Forum Grundeinkommen - Allgemeine Diskussion zum Grundeinkommen

Artikel über die Grundeinkommens-Gesetze in Brasilien

Re: Parteien/Politiker gewinnen

Hallo Wolfgang Strengmann,

Am Freitag, 15. Oktober 2004 14:20 hat Wolfgang Strengmann
geschrieben:

> Es gibt doch hier vielleicht auch JuristInnen unter aus oder
> vielleicht wissen auch die BAGSHI-Leute Bescheid. Wie ist denn
> das mit der jetzigen Sozialhilfe? Da gibt es ja auch schon den
> Zwang zur Arbeitsbereitschaft, was ja eigentlich - unserer
> Meinung nach - Art. 1 GG widerspricht. Gab es dagegen eigentlich
> schon einmal eine Verfassungsbeschwerde? Und wenn ja, wie hat
> das BVerfassungsgericht entschieden?

Mir persönlich ist nichts darüber bekannt, daß wegen der gzA
(gemeinnützige, zusätzliche Arbeit) jemals Verfassungsbeschwerde
eingereicht wurde und es würde mich natürlich ebenso
interessieren.

Bei Hartz IV geht es allerdings im Gegensatz zu den Bestimmungen in
der derzeitigen Sozialhilfe nunmehr um Arbeiten, die "im
öffentlichen Interesse" sein müssen, also nicht mehr um rein
*ZUSÄTZLICHE* Arbeiten (an dem Kriterium der Zusätzlichkeit sind
übrigens sehr viele Aufforderungen zur gzA gescheitert, weil durch
dieses Kriterium sichergestellt werden sollte, daß keine regulären
Arbeitsplätze vernichtet werden - dies ist durch Hartz IV nun
jedoch infragegestellt).

> Wenn nicht, wird es endlich Zeit, eine Verfassungsbeschwerde
> anzustrengen. Ich halte es fuer diesen Fall nicht fuer
> ausgeschlossen tatsaechlich auch erfolgreich zu sein.

Es laufen bereits Beschwerden - eine dieser Beschwerden ist
beispielsweise dokumentiert unter:

http://www.flegel-g.de/index-verfassungsklage-ohne-java.html

Viele Grüße
Marion

Re: Parteien/Politiker gewinnen

Die Arbeitspflicht, die mit der Sozialhilfe verbunden ist, als Zwangsarbeit
zu bezeichnen, ist in meinen Augen bestenfalls in überzeichnender Absicht
sinnvoll. In nüchtern analytischer Hinsicht macht das keinen Sinn und würde
im übrigen die wirkliche Zwangsarbeit auch indirekt stark verharmlosen. Und
das wird ja sicherlich auch niemand wollen. Daß die Arbeitspflicht eine
beklagenswerte Gängelei bedeutet, die auch die betroffenen Staatsbürger zu
Bürgern zweiter Klasse degradiert, darin sind wir uns ja wahrscheinlich
einig. Aber man muß auch sehen, daß die Arbeitspflicht bei der Sozialhilfe
damit zusammenhängt, daß die Sozialhilfe für Bedürftige gedacht ist, und da
ist es innerhalb dieser Logik nur konsequent ist, wenn man diejenigen, die
arbeiten können, zur Arbeit verpflichtet. Die Sozialhilfe ist eben kein
Grundeinkommen! Sozialhilfe ist nicht bedingungslos. Das ist für sie
konstitutiv! Ein Grundeinkommen bekommt jeder "bedingungslos", daher muß man
dort auch keine Bedingungen stellen. Das Verfassungsgerichtsurteil zur
Sozialhilfe bezieht sich auf die Höhe der Leistung und setzt natürlich die
Hilfsbedürftigkeit als Bedingung des Empfangs von Sozialhilfe immer schon
voraus. Das ist ja geradezu eine Trivialität. Also mit Klagen diesbezüglich
was erreichen zu wollen, halten ich für aussichtslos. Wie es sich bei Hartz
IV und ALG II verhält, ist dann eine weitere Frage.

Manuel Franzmann

Re: Parteien/Politiker gewinnen

Hallo Manuel Franzmann,

Am Freitag, 15. Oktober 2004 17:00 hat Manuel Franzmann
geschrieben:

> Die Arbeitspflicht, die mit der Sozialhilfe verbunden ist, als
> Zwangsarbeit zu bezeichnen, ist in meinen Augen bestenfalls in
> überzeichnender Absicht sinnvoll. In nüchtern analytischer
> Hinsicht macht das keinen Sinn und würde im übrigen die
> wirkliche Zwangsarbeit auch indirekt stark verharmlosen.

Darüber ließe sich ohne weiteres kontrovers diskutieren. Ich habe
soeben eine ausführliche Definition unter:

http://www.futuristen.de/zwangsarbeit.htm

gelesen, welche Ihr Argument, die Zwangsarbeit während der Zeit des
Nationalsozialismus zu verharmlosen, durchaus berücksichtigt.

Ebenso hat Sir Ralf Dahrendorf (Professor für Sozialwissenschaften
und Mitglied im britischen Oberhaus) bereits im Jahr 2000 im
Zusammenhang mit der Bindung von Anrechten an Leistungen von
Zwangsarbeit bzw. von Varianten von Zwangsarbeit gesprochen - vgl.
dazu:

http://www.zeit.de/archiv/2000/41/200041_essay_-_dahrendo.xml

> Aber man muß auch sehen, daß
> die Arbeitspflicht bei der Sozialhilfe damit zusammenhängt, daß
> die Sozialhilfe für Bedürftige gedacht ist, und da ist es
> innerhalb dieser Logik nur konsequent ist, wenn man diejenigen,
> die arbeiten können, zur Arbeit verpflichtet.

Solange die Empfänger von Transferleistungen diese Arbeit selbst
wählen können, d.h. solange sie die Möglichkeit haben, mit dem
Arbeitgeber einen Vertrag frei einzugehen bzw. auszuhandeln, ist
dagegen nichts einzuwenden. Leider ist bei der gzA genau das
Gegenteil der Fall! Hartz IV geht sogar noch weiter. Auf eine
telefonische Anfrage diesbezüglich wurde mir von einem
Sachbearbeiter mitgeteilt, daß man nun berechtigt sei,
grundsätzlich jeden Erwerbslosen (völlig gleich, ob es sich nun um
einen promovierten Akademiker oder um einen Facharbeiter handelt)
sofort und ohne jegliches Vorgespräch zum Aufsammeln von Hundekot
in öffentliche Parks schicken zu können. Dies wiederum wird allerdings
reguläre Arbeitsplätze im Bereich Landschaftsgärtnerei bzw.
Garten- bzw. Parkpflege vernichten.

> Die Sozialhilfe
> ist eben kein Grundeinkommen! Sozialhilfe ist nicht
> bedingungslos. Das ist für sie konstitutiv!

Ohne Zweifel. Dennoch gehören die Praktiken der Sozial- bzw.
Arbeitsämter m. E. nach wie vor auf den Prüfstand. Hartz IV war nur
eine logische Folge dessen, daß dies von einer Öffentlichkeit
bisher weitgehend unbeachtet geblieben ist.

> Ein Grundeinkommen
> bekommt jeder "bedingungslos", daher muß man dort auch keine
> Bedingungen stellen.

So sehe ich dies ebenfalls, nur sollte die derzeitige Praxis der
Hilfegewährung auf jeden Fall überprüft und ggf. auch dort, wo es
notwendig ist, schonungslos kritisiert werden. Nur so werden sich
klare, gute und nachvollziehbare Begründungen für ein BGE finden
lassen.

Viele Grüße
Marion

Re: Parteien/Politiker gewinnen

Liebe Marion,

mir ist schon klar, daß man als Gegenleistung für den Erhalt der Sozialhilfe
auch zu vom Sozialamt vorgegebenen Tätigkeiten gezwungen werden kann. Und
mir liegt es völlig fern, den Skandalcharakter dieses Vorgehens seinerseits
zu verharmlosen oder herunterzureden. Mir geht es nur darum, daß man
begrifflich klar unterscheidet zwischen einer Arbeit, zu der man unmittelbar
gezwungen wird, wie die Arbeit der Zwangsarbeiter des dritten Reiches, und
Arbeit, zu der man im Rahmen der Logik von Leistung und Gegenleistung
gezwungen wird, wie bei der Sozialhilfe. Und letzteres ist wirklich etwas
vollkommen anderes. Ich halte es für falsch, wenn man zur Herausstellung der
Negativität der Gängelei bei der Sozialhilfe so tut, als handelte es sich
bei dieser Gängelei und der Zwangsarbeit bei den Nazis bloß um zwei
Varianten des Gleichen. Das wird der Sache einfach nicht gerecht.

Beste Grüße
Manuel Franzmann

Re: Parteien/Politiker gewinnen

Hallo Manuel Franzmann,

Am Freitag, 15. Oktober 2004 18:55 hat Manuel Franzmann
geschrieben:

> Ich halte es für falsch, wenn man zur Herausstellung der
> Negativität der Gängelei bei der Sozialhilfe so tut, als handelte
> es sich bei dieser Gängelei und der Zwangsarbeit bei den Nazis
> bloß um zwei Varianten des Gleichen. Das wird der Sache einfach
> nicht gerecht.

Dahrendorf hat dies auch nicht miteinander verglichen, oder haben
Sie seinen Essay dahingehend verstanden? Falls ja, bitte ich um
entsprechende Zitate aus seinem Text.

Gruß
Marion

Re: Parteien/Politiker gewinnen

Liebe Freunde,

Manuel Franzmanns Argument zum Thema „Arbeitszwang“:



„Mir geht es nur darum, daß man
begrifflich klar unterscheidet zwischen einer Arbeit, zu der man unmittelbar
gezwungen wird, wie die Arbeit der Zwangsarbeiter des dritten Reiches, und
Arbeit, zu der man im Rahmen der Logik von Leistung und Gegenleistung
gezwungen wird, wie bei der Sozialhilfe. Und letzteres ist wirklich etwas
vollkommen anderes.“



ist vollkommen richtig und sehr wesentlich. Die sozialrevolutionäre und
pathetisch-polemische Behauptung, es handele sich bei der derzeitigen
Sozialhilfe und dem künftigen Arbeitslosengeld um „Zwangsarbeit“, ist
politischer Unsinn und nützt der Grundeinkommensidee nicht.



Der „Arbeitszwang“ entsteht allein aus der Not fehlender alternative
Existenzsicherungspfade --- eine Not, die die Menschheit nie (!) anders
kannte.



Die Grundeinkommensidee will diese jahrtausende Existenzsicherungsangst des
Menschen transformieren und die Gemeinschaft Aller in die Pflicht eines
Jeden nehmen. Das ist etwas historisch Unerhörtes. Darüber müssen wir
nachdenken. Darüber nachdenken kann und muss jeder, nicht nur die
Akademiker. Aber eben denken.



Beste Grüße

Michael Opielka



prof. dr. michael opielka

institut für sozialökologie (isö)

var m = String.fromCharCode(109,97,105,108,116,111)+':';var e = 'michael.opielka'+String.fromCharCode(64)+'isoe'+String.fromCharCode(46)+'org';document.writeln(''+e+'');support@isoeorg

www.isoe.org

Logik von Leistung und Gegenleistung

Der Staat hat die Pflicht, Sicherheit und Freiheit zu schützen.
Dies ist seine primäre Aufgabe und seine Existenzberechtigung.
Hieraus entsteht ihm Bürgern und Organen gegenüber das Recht,
Gesetze zu geben.
Die Bürger haben ein Recht auf Sicherheit und Freiheit und die
Pflicht, dieses Recht jedem anderen (Bürger oder Staat) zuzuge-
stehen.
Anders ist hier das Verhältnis von Staat zu Bürgern; Erster ist
nicht verpflichtet letzeren sein Recht (nämlich Gesetze zu geben)
zuzugestehen, sondern entsteht den Bürgern hier eine zweite
Pflicht; das Gesetzgebungsmonopol des Staates anzuerkennen.
Der Staat fordert von den Bürgern also schon immer (StGB LBauO
oder auch nur StVO seien genannt) und damit aus der Forderung
plausibel auch eine Erwartung werde, bedarf es eines gewissen
Rechts; des Verfügungsrechts über die Existenzmittel.
Nun fordert der Staat darüber hinaus gehendes; die Bereitschaft
zu Arbeit, zur Suche danach, und erklärt ein Recht auf eXistenz-
mittel zur diese Forderung auslösenden, sie rechtfertigenden
Förderung.
War nicht aber der sich aus dem X-min-Recht ergebenden Pflicht
genüge getan, indem 1. das gleiche Recht einem jeden zugestan-
den einerseits, und 2. den vielfältigen Gesellschaftnormen
nachgekommen wird andererseits?

MfG
b

„Arbeitszwang“ entsteht allein aus der Not

Arbeitszwang ist, sofern es sich bei ihm nicht um eindeutige Straf-
aktionen handelt, also jener die Habenichtse betreffende, eine
Erfindung der Bürgergeselschaft.
Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht auf die Malediven fliegen.
Anders ist der Spruch sinnvoll nicht zu deuten.
"Wenn einer die Güter der Welt besitzt
und seinen Bruder Not leiden sieht
und sein Herz vor ihm verschließt,
wie kann in dem die Liebe Gottes bleiben?" 1.John. 3.17.

Arbeitszwang entsteht allein aus Macht.
Anders war das noch nie.

"Der erste, der ein Stück Land eingezäunt hatte und es sich
einfallen ließ zu sagen "dies ist mein" und der Leute fand, die
einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der wahre Gründer
der bürgerlichen Gesellschaft.
Wie viele Verbrechen, Kriege Morde, wieviel Not und Elend und
wieviel Schrecken hätte derjenige den Menschen erspart, der die
Pfähle herausgerissen oder den Graben zugeschüttet und seinen
Mitmenschen zugerufen hätte:
`Hütet euch, auf diesen Betrüger zu hören; ihr seid verloren, wenn
ihr vergesst, daß die Früchte allen gehören und die Erde
niemandem´."
Rousseau, Diskurs über die Ungleichheit.

MfG
b

Re: Parteien/Politiker gewinnen

Sehr geehrter Herr Opielka,

Am Freitag, 15. Oktober 2004 19:15 hat Michael Opielka geschrieben:

> Die sozialrevolutionäre und pathetisch-polemische Behauptung, es
> handele sich bei der derzeitigen Sozialhilfe und dem künftigen
> Arbeitslosengeld um "Zwangsarbeit", ist politischer Unsinn und
> nützt der Grundeinkommensidee nicht.

Ich bezweifele, daß man bei Sir Ralf Dahrendorf
sozialrevolutionäres Denken und pathetisch-polemische Behauptungen
finden kann und empfehle daher die Lektüre seines gesamten Essays:

http://www.zeit.de/archiv/2000/41/200041_essay_-_dahrendo.xml

Viele Grüße
Marion

Wer muss zur Arbeit?

Um das DASEIN zu kämpfen ist die Tätigkeit des Gladiators.
Schreibtischtätigkeiten hingegen dienen der Legitimation
unmäßigen SOSEINS.
Die Tätigkeitsmoral der ( ( Schreibtisch- ) arbeitsplatz- )
Besitzenden ist das Tarnen und Täuschen.
Getarnt werden Ansprüche. Durch Tätigkeit.
Und Täuschung ist der ( die Besitzlosen betreffende ) Zwang
zur Suche nach Arbeit. Das es zu wenig Arbeitsplätze gibt ist
systemimmanent, d.h. es werden Arbeitsplätze fehlen, solange
das Privateigentum an Fabriken die Politik diktiert.
ES DIENT DIESES Täuschungsmanöver auch gar nicht einer
Beschäftigung der Besitzlosen, sondern wieder nur der
Rechtfertigung der Besitzenden:
Aus der Existenz dieser Kaste der zur-Suche-gezwungenen
folgern sie ( die Besitzenden ), das sie ja "Arbeiten müssen"
( präziser wär "müssten" ), und bis vor kurzem ließen sie sich
sogar noch vorschreiben, wie lange ( täglich, wöchentlich ) zu
"Arbeiten" sei. Aus dem Menschen betreffenden Zwang zur
Arbeit wird alltäglich der die Menschen betreffende.
Die SOSEINENDEN glauben, indem sie sich einem den
Tätigkeitszwang aufrechterhaltenden System unterwerfen,
sich quasi schuldlos-unmäßig halten zu können.
Der Zwang zur Suche nach Arbeit hier rechtfertige
die Unmäßigkeit der Besitzenden da.
Zur Unmäßigkeit aber verpflichten Politiker jene, die nicht mehr
wissen wohin mit dem Vermögen. Denn der Tag sei nahe, an dem
wir uns bedanken müssen, das wir die Schuhe putzen dürfen jener
verehrten Neofeudalisten.

MfG
b