Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen - Kinder- und Jugenddelinquenz

Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

© ZEIT online 7.1.2008 - 16:28 Uhr

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Angela Richtungslos

Von Kai Biermann

Bundeskanzlerin Merkel propagierte bislang Integration. Nun unterstützt sie Roland Kochs Ruf nach harten Strafen für junge Kriminelle. Der plötzliche Schwenk entlarvt ihre Schwäche.

© Getty images/ Montage: ZEIT online

In der Politik kann es von Vorteil sein, keine klare Meinung zu zeigen. Immerhin bieten sich dann keine Angriffsflächen. Allerdings kann dieser Vor- auch schnell zu einem Nachteil werden, fällt doch plötzliches Engagement für irgendetwas schnell als taktisches Manöver auf. Und weist so jeden deutlich auf das erste Manko hin. Dieses Problem hat derzeit Angela Merkel.

Noch vor wenigen Tagen ließ die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende zum Thema Jugendgewalt ihren Sprecher sagen: Die Diskussion sei notwendig, Vorschläge zu einer Verschärfung des Jugendrechts müssten aber „sorgfältig geprüft werden“. Es könne "keine schnellen Antworten" auf Vorfälle wie jüngst in einer Münchner U-Bahn geben. Nach der CDU-Vorstandsklausur am Wochenende forderte Merkel nun plötzlich, härtere Gesetze zu machen, und zwar so schnell wie möglich. Als ob Schwerkriminelle bisher straffrei ausgegangen wären, formulierte sie das Mantra jedes Populisten: „Es muss etwas passieren, es darf nicht nur geredet werden.“

Merkel ist nicht eben bekannt dafür, eine klare Position zu beziehen und sie gilt auch nicht als Freundin des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, der die Debatte in seinem Landtagswahlkampf begonnen hatte. Umso erstaunlicher ist der Wandel der CDU-Chefin respektive der Bundeskanzlerin.

Der Umschwung hat Gründe, und die sind nicht schön. Koch droht in Hessen laut Umfragen der Verlust der absoluten Mehrheit, genau wie Ole von Beust im Hamburg. Sie müssten künftig wohl mit der FDP, beziehungsweise mit den Grünen koalieren, wollten sie an der Macht bleiben. Nicht schlimm, könnte man denken. Doch die Verluste für die beiden CDU-Regierungschefs könnten Merkel viel Ärger bescheren. Immerhin würde dann in der Union mit ziemlicher Sicherheit die Frage gestellt, ob Merkels Kurs der Mitte und der gesellschaftlichen Modernisierung der richtige ist und ob er nicht verantwortlich ist für die sich abzeichnenden Stimmeneinbrüche.

Die Konservativen in der Union sind schon lange unzufrieden, ebenso wie die Reformer, die Merkel einst hinter sich scharte. Bisher schweigen sie, da die CDU nie ihren Chef angeht – zumindest, solange er erfolgreich ist. Ein bisschen Rechtspopulismus also kann aus Merkels Sicht nicht schaden, um auch den Rand des Großgebildes Volkspartei wieder zu versäumen und spätere kritische Fragen zu vermeiden. Machtkalkül halt. Möglicherweise aber unterschätzt Merkel die darin liegende Gefahr.

Nicht die Debatte selbst ist es dabei, die Bauchschmerzen verursacht. Über Gesetze und deren Umsetzung und mögliche Anpassung an veränderte Lebenswirklichkeiten zu diskutieren, ist legitim und notwendig. Bauchschmerzen jedoch macht der Tonfall des Ganzen, den sich nun auch Merkel zu eigen gemacht hat. Die Kampagne rührt an ausländerfeindlichen Ressentiments und ist so völlig anders als der bisherige Kurs Merkels, die beispielsweise einen Integrationsgipfel einberief und unter deren Ägide die CDU endlich anerkannte, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist.

Sie entwertet so ihre frühere Strategie, die auf Ausgleich bedacht war und darauf, sich nicht an die Spitze irgendwelcher Forderer zu stellen – und sich von ihnen nicht instrumentalisieren zu lassen. Nun wird sie zusehen müssen, wie ihre Stimme als willkommene Unterstützung in einem emotionalen und überhaupt nicht auf Ausgleich bedachten Wahlkampf genutzt wird.

Abgesehen davon, dass die Unions-Politiker sich möglicherweise gerade um die völlig falschen und gar nicht so großen Sorgen kümmern. Fragte doch das TNS-Institut im Auftrag des Spiegel, ob die Deutschen aufgrund des größeren Anteils ausländischer Jugendlicher an Straftaten Angst vor einer Begegnung mit ausländischen Jugendlichen hätten. Die Antwort: 79 Prozent sagten Nein, nur 20 Prozent Ja. Und ob dann wenigstens Erziehungslager für sinnvoll gehalten würden? Nein, finden 70 Prozent, Ja wieder nur 20 Prozent.

Da wirkt es seltsam, wenn Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) im Spiegel davon spricht, man müsse die Sorgen der „schweigenden Mehrheit ernst nehmen, gerade im Wahlkampf“. Das sei kein Populismus und entsprechende Vorwürfe nur „grober Unsinn“. Ähnlich äußerte sich auch Merkel, um ihr Verhalten zu rechtfertigen. Politik müsse die Ängste der Menschen ernst nehmen, sagte sie.

Welche Ängste? Sicher, gleichzeitig befürworteten in der Umfrage 65 Prozent, das Strafrecht sollte verschärft werden, um besser gegen Jugendliche vorgehen zu können. Doch wozu? Das deutsche Jugendstrafrecht ist hervorragend, es bietet Augenmaß, Härte, Milde, Erziehung – fast jedes sinnvolle Mittel darf mit ihm angewendet werden. Wenn sich denn nur genug Betreuer/Erzieher/Sozialarbeiter finden, um sie auch anzuwenden. Für die aber gibt es immer weniger Geld. Mit Jugendlichen arbeitenden Projekten werden von Bund und Kommunen die Mittel gekürzt, jedes Jahr weiter. Auch und gerade in Hessen.

Der „schweigenden Mehrheit“ kann man kaum vorwerfen, dass ihr dieser Zusammenhang nicht klar ist, sie kommt selten mit dem Jugendstrafrecht in Kontakt. Politiker aber fordern wider besseres Wissen Dinge, die nicht nur nicht notwendig sind, sondern auch vom eigentlichen Problem ablenken: Dass es keinen Mangel an Gesetzen gibt, sondern einen Mangel an politischem Willen, ausreichend Stellen zu finanzieren, um bestehendes Recht anzuwenden. Das ist nicht nur Populismus – also ein sich volksnah geben –, sondern gezielte Desinformation.

Dass Merkel bei dieser Kampagne mitmacht, zeugt nicht nur von ihrem Unvermögen und ihrer Schwäche, sich gegen andere Mächtige in ihrer Partei zu wehren, wenn es eng wird. Es zeugt auch von einer weitgehenden Richtungslosigkeit ihrer Politik.

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ZEIT online 02/2008
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Anti-Aggressionstrainer Horst Schawohl organisiert Trainingskurse für Intensivstraftäter und hält eine Verschärfung des Jugendstrafrechts für überflüssig »
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Hessens Ministerpräsident fordert wieder einmal härtere Strafen für straffällig gewordene jugendliche Ausländer - wider alle Vernunft. Ein Kommentar »


http://www.zeit.de/online/2008/02/merkel-jugendstrafrecht-populismus?page=all

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

Inland Ton im Streit um Jugendstrafrecht wird schärfer
"Die SPD wird zum Sicherheitsrisiko"

Der CSU-Vorsitzende Huber auf dem CDU-Parteitag (Foto: AFP) Großansicht des Bildes [Bildunterschrift: CSU-Chef Erwin Huber: SPD macht sich schuldig an der inneren Sicherheit. ]
Der Ton in der Großen Koalition im Streit um ein härteres Vorgehen gegen jugendliche Straftäter wird schärfer. Zum Auftakt der traditionellen CSU-Klausur in Wildbad Kreuth mussten die Sozialdemokraten heftig einstecken. Wer sich einer Verschärfung des Jugendstrafrechts verweigere, der "macht sich schuldig an der inneren Sicherheit in Deutschland", sagte CSU-Parteichef Erwin Huber. Die jüngsten Gewalttaten zeigten deutlich, dass die bisherigen Gesetze nicht ausreichten. Aber die SPD stelle sich "schwerhörig" und biedere sich an die Linke an. Auch CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer führte die Sicherheit der Bürger ins Feld: Bleibe die SPD bei ihrem Nein, dann werde sie "selbst zu einem Sicherheitsrisiko".
"Was da gerade geschieht, ist Rechtspopulismus"

SPD-Chef Kurt Beck (Foto: dpa) Großansicht des Bildes [Bildunterschrift: Ebenfalls kein Mann leiser Töne: SPD-Chef Beck wirft der Union vor, am rechten Rand zu fischen. ]
Schwere Geschütze hatte zuvor allerdings auch SPD-Chef Kurt Beck aufgefahren: Er warf der Union und Kanzlerin Angela Merkel vor, mit ihren Forderungen nach schärferen Gesetzen nach rechts abzugleiten. "Was da gerade geschieht, ist Rechtspopulismus und hat nichts mit der Mitte zu tun", sagte er bei der Klausur seiner Parteispitze in Hannover.

Ganz allerdings kommt die SPD an der Debatte um ein härteres Vorgehen gegen jugendliche Straftäter nicht vorbei: In einem heute verabschiedeten Strategiepapier spricht sich der Vorstand dafür aus, den Zeitraum zwischen Prozess und Strafantritt zu verringern. Innerhalb eines Monats müsse die Strafe auf dem Fuße folgen. Bei der Forderung nach einer generellen Anwendung des Erwachsenenstrafrechts für Kriminelle zwischen 18 und 21 Jahren sowie einem Warnschuss-Arrest bleibt die SPD aber bei ihrem klaren Nein.
Zypries: "Warnschussarrest" bereits möglich

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (Foto: dpa) Großansicht des Bildes [Bildunterschrift: Bundesjustizministerin Brigitte Zypries sieht in vielen Vorschlägen für ein verschärftes Jugendstrafrecht altbekannte Diskussionsbeiträge. ]
Justizministerin Zypries hatte bereits im Morgenmagazin von ARD und ZDF erklärt, die bisherigen Gesetze seien ausreichend. So gebe es bereits die Möglichkeit, Jugendliche kurzzeitig in Haft zu nehmen - wie von der Union gefordert. Die Erfahrung zeige jedoch, dass sich dadurch keine kriminelle Karriere verhindern lasse, sagte sie. Zypries warb noch einmal für Prävention: Jugendlichen müsse geholfen werden, bevor sie mit dem Gesetz in Konflikt kommen. Man müsse sich in dem Moment kümmern, wo die Jugendlichen auffällig würden. Zudem gebe es nur eine gefühlte Problematik bei den Straftaten, tatsächlich zeige die Statistik in die entgegengesetzte Richtung.
Jugendkriminalität Hintergrund: Weitere Meldungen Steigt die Jugendkriminalität tatsächlich an? Welche Taten werden häufiger, welche weniger verübt? tagesschau.de hat Fragen und Antworten zusammengestellt. [mehr]

* InternCSU-Klausurtagung im Zeichen der inneren Sicherheit [br].
* InternCDU-Klausurtagung: Innere Sicherheit statt Mindestlohn.
* InternKlausur in Hannover: SPD will Kraft schöpfen.
* InternWerden nichtdeutsche Jugendliche häufiger kriminell?.
* VideoStreit um Jugendstrafrecht hält an [M. Spieker, ARD Berlin].
* AudioDebatte um Jugendstrafrecht geht weiter [DLF].

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Stand: 07.01.2008 19:44 Uhr
http://www.tagesschau.de/inland/spd114.html

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

Inland Debatte um schnelle Ausweisung krimineller Jugendlicher
"EU-Recht kann Abschiebungen verhindern"

Kriminelle ausländische Jugendliche schneller abschieben - das hat Hessens Regierungschef Roland Koch (CDU) gefordert. Die CDU ist ihm in ihrer "Wiesbadener Erklärung" gefolgt. Aber geht das überhaupt? Die Vorstellungen der Union sind nicht umsetzbar, erklärt der Kölner Rechtsanwalt Mark Swatek im tagesschau.de-Interview. Denn entscheidend ist inzwischen oft das europäische Recht.

tagesschau.de: Kann man ausländische Jugendliche und heranwachsende Straftäter schneller ausweisen?

Gewalt Großansicht des Bildes [Bildunterschrift: Europäisches Recht ist bei der Abschiebung ausländischer Straftäter inzwischen oft entscheidend. ]
Mark Swatek: Es gibt grundlegende Entscheidungen der europäischen Gerichte, wonach das, was sich die Union so vorstellt, nicht umsetzbar ist. Die EU-Rechtsprechung geht davon aus, dass diese Straftäter im Grunde nach dem Recht beurteilt werden sollen, mit dem sie groß geworden sind. Vorgaben für eine Ausweisung richten sich inzwischen sehr weitgehend nach EU-Recht. Das heißt: EU-Recht bricht deutsches Recht.

tagesschau.de: Die Türkei ist nicht in der EU. Wenn ein straffällig gewordener Türke hier aufgewachsen ist und nie in der Türkei war, kann man ihn also auch nicht dorthin abschieben?

Swatek: Es wird jedenfalls sehr schwer. Das hat man ja beim Fall Mehmet gesehen. Er durfte wieder einreisen, das hätte im Grunde jeder Jurist den Bayern vorher sagen können. Die EU-Rechtsprechung ist in der Regel für Türken anwendbar, weil es ein Abkommen mit der Türkei gibt. Danach sind Türken, die zur Arbeitsaufnahme eingereist sind, mit ihren Familien rechtlich weitgehend den EU-Bürgern gleichgestellt. Bei dieser Gruppe ist die Vorgabe klar: Wenn sie ihre soziale Prägung im Bundesgebiet erfahren haben, dann bleibt das auch ein Problem der Bundesrepublik - auch wenn diese Prägung nicht zu den Ergebnissen geführt hat, die man sich wünscht.
Zur Person: Mark Swatek ist Rechtsanwalt in Köln und unter anderem spezialisiert auf das Ausländerrecht.

tagesschau.de: Wenn man das ändern wollte, müsste man europäisches Recht ändern?

Swatek: Ja. Es darf aber keine Verschlechterung der Rechtsposition eintreten - es existieren da noch weitere Abkommen mit der Türkei.

tagesschau.de: Kann man straffällig gewordene EU-Bürger, beispielsweise aus Italien oder den Niederlanden, ausweisen?

Swatek: EU-Bürger haben ein grundsätzliches Aufenthaltsrecht in allen Unionsländern. Dieses Recht auf Freizügigkeit kann aber entzogen werden. Dann müssen die Betroffenen ausreisen.

tagesschau.de: Spielt der Aufenthaltsstatus nach dem Ausländerrecht eine Rolle?

Swatek: Bei Jugendlichen wirkt sich das meist nicht aus. Diese haben in der Regel aufgrund ihrer Familie ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht. Die entscheidende Frage ist, inwieweit sie hier groß geworden sind. Es kommt darauf an, welche Bezüge sie zu ihrem ursprünglichen Heimatland haben.

tagesschau.de: Wie bewerten Sie die derzeitige Debatte aus Sicht des Anwalts?

Swatek: Mich macht sie richtig wütend. Die Probleme existieren in dieser Form nicht. Die Lösungen, die dafür vorgeschlagen werden, sind darüber hinaus nicht durchführbar. Es ist klar, dass härtere Strafen nicht abschrecken und Haftstrafen Jugendliche erst recht in eine kriminelle Karriere einsteigen lassen. Und es ist der völlig falsche Ansatz, zu sagen, unsere Integrationsbemühungen haben nicht die gewünschten Ergebnisse geliefert, deshalb schmeißen wir die Leute jetzt raus.

* InternSPD will jugendliche Straftäter schneller aburteilen.
* InternWerden nichtdeutsche Jugendliche häufiger kriminell?.

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Stand: 07.01.2008 20:40 Uhr
http://www.tagesschau.de/inland/jugendkriminalitaet18.html

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

Inland Zentralrat der Juden kritisiert Koch
"Wahlkampf nahe dem NPD-Niveau"

Hessens Ministerpräsident Roland Koch (Foto: dpa) Großansicht des Bildes [Bildunterschrift: Steht wegen seiner Wahlkampfkampagne massiv in der Kritik: Hessens Ministerpräsident Koch. ]
Die Wahlkampfkampagne der hessischen CDU gegen jugendliche Gewalttäter mit ausländischem Pass hat erneut heftige Reaktionen hervorgerufen. "Das Niveau des Wahlkampfes von Herrn Ministerpräsident Roland Koch unterscheidet sich kaum noch von dem der NPD", sagte der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, der Nachrichtenagentur ddp. Er warnte davor, Vorurteile gegenüber Ausländern zu schüren. Es gebe bereits "erste Anzeichen, dass vor allem die NPD und andere rechtsextreme Gruppen die Debatte nutzen". Kramer nannte es unverantwortlich, wenn Politiker hier mit dem Feuer spielen. "Wir brauchen scheinbar keine Programme gegen Rechts, sondern Erziehungs- und Ethikkurse für einige Politiker."
Kuhn: "Schäbiger Wahlkampf"

"Die Forderung nach Verschärfung, wie sie die Union und vor allem Roland Koch in Hessen vertritt, ist billig, niederträchtig und ein Beispiel dafür, wie man ein mit Angst besetztes Thema für den Wahlkampf instrumentalisiert", sagte Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn der Oldenburger "Nordwest-Zeitung". Die Anwendung der bestehenden Gesetze reiche aus, wenn man sie unterfüttere, sagte Kuhn. Er bemängelte zudem, dass sich Kanzlerin Angela Merkel dem "schäbigen Wahlkampf" Kochs angeschlossen habe. Die Androhung härterer und längerer Gefängnisstrafen bringe nichts. "Viele straffällige Jugendliche werden in den Gefängnissen erst richtig auf kriminelle Karrieren vorbereitet."
Jugendkriminalität Hintergrund: Weitere Meldungen Steigt die Jugendkriminalität tatsächlich an? Welche Taten werden häufiger, welche weniger verübt? tagesschau.de hat Fragen und Antworten zusammengestellt. [mehr]

Linkspartei-Chef Oskar Lafontaine kritisierte Kochs Forderung nach einer Gesetzesverschärfung als unglaubwürdig. "Die CDU ruft nach schärferen Gesetzen und Erziehungscamps und streicht gleichzeitig Stellen bei Jugendsozialarbeitern. Das passt hinten und vorne nicht zusammen", sagte Lafontaine der "Frankfurter Rundschau". Auffallend sei auch, "dass Koch schweigt, wenn rechte Schläger Ausländer zusammenschlagen".
Schröder: Koch und Merkel auf dem rechten Auge blind

Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder (Foto: dpa) Großansicht des Bildes [Bildunterschrift: Wirft Koch Wahlkampfhetze vor: Alt-Kanzler Schröder. ]
Auch Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder griff Koch und Merkel an. "Offenkundig sind beide auf dem rechten Auge blind. Hier wird mit Einseitigkeiten Wahlkampf betrieben. Das ist eine Wahlkampfhetze, für die Herr Koch bekannt ist", sagte der SPD-Politiker der "Bild"-Zeitung. Das bestehende Recht müsse konsequent angewendet werden. Gewalt sei auch ein Problem deutscher Jugendlicher, sagte Schröder. "Junge deutsche Rechtsradikale verüben im Schnitt jeden Tag drei Gewalttaten - meist gegenüber Menschen mit anderer Hautfarbe. Davon ist von Herrn Koch und Frau Merkel nichts zu hören."
Europäische Union Interview: Weitere Meldungen "EU-Recht kann Abschiebungen verhindern" Rechtsanwalt Swatek erklärt im tagesschau.de-Interview, warum die Vorstellungen der Union nicht umsetzbar sind. [mehr]

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, unterstützte dagegen den Vorschlag, kriminelle Jugendliche in Erziehungscamps einzuweisen. Junge Leute, die nie Grenzen aufgezeigt bekommen hätten, bekämen dort eine neue Chance, sagte die CDU-Politikerin im ARD-Morgenmagazin. Zum Vorschlag der CSU, ausländische Gewalttäter schneller auszuweisen, äußerte sich Böhmer hingegen verhalten. Schon jetzt gebe es Regelungen zur Ausweisung unter bestimmten Bedingungen, sagte sie. Bei Haftstrafen von drei Jahren sei sie bereits nach geltendem Recht zwingend. Gleichzeitig warb die CDU-Politikerin für mehr Integration und Hilfen für ausländische Jugendliche. Man müsse "möglichst früh an den Wurzeln der Gewalt" ansetzen. Diese lägen darin, dass in der Familie keine Grenzen aufgezeigt oder Gewalt angewendet würden oder dass Kinder in der Schule scheiterten. Man müsse zwischen Intensivtätern und hilfebedürftigen Jugendlichen sehr wohl unterscheiden.
Video

* Video Bildunterschrift: Maria Böhmer, Bundesintegrationsbeauftragte, zum Umgang mit jugendlichen Straftätern, ARD-Morgenmagazin
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* intern Weitere Video-Formate .

* InternInterview: "Vorstellungen der Union sind nicht umsetzbar".
* InternWerden nichtdeutsche Jugendliche häufiger kriminell?.
* VideoStreit um Strafrecht als Wahlkampfstrategie [I. Bertram, SWR].
* AudioDebatte um Jugendstrafrecht geht weiter [DLF].

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Stand: 08.01.2008 09:14 Uhr
http://www.tagesschau.de/inland/koch18.html

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

Jugendkriminalität

Seehofer bremst Scharfmacher

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© Michaela Reh/Reuters
Horst Seehofer hält nicht viel vom schnellen Abschieben

Innerhalb der Union regt sich Widerstand gegen die parteiinterne Forderung, straffällige EU-Bürger schneller als bislang abzuschieben. CSU-Vize Horst Seehofer übt Kritik an der eigenen Partei und fordert, bestehende Rechtsmittel besser zu nutzen.

CSU-Vize Horst Seehofer hat sich zurückhaltend zur Forderung seiner Partei nach der schnelleren Abschiebung straffälliger EU-Bürger geäußert. "Das ist nicht das Mittel erster Wahl", sagte Seehofer im ARD-"Morgenmagazin". Rechtlich sei eine solche Abschiebung aber möglich, wenn es sich um sogenannte Intensiv-Straftäter handele. Die CSU-Landesgruppe hatte am Montagabend bei ihrer Klausur im oberbayerischen Wildbad Kreuth ein Positionspapier zur schnelleren Abschiebung ausländischer Straftäter verabschiedet. Das soll auch für EU-Bürger gelten.

"Aufenthaltsrechtliche Sanktionen müssen stärker genutzt werden", heißt es in dem CSU-Beschluss. Auch ein EU-Bürger solle ausgewiesen werden können, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr von ihm ausgehe. "Sogar für minderjährige EU-Bürger besteht die Möglichkeit der Ausweisung." Der Schutz vor Ausweisung solle wie bei Heranwachsenden auch für jugendliche Intensivtäter abgeschafft werden.
Halt statt Drill


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Gerade bei besonders uneinsichtigen Straftätern solle das geltende Strafrecht "sehr schnell, hart" angewandt werden, sagte Seehofer. Mittel erster Wahl müsse es sein, die Ursachen der Straftaten zu beseitigen. Dazu könne eine andere Bildungspolitik, mehr Betreuung, eine bessere Integration und eine Einbeziehung der betroffenen Jugendlichen in den Erwerbsprozess beitragen.

Schröder greift ein
Der Streit zwischen Union und SPD über eine Verschärfung des Jugendstrafrechts hat unterdessen an Schärfe zugenommen: Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) griff in der Debatte sowohl Hessens Ministerpräsident Roland Koch und Kanzlerin Angela Merkel (beide CDU) scharf an. "Offenkundig sind beide auf dem rechten Auge blind. Hier wird mit Einseitigkeiten Wahlkampf betrieben. Das ist eine Wahlkampf-Hetze, für die Herr Koch bekannt ist", sagte er der "Bild".

Nicht neues Recht, sondern die "zügige und konsequente Anwendung des bestehenden Rechts" sei nötig, sagte Schröder. Das Gesetz gelte für alle Täter. Gewalt sei auch ein Problem deutscher Jugendlicher. "Junge deutsche Rechtsradikale verüben im Schnitt jeden Tag drei Gewalttaten - meist gegenüber Menschen mit anderer Hautfarbe. Dazu ist von Herrn Koch und Frau Merkel nichts zu hören."
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Koch forderte derweil SPD-Chef Kurt Beck zum gemeinsamen Handeln gegen Jugendgewalt auf. Es sei wichtig, dass die Aufmerksamkeit der Gesellschaft mit jedem Einzelfall größer werde, sagte der CDU-Politiker in einem Interview der "Mitteldeutschen Zeitung". "Ich fordere SPD-Chef Kurt Beck dazu auf, dass wir das gemeinsam als einen Ansporn für die Politik sehen, rasch Konsequenzen zu ziehen." Koch sagte, ihm sei klar, dass die von der Union angestrebten Gesetzesverschärfungen nur ein Teil der Lösung seien. "Ich behaupte nicht, dass dann alles erledigt ist", sagte der Ministerpräsident. Notwendig sei, dass die Gesellschaft entschlossen aufbegehre.

Der Überfall in der Münchner U-Bahn habe ein Stück Normalität sichtbar gemacht. "Und manche in der SPD, die geglaubt haben, die Diskussion gehe schnell vorbei, unterschätzen, dass dies für viele Menschen, die in Ballungszentren öffentliche Verkehrsmittel benutzen, zum Bild der Wirklichkeit gehört."

DPA/AP



Artikel vom 08. Januar 2008
http://www.stern.de/politik/deutschland/:Jugendkriminalit%C3%A4t-Seehofer-Scharfmacher/607091.html?nv=rss

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

Jugendkriminalität

Koch "auf dem rechten Auge blind"

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© Boris Roessler/DPA
Roland Koch muss massive Kritik einstecken

Von allen Seiten wird Hessens Ministerpräsident Roland Koch für seine Forderungen zur Bekämpfung der Jugendkriminalität attackiert. Der CDU-Politiker verteidigt sich und behauptet, die SPD verstehe nicht, was die Bürger wirklich wollten. Die Sozialdemokraten kontern.

Der politische Streit über den richtigen Umgang mit jungen Straftätern nimmt an Schärfe zu. Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU), der die Diskussion mit seiner Forderung nach härteren Strafen ausgelöst hatte, warf der SPD vor, "in ignoranter Sturheit" an Positionen festzuhalten, "die auf massives Unverständnis der Bürger stoßen". Dem "Kölner Stadt-Anzeiger" sagte Koch: "Die Sozialdemokraten werden von Tag zu Tag mehr ins Grübeln kommen, wie lange sie das durchhalten." Dagegen warf Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) Koch und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor, mit Einseitigkeiten Wahlkampf zu betreiben. Die Diskussion um kriminelle Ausländer zeige, dass offenkundig beide "auf dem rechten Auge blind" seien, sagte Schröder der "Bild"-Zeitung.

"Das ist eine Wahlkampf-Hetze, für die Herr Koch bekannt ist", sagte der Altkanzler. Nicht neues Recht, sondern die "zügige und konsequente Anwendung des bestehenden Rechts" sei gefordert, so Schröder. Das Gesetz gelte für alle Täter. Gewalt sei auch ein Problem deutscher Jugendlicher. "Junge deutsche Rechtsradikale verüben im Schnitt jeden Tag drei Gewalttaten - meist gegenüber Menschen mit anderer Hautfarbe. Dazu ist von Herrn Koch und Frau Merkel nichts zu hören."
Halt statt Drill


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Kochs "Kaltschnäuzigkeit"
Koch forderte SPD-Chef Beck dagegen in der in Halle erscheinenden "Mitteldeutschen Zeitung" auf, gemeinsam "rasch Konsequenzen zu ziehen". Auch Beck hatte der CDU am Montag wegen der Debatte "Rechtspopulismus" vorgeworfen. Koch habe "mit Kaltschnäuzigkeit drei Wochen vor der Landtagswahl das Thema aus dem Köcher gezogen - nachdem er in den neun Jahren als Regierungschef 1200 Stellen für Polizisten und 240 Stellen für Justizbeamte gestrichen hat". Aus Sicht der SPD reichen die vorhandenen Gesetze aus, sie müssen nur konsequenter umgesetzt werden. Es gebe "kein Gesetzes-, sondern ein Vollzugsdefizit".

Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn attackierte ebenfalls Koch: "Die Forderung nach Verschärfung, wie sie die Union und vor allem Roland Koch in Hessen vertritt, ist billig, niederträchtig und ein Beispiel dafür, wie man ein mit Angst besetztes Thema für den Wahlkampf instrumentalisiert", sagte er der Oldenburger "Nordwest-Zeitung". Kuhn bedauerte, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dem "schäbigen Wahlkampf" Kochs angeschlossen habe. Längere Gefängnisstrafen lehnte Kuhn ab. "Viele straffällige Jugendliche werden in den Gefängnissen erst richtig auf kriminelle Karrieren vorbereitet."
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Linke: Gut Schulen sind besser
Ähnlich äußerte sich auch der Vorsitzende der Linken, Oskar Lafontaine. "Die Erfahrung lehrt, dass Jugendliche, die zu früh in den harten Knast geschickt werden, sich oft zu lebenslangen Gewalttätern entwickeln", sagte er der "Frankfurter Rundschau". "Gute Schulen sind die besten Erziehungscamps.» Deshalb sei Koch «gut beraten, seine vermurkste Schulpolitik zu überdenken".

Die CSU-Landesgruppe beschloss am Montagabend bei ihrer Klausur in Wildbad Kreuth ein Positionspapier zur schnelleren Abschiebung ausländischer Straftäter. Das soll auch für Bürger aus EU-Staaten gelten. Zu Beginn des dreitägigen Treffens hatte CSU-Chef Erwin Huber erklärt: «Die Gewalttaten führen es jedem vor Augen, dass der geltende Gesetzesrahmen nicht ausreicht.»

Der Vorsitzende der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen, Bernd-Rüdeger Sonnen, hält längere Strafen für nicht wirkungsvoll. «Täter kalkulieren eine mögliche Strafe nicht ein», sagte er der "Hessisch/Niedersächsischen Allgemeinen". Auch einen sogenannten Warnschussarrest, bei dem kriminelle Jugendliche zusätzlich zu einer Bewährungsstrafe für bis zu vier Wochen weggesperrt werden, hält er erzieherisch für nicht wünschenswert. "In Haft träfen junge Straftäter möglicherweise die eigene Clique wieder. Dann geht es darum, wer der Coolste ist. Das wäre kontraproduktiv."

DPA



Artikel vom 08. Januar 2008
http://www.stern.de/politik/deutschland/:Jugendkriminalit%C3%A4t-Koch-auf-Auge/607086.html?nv=rss

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

07.01.2008 20:02 Uhr
Schulleiter Franz Igerl: „Wir züchten uns diese Jugendlichen”
München - „Wo die Familie keine Struktur hat, gehen die Kinder unter”, sagt Franz Igerl. Der 62-Jährige ist Rektor der Grundschule an der Bergmannstraße im Münchner Westend. In der Debatte um den Umgang mit gewalttätigen Kindern und Jugendlichen plädiert er für frühzeitiges Eingreifen und fordert notfalls eine Beschneidung der Elternrechte.




Fotograf:Foto: Marcus Schlaf
„Die tollen Kinder leiden unter den wenigen schwierigen”: Franz Igerl leitet die Münchner Grundschule an der Bergmannstraße.
Besteht unsere Jugend nur aus Problemkindern?
Es ist falsch, wenn man immer nur das Negative sieht. Wir haben sehr viele tolle Kinder. Aber wir haben auch eine geringe Anzahl von Kindern, die eine stärkere Hilfestellung benötigen ­ wobei entscheidend ist, dass sich diese an die Eltern richtet. Ein Beispiel: Wenn sie heute eine Therapieform für Kinder erkennen, haben sie keine Chance, den Kindern zu helfen, wenn die Eltern nicht zustimmen. Die aktuelle Debatte muss also im Elternhaus beginnen.

Und wie reagieren die Eltern?
Meine Kollegen und ich fühlen uns verlassen. Ich habe hier an meiner Schule drei Kinder, die auf eine Schule für schwer erziehbare Kinder müssten. Aber erstens gibt es keinen Platz, und zweitens lehnen die Eltern es ab. Noch ein Beispiel: Ich habe bei uns ein Elterncafé initiiert, mit dem Ziel, ausländische Eltern einzuladen. Wir mussten das Projekt wieder aufgeben, weil die Eltern, für die es gedacht war, nicht gekommen sind. Unser Problem ist, dass, wenn wir heute 100 Kinder neu einschulen, ein Drittel der Eltern nicht zum ersten Elternabend erscheint.

Zwischen Elternhaus und Schule findet also kaum Kommunikation statt?
Wir haben keinen Zugang zu den Eltern. Das Elternrecht ist viel zu stark, als dass wir die Strukturen ändern könnten. Wir überlegen uns ständig Maßnahmen für ein gutes Miteinander ­ etwa der gewaltfreie Pausenhof ­, aber die werden torpediert, weil nicht alle Eltern sie mittragen. Das fängt damit an, dass die Kinder nicht mehr pünktlich zum Unterricht kommen. Und wenn ein Kind ständig aggressiv ist und wir die Eltern einladen, sagen die nur: „Wir haben aber ein braves Kind.” -Wie erleben Sie die problematischen Kinder und Jugendlichen? Distanzlos. Restlos distanzlos. Sie kennen keine Grenzen...

...was sich in der Grundschule nur schwer auffangen lässt.
Das können wir nicht. Dagegen sind wir eigentlich machtlos. Das Problem ist, dass sich unser Staat für diese Kinder eine Halbtagsschule leistet ­ das funktioniert nicht. Was machen sie denn am Nachmittag? Vor dem Fernseher hängen, vor dem Computer hängen oder durch die Stadt streunen. Es fehlt die Einsicht, dass diese Kinder eine ganztägige Betreuung brauchen.

Sie plädieren für Ganztagsschulen?
Absolut. Denn diese Kinder brauchen klare Strukturen, die sie zu Hause nie lernen, und eine spezifische Betreuung. Es ist ja nur ein Bruchteil der Schüler so, aber diese drei, vier Schüler pro Klasse sind eine große Belastung ­ nicht nur für die Lehrer, auch für die anderen Schüler. Sehr viel Zeit von Lehrern und auch von mir als Schulleiter geht dafür drauf, sich mit diesen Problemschülern zu beschäftigen. Kinder, die in strukturlosen Familien aufwachsen, sind viel besser im Internat oder in Ganztagesschulen aufgehoben. Weil sie einen festen Tagesrhythmus haben, Regeln befolgen und zum ersten Mal lernen, sozialverträglich miteinander umzugehen.

Was, wenn Eltern ­ aus welchen Gründen auch immer ­ ihren Kindern kein Benehmen, Respekt und Regeln für ein zivilisiertes Miteinander vermitteln?
Unser System lässt zu, dass Kinder, die bereits im Alter von vier oder fünf Jahren ständig Frustrationserlebnisse haben, auf die Hauptschule kommen. Da verstärkt sich natürlich die Aggression. Klar, wenn ich ständig erfahre: „Ich kann nichts, ich bin nichts, ich bin nichts wert.” Da ist das Berufsziel dann Hartz IV. Ich kenne einige, die hier zur Schule gegangen sind und die jetzt die großen Drogendealer im Viertel sind. Und die Eltern sind hilflos, weil sie eigentlich nie kapiert haben, was passiert ist.

Können Sie bei Auffälligkeiten nicht das Jugendamt einschalten?
Die Zusammenarbeit mit den Jugendämtern kann man vergessen. Weil die Jugendämter darum bitten müssen, dass sie in die Familien kommen ­ wenn die Eltern nicht wollen, bleibt die Tür zu.

Hilft es, Elternrechte zu beschneiden?
Absolut. Bei diesen Problemeltern müssen wir eine ganz andere Handlungsstrategie entwickeln. Der Staat muss die Eltern zwingen, ihre Kinder in Therapiemaßnahmen zu schicken ­ und das dann auch kontrollieren. Eine Beschneidung des Elternrechts erlebe ich aber fast nie.

Was halten Sie von einem Elternführerschein?
Der Staat muss Elternschulungen vorschreiben und durchführen. Da müssten Anleitungen zur richtigen Erziehung gegeben werden. Es müssen Erziehungswerte vermittelt werden, und es muss gezeigt werden, welche Grenzen man seinem Kind setzen muss. Den Eltern muss auch gezeigt werden, wie man ein strukturiertes Leben führt: Dass man in der Früh aufsteht, frühstückt, zur Schule geht, am Nachmittag Schularbeiten macht ­ das kennen viele Kinder nicht.

Wo sehen Sie die größten Probleme?
Bei vielen männlichen ausländischen Jugendlichen und ihrem Macho-Kult. Sie schließen sich aus einer Not heraus zu Gruppen zusammen, weil sie einen sozialen Bezugsrahmen brauchen. Den finden sie nur unter ihresgleichen. Nächstes Problem sind die Deutschkenntnisse, da müsste es noch mehr Möglichkeiten schon im Kindergarten geben. Außerdem müssen Schulpsychologen und Lehrer in die Elternhäuser dürfen. Das muss früh anfangen.

Ist es sinnvoll, das Alter fürs Jugendstrafrecht abzusenken?
Nein. Kinder sind Kinder, die sind in einer Entwicklung. Wir brauchen andere Ansätze, eine spezielle und besonders nahtlose Betreuung. Wir brauchen Sanktionen gegen Eltern, etwa Streichung des Kindergelds. Elternsein bedeutet Pflichten und nicht nur, das Kindergeld einzustreichen.

Was halten Sie von einer schnellen Abschiebung krimineller ausländischer Jugendlicher?
Nichts. Diese Kinder sind Teil unserer Gesellschaft, die sind hier aufgewachsen. Da müssen sich die Politiker fragen, was sie versäumt haben.

Sie beklagen, dass Kindergarten und Grundschule sich nicht über Problemfälle austauschen dürfen.
Es ist ein Irrsinn, dass ein Kindergarten der aufnehmenden Grundschule aus datenschutzrechtlichen Gründen nichts über Problemeltern und Auffälligkeiten des Kindes mitteilen darf. Wir wollen doch beiden helfen. Wir kämpfen in der Grundschule, aber das verpufft. Und nochmal: Wir dürfen nicht pauschalisieren ­ es ist eine kleine Gruppe von schwierigen Kindern und denen muss geholfen werden.

Das Gespräch führte Michael Schleicher

http://www.merkur-online.de/vermischtes/blickpkt/art9400,876781

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

Dienstag, 8. Januar 2008
"Koch treibt Merkel"
Treffen zu Jugendgewalt

Knapp drei Wochen vor den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen wollen die Innen- und die Justizminister der unionsgeführten Bundesländer bei zwei Treffen in dieser Woche über den Umgang mit der Jugendgewalt diskutieren.

Die Hannoveraner Justizministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU) lud ihre Länderkollegen von Union und FDP für Mittwoch ein, "um die Forderung nach einer Veränderung des Jugendstrafrechts zu bekräftigen und sich über Erfahrungen im Bereich der Prävention und Integration auszutauschen". Hessens Innenminister Volker Bouffier (CDU) lud seine Länderkollegen und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) für Donnerstag und Freitag ein. Dabei soll über einen Maßnahmenkatalog des Landes Hessen gesprochen werden. Die Justizminister wollen in der Niedersachsen-Vertretung in Berlin beraten, die Innenminister in Wiesbaden.

Scharfe Töne

Union und SPD liefern sich im Wahlkampf nicht nur auf Landes-, sondern auch Bundesebene ein erbittertes Wortgefecht über die von der Union geforderte Verschärfung des Jugendstrafrechts, wobei der Ton zunehmend an Schärfe gewinnt. Die SPD hat Gesprächsbereitschaft signalisiert, lehnt die Forderung inhaltlich aber strikt ab. SPD-Generalsekretär Hubertus Heil warf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Streit um den Umgang mit jugendlichen Kriminellen vor, keine eigene Position zu haben. "Offensichtlich ist die Frau Bundeskanzlerin da sehr druckempfindlich", sagte er bei n-tv. Merkel gebe immer wieder auch CDU-Ministerpräsidenten nach, denen das Wasser im Landtagswahlkampf bis zum Hals steht, "ohne eine eigene klare Linie zu haben", so Heil. "Jetzt treibt Koch die Kanzlerin vor sich her." Merkel hatte sich am Wochenende klar hinter die Forderung des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) nach einer Verschärfung des Jugendstrafrechts gestellt, nachdem ihr Regierungssprecher sich einige Tage zuvor noch eher vorsichtig geäußert hatte.


Kochs Forderung sei "an Verlogenheit nicht zu überbieten", denn er habe "selbst die Situation verursacht, die er jetzt beklagt", kritisierte Heil. "Er hat tausend Polizeistellen in Hessen gestrichen, er hat bei Staatsanwälten, bei Richtern gekürzt, bei Jugendhilfe, bei Bildung." Das gleich gelte für Niedersachsen, wo am 27. Januar ebenfalls ein neuer Landtag gewählt wird.

Ähnlich wie Heil äußerte sich auch Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD). Es sei ein Treppenwitz, dass sich ein Politiker mit schneidigen Parolen ins Bild setze, "während der gleiche Akteur durch Privatisierungen und Mittelkürzungen das Problem noch verschärft hat", sagte Zypries in Köln. Koch habe die freiwilligen Leistungen um ein Drittel gekürzt, bei der ehrenamtlichen Bewährungshilfe und bei der ambulanten Straffälligenhilfe den Rotstift angesetzt.

Zypries machte die Privatisierung sozialer Dienste mitverantwortlich für die Probleme mit kriminellen Jugendlichen. "Privatisierung darf nicht zum Sicherheitsrisiko werden", sagte Zypries in einer mit viel Beifall bedachten Grundsatzrede vor der Gewerkschaftspolitischen Arbeitstagung des Beamtenbundes dbb. "Einen schwachen Staat können sich auf Dauer nur die Starken leisten." Die Verantwortung, die der Staat für die Sicherheit und Freiheit seiner Bürger trage, könne er nicht delegieren.

Der beste Schutz vor Gewalt sei nicht die Erhöhung des Strafmaßes, sondern die Vorbeugung und die Verhinderung von Straftaten. Damit Straftäter nicht rückfällig werden, "brauchen wir eine gute Entlassungsvorbereitung für Gefangene und eine gute Bewährungshilfe". Wenn die sozialen Dienste der Justiz erstmal an freie Träger abgegeben worden seien, könnten die Finanzminister hier mit leichter Hand den Rotstift ansetzen.

"Mehr Kannenberg und weniger Zypries."

Dagegen empfahl die hessische CDU-Regierung der SPD das Erziehungscamp des Ex-Profiboxers Lothar Kannenberg bei Kassel als Modell zum Umgang mit kriminellen Jugendlichen. Sozialministerin Silke Lautenschläger (CDU) forderte in Wiesbaden, Zypries solle nicht Erziehungscamps mit Blick auf amerikanische "Boot Camps" ablehnen. In Kannenbergs Heim für 20 Jugendliche gehe es nicht darum, "den Willen zu brechen". Die Mischung aus Sport, Arbeit und Handwerk vermittele den jungen Leuten "klare Strukturen und Regeln", sagte Lautenschläger. "Wir brauchen mehr Kannenberg und weniger Zypries."

http://www.n-tv.de/901065.html

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

08. Januar 2008

* webnews
* Yigg
* folkd
* Mister Wong
* Linkarena
* Del.icio.us



Schrift:
JUGENDKRIMINALITÄT
NPD applaudiert Koch

Jetzt bekommt er die Quittung: Hessens Ministerpräsident Koch bekommt Unterstützung aus der NPD. Die Rechtsradikalen spenden ihm für seine Forderung nach schnellerer Abschiebung krimineller Ausländer demonstrativen Beifall.
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Berlin - Applaus von rechts außen: Die NPD hat den Vorstoß Roland Kochs zur Bekämpfung der Jugendkriminalität begrüßt."Wenn etablierte Politiker NPD-Argumente übernehmen, dann wird das auch dazu führen, dass immer mehr Bürger Vertrauen in die Politik der NPD gewinnen und folglich auch NPD wählen", sagte der Parteivorsitzende Udo Voigt heute in Berlin. Voigt verlangte von Koch, "nicht nur aus wahltaktischen Gründen von der NPD abzuschreiben", sondern diese Politik auch umzusetzen.

Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer, bekräftigte seine scharfe Kritik an Koch . Er wiederholte heute seinen Vorwurf, "dass das Niveau des Wahlkampfs von Herrn Koch langsam das der NPD erreicht". Die Art und Weise, mit der der CDU-Politiker mit dem Thema Jugendkriminalität auf Stimmenfang gehe, schüre Angst und Vorurteile gegen Minderheiten. Koch bediene ganz gezielt den Zorn der Menschen und gebe damit den Machenschaften der NPD Recht. "Für einen Politiker von seinem Format halte ich das für sehr gefährlich und auch für unverantwortlich", sagte Kramer.

Die Union reagierte empört auf die Kritik Kramers. Das sei "an Absurdität gar nicht mehr zu überbieten", sagte CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla im rbb-Inforadio. CSU-Chef Erwin Huber bezeichnete den Vergleich ebenfalls als abwegig. "Das ist kein guter Stil", sagte er im Deutschlandradio.

Bereits am Montag hatte der Zentralrat der Juden davor gewarnt, dass die von der Union angeheizte Debatte über Jugend- und Ausländerkriminalität den Rechtsextremisten nutze. Zentralrats- Präsidentin Charlotte Knobloch sagte, für die NPD sei die Kriminalität ausländischer Jugendlicher ein willkommenes Argument, allen Ausländern in Deutschland ihre Daseinsberechtigung zu entziehen.

ler/dpa/AP
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,527393,00.html

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

08. Januar 2008

* webnews
* Yigg
* folkd
* Mister Wong
* Linkarena
* Del.icio.us



Schrift:
ANGRIFFSLUSTIGER ALTKANZLER
Kampf-Schröder kehrt zurück

Von Carsten Volkery

Der Altkanzler hat die Innenpolitik seit seiner Abwahl weitgehend gemieden - jetzt ist Gerhard Schröder überraschend wieder da. Mit Verve wirft er sich in die Landtagswahlkämpfe in Hessen und Hamburg: Er poltert gegen Koch und Kanzlerin.
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Berlin - Es waren nur wenige Sätze, doch sie reichten, um die Koch-Depression der SPD in ein Gefühl der Überlegenheit zu verwandeln. "Dieser merkwürdige Mensch da sollte erstmal vor seiner eigenen Tür kehren", sagte Schröder. "Den Sozialdemokraten muss keiner sagen, dass es ein Bürgerrecht auf Sicherheit gibt".

Altkanzler Schröder: "Wir vermissen ihn"
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REUTERS

Altkanzler Schröder: "Wir vermissen ihn"
Er habe von Roland Koch und Angela Merkel noch kein Wort zu rechtsradikaler Gewalt vernommen, sagte der Altkanzler - und das, obwohl diese um zehn Prozent gestiegen sei. Das lege "den Verdacht nahe", dass es den beiden nur darum gehe, "in altbewährter Weise Ängste zu schüren".

Die Genossen im Neuen Rathaus zu Hannover lauschten am Sonntagabend verzückt den Worten des Altmeisters. "Dieser merkwürdige Mensch da" - so schön kann nur einer den politischen Gegner filetieren. Erinnerungen wurden wach an den Bundestagswahlkampf, als Schröder gegen "den Professor aus Heidelberg" kämpfte. "Wir vermissen ihn", schmachtete eine Bundestagsabgeordnete.

In der "Bild"-Zeitung legte Schröder heute nach. Auf der Seite 2, wo seit Tagen die Kampagne gegen kriminelle Ausländer läuft, durfte der Altkanzler seine Vorwürfe gegen Merkel und Koch verschärfen. "Offenkundig sind beide auf dem rechten Auge blind", sagte Schröder. Bei der einseitigen Debatte um Jugendgewalt handele es sich um "Wahlkampfhetze, für die Herr Koch bekannt ist".

Schröders innenpolitisches Comeback

Die Angriffe auf Koch markieren Schröders Comeback auf der innenpolitischen Bühne. Zum ersten Mal seit dem Auszug aus dem Kanzleramt mischt er sich wieder in Landtagswahlkämpfe seiner Partei ein. Die Aufmerksamkeit, die er hervorruft, zeigt, dass er immer noch ein wertvolles Zugpferd ist. Heute Abend eröffnet Schröder zusammen mit Spitzenkandidat Michael Naumann die heiße Wahlkampfphase in Hamburg - ein weiteres Zeichen dafür, dass die innenpolitische Abstinenz vorbei ist.

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Handelt die Politik konsequent genug gegen Jugendgewalt?

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Neuester: Heute 18:35 Uhr
von Einbauschrank
Die Wahlkampfauftritte könnten Schröder helfen, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen und sein Image wieder aufzupolieren. Das neue Engagement kommt einigermaßen überraschend. Denn Schlagzeilen hatte Schröder zuletzt vor allem als "Gasprom-Gerd" gemacht. Als Wahlkämpfer hatte er sich allenfalls für seinen Freund Wladimir Putin ins Zeug gelegt. Den bezeichnet er trotzig weiter als "lupenreinen Demokraten". Schröder gefällt sich in seiner Rolle als gut verdienender Privatier und erweckt gern den Eindruck, dass er mit der deutschen Innenpolitik abgeschlossen habe. Anmerkungen zur deutschen Politik leitet er immer mit den Worten ein: "ich als freier Mensch" oder "ich als interessierter Beobachter".

Schröders Lust an der Provokation ist ungebrochen, und so rufen seine kleinen Kommentare jedes Mal ein riesiges Echo hervor - nicht zuletzt, weil sie wohlgezielt sind. Besonders eine hat Schröder im Visier: seine Nachfolgerin im Kanzleramt. Im November hielt er Merkel ihre "DDR-Biographie" vor, die sie daran hindere, vernünftige Beziehungen zu China und Russland aufzubauen. Auf einer China-Reise rügte er die Kanzlerin obendrein für den Empfang des Dalai Lama im Kanzleramt. Das war Flankenschutz für Schröders früheren Kanzleramtschef und amtierenden Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der sich von Merkel düpiert fühlte.

Teilnahmslos im Agenda-Streit

Abgesehen von solchen außenpolitischen Boshaftigkeiten hielt Schröder sich zurück. Die innenpolitische Debatte um Änderungen an der Agenda 2010 verfolgte er aus der Ferne. Bis er sich im Streit zwischen Parteichef Kurt Beck und Vizekanzler Franz Müntefering auf die Seite des Reform-Fledderers Beck stellte und seinen alten Mitstreiter Müntefering belehrte, er sei nicht Moses. Kämpfen wollte er offenbar nicht mehr für sein Reformerbe.

Jetzt sieht es jedoch so aus, als wolle Schröder sich wieder stärker einbringen. Bereits auf dem SPD-Bundesparteitag in Hamburg, wo er ein Grußwort sprechen durfte, hatte der Altkanzler seinen Parteifreunden eingebleut, sich bloß nicht die Deutungshoheit in der Familienpolitik, der Integrationspolitik und dem Klimaschutz abjagen zu lassen. "Ihr seid das Original, die anderen das Plagiat", hatte er gerufen.

Um Deutungshoheit geht es auch in der aktuellen Debatte. Das Jugendstrafrecht sei scharf genug, dafür habe sein Innenminister Otto Schily damals gesorgt, verkündet Schröder. Die SPD-Spitze ist dankbar für den Lautsprecher Schröder, der den Vorteil hat, keine Rücksicht auf den Koalitionspartner nehmen zu müssen wie etwa Vizekanzler Steinmeier.

Keine Auftritte in Hessen und Niedersachsen

Allerdings ist Schröders Engagement in den Landtagswahlkämpfen begrenzt. In Hamburg wird er zwar auftreten - als Freundschaftsdienst für seinen Kumpel Naumann. Aber in Hessen und Niedersachsen sucht man ihn vergebens. Das liegt auch daran, dass ihn mit den Spitzenkandidaten eine historische Abneigung verbindet: Andrea Ypsilanti und Wolfgang Jüttner zählen zum linken Parteiflügel, der den Aufstand gegen die Agenda 2010 organisierte.

Legendär ist die Geschichte vom Bochumer Parteitag 2003: "Euch mach ich fertig", soll Schröder seinen niedersächsischen Genossen zugerufen haben. Gemeint war vor allem der Landesvorsitzende Jüttner, der hinter den Kulissen für die schlechten Abstimmungsergebnisse der Schröder-Vertrauten Olaf Scholz und Wolfgang Clement sorgte.

Ein Einsatz für Jüttner sei daher "wenig glaubhaft", erklärte Schröder bei einem SPD-Empfang im Dezember in Celle. In Hannover gab er sich am Sonntag großzügig. "Wolfgang, wir waren ja nicht immer einer Meinung", sagte der Altkanzler. Aber er erinnerte die Anwesenden daran, dass Jüttner schon vielfach sein Nachfolger war: Als Juso-Vorsitzender, als Bezirksvorsitzender, warum also nicht als Ministerpräsident? Er jedenfalls wünsche sich das.

Auch Ypsilanti, von Schröder einst nur als "diese Frau XY" tituliert, dürfte über die Wahlkampfhilfe ihres alten Gegners einigermaßen überrascht sein. Allerdings könnte das auch nach hinten losgehen. Denn gerade Schröder bietet eine leichte Angriffsfläche für die Union: Er selbst hatte im niedersächsischen Wahlkampf 1997 ganz ähnliche Sprüche über kriminelle Ausländer gemacht wie Koch - und am Ende eine absolute Mehrheit geholt.
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,527367,00.html

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

ZEIT online 8.1.2008 - 18:21 Uhr

* Schlagworte:
* Politik
* Jugendstrafrecht

Nicht wegsperren, erziehen!

Von Kai Biermann

Die Debatte um das Jugendstrafrecht geht am Problem vorbei. Nicht härtere Strafen braucht es, sondern frühes Eingreifen, damit Jugendliche gar nicht erst abgleiten.
Einschließen hilft nicht

Einschließen hilft nicht

© Foto: Peter Endig dpa/lhe

Muss das Jugendstrafrecht verschärft werden? Darum tobt nun bereits seit zwei Wochen eine nicht enden wollende öffentliche Debatte. Sicher, Wahlkämpfe sind kein gutes Umfeld für differenzierte Betrachtungen, schon gar nicht, wenn es um komplexe Themen wie dieses geht. Trotzdem, die grundsätzliche Frage ist berechtigt: Braucht es rechtliche Änderungen, vielleicht sogar die, die die Union vorschlägt?

Nein, lautet fast übereinstimmend die Antwort derer, die jeden Tag mit dem Jugendstrafrecht arbeiten. Doch ganz so einfach ist das nicht. Zuerst einmal ist eine Unterscheidung notwendig, die der hessische Ministerpräsident Roland Koch als Auslöser und Antreiber der Debatte ganz bewusst nicht macht, die aber dringend geboten ist: die zwischen „normalen“ kriminellen Jugendlichen und jugendlichen „Mehrfach- und Intensivtätern“, wie sie bei der Polizei heißen.

Nicht jeder, der ein Auto stiehlt oder einen Mitschüler zusammenschlägt, gehört sofort zur letzteren Problemgruppe. Die Trennung ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich, basiert aber immer auf der Idee, dass eine bestimmte Menge an Delikten einer bestimmten Schwere in einem definierten Zeitraum notwendig ist, um von der Polizei als Intensivtäter eingestuft und „betreut“ zu werden.

In Köln beispielsweise gibt es ein dynamisches Punktesystem. Ein Ladendiebstahl bringt einen Punkt, eine Körperverletzung je nach Schwere drei oder vier. Gleichzeitig führen die dortigen Kommissariate eine Liste der „Top 100“. Die 100 Registrierten mit den meisten Punkten gelten als Intensivtäter. In Berlin müssen sie innerhalb eines Jahres zehn Taten begehen und daneben unter anderem die Schule schwänzen oder durch hohen Alkoholkonsum auffallen.

Im Vergleich zu den „normalen“ kriminellen Jugendlichen ist diese Gruppe somit schon per definitionem sehr klein. Berlin führt derzeit (Stand 4. Dezember 2007) insgesamt 495 Namen als Intensivtäter. Gleichzeitig gab es hier (2006) mehr als 33.000 Tatverdächtige, die 21 Jahre oder jünger und damit für das Jugendstrafrecht relevant waren. Der Anteil der Intensivtäter beträgt also gerade einmal 1,5 Prozent. Niedersachsen hat „ungefähr 400 Jugendliche mit kriminellen Karrieren“, wie das LKA sagt, bei 43.000 Fällen insgesamt im Jahr 2006.

Roland Koch spricht über „junge kriminelle Ausländer“ oder noch allgemeiner von „Jugendgewalt“. Die Fakten, die er dabei verwendet, beziehen sich jedoch auf „Intensivtäter“. Das ist fatal, denn beide Gruppen unterscheiden sich in ihrem Verhalten, ihrer Herkunft und in den Sanktionsmaßnahmen, die nach Meinung von Experten gegen sie eingesetzt werden sollten.

Die Jugendgewalt allgemein nimmt, genau wie die gesamte Gewaltkriminalität, in Deutschland seit Jahren ab oder stagniert zumindest – je nach Delikt. Das meint nicht die Brutalität der Taten, Roheitsdelikte nehmen zu, sondern die Gesamtzahl. Dieser Befund ist eindeutig und das Fazit aller entsprechenden Studien, seien es die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), der periodischen Sicherheitsberichte der Bundesregierung oder kriminologische Dunkelfeldanalysen. Gleichzeitig brachten letztere Hinweise darauf, dass sich die Anzeigebereitschaft gegenüber jugendtypischen Delikten in den vergangenen Jahren erhöht hat, dass also mehr Gewalttaten von Jugendlichen angezeigt werden als früher, auch von anderen Jugendlichen – die in der Regel die Opfer sind, nicht ältere Menschen. Der Rückgang der tatsächlichen Gewalt also ist womöglich noch stärker als die Zahlen der angezeigten Taten nahelegen.

In dieser großen Menge nun gibt es die vergleichsweise kleine Teilmenge der Intensivtäter. Sie sind es, die kriminelle Karrieren haben und durch immer neue Delikte auffallen. Sie zeigen sich unbeeindruckt von staatlichen Sanktionen, seien es Geld-, Haft- oder soziale Strafen. Bei der weit größeren Gruppe der allgemeinen jugendlichen Täter ist das nicht so. Bei vielen Jugendlichen, die auffällig wurden, genügt es schon, wenn sie demonstrativ auf dem Schulhof festgenommen werden, um sie zum Nachdenken anzuregen. Viele Intensivtäter dagegen beeindruckt es überhaupt nicht, ins Gefängnis zu müssen, seien es drei Monate oder drei Jahre.

Genau an diesem Punkt werden die Forderungen der Union absurd. Diejenigen, die damit erreicht werden sollen, schreckt es nicht, wenn die Höchststrafe von zehn auf fünfzehn Jahre angehoben wird. Und die restlichen werden dieses Strafmaß sowieso kaum je erreichen. In Hessen, nur um ein Beispiel zu nennen, saßen 2006 genau vier Männer unter 21 Jahren im Gefängnis, die mehr als fünf Jahre Haft zu verbüßen hatten. Bundesweit wurden 2006 gerade einmal 91 Jugendliche oder Heranwachsende zu einer solchen Strafe verurteilt – von 106.000 Straftätern nach dem Jugendstrafrecht insgesamt. Das entspricht einem Anteil von 0,09 Prozent! Das Strafmaß für Jugendliche und Heranwachsende zu erhöhen ist somit bestenfalls eine wirkungslose Maßnahme. Sie klingt nur gut.

So ist es mit dem gesamten diskutierten Katalog. „Unter Fachleuten ist unstrittig, dass Erziehungscamps nicht viel bringen“, sagt Winfried Bodenburg, Landesbeauftragter Jugendsachen beim LKA Niedersachsen. „Wir müssen viel früher ansetzen und verhindern, dass sie überhaupt in den Bereich krimineller Karrieren abgleiten.“ Der Polizei-Jugendexperte fordert mehr Plätze für betreutes Wohnen, wo auffällige Jugendliche bis zu ein Jahr untergebracht und intensiv pädagogisch betreut werden können – „je früher, desto besser“. Erziehungscamps seien nicht viel billiger, brächten aber sehr viel weniger. „Hinterher zuzuschlagen zäumt das Problem am falschen Ende auf“, sagt Bodenburg.

Lediglich ein Vorschlag der Union findet auch in der Fachwelt Zustimmung: der Entzug des Führerscheins, beziehungsweise das Verbot, überhaupt einen zu machen. Dies könnte nach Ansicht von Praktikern tatsächlich ein wirksames Mittel sein – zur Erziehung. Alle anderen Ideen werden entweder für unsinnig gehalten, für wirkungslos oder sind wie Warnschussarreste bereits Realität, auch wenn die Union etwas anderes suggeriert.

Erziehung im Übrigen ist das zweite Unterscheidungsmerkmal, das Roland Koch und die Union derzeit bewusst vermeiden. Das deutsche Jugendstrafrecht soll in erste Linie nicht strafen, es will erziehen und so verhindern, dass ein Jugendlicher dauerhaft kriminell wird. Sein Kern ist die Überzeugung, dass Delinquenz ein mehr oder minder ausgeprägter, vor allem aber vorübergehender Teil des Heranwachsens ist, eine Phase, die fast jeder Jugendliche durchlebt und in der es Lenkung und Grenzen braucht. Die Union dagegen möchte wegsperren. Das jedoch bewirkt eher das Gegenteil des Erwünschten: Von den Jugendlichen, die ins Gefängnis kamen, wurden laut unterschiedlichen Studien mehr als 70 bis 80 Prozent rückfällig. Von denen, die Bewährungsstrafen erhielten, lediglich 50 Prozent.

Das heißt nicht, dass mildere Strafen zu weniger Kriminalität führen – es bedeutet aber auch nicht, dass härtere Strafen die Kriminalität verringern. Der Einfluss der Strafhöhe auf die Zahl der Straftaten ist einfach sehr klein.

„Der Erziehungsgedanke sollte keinesfalls aufgegeben werden“, sagt Bodenburg. Im Gegenteil, er müsse, wenn denn Änderungen diskutiert werden, noch sehr viel weiter gehen. Denn nicht Strafe hat Einfluss auf Kriminalität. Genau dort liegt ein weiteres Problem der derzeitigen Debatte. Kaum jemand fragt nach dem „warum“, interessiert sich dafür, wer aus welchen Gründen zum Intensivtäter wird.

Dabei gibt es klare Zusammenhänge. Die meisten Delinquenten dieser Gruppe sind männlich; sie gehen nicht oder nur unregelmäßig zur Schule und werden mit Schlägen erzogen. Daneben gibt es noch diverse andere Faktoren, wie der soziale Zusammenhalt der Stadtteile, in denen sie leben, wie viel Alkohol sie trinken, wie viele ihrer Freunde straffällig wurden und wie ihre Umwelt auf ihre Gewalttätigkeit reagiert. Im Kern sind es das Erleben tradierter Erziehungsmethoden und schlechter Bildungschancen, die Intensivtäter gemein haben. Das nun betrifft überproportional viele ausländische Jugendliche, aber auch junge Spätaussiedler und solche aus dem Osten Deutschlands.

Im Kampf gegen dieses Problem härtere Strafen zu fordern ist ungefähr so sinnvoll, wie einem Schüler mit Lese-Rechtschreibschwäche längeres Nachsitzen zu verordnen, abzuleisten möglichst erst viele Wochen nach dem Diktat. Weniger Schreibfehler macht er so nicht, das kann nur frühe und konsequente Förderung bewirken.

Das deutsche Justizsystem versucht genau das. Beispielsweise wird in vielen Städten inzwischen jeder Intensivtäter egal, was er anstellt, von immer demselben Kommissariat betreut. Früher landeten die Akten auf immer neuen Schreibtischen, je nach Delikt und je nachdem, wer gerade Dienst hatte. So fiel auch kaum auf, wenn ein Täter oft in kurzem Abstand immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt kam. Das ist heute häufig anders.

Außerdem werden nicht nur Anzeigen aufgenommen, sondern immer häufiger wird auch das Gespräch mit den Familien und eventuell betreuenden Organisationen und Behörden gesucht. Und es gibt ständige „Ansprachen“, wo immer sich ein auffälliger Jugendlicher aufhält, ob zu Hause, an üblichen Treffpunkten seiner Clique oder an typischen Tatorten – die Polizei ist schon da und zeigt, dass sie ihn kennt. Dabei arbeitet sie eng mit Sozialbehörden und Vereinen zusammen und bemüht sich, anhand „weicher Faktoren“ wie Schulschwänzen früh zu erkennen, ob jemand abgleitet. Am liebsten würden die Beamten schon in die Kindergärten gehen, um so früh wie möglich Probleme zu erkennen.

Das hilft tatsächlich, braucht allerdings sehr viel Personal. In Niedersachsen beispielsweise gibt es 600 „Jugendsachbearbeiter“ bei der Polizei – für 43.000 Delikte. Es ist nicht eben sinnvoll, dass beispielsweise unter Roland Koch in Hessen hunderte Stellen bei der Polizei gestrichen und Millionen Euro bei Jugendhilfe- und Beratungsprojekten gekürzt wurden.

Braucht es nun Änderungen im Jugendstrafrecht? Der deutsche Richterbund beispielsweise, der sich von einigen Debattierenden persönlich angegriffen sieht, findet das Jugendstrafrecht gut, so wie es ist. „Das Instrumentarium reicht aus“, sagte der Vorsitzende des Bundes, Oberstaatsanwalt Christoph Frank der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Es müsse nur voll zur Verfügung stehen. Mit anderen Worten: schnelle Verfahren, schnelle Verurteilung, schneller Strafantritt.

Ähnlich denkt man auch bei der Gegenseite, der Bundesrechtsanwaltskammer. Urteile ein Jahr nach der Tat hätten keine erzieherische Wirkung mehr, heißt es dort. Das Gleiche glaubt die Polizei. „Wir müssen schneller arbeiten“, sagt Bodenburg vom LKA Niedersachsen. Alle drei Faktoren aber hängen nicht von den Gesetzen ab, sondern von der Ausstattung der Gerichte, der Polizeidienststellen, der Gefängnisse und der Jugendhilfevereine.

Die nicht eben für ihre laxen Vorschläge bekannte Innenministerkonferenz kommt denn auch zu ganz anderen Empfehlungen als die nun so aufgeregten Unionspolitiker – und zwar die Innenminister aus den Unionsländern genauso wie die aus den SPD-regierten. Noch bessere Vernetzung aller beteiligten Stellen fordert sie, Aufnahme von Intensivtätern in die Kriminalstatistik und eine bundeseinheitliche Definition für sie, mehr Augenmerk auf Risikofaktoren wie Schulschwänzen und eine bessere Kooperation mit den Schulen. Tenor: Prävention.

Im Bundesjustizministerium weist man außerdem darauf hin, dass in der Debatte darauf geachtet werden sollte, "dass Problem nicht nur auf eine Bevölkerungsgruppe zu reduzieren". Schließlich seien an Vorfällen wie in München nicht nur ausländische Jugendliche beteiligt, gebe es doch ebenso brutale Gewalt von Deutschen gegen Ausländer. Grundsätzlich hält man es auch im Justizressort für sinnvoller, das geltende Recht so schnell wie möglich umzusetzen, statt es zu ändern. "Man muss aufpassen, dass man keine falsche Sicherheit vorgaukelt", sagte ein Sprecher. Im Übrigen würden all diese Vorschläge schon seit Jahren immer wieder gemacht. "Bisher wurden sie immer wieder verworfen."

Doch die politische Debatte führt nicht nur am Problem vorbei. Sie verursacht auch einen gefährlichen Kollateralschaden, ja nimmt ihn möglicherweise gar in Kauf: Mit ihren Argumenten sät die Union Zweifel daran, dass das bisherige Jugendstrafrecht sinnvoll ist. Das ist grob fahrlässig.
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