bei Ihnen so aussieht, als hätte es gerade erst angefangen. Das passt einfach nicht zusammen." Ian zögerte, weiterzusprechen. Er rieb sich den Nacken. "Und das wiederum bedeutet, dass ich mir Ihr Blut noch einmal etwas genauer ansehen muss."
Re: Kinderkrankheiten
Gibbs
Der Grauhaarige musterte sein Gegenüber mit einem wütenden Blick. "Woraus ich schließen soll, dass Sie mir noch einmal welches abnehmen wollen, sehe ich das richtig?" "Ja," nickte Ian vorsichtig, aber bestimmt. "Und, wollen Sie wieder so eine Meisterleistung hinlegen wie heute morgen, oder wollen Sie direkt unseren Juniordoc da oben wecken?!" Gibbs war mittlerweile verdammt schlecht gelaunt und machte daraus keinen Hehl. "Was wollen Sie, Ian? Ich bin nicht krank. Vielleicht habe ich die Masern, vielleicht passen die Symptome nicht ganz auf die Beschreibungen in Ihrem Lehrbuch. Kenny ist seit einer Woche hier, und es müsste schon ein verdammt großer Zufall sein, wenn wir uns unabhängig voneinander mit demselben Virus angesteckt haben. Und ich glaube nicht..." "... an Zufälle, ich weiß," vollendete Ian den Satz. "Aber das ändert nichts daran, dass es nicht zusammenpasst. Vielleicht haben Sie auch einfach nur eine Erkältung, unabhängig von den Masern - die auf jeden Fall noch ausbrechen werde, ob Ihnen das nun passt oder nicht. Und ich will, dass Sie unbeschadet aus dieser Sache rauskommen, Gibbs. Im Gegensatz zu Ihnen ist mir nämlich klar, was dabei passieren kann!" Er blickte den Grauhaarigen ernst an, der diesen Blick nicht erwiderte.
"Was wollen Sie, Ian?" fragte er statt dessen mürrisch. "Mein Blut so lange untersuchen, bis Sie endlich etwas gefunden haben, womit Sie mich piesacken können?! Und sei es nur, weil Sie aus unerklärlichen Gründen Spaß daran haben, sich Sorgen um mich zu machen?!" Langsam riss Ian der Geduldsfaden. "Im Gegenteil, Gibbs. Ich will Ihr Blut noch einmal untersuchen, um möglichst viele Erreger ausschließen zu können. Ich will Ihnen keine Krankheit einreden, Gibbs, und selbst wenn Sie wirklich nur eine Erkältung haben, ist das schlimm genug. Masern im Erwachsenenalter..." "... haben eine schlechte Prognose, das haben Sie mittlerweile oft genug erwähnt." knurrte Jethro. "Na, immerhin haben Sie es mittlerweile offensichtlich begriffen," konterte Ian. "Und diese Prognose wird verdammt noch mal nicht besser, wenn das Immunsystem schon vorher gegen andere Krankheiten ankämpfen muss und bei Ausbruch des Masernvirus schon angeschlagen in der Ecke liegt. Ich habe keinen Spaß daran, mir Sorgen um Sie zu machen, Jethro. Aber Sie haben verdammt noch mal Recht damit, dass ich mir diese Sorgen mache - da Sie selber ja offensichtlich nicht in der Lage dazu sind! Los, hinsetzen!"
Mit einem wütenden Schnauben kam der Ermittler der Aufforderung nach. Ian krempelte aus Gewohnheit den linken Ärmel seines Patienten hoch, stockte allerdings, als er den beeindruckenden Bluterguss sah, der sich an der morgendlichen Einstichstelle gebildet hatte. "Oh!" entfuhr es ihm. "Entschuldigung!" Gibbs gab ein unbestimmtes Brummen von sich. "Ich schlage vor, Sie nehmen dieses Mal die andere Seite, Ian," knurrte er. "Und wenn Sie dieses Mal nicht ganz so nervös sind, kann ich mich vielleicht noch mal beherrschen und reiße Ihnen anschließend nicht sofort den Kopf ab!" Ian starrte den Ermittler mit offenem Mund an und wagte es kaum, nach seiner Tasche zu greifen. Er wusste, dass der Chefermittler ihm nichts tun würde, aber ein winziger Teil seines Gehirn ignorierte dieses Tatsache. Verflixt, warum ließ er sich eigentlich immer wieder aufs Neue einschüchtern?! Rasch desinfizierte er die rechte Armbeuge und versuchte, seine Nerven wieder in den Griff zu bekommen - auch wenn er ahnte, dass der Grauhaarige ihn ohnehin jederzeit durchschaute. Gibbs konnte Angst auf zehn Meter gegen den Wind riechen, und dieses Wissen machte es für den jungen Mediziner nicht unbedingt einfacher. Als er nach der Nadel grif, stellte er fest, dass seine Hände zitterten. Und Gibbs entging es ebenfalls nicht.
"Himmel, Ian," stöhnte der Grauhaarige. "Sind Sie eigentlich jedes Mal so nervös, wenn Sie einen Patienten behandeln?!" "Äh... nein..." gab McNamara zu. "Nur... in Ausnahmefällen." "Ah so," nickte Gibbs. "Würde es Ihnen etwas ausmachen, mich ausnahmsweise mal nicht als Ausnahmefall zu betrachten?" Er hätte sich eher die Zunge abgebissen als zuzugeben, dass Ians Missgeschick bei der morgendlichen Prozedur verdammt schmerzhaft gewesen war, doch Ian verstand den Hinweis auch so. "Ich... äh... will nicht noch mal..." stotterte er hilflos. "Ich weiß, Ian," antwortete Gibbs, mit einem Mal völlig ruhig. "Ich weiß. Aber wenn Sie sich noch länger verrückt machen, werden Sie nie fertig - und besser wird es mit Sicherheit auch nicht. Herrgott noch mal, jetzt machen Sie schon... oder Sie lassen es ganz bleiben, okay?! Ich weiß, dass Sie auch nur ein Mensch sind, Ian, und Menschen machen nun mal Fehler. Wenn Sie Angst davor haben, Ihren Patienten weh zu tun, dann sollten Sie besser den Beruf wechseln!!" Es war deutlich zu erkennen, dass die Geduld des Ermittlers eindeutig erschöpft war.
Ian atmete tief durch und fixierte seinen Blick auf den dunklen Punkt in der Armbeuge, der ihm die Position der Vene verriet. Er blendete aus, wo er sich befand und wen er hier vor sich hatte, griff ein zweites Mal nach der Nadel und stach sie rasch und sicher durch die Haut. Noch ehe er nach dem Proberöhrchen gegriffen hatte, quollen die ersten Tropfen bereits aus der Kanüle hervor, und er musste sich beeilen, das Röhrchen anzuschließen. Um sicherzugehen, den Agenten nicht noch einmal anzapfen zu müssen, füllte er vorsichtshalber mehrere Ampullen, ehe er die Nadel wieder aus dem Arm zog und einen Tupfer darauf presste.
"Sind Sie sicher, dass Sie damit auskommen?" fragte der Grauhaarige anschließend sarkastisch. "Ich hoffe es," gab Ian so selbstsicher wie möglich zurück. "Aber für die wichtigsten Dinge sollte es reichen. Und falls nicht... ich weiß ja, wo ich die Quelle finde." Diese gewagte Aussage entlockte dem Erittler immerhin ein Lächeln. "So gefallen Sie mir schon viel besser, Ian," lobte er. "Rufen Sie an, wenn Sie wissen, wann Sie mich notschlachten wollen, dann setze ich Ihnen einen Kaffee auf."
Re: Kinderkrankheiten
McNamara Ian grinste schief. "Notschlachten wird wohl nicht nötig werden... auf den Kaffee komme ich aber trotzdem zurück." Er sah auf die Uhr. "Wenn ich mich beeile, schaffe ich es heute noch ins Labor." Rasch verstaute er die Röhrchen sicher in seiner Tasche. "Ich melde mich, sobald ich etwas weiß.", versprach er, packte seine Sachen und verließ eiligen Schrittes das Haus. Von unterwegs rief Ian zur Sicherheit im Labor an, was sich als kluger Schachzug herausstellte. Auf dem Highway war wieder einmal die Hölle los, dank der Rushhour benötigte er eine gute Dreiviertelstunde für die Strecke zum Bethesda. Dort angekommen beeilte er sich, ins Labor im Untergeschoss zu gelangen. Eine gelangweilt aussehende Schwester empfing ihn an der Sicherheitstür, die dafür sorgte, dass keine Unbefugten den empfindlichen Laborbereich betreten konnten. "Dr. McNamara", stellte Ian sich vor, "Ich habe angerufen." Die Schwester sah ohne große Begeisterung in den Aufzeichnungen nach und betätigte dann mürrisch den Türdrücker. "Herzlichen Dank für Ihre freundliche Mitarbeit...", murmelte Ian sarkastisch, verzichtete aber darauf, die Schwester auf ihr unprofessionelles Verhalten hinzuweisen. Für diesen Tag hatte er bereits genug Auseinandersetzungen hinter sich, da musste er seine Nerven nicht auch noch mit einer unmotivierten Schwester überbeanspruchen. Trotz der späten Stunde herrschte im Labor noch Betriebsamkeit, und Ian traf auf einige bekannte Gesichter, unter anderem auch ein direkter Kollege aus der Station. "Hey, McNamara... kann es sein, dass du die Definition des Wortes Urlaub nicht kennst?" Ian stieg scheinbar verwirrt auf den ironischen Ton ein: "Urlaub? Was ist das?" Sein Kollege schüttelte lachend den Kopf. "Ganz offensichtlich das, was du gerade nicht machst. Was mich dazu bringt... Was machst du überhaupt hier? Solltest du nicht eigentlich an irgendeinem Strand liegen und dich von der Sonne kross braten lassen?" Ian grinste und schüttelte den Kopf. "Kein Braten für mich, danke. Ich bin nur hier, weil ich etwas überprüfen will, dann bin ich auch schon wieder weg." Der Andere hob eine Augenbraue. "Ja, sicher. Wer's glaubt wird selig.", spottete er, wies aber gleichzeitig auf sein Mikroskop. "Du kannst dich hier breitmachen, ich bin im Prinzip fertig." Eine knappe halbe Stunde später hatte Ian alle Proben soweit vorbereitet, dass er mit den Tests beginnen konnte. Als alle Tests abgeschlossen und überprüft waren, war es bereits kurz vor Mitternacht. Ian überlegte kurz, ob er noch gleich zu Gibbs fahren sollte. Doch dann entschied er sich doch lieber dafür, den Rest der Nacht zum Schlafen zu nutzen und sich am nächsten Morgen ausgeruht mit dem Ermittler auseinanderzusetzen. Denn dass es eine Auseinandersetzung geben würde... nun, dessen war Ian sich fast hundertprozentig sicher. Er packte also die Ausdrucke mit den Testergebnissen ein und machte sich auf den Weg nach Hause. Bevor er sich schlafen legte, stellte er noch seufzend den Wecker. Allmählich kam es ihm bald selbst so vor, als wüsste er nicht mehr, was Urlaub bedeutete. Ausschlafen jedenfalls offensichtlich nicht.
Der nächste Morgen kam einer Wiederholung des vorherigen gleich. Bis auf die Tatsache, dass es dieses Mal sein Wecker war, der ihn aus dem Schlaf riss. Dann aber war die Erinnerung an den gestrigen Tag wieder da, und Ian beeilte sich, aus dem Bett zu kommen. Anschließend rief er Gibbs an und kündigte sein Eintreffen in einer Stunde an. Im Schnelldurchgang brachte er dann Duschen, Rasieren und Frühstück hinter sich, ehe er sich - wie schon am Vortag - die Schlüssel schnappte und seine Wohnung verließ. Mit nicht ganz fünf Minuten Verspätung stellte er den Wagen kurz vor acht Uhr vor Gibbs' Haus ab. Drinnen war es stockdunkel, doch aus dem Keller drang ein schwacher Lichtschein auf den Flur hinaus. Ian wusste, dass Gibbs oft zu den unmöglichsten Zeiten an seinem Boot arbeitete, also nahm er an, dass es auch dieses Mal so war. Gibbs war tatsächlich im Keller, doch nicht, um an seinem Boot zu arbeiten. Stattdessen verrieten die gleichmäßigen Atemzüge, dass er tief und fest schlief. Grinsend ging Ian die Treppe hinunter, doch nicht einmal das Knarren der Stufen, das überlaut in der Stille wiederhallte, schreckten den Ermittler aus dem Schlaf. Überrascht blieb Ian einen Moment lang stehen, ehe er stirnrunzelnd weiterging. Seit wann hörte Gibbs es nicht, wenn jemand die Treppe herunterkam? Denn dass Gibbs immer noch schlief, davon war er überzeugt. Mittlerweile kannte er den Agenten gut genug, um zwischen echtem und vorgetäuschtem Schlaf unterscheiden zu können. Die vorletzte Stufe gab ein besonders lautes Knarren von sich, doch selbst das störte Gibbs' Schlaf nicht. Allmählich begann Ian, sich Sorgen zu machen. Es war mehr als nur ungewöhnlich, dass Gibbs seelenruhig weiter schlief, während jemand seinen Keller betrat. Normalerweise kam er ja nicht einmal zur Haustür herein, ohne dass Jethro es registrierte. Und jetzt weckten ihn nicht einmal die knarrenden Holzstufen der Treppe? Irgendetwas stimmte da ganz eindeutig nicht. Vorsichtig näherte er sich dem schlafenden Agenten, jederzeit auf ein abruptes Hochschrecken gefasst. Doch nichts passierte. Gibbs atmete weiterhin ruhig und gleichmäßig, sein Brustkorb hob und senkte sich im gleichbleibenden Rhythmus. Irritiert räusperte Ian sich. "Jethro?" Keine Reaktion. Er versuchte es noch einmal, etwas lauter. "Jethro?" Dieses Mal kam eine Reaktion. Über Gibbs' Gesicht huschte ein unwilliger Ausdruck, dann blinzelte er. Und im nächsten Moment war er hellwach. Hastig richtete er sich auf. "Wie spät ist es?!" Seine Stimme klang noch heiser vom Schlaf und Ian verkniff sich ein Grinsen. "Kein Grund zur Hektik, ich bin gerade erst gekommen." Jethro schüttelte unwillig den Kopf. "Nicht wegen Ihnen, wegen Kenny!" Etwas steif wegen der völlig verspannten Muskeln erhob er sich vom Boden, wobei er ein Ächzen nur dank seiner ausgeprägten Selbstbeherrschung unterdrücken konnte. "Wieso, was ist mit Kenny?", hakte Ian sofort nach. "Ausschlag.", antwortete Gibbs kurzangebunden und unterdrückte ein Gähnen. "Also haben Sie beide nicht sonderlich viel geschlafen.", schlußfolgerte Ian. "Ich sehe nach Kenny.", wich Gibbs einer direkten Antwort aus und ging zur Treppe. Seufzend folgte Ian ihm. Der Junge schlief noch, und nachdem Gibbs sich davon überzeugt hatte, verließ er das Schlafzimmer erleichtert wieder. Erleichtert, weil er, als er geschlafen hatte, offensichtlich keinen von Kennys Rufen überhört hatte. "Kaffee ist gleich fertig.", verkündete er müde. Den hatte er jetzt dringend nötig, denn Kenny hatte praktisch im Stundentakt nach ihm gerufen und ihn so die ganze Nacht auf Trab gehalten. Stirnrunzelnd folgte Ian Gibbs in die Küche, wo Jethro sich sofort an der Kaffeemaschine zu schaffen machte. Gibbs wirkte mehr als nur müde, stellte er fest. Der Kleine mochte ihn die ganze Nacht wach gehalten haben, aber eine durchwachte Nacht war nichts, was Gibbs wirklich erschöpfte. Viel wahrscheinlicher war es, dass die Müdigkeit mit dem Ergebnis der Testreihen zu tun hatte. Und das wiederum brachte ihn auf den Grund seines Besuchs zurück. Kurz zögerte er, überlegte, wie er das Thema anschneiden sollte. Doch schließlich entschied er sich für den kürzesten Weg. "Erhöhte Leukos." Im ersten Moment sah Jethro ihn nur verständnislos an. "Die Anzahl der Leukos in Ihrem Blut ist erhöht, das deutet auf einen Infekt hin.", beeilte Ian sich zu verdeutlichen. Der kürzeste Weg war offensichtlich nicht unbedingt der beste. Gibbs hob eine Braue. "Und die Masern sind kein Infekt." Ian rieb sich den Nacken. "Äh, doch. Aber in Ihrem Fall sind es zwei Infekte. Die Masern und noch etwas Anderes." Die Braue wanderte höher. "Was ist das zweite?" Ian seufzte leise. "Vermutlich ein einfacher grippaler Infekt, aber sicher weiß ich es erst, wenn ich Sie..." Gibbs' Miene verfinsterte sich. "Sagen Sie jetzt bloß nicht, dass Sie mich schon wieder mit dieser verdammten Untersucherei nerven wollen!" Ian schloss die Augen, atmete tief durch und zählte in Gedanken bis zehn. "Ruhig bleiben", befahl er sich selbst, sich nicht von dem abfälligen Ton provozieren zu lassen. Doch aller Selbstbeherrschung zum Trotz stieg Ärger in ihm auf. "Oh ja, sicher.", presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. "Ich will Sie einfach nur nerven. Immerhin sind Sie ja nur ein NCIS-Agent und niemand, den ich zu meinem persönlichen Freundeskreis zähle. Abgesehen davon weigern Sie sich ja ohnehin, freiwillig zu mir zu kommen, wenn Ihnen etwas fehlt, also brauche ich Sie im Grunde noch nicht einmal als Patient zu zählen, geschweige denn, dass es sein könnte, dass ich mir tatsächlich Gedanken um Sie mache. Ja, es muss wohl so sein, wie Sie sagen, ich will Sie ganz eindeutig nur nerven!" Gibbs hob eine Braue. "Sieh mal einer an. Sie können ja sogar Zähne zeigen.", stellte er amüsiert fest. Abrupt stellte Ian seine Kaffeetasse ab, unsanft genug, um den Inhalt überschwappen zu lassen. Doch das war ihm im Moment egal, aufgebracht trat er einen Schritt vor und baute sich vor Gibbs auf. "Ich kann noch verdammt viel mehr, als nur die Zähne zu zeigen, Gibbs! Ich habe zwar keine Ahnung, warum zum Teufel ich mir überhaupt Gedanken darüber mache, wie ich Sie vor dem Schlimmsten bewahre, aber ich werde es tun - mit oder ohne Ihre Hilfe! Haben Sie sturer Mistkerl das jetzt endlich verstanden?!" Ohne auf eine Antwort zu warten, wirbelte McNamara herum und stürmte aus der Küche. Überrascht sah Gibbs ihm nach. Mit einem derartigen Ausbruch hatte er nun wirklich nicht gerechnet - erst recht nicht mit einem solchen Abgang. Aber wie sich im nächsten Moment herausstellte, war es gar kein Abgang gewesen, vielmehr der Auftakt zur zweiten Runde. Denn Ian hatte lediglich seine Tasche aus dem Flur geholt und stellte sie nun äußerst unsanft auf dem Esstisch ab. Keine Sekunde später hatte er sie geöffnet, im nächsten Moment zog er schwungvoll zwei Sessel unter dem Tisch hervor und deutete auf einen. "Setzen!", forderte er scharf. Jethro blinzelte überrascht. Träumte er? Gleich darauf hatte er seine Antwort. "Hinsetzen.", wiederholte Ian nachdrücklich, ohne sich auch nur zu ihm umzudrehen. Jethro öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Und schloss ihn wieder. Ganz offensichtlich träumte er nicht. Und das hieß, dass Ian ihm tatsächlich eben befohlen hatte, sich auf diesen Stuhl zu setzen. Was wiederum hieß, dass er verdammt sauer sein musste. Sauer genug, um notfalls tatsächlich auch ohne seine Kooperation zum gewünschten Ergebnis zu kommen. Dennoch, es war irritierend festzustellen, dass derselbe Ian McNamara, den er sonst mit Leichtigkeit einschüchtern konnte, plötzlich ... nicht mehr eingeschüchtert war.