Artikel über die Grundeinkommens-Gesetze in Brasilien
Re: Parteien/Politiker gewinnen
Liebe Marion,
Sie argumentieren zwar auf den ersten Blick vernunftzugänglicher als manch andere der Diskutanten, doch gehört zur Vernunft die Gründlichkeit. Der Liberale Dahrendorf, den Sie zur Lektüre empfehlen, schreibt in diesem Text:
Also wird selbst ledigen Müttern mit ganz kleinen Kindern die Sozialhilfe gekürzt, wenn sie nicht arbeiten, wobei Haushaltstätigkeit und Kindererziehung nicht als Arbeit gelten. Bei arbeitslos Gemeldeten wird das Prinzip noch rigoroser angewendet. Von hier ist es nur noch ein Schritt zur regelrechten Zwangsarbeit. In einer überaus milden Form existiert diese in Deutschland als Wehrpflicht (mit der Alternative des Sozialdienstes). Ob auf diese Weise Solidarität gestiftet, soziale Kohäsion gefördert wird, darf man tunlich bezweifeln.
Dahrendorfs Behauptung, es sei nur noch ein Schritt zur Zwangsarbeit, halte ich schlicht für völlig übertrieben und insoweit falsch. Die Wehrpflicht - die er als überaus milde Form von Zwangsarbeit bezeichnet - ist tatsächlich Zwangsarbeit, wie auch ein Sozialdienst, der von manchen (wie auch von mir) für durchaus bedenkenswert gehalten wird. Aber eine Nicht-Zahlung von Geldleistungen an Personen, die ihren Lebensunterhalt erbringen könnten, wenn sie unbedingt wollten, hat mit Zwangsarbeit nichts zu tun. Aber die Welt ist kompliziert. Das Beispiel der ledigen Mütter Dahrendorfs verweist auf den Arbeitsbegriff: nur Erwerbsarbeit, die gilt, oder auch mehr? Doch dieses Beispiel wäre mit einem Erziehungsgehalt zielgerechter gelöst, dazu braucht es kein allgemeines Grundeinkommen.
Dahrendorfs Argument in diesem Beitrag - es war sein Vortrag auf dem Soziologentag 2000 in Köln - zielte darauf, die Idee einer guten Gesellschaft fundamental zu kritisieren. Die Idee des Grundeinkommens ist bei ihm Teil einer pragmatischen, eher liberal-minimalstaatlichen Lösung, das Grundeinkommen entsprechend eher niedrig und in Form einer Negativsteuer. Wie ordentliche Wirtschaftsliberale hält Dahrendorf Staatsregulation prinzipiell für problematisch und immer für legitimierungsbedürftiger als den Markt. Wenn der Arbeitsmarkt zu Ungleichheiten führt, ist dies für ihn sozusagen natürlich - falls der Staat eingreift, ist es stets ein Problem.
Wer für ein Grundeinkommen (für alle!) eintritt, als soziales Grundrecht, muss aber eine positive Staatskonzeption für möglich halten. Hier liegt ein Widerspruch bei Dahrendorf vor, der zu jener schillernden Bewertung nur noch ein Schritt (zur Zwangsarbeit) führt. Der schlichte Sozialrevolutionär streicht dann auch noch das nur noch ein Schritt -- und, schwupp, ist unser relativ liberaler Staat ein Zwangsstaat, und schließlich auch terroristische Gegenwehr erlaubt ... wir erinnern uns: RAF vor dreißig Jahren, rechter Terror (Solingen usf.) davor und seitdem.
Beste Grüße
Michael Opielka
prof. dr. michael opielka
institut für sozialökologie (isö)
var m = String.fromCharCode(109,97,105,108,116,111)+':';var e = 'michael.opielka'+String.fromCharCode(64)+'isoe'+String.fromCharCode(46)+'org';document.writeln(''+e+'');support@isoeorg
www.isoe.org
_____
Von: Marion2004 [mailto:@carookee.com] Gesendet: Freitag, 15. Oktober 2004 19:45 An: var m = String.fromCharCode(109,97,105,108,116,111)+':';var e = 'michael.opielka'+String.fromCharCode(64)+'isoe'+String.fromCharCode(46)+'org';document.writeln(''+e+'');support@isoeorg Betreff: [Mailingliste-Grundeinkommen:] Re: Parteien/Politiker gewinnen
Sehr geehrter Herr Opielka,
Am Freitag, 15. Oktober 2004 19:15 hat Michael Opielka geschrieben:
> Die sozialrevolutionäre und pathetisch-polemische Behauptung, es > handele sich bei der derzeitigen Sozialhilfe und dem künftigen > Arbeitslosengeld um "Zwangsarbeit", ist politischer Unsinn und > nützt der Grundeinkommensidee nicht.
Ich bezweifele, daß man bei Sir Ralf Dahrendorf sozialrevolutionäres Denken und pathetisch-polemische Behauptungen finden kann und empfehle daher die Lektüre seines gesamten Essays:
Am Freitag, 15. Oktober 2004 20:30 hat Michael Opielka geschrieben:
> Dahrendorfs Behauptung, es sei "nur noch ein Schritt" zur > Zwangsarbeit, halte ich schlicht für völlig übertrieben und > insoweit falsch. Die Wehrpflicht - die er als "überaus milde > Form" von Zwangsarbeit bezeichnet - ist tatsächlich > Zwangsarbeit, wie auch ein Sozialdienst, der von manchen (wie > auch von mir) für durchaus bedenkenswert gehalten wird. Aber > eine Nicht-Zahlung von Geldleistungen an Personen, die ihren > Lebensunterhalt erbringen könnten, wenn sie unbedingt wollten, > hat mit Zwangsarbeit nichts zu tun.
Und hier liegt m.E. der Fehlschluß: "Personen, die ihren Lebensunterhalt erbringen könnten, wenn sie unbedingt wollten [...]"
Derzeit kommen auf eine freie Stelle am Markt ca. 26 Bewerber, jedoch nur *EIN* Bewerber kann diese Stelle antreten. Was sollen die restlichen 25 Bewerber denn Ihrer Ansicht nach tun, selbst wenn sie "unbedingt wollten"?
> Aber die Welt ist kompliziert. Das Beispiel der ledigen Mütter > Dahrendorfs verweist auf den Arbeitsbegriff: nur Erwerbsarbeit, > die gilt, oder auch mehr? Doch dieses Beispiel wäre mit einem > Erziehungsgehalt zielgerechter gelöst, dazu braucht es kein > allgemeines Grundeinkommen.
Ich denke nicht, daß es mit einem Erziehungsgeld tatsächlich gelöst werden kann. Hier halte ich ein Grundeinkommen für alle Bürger und Bürgerinnen tatsächlich für vernünftiger (und auch wesentlich kostengünstiger, da hierdurch u.a. die derzeitigen Kosten für die Sozialbürokratie entfallen und endgültig der Vergangenheit angehören könnten).
> Dahrendorfs Argument in diesem Beitrag - es war sein Vortrag auf > dem Soziologentag 2000 in Köln - zielte darauf, die Idee einer > "guten Gesellschaft" fundamental zu kritisieren.
Ich weiß.
> Die Idee des Grundeinkommens ist bei ihm Teil einer > pragmatischen, eher liberal-minimalstaatlichen Lösung, das > Grundeinkommen entsprechend eher niedrig und in Form einer > Negativsteuer.
Auch das ist mir bekannt, aber darum ging es mir in meinen vorangegangen Beiträgen auch nicht.
> Wer für ein Grundeinkommen (für alle!) eintritt, als soziales > Grundrecht, muss aber eine positive Staatskonzeption für möglich > halten. Hier liegt ein Widerspruch bei Dahrendorf vor, der zu > jener schillernden Bewertung "nur noch ein Schritt" (zur > Zwangsarbeit) führt.
Nun, die von Dahrendorf zitierten alleinstehenden Mütter sind leider kein reines britisches Phänomen. Auch auf deutschen Arbeitsämtern werden inzwischen alleinstehende Mütter freitags vorgeladen, um bereits am darauffolgenden Montag einen Bewerbungskurs anzutreten. Weisen sie darauf hin, daß sie in dieser kurzen Zeit keine Betreuung für die Kinder finden können, wird ihnen die Hilfe gekürzt bzw. werden sie aus dem Leistungsbezug gedrängt. Aus sicher auch für Sie nachvollziehbaren Gründen werde ich hier keine konkreten Namen nennen, aber dies passiert inzwischen immer häufiger auch auf deutschen Arbeitsämtern, wobei es nicht nur alleinerziehende Mütter betrifft. Die praktische Arbeit mit Betroffenen lehrt, daß dies eben nun einmal keine Einzelfälle sind.
> Der schlichte Sozialrevolutionär streicht > dann auch noch das "nur noch ein Schritt" -- und, schwupp, ist > unser relativ liberaler Staat ein Zwangsstaat, und schließlich > auch terroristische Gegenwehr erlaubt ... wir erinnern uns: RAF > vor dreißig Jahren, rechter Terror (Solingen usf.) davor und > seitdem.
Dies wiederum halte ich für übertrieben, wobei ich jedoch nicht in Abrede stellen möchte, daß es in Zukunft zu Übergriffen und Verzweiflungstaten kommen kann. Allein ein kurzer Blick auf die Wahlergebnisse in Sachsen und Brandenburg sollte da schon genügen.
Viele Grüße Marion
Re: Parteien/Politiker gewinnen
Michael Opielka wrote:
>Mir geht es nur darum, daß man >begrifflich klar unterscheidet zwischen einer Arbeit, zu der man unmittelbar >gezwungen wird, wie die Arbeit der Zwangsarbeiter des dritten Reiches, > Wer diese Zwangsarbeit spezifiziert benennen will sage "Nazi-Zwangarbeit" dazu. Damit macht er/sie kenntlich, dass es nicht nur um Zwangsarbeit geht, sondern um systematische Verschleppung und systemtisches Totarbeiten lassen, Arbeit als Mordinstrument. Nichtsdesto trotz sind nicht alle formen von Zwangsarbeit Nazi-Zwnagarbeit, wie es allein die vielfältigen Gulags dieser Welt beweisen haben. Wer also diesen sematischen Unterschied leugnet, führt etwas im Schilde: die verharmlsoung der Zwangsasrbeit hier. Denn wo immer mit einem besonderen Übel gedroht wird, wird genötigt und dann ist die erzwungene Arbeit eben Zwangsarbeit. Weil nach GG eben die Mittel der Sozialhilfe ein würdiges Leben als Minimum, das auch nicht mehr pfändbar ist, vorsieht, macht jede Straf-Minderung dieser Mittel und sogar jede Drohung mit Minderung Arbeit zu Zwangsarbeit: eben erpresste Arbeit und keine Lohnarbeit.
> und >Arbeit, zu der man im Rahmen der Logik von Leistung und Gegenleistung >gezwungen wird, wie bei der Sozialhilfe. Und letzteres ist wirklich etwas >vollkommen anderes. > Ein Existenzminimum für ein würdiges Leben hat nicht das Geringste mit "Leistung und Gegenleistung" zu tun, sondern mit der Fürsorgepflicht des Staates nach Gesellschaftsvertrag zur Abgabe individueller Gewalt ans Staatsmonopol:
Unterstellt, die Mystifikationen der bürgerlichen Gesellschaft sind zu ihrer Legitimierung und der Kaschierung von tatsächlichen Gewaltverhältnissen nötig, ist von folgendem grundlegenden Gesellschaftsvertrag zu sprechen: die Mitglieder der Gesellschaft verzichten auf ihre Gewaltmittel, sind z.B. unbewaffnet etc. und mandatieren dafür den Staat, allein legitimiert Gewalt auszuüben (Notwehr in engen Grenzen ist die Ausnahme). Aus dieser gesellschafts-vertraglichen Legitimation ergibt sich alle folgende Gewaltausübung des Gewaltmonopolisten Staat verbunden mit dem gesellschaftlichen Auftrag, Legales und Illegales zu scheiden. Selbstverständlich haben die Gesellschaftsmitglieder für diese Überlassung des Schwertes etwas eingetauscht: neben einem Justizapparat und seiner Exekutive, der Streitigkeiten untereinander fair regeln soll, ist es vor allem das Sozialstaatsprinzip: die Fürsorgepflicht des Staates - kurz gesagt, jede/r muß würdig leben können (§ 1 GG!) auch wenn sie /er keine eigenen Finanzierungs-Mittel haben sollte. Daraus ist eigentlich schon das Recht auf Faulheit abzuleiten, denn das Recht, ein würdiges Leben führen zu können, muß auch für Gesellschaftsmitglieder gelten, die nicht arbeiten wollen. Logischerweise ist deshalb auch in §12 GG die Zwangarbeit verboten. (wichtig für die Diskussion um das Verbrechen von Hartz IV)
>ist vollkommen richtig und sehr wesentlich. Die sozialrevolutionäre und >pathetisch-polemische Behauptung, es handele sich bei der derzeitigen >Sozialhilfe > nicht die Sozialhilfe, sondern die GzA hat den Charakter von Zwangsarbeit, warum solche sprachlichen Fehlgriffe Herr Opielka?
>und dem künftigen Arbeitslosengeld um Zwangsarbeit, ist >politischer Unsinn und nützt der Grundeinkommensidee nicht. > Damit haben Sie den Kern der Diskussion verfehlt oder noch nicht verstanden: Auch wer nicht arbeiten will muß essen dürfen! Und das ergibt sich gerade GEGEN die linke Logik von "Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen" als Hass-Moral gegen die Bourgeoisie. Siehe: "Gegen Gleichheit" http://futuristen.de/gegen_gleichheit.htm
Es geht um die Nötigung zu arbeiten, also die Bedingungen, etwas auf Anordnung zu tun, nicht mehr wählen zu können, Strafarbeit, das Arbeitslagerr, den Arbeitsdienst, im Gegensatz zu Lohnarbeit. Damit geht es um die seit 1949 im Grundgesetz versprochene Würde des Menschen, die unantastbar sein soll. Darum geht es Herr Opielka.
Mit besten Grüßen René Talbot
P.S. vielen Dank, Marion, für das Zitat des Links: http://futuristen.de/zwangsarbeit.htm Da es offensichltich nicht gelesen wurde, hier der Volltext: ----------------------------------------------
Veröffentlicht in "Motz" Straßenzeitung vom 23.2.2001
Ist der Begriff Zwangsarbeit durch den Nationalsozialismus besetzt?
Meine Antwort: Nein. Um was geht es? Um die derzeitige Bedeutung des Wortes "Zwangsarbeit", also um den Gebrauch dieses Wortes in unserer Sprache. Als Vergleichsbeispiel eines eindeutig durch die Nazis besetzten Wortes sei auf das Wort "Konzentrationslager" hingewiesen. Wer es verwendet und damit irgendetwas beschönigen möchte, indem er sich darauf beruft, es sei vor den Nazis von den Engländern im sog. Burenkrieg verwendet worden, versucht von der tatsächlichen Bedeutung dieses Wortes abzulenken: Es verweist nur noch auf die Bedingungen umfassender Entmenschlichung in diesen Institutionen des Nazi-Terrors.
Bei dem Wort Zwangsarbeit liegen die Verhältnisse völlig anders: es wird nach der Nazizeit wie vor der Nazizeit dafür gebraucht, um Arbeitsverhältnisse zu charakterisieren, in denen durch die Drohung mit einem besonderen Übel, z.B. mit Androhung von Schlägen, Nahrungsentzug, Entwürdigung, anderen Einschüchterungen, ja möglicherweise sogar mit Morddrohung, die Arbeitsleistung erpresst wird. Ohne Zweifel entwickelten die Nazis Verschleppung und Zwangsarbeit in ihrer modernen und bösartigsten Form, ja sie gipfelte in dem Zynismus: "Arbeit macht frei" am Eingangstor verschiedener Konzentrationslager. Aber der Begriff Zwangsarbeit ist auch für erpresste Arbeit z.B. in sowjetischen Straflagern oder "Erziehungs"lagern im Kambodscha der 70er Jahre zutreffend. Kein anderes Wort aus unserem Sprachschatz ist dafür gebräuchlich.
Die Ablehnung, das Wort "Zwangsarbeit" für unsere Verhältnisse heute zu verwenden, reklamiert, daß damit die umfassende Entmenschlichung der ZwangsarbeiterInnen durch die Nazis verharmlost würde. Wenn deren Terrorisierung, deren mörderische Absichten -totarbeiten lassen-, mit heutigen Bedingungen gleichgesetzt würde, wäre das selbstverständlich eine maßlose Übertreibung zu polemisch/ideologischen Zwecken. Heute wird vom Staat niemand verschleppt und mit unmittelbarer Gewalt, Morddrohung oder Körperverletzung und/oder Freiheitsberaubung zur Arbeit gepresst (mal von Knast und Arbeits"therapie" in den Anstalten abgesehen). Deshalb sollte vielleicht durch den Zusatz "Nazi"-Zwangsarbeit der Unterschied deutlich gemacht werden. Aber der Schluß, daß der Begriff deswegen völlig dem Nazijargon zuzurechnen sei, geht ins Leere, da kein anderes Wort das bezeichnet, was "Zwangsarbeit" zum Ausdruck bringt: die Erpressung zu befohlener - nicht selbst gewählter - Arbeit mit Hilfe der Androhung eines besonderen Übels, insbesondere durch staatliche Gewalt.
In der Logik dieser Analyse ist es allerdings gerechtfertigt, auch bei uns heute von Zwangsarbeit zu sprechen, wenn mit Hilfe von § 25 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) Sozialhilfeempfängern die Hilfe zum Lebensunterhalt, ja sogar das Wohngeld gekürzt wird, um sie zu einer "gemeinnützigen" = Staatskasse-entlastenden und anderer Arbeit zu zwingen. Diese Kürzungen gehen sogar bis zur völligen Verweigerung aller Zahlungen, was zynischerweise dann Kürzung um 100% genannt wird, um das zutreffende Wort "Steichung" zu vermeiden. Wenn man trotz dieser Drohung die Arbeit nicht antreten sollte -man merkt schon den Kasernenton-, ist man zum Betteln oder Verhungern gezwungen.
Also ist das Verhalten der Sozialämter eine Erpressung zu nennen, denn Betteln ist in unserer Kultur entwürdigend, wenn nicht sogar geahndet. Durch den Katalog von Strafmaßnahmen des § 25 BSHG wird die sog. "gemeinützige Arbeit" zur Zwangsarbeit. Der Vorschlag, statt Zwangsarbeit das Wort Arbeitszwang zu verwenden, verkennt, daß "Arbeitszwang" eine gänzlich andere Bedeutung hat: Ein Zwang zu arbeiten kann sehr wohl auch von dem Betroffenen aus sich selbst heraus verspührt werden (z.B. sog. "Workaholic), während Zwangsarbeit immer eine von anderen aufgezwungene Arbeit ist. Als Arbeitszwang könnte die gesamte protestantische Arbeitsethik verstanden werden!
Die von den "Hängematten" und von den "Futuristen" initiierte Kampagne gegen den § 25 BSHG ist eine Kampagne für eine Befreiung von der aktuellen Form der Zwangsarbeit. Selbstverständlich soll werden, daß auch diejenigen, die sich jeder Arbeit verweigern, ein allein schon durch ihr Menschsein definiertes Anrecht auf ein würdiges Leben haben: auch wer nicht arbeiten will, muß essen dürfen. Durch Verwirklichung dieser Forderung können wir dem unmenschlichen Jargon vom "nutzlosen Esser" entkommen, einem angeblich "lebensunwerten Leben", mit dem versucht wurde, den Beginn des systematischen Nazi-Massenmordens zu rechtfertigen.
In einer gewissen Polemik, will ich noch weiter gehen und die Frage -vielleicht übertrieben- zuspitzen: der dargestellte Gebrauch des Wortes "Zwangsarbeit" ist der in unserer Sprache übliche. Wenn versucht wird, diesen Gebrauch zu leugnen, geht es um eine "Verbiegung" der Sprache, was ein legitimer Versuch der politischen Einflußnahme ist und bestimmten Interessen zugute kommen soll. Und dazu soll vermerkt werden, es ist ein inner-Linker Streit. Meine These ist: es ist ein Streit zwischen einer autoritären etatistischen und einer antiautoritären "Linie".
Wenn versucht wird, heute das Wort Zwangsarbeit durch Arbeitszwang zu ersetzen, dann ist als Prämisse in diesen Versuch eingegangen, daß die Bezahlung von Überlebens-Sozialhilfe an eine "Gegenleistung" gebunden ist - die Arbeitsbereitschaft -, die eben auch Arbeitszwang genannt wird. Darin steckt die Anerkennung, daß in dieser Welt gearbeitet werden muß, um sich Lebensmittel (in einem umfassenden Sinne) zu verschaffen. Damit geht einher, eine Vertauschung der Begriffshierarchie Würde - Mensch - Arbeit.
"Die Würde des Menschen ist unantastbar "(§1 GG), also ist Würde dem Mensch-Sein vorausgesetzt; dagegen steht ein Verständnis von Mensch-Sein als einem zielgerichtet produktiven Wesen, das durch Arbeit Würde erlange. Genau an dieser Stelle hat auch die Falle des Marxismus zugeschnappt - als einer Kritik, die in erster Linie Produktionsverhältnisse im Auge hat. Und das ist spätestens heute Betrug, wo die Traktoren GPS gesteuert von alleine die Felder bestellen.
René Talbot
> >
Re: Parteien/Politiker gewinnen
Hallo R. Talbot,
Am Freitag, 15. Oktober 2004 21:15 hat R. Talbot geschrieben:
> Auch wer nicht arbeiten will muß essen dürfen! > Und das ergibt sich gerade GEGEN die linke Logik von "Wer nicht > arbeitet soll auch nicht essen" als Hass-Moral gegen die > Bourgeoisie. Siehe: "Gegen Gleichheit" > http://futuristen.de/gegen_gleichheit.htm
Auf sehr vielen Montagsdemonstrationen mußte ich zu meinem größten Erstaunen feststellen, daß es gerade ultralinke Gruppierungen (z.B. etliche - nicht alle! - Vertreter der MLPD) waren, die eine solche Arbeitsethik vertraten. Dies kann man auch auf deren Website nachlesen unter:
http://www.mlpd.de/rf0427/rfart7.htm
Ironischerweise läßt sich sagen, daß sowohl Vertreter des bürgerlichen Lagers als auch Vertreter der Ultralinken einer ähnlichen Arbeitsethik unterliegen. ;-)
Eines sollte uns dies jedoch lehren: In Bezug auf das BGE führen Betrachtungen darüber, wer wieviel arbeiten könnte (wenn er nur wirklich wolle!), keinesfalls weiter. Es ist m.E. an der Zeit, diese Ethik gründlich zu hinterfragen und sich von der Illusion Vollbeschäftigung zu lösen, auch wenn dies im Einzelfall bedeutet, sich von politischen Vorlieben trennen zu müssen.
Viele Grüße Marion
Re: Parteien/Politiker gewinnen
Lieber Herr Talbot,
also ich finde, Sie stehen wirklich schwer auf der Leitung. Aber das wäre halb so schlimm, würden Sie nicht auch noch mit Sätzen aufwarten wie dem folgenden:
"Wer also diesen sematischen Unterschied leugnet, führt etwas im Schilde: die verharmlsoung der Zwangsasrbeit hier."
Wenn Sie sich für diese Verdächtigung nicht entschuldigen, werde ich Ihre Mails zukünftig nicht mehr lesen.
Mit freundlichem Gruß Manuel Franzmann
Re: Parteien/Politiker gewinnen
Liebe Marion,
Ihre Beobachtungen kann ich nur bestätigen. Und ich sehe das auch so, daß das Hauptproblem die Arbeitsethik ist, die quer durch alle politischen Lager und in der ganzen Gesellschaft eine tiefe Verankerung hat, obwohl sie sicherlich schon bröckelt. Die Rede vom Recht auf Faulheit verstehe ich so, daß es dabei um die Autonomie geht, selbst entscheiden zu können, was man mit seinem Leben anfängt, innerhalb oder außerhalb der Erwerbsarbeitssphäre. Und ich bin mir auch mit Ihnen darin einig, daß es ein Skandal ist, Arbeitslosen unter Druck zu setzen, wo doch bei weitem nicht genügend Arbeitsplätze vorhanden sind.
Beste Grüße Manuel Franzmann
Re: Parteien/Politiker gewinnen
Lieber Herr Franzmann,
Manuel Franzmann wrote:
>Wenn Sie sich für diese Verdächtigung nicht entschuldigen, werde ich Ihre Mails zukünftig nicht mehr lesen. > mal abgesehen davon, das ich auch nicht alle ihre Mails lese, muß ich leider ganz im Gegenteil von Ihnen eine Entschuldigung verlangen: Dafür, dass Sie dieses Forum in lässlischer Weise falsch informiert haben: Am 14.10. schrieben Sie:
----------------- Bei der hessischen Abteilung der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (das sind ja überwiegend SPD-Abtrünnige) gibt es Überlegungen, das bedingungslose Grundeinkommen in das Programm aufzunehmen. Ob dieses Unterfangen letztlich auch auf Bundesebene chancenreich ist, ist allerdings fraglich. Immerhin heißt die Wahlalternative "Arbeit" und soziale Gerechtigkeit, und das verträgt sich kaum mit einem bedingungslosen Grundeinkommen, das von der (Erwerbs-)Arbeitsorientierung abrücken würde. -----------------
Ich habe mich daraufhin voller Hoffnung in Frankfurt bei "Freiheit statt Vollbeschäftigung" nach deren Erkenntnissen erkundigt und bekam folgende Antwort:
Herr Heckel und ich haben in Frankfurt vor der Wahlalternative vorgetragen. Die Diskussion war heftig. Herr Heckel hat dann mit einer Mitstreiterin ein Kurzpapier geschrieben, das für die Aufnahme des BGE in die Programmatik der Wahlalternative argumentiert und es in der Wahlalternative zur Diskussion gestellt. Nun waren die Reaktionen eher ablehnend, so weit ich weiß. Worauf Herr Franzmann sich bei seiner Einschätzung stützt, weiß ich nicht, ich kann mir nicht vorstellen, daß die Wahlalternative das BGE wirklich aufnimmt.
Mit freundlichen Grüßen René Talbot
Re: Parteien/Politiker gewinnen
Sehr geehrter Herr Opielka,
im dritten Reich gab es auch einen Arbeitsdienst für Männer und ein Pflichtjahr für Frauen.
Schwebt Ihneb so etwas als wünschenswert vor? Nach den Erzählunger meiner Altvorderen, entsprachen jene Dienste recht vielen der modernen Aktivierungsjobs, wovon recht viele jedoch noch viel meinungsloser erscheinen, von den Auswüchsen im Arbeitsdienst einmal abgesehen.
Mit freundlichem Gruss Peter Voss
----- Original Message ----- From: Michael Opielka To: var m = String.fromCharCode(109,97,105,108,116,111)+':';var e = 'Vossp'+String.fromCharCode(64)+'tdcadsl'+String.fromCharCode(46)+'dk';document.writeln(''+e+'');support@tdcadsldk Sent: Friday, October 15, 2004 8:30 PM Subject: [Mailingliste-Grundeinkommen:] Re: Parteien/Politiker gewinnen
Liebe Marion,
Sie argumentieren zwar auf den ersten Blick vernunftzugänglicher als manch andere der Diskutanten, doch gehört zur Vernunft die Gründlichkeit. Der Liberale Dahrendorf, den Sie zur Lektüre empfehlen, schreibt in diesem Text:
"Also wird selbst ledigen Müttern mit ganz kleinen Kindern die Sozialhilfe gekürzt, wenn sie nicht arbeiten, wobei Haushaltstätigkeit und Kindererziehung nicht als Arbeit gelten. Bei arbeitslos Gemeldeten wird das Prinzip noch rigoroser angewendet. Von hier ist es nur noch ein Schritt zur regelrechten Zwangsarbeit. In einer überaus milden Form existiert diese in Deutschland als Wehrpflicht (mit der Alternative des Sozialdienstes). Ob auf diese Weise Solidarität gestiftet, soziale Kohäsion gefördert wird, darf man tunlich bezweifeln."
Dahrendorfs Behauptung, es sei "nur noch ein Schritt" zur Zwangsarbeit, halte ich schlicht für völlig übertrieben und insoweit falsch. Die Wehrpflicht - die er als "überaus milde Form" von Zwangsarbeit bezeichnet - ist tatsächlich Zwangsarbeit, wie auch ein Sozialdienst, der von manchen (wie auch von mir) für durchaus bedenkenswert gehalten wird. Aber eine Nicht-Zahlung von Geldleistungen an Personen, die ihren Lebensunterhalt erbringen könnten, wenn sie unbedingt wollten, hat mit Zwangsarbeit nichts zu tun. Aber die Welt ist kompliziert. Das Beispiel der ledigen Mütter Dahrendorfs verweist auf den Arbeitsbegriff: nur Erwerbsarbeit, die gilt, oder auch mehr? Doch dieses Beispiel wäre mit einem Erziehungsgehalt zielgerechter gelöst, dazu braucht es kein allgemeines Grundeinkommen.
Dahrendorfs Argument in diesem Beitrag - es war sein Vortrag auf dem Soziologentag 2000 in Köln - zielte darauf, die Idee einer "guten Gesellschaft" fundamental zu kritisieren. Die Idee des Grundeinkommens ist bei ihm Teil einer pragmatischen, eher liberal-minimalstaatlichen Lösung, das Grundeinkommen entsprechend eher niedrig und in Form einer Negativsteuer. Wie ordentliche Wirtschaftsliberale hält Dahrendorf Staatsregulation prinzipiell für problematisch und immer für legitimierungsbedürftiger als den Markt. Wenn der Arbeitsmarkt zu Ungleichheiten führt, ist dies für ihn sozusagen "natürlich" - falls der Staat eingreift, ist es stets ein Problem.
Wer für ein Grundeinkommen (für alle!) eintritt, als soziales Grundrecht, muss aber eine positive Staatskonzeption für möglich halten. Hier liegt ein Widerspruch bei Dahrendorf vor, der zu jener schillernden Bewertung "nur noch ein Schritt" (zur Zwangsarbeit) führt. Der schlichte Sozialrevolutionär streicht dann auch noch das "nur noch ein Schritt" -- und, schwupp, ist unser relativ liberaler Staat ein Zwangsstaat, und schließlich auch terroristische Gegenwehr erlaubt ... wir erinnern uns: RAF vor dreißig Jahren, rechter Terror (Solingen usf.) davor und seitdem.
Am Freitag, 15. Oktober 2004 19:15 hat Michael Opielka geschrieben:
> Die sozialrevolutionäre und pathetisch-polemische Behauptung, es > handele sich bei der derzeitigen Sozialhilfe und dem künftigen > Arbeitslosengeld um "Zwangsarbeit", ist politischer Unsinn und > nützt der Grundeinkommensidee nicht.
Ich bezweifele, daß man bei Sir Ralf Dahrendorf sozialrevolutionäres Denken und pathetisch-polemische Behauptungen finden kann und empfehle daher die Lektüre seines gesamten Essays:
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Re: Parteien/Politiker gewinnen
Lieber Herr Voss,
der Arbeitsdienst der Nazis hat mit der Idee eines Sozialdienstes so viel zu tun wie der KdF-Wagen mit dem VW Golf V.
Die modernen Aktivierungsjobs haben mit dem Reichsarbeitsdienst der Nazis gleichfalls nichts gemein. Hier empfiehlt es sich, nicht auf die meist wenig vertrauenswürdigen Erzählungen der Altvorderen zu hören, sondern sich kundig zu machen. Schon Ihr Begriff Auswüchse zeigt eben die unhistorisch verkleisternde Sicht der Altvorderen an: der Reichsarbeitsdienst war Bestandteil einer rassistischen, auf einen Eroberungskrieg zielenden Politik, von der wir heute - zum Glück - nicht bedroht sind.
Auch nach Einführung eines Grundeinkommens werden sich Politiker und verantwortliche gesellschaftliche Gruppen Gedanken darüber machen müssen, wie die notwendige Arbeit erbracht wird und wie Personen zur Arbeit motiviert werden können, die aus welchen Gründen auch immer Motivationsprobleme haben.
Beste Grüße
Michael Opielka
P.S. Bitte packen Sie nicht alle alten Mails in Ihre Antworten. Damit wird das Mailforum unübersichtlich.
prof. dr. michael opielka
institut für sozialökologie (isö)
var m = String.fromCharCode(109,97,105,108,116,111)+':';var e = 'michael.opielka'+String.fromCharCode(64)+'isoe'+String.fromCharCode(46)+'org';document.writeln(''+e+'');support@isoeorg
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Re: Parteien/Politiker gewinnen
Hallo Michael Opielka,
Am Samstag, 16. Oktober 2004 21:35 hat Michael Opielka geschrieben:
> Auch nach Einführung eines Grundeinkommens werden sich Politiker > und verantwortliche gesellschaftliche Gruppen Gedanken darüber > machen müssen, wie die notwendige Arbeit erbracht wird und wie > Personen zur Arbeit motiviert werden können, die aus welchen > Gründen auch immer Motivationsprobleme haben.
Könnten Sie dies bitte näher ausführen? Wie stellen Sie sich eine solche "Motivierung zur Arbeit" für Menschen, die Ihrer Ansicht nach "Motivationsprobleme" haben, vor?