Re: Violettas Opernkiste
Impossibile! Oder: Warum die Oper bescheuert ist.
Die Oper ist ein unmögliches Kunstwerk hat Oskar Bie einmal festgestellt, und er hatte damit gar nicht mal unrecht.
Selbst wenn man unterstellt, daß es etwas völlig normales ist, daß sich Leute singend unterhalten, und daß sie das auch noch mit einem Dolch im Leib, einer Kugel in der Brust und schwindsüchtigen Lungen tun, selbst dann gibt es auf einer Opernbühne noch genug Ungereimtheiten, Albernheiten und logische Fehler, um alles was damit zu tun hat, für völlig plemplem zu halten.
Ein wichtiger Operngrundsatz lautet zum Beispiel: ein Mann erkennt seine Ehefrau, Geliebte, Feindin etc. nicht, wenn sie einen Schleier oder eine Maske oder eine Perücke trägt.
Ganze Opern- und Operettenplots basieren auf diesem Grundsatz.
Wir befinden uns in der Oper Ein Maskenball von Giuseppe Verdi. Amelia ist mit Renato verheiratet, aber seit geraumer Zeit verliebt in den schönen und edlen Riccardo.
Das geht soweit in Ordnung, ist eine durchaus realistische Situation, in die unsereins auch kommen kann.
Man verabredet sich zur Mitternacht an der örtlichen Hinrichtungsstätte, denn man will reden.
Auch das mag man noch hinnehmen, auch wenn ich mir wohl eher ein Eiskaffee ausgesucht hätte. Aber gut, ich bin ja auch nicht Monteserrat Caballè und um mich freit nicht Luciano Pavarotti.
Nun gut, es folgt das obligatorische absingen eines Liebesduetts, sowie die gegenseitige Versicherung, man könne das nicht tun was man so gerne tun will, weil... Die Musik ist wirklich wunderschön, Verdi zeigt sich wieder einmal als Hexenmeister, der alle Tricks kennt. Aber dann: Renato, der Gatte, erscheint auf der Bildfläche, Amelia zieht ihren Schleier vor das Gesicht, und jetzt wirds albern. Riccardo hat nämlich eine ganz tolle Idee: er bittet Renato (der übrigens sein bester Freund ist, das nur am nebenbei) die unbekannte Dame heim zu geleiten, ohne ihren Schleier zu lüften oder nach ihrem Namen zu fragen.
Hallo? Glaubt Riccardo wirklich, Renato würde die eigene Gattin nicht erkennen, nur weil sie eine Gardine vor dem Gesicht hat? Er glaubt es, und er hat recht damit. Renato erkennt Amelia erst, als der Schleier, welch Zufall, verrutscht. (Womit das Unheil seinen Lauf nimmt, aber das gehört hier nicht hin). Was ich mich immer frage: selbst wenn es geglückt wäre, wie hätte sich Amelia verhalten sollen, um ihrem Begleiter zu erklären, daß sie im selben Haus wohnt wie er ?
Dummheit über Dummheit. Nach diesem Prinzip funktionieren unter anderem auch Don Giovanni (der erkennt die Frau die er fast vergewaltigt und deren Vater er gemeuchelt hat nicht weil sie eine Maske trägt) und Die Fledermaus (Ehemann baggert den ganzen Abend auf einem Fest die eigene Gattin an ohne sie zu erkennen, nur weil sie sich eine Perücke, eine Halbmaske und einen albernen ungarischen Akzent zugelegt hat).
Lernziel: Männer können wohl doch nicht so gut gucken, wie böse Zungen immer behaupten.
Es gibt noch einen zweiten ehernen Operngrundsatz. Dieser besagt: kein Mann erkennt einen Jüngling als Jüngling, wenn dieser in einem Kleid steckt. Er wird ihn immer für ein hübsches junges Mädchen halten und tun, was man mit hübschen jungen Mädchen tut: anbaggern.
Graf Almaviva ist in Die Hochzeit des Figaro vom Wolfgang Amadeus Mozart eifersüchtig auf den 17jährigen Cherubino, der soeben die Erotik entdeckt und sich glühend in des Grafen Gattin verliebt hat.
Kurz bevor er ihn in ihrem Zimmer erwischen kann, hüllt Susanna, die Kammerzofe der Gräfin, den jungen Mann in ein Kleid, setzt ihm ein Spitzenhäubchen auf und stellt ihn dem Grafen als eine junge Verwandte vor. Der ist hellauf entzückt von dem hübschen Ding und flirtet heftig.
Ganz ähnliches passiert in Der Rosenkavalier von Richard Strauß sowie in einigen Barockopern.
Besonders knifflig wirds dadurch, daß dies im allgemeinen Hosenrollen sind, das heißt, eine Frau spielt einen Mann. Wie haben hier also eine Frau, die einen Mann spielt der eine Frau spielt.
Auch in der Oper La Traviata können wir eine Lektion fürs Leben lernen, denn die Oper hat mehr zu bieten als wunderschöne Musik und eine zu Herzen gehende Handlung. Die Lektion lautet: wenn man es nur konsequent genug vermeidet nachzudenken und eins und eins zusammenzuzählen, stehen die Chancen gut, daß auch die harmonischste Liebesbeziehung in Leid und Chaos endet.
Alfredo Germont ist in vieler Hinsicht einer der sympathischsten aller Verdi-Helden.
Weder ist er ein zynischer Verführer wie der Herzog von Manua (Rigoletto), noch ist er ein Feldherr und damit Kriegstreiber wie Radames (Aida).
Aber seien wir ehrlich: ein bißchen deppert ist er schon.
Die Situation: Alfredo betritt zu Beginn des 2. Akts die Bühne und teilt uns via Arie mit, daß alles ganz wunderbar ist: vor drei Monaten hat Violetta ihr Kurtisanenleben für ihn aufgegeben, sie lebt mit ihm und für ihn. Ihn kümmert es einen Dreck, wie sie vorher gelebt und womit sie ihr Geld verdient hat (unter anderem das macht ihn so sympathisch) und überhaupt: das Leben ist schön.
Dann eilt er, mal mit, mal ohne Stretta, davon, finanzielles Ungemach vom Paradies abzuwenden.
Einige Stunden später kehrt er zurück, findet seine Liebste in Tränen und einem hysterischen Anfall nahe. Sie schreibt einen Brief, an ihn, wie sie sagt, will ihn ihm aber nicht zeigen. Dann macht sie ihm das glühendste, erschütterndste Liebesgeständnis, das je ein Komponist ersonnen hat und jeden im Publikum um den Rest seiner Fassung und sein Abendmake-Up bringt. Sie fleht ihn an, sie immer, immer, immer zu lieben und rennt weinend weg.
Keine 10 Minuten später bekommt Alfredo einen Brief, in dem sie ihm mitteilt Alles ist aus. In dem Moment steht, huch!, der Herr Papa in der Tür und scheint zu wissen was los ist, ohne erst fragen zu müssen.
Also ich tät mich da ja schon wundern. Nicht so Freund Alfredo. Für ihn ist klar: Die Alte hat mich verlassen. Was dann passiert ist bekannt. Mit Hinsetzen und nachdenken hätte da viel Elend vermieden werden können.
Wie im bekloppten Opernführer nachzulesen ist, ist Nemorino in Adina verliebt. Er erwirbt einen Trakn, den er für einen Liebestrank hält und leert die Flasche in einem Zug. Schmeckt gut das Zeug, und das ist auch kein Wunder, da es sich um Rotwein handelt.
Nemorino aber wird ganz feurig zumute, er ist voller Zuversicht, daß Adina ihn lieben wird.
Auch das ist in Ordnung, wen ich besoffen bin, glaube ich auch manchmal, ich sein schön wie Greta Garbo, könne singen wie Anna Netrebko und jeder Mann sieht aus wie Johnny Depp. Alles okay, nur: ich WEIß, dann daß ich besoffen bin. Nemorino hält das für die Wirkung eines Liebestranks. Ich meine, hallo! Der Mann ist mindestens 25!
Memo an moderne Regisseure: laßt das ganze im Amerika der Prohibition spielen, da könnte das sogar Sinn machen!
Wenn zwei Leute es in einer Oper besonders eilig haben, weil aus irgendeinem Grunde die Zeit drängt, es also pressiert, wie die Österreicher sagen, kann sich der erfahrene Zuschauer gemütlich zurücklehnen, denn er weiß: bis zum Pausensekt wird es noch dauern. Jetzt wird erst einmal ausführlich besungen, wie eilig man es doch hat, dieses oder jenes zu tun.
Prominentestes Beispiel ist mal wieder eine Verdioper: in Rigoletto stellt der schurkische Herzog von Mantua alles mögliche an, um die liebreizende, jungfräuliche Gilda, Tochter seines Hofnarren, in die herzoglichen Laken zu bekommen. Er singt viel von Liebe die die Sonne der Seele ist und gibt sich für einen armen Studenten aus, denn er weiß: auf nix stehen Mädchen in einem bestimmten Alter mehr, als auf arme aber hübsche Studenten.
Kurz vor dem Ziel taucht plötzlich der Vater des Mädchens auf. Gilda und der Herzog haben beide gute Gründe, die Geschichte vor Rigoletto zu verheimlichen und täten gut daran, sich mit einem Machs gut, bis später! zu verabschieden.
Aber nein. Während Papa Rigoletto immer näher kommt singen unsere beiden. Was sie singen? Addio, addio, addio... Ich habe mir die Mühe gemacht und mitgezählt: sie bringen es auf nicht weniger als 30 Addios.
Das ist schlichtweg albern und viele Regisseure nehmen es dann auch von der komischen Seite und inszenieren die Szene genauso: Giovanna, Gildas Dienerin, wird auf die Bühne geschickt, da hat sie zwar nix zu singen, aber sie versucht, Gilda und den Herzog, die sich aufführen wie junge Hunde, voneinander zu trennen, was natürlich misslingt. Immer wieder fallen sie einander in die Arme und schmettern sich weitere addios entgegen.
Richtig inszeniert ist das einer der wenigen heiteren Momente in einer sonst tragischen Oper.
Neben solchen seltsamen Handlungsverläufen gibt es in der Oper aber natürlich auch ab und zu albernes Zubehör: allem voran der legendäre Schwan der den Nachen (das ist wohl ein Boot) zieht, in dem Lohengrin in Richard Wagners gleichnamiger Oper zum erstenmal erscheint.
Ich bedaure es sehr, daß er heute oft weggelassen wird, so ein Schwan ist doch hübsch anzuschauen und Lohengrins erste Worte Nun sei bedankt, mein lieber Schwan! machen nun mal keinen Sinn, wenn er statt mit einem Schwan in einem Taxi vorfährt (das hat es alles schon gegeben).
Am Ende zieht Lohengrin übrigens mit dem gleichen Schwan wieder von dannen, was im allgemeinen eine tieftragische Angelegenheit ist. Nicht so in einer Lohengrin-Aufführung mit Leo Slezak. Der Mann in der Kulisse, der fürs ziehen des Schwans zuständig war, hat wohl gepennt und zu früh gezogen. Das geflügelte Tier schwamm ohne Lohengrin an Bord zurück.
Leo Slezak stand belämmert auf der Bühne, zuckte mit den Schultern und fragte (und dieser Satz ist zur Legende geworden) Wann geht der nächste Schwan?
Der Rest ging im schallenden Gelächter aller Anwesenden, vor, auf und hinter der Bühne unter.
Um es mit den Worten einer amerikanischen Feinschmeckerrestaurant-Kette zu sagen: ich liebe es.