Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen - Kinder- und Jugenddelinquenz

Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

© ZEIT online 15.1.2008 - 11:36 Uhr
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Rückkehr des Rambo

Von Franz Walter

Roland Koch hat mit seiner Kampagne zum Jugendstrafrecht eine gefährliche politische Methode wiedererweckt: den bewussten Tabubruch.
Jürgen Möllemann und sein Epigone Roland Koch

Jürgen Möllemann und sein Epigone Roland Koch

© Foto: Getty Images; Montage: ZEIT online Grafik

Man hatte nach dem tiefen Fall des Jürgen W. Möllemann für einige Jahre den Eindruck, dass die Lieblingsstrategie ehrgeiziger Politiker der 1980er und 1990er Jahre, gezielt gegen den politischen Comment zu verstoßen, nachhaltig diskreditiert war. Doch in Hessen erleben wir die Rückkehr dieser hochtückischen Methode durch einen Regierungschef in Wahlkampfnöten. Und schon jetzt ist die Dynamik der Eskalation, die diesem politischen Instrument innewohnt, klar erkennbar.

Denn die Politik der Provokation erfordert Härte, eiserne, ja: zynische Konsequenz. Schließlich wirkt eine Politik des Tabubruchs nur, wenn sie permanent weitergetrieben wird. Die jeweils nächste aufschreckende Forderung muss immer noch ein Stück schärfer und hybrider ausfallen. Sonst droht die Aufmerksamkeit – jenes kostbare Gut in der Mediengesellschaft – zu verpuffen.

Eben das aber entgrenzt Politik, enthemmt und radikalisiert sie. Eine solche Politik trägt mindestens die Möglichkeit des Extremismus in sich. Freie Demokraten könnten davon traurige Lieder singen. Ein wenig wundert man sich schon, warum sie – die doch als Liberale firmieren und denen Toleranz und sorgsame Rechtsstaatlichkeit besonders am Herzen liegen sollte – in diesen Tagen einfach nur schweigen und ganz vorbehaltlos mit dem christdemokratischen Kampagnero Koch den politischen Bund in Hessen anstreben.

Dabei haben sie 2002 selber denkbar trübe Erfahrungen mit dem plebiszitären Populismusstil des unseligen Tandems Möllemann/Westerwelle machen können. Als traditionell honorable Parteien des arrivierten liberalen Bürgertums ist ihre Parteiseele daran fast zugrunde gegangen, als sie realisierte, wohin eine solche Politik der Maßlosigkeit führte. Das FDP-Estabilishment war am Wahlabend 2002 jäh ernüchtert und mochte sich auch nicht der neu hinzugewonnenen Wählerschichten erfreuen. In gutbürgerlichen Wohngegenden habe man massiv Stimmen verloren, in den Quartieren der Abgehängten aber zugelegt, klagte seinerzeit besorgt der frühere Generalsekretär Werner Hoyer: „Dieser Austausch ist lebensgefährlich.“
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Die politische Strategie, die dem populistischen Kalkül zugrunde liegt, ist überaus riskant. Denn die Anführer des Tabubruchs müssen Virtuosen der fortwährenden Zuspitzung, der Steigerung der Bedrohungsszenarien sein. Sie agieren dann aber nicht mehr als Vertreter aufgeklärter und besonnener Bürger, sondern nutzen ihre Partei als Protestvehikel des Ressentiments und der radikalen Ungeduld.

Der Tabubrecher macht den Kraftmeier, den Rambo, geriert sich als der Held für all diejenigen, die gern selber stark wären, aber es partout nicht sein können. Er ist auf der Suche nach dem mobilisierenden Thema, der aggressiven Zuspitzung, der boulevardesk transportierbaren Kampagne. Selbst aus der Regierung heraus muss er vernehmlich Budenzauber veranstalten, sonst schwindet sein Nimbus als Kraftnatur und Trüffelschwein für gesellschaftliche Fragen, die den „einfachen Leuten“ unter den Nägeln brennen.

Plebiszitäre Tabubrecher dieser Machart ideologisieren und polarisieren die Gesellschaft. So aber repolitisieren sie auch die Parteikonkurrenz. Nicht zuletzt deshalb konnte es Andrea Ypsilanti als ausgewiesene Linke in der hessischen SPD schaffen, trotz der deutlichen Distanz der Parteiführung, nach vorn zu kommen und sich peu à peu Chancen für einen Wahlerfolg zu erarbeiten.

Übrigens ist dies eine europaweite Erfahrung: Die Macho-Tabubrecher fördern regelmäßig den Kontrast feminin repräsentierter Gegenfiguren, wie zum Beispiel in Frankreich im Duell Nicolas Sarkozy/Segolene Royal. Links und weiblich – das reüssiert eben eher gegen einen Roland Koch als gegen einen Christian Wulff oder Ole von Beust.

Der Parteienforscher Franz Walter ist Professor für Politikwissenschaft in Göttingen.
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ZEIT online 03/2008
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Wo wird die Kampagne von Roland Koch noch enden? Im Irrsinn - oder im Wahlsieg. Eine Polemik »
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Die einen halten Roland Koch für den größten Demagogen der Republik, die anderen für den besten Wahlkämpfer der Union. Michael Schlieben hat ihn einen Tag lang begleitet »


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Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

© ZEIT online 15.1.2008 - 18:23 Uhr
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Knast für Crashkids?

Von Arthur Kreuzer

Roland Koch möchte in schweren Fällen schon 12-Jährige dem Strafrecht unterwerfen. Die Forderung ist daneben. Sie verweist aber auf ein reales Problem.

© Marcus Führer dpa/lhe

Seinen sechs Punkten zur Verschärfung des Jugendstrafrechts hat der hessische Ministerpräsident und Wahlkämpfer Roland Koch nun einen siebten Punkt angefügt: Herabsetzung der Strafmündigkeit von 14 auf 12 Jahre bei schweren Gewalttaten. Er denkt an Intensivtäter, die manchmal schon in so jungen Jahren als Einzelne oder in Cliquen Schlägereien und Raube begehen und die Bevölkerung vor allem in Großstädten beunruhigen.

Die Forderung ist nicht neu. Sie war gerade vor einem halben Jahr von der Justizministerkonferenz einhellig abgelehnt worden – Hessen eingeschlossen. Als jetzt postwendend selbst aus der CDU und sogar von dem gleichzeitigen Wahlkämpfer Christian Wulff in Niedersachsen deutlicher Widerstand kam, schränkte Koch seine Äußerungen, die angeblich missverstanden worden seien, so ein: „In Ausnahmefällen könnten Elemente des Jugendstrafrechts bei unter 14-Jährigen angewendet werden.“

Aber sind solche Forderungen angebracht? Sind sie realistisch? Wie gehen wir mit „kriminellen“ Kindern bisher um? Gibt es dort Defizite? Dazu einige Informationen:

Seit dem ersten Jugendgerichtsgesetz von 1923, also seit 85 Jahren, beginnt die Strafmündigkeit in Deutschland mit 14 Jahren. Für Jugendliche von 14 bis 17 Jahren sagt Paragraf 3: „Ein Jugendlicher ist strafrechtlich verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Zur Erziehung eines Jugendlichen, der mangels Reife strafrechtlich nicht verantwortlich ist, kann der Richter dieselben Maßnahmen anordnen wie der Familien- oder Vormundschaftsrichter.“
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Zuvor hatte die Grenze im Kaiserreich seit 1871 bei 12 Jahren gelegen. Auch die Nazis senkten die Strafmündigkeit später zeitweilig wieder auf dieses Alter. Deswegen mahnen Kritiker, das Rad der Geschichte nicht in jene Zeiten zurückzudrehen.

Dennoch haben auch schon früher Politiker und einzelne Juristen die Strafgrenze wieder senken wollen. So kann sich Koch etwa auf den CDU-Politiker und Staatsrechtler Rupert Scholz und den Richter Werner Hinz berufen. Sie begründeten ihre Forderung bereits in den 1990er Jahren mit dem Argument, die „Kinderkriminalität“ nehme beängstigend zu; das Jugendhilferecht reiche nicht aus, dem Problem zu begegnen. Eine Absenkung des Strafmündigkeitsalters liege zudem im internationalen Trend; sie sei gerechtfertigt, weil junge Menschen durch die allgemeine Schulbildung heute früher einsichtsfähig und reif seien.

In seiner abgemilderten Version kann sich Koch auf frühere Forderungen stützen, wenigstens die „familiengerichtliche Erziehungskompetenz“ zu stärken durch Aufnahme strafender und disziplinierender Elemente aus dem Jugendstrafrecht. Auch dies gemeint als Antwort auf schwere Kinderkriminalität.

Betrachtet man die europäische Entwicklung, so liegt die geltende deutsche Regelung im üblichen Bereich. Ohnehin lassen sich unterschiedliche Rechtssysteme schwer vergleichen. Schon bei uns ist die Rechtslage kompliziert. So kann für unter 14-Jährige, die zu verwahrlosen drohen, auch heute schon die Unterbringung in jugendpsychiatrischen Kliniken oder in Heimen der Jugendhilfe nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz richterlich angeordnet werden. Es besteht also keine erkennbare gesetzliche Lücke, um notfalls energisch gerichtlich einzuschreiten.

In Nachbarländern gibt es unterschiedliche Entwicklungen – quer zu der politischen Farbenlehre. Spanien hat unter dem konservativen Aznar unsere Regelung übernommen, also eine bedingte Strafmündigkeit 14- bis 17-Jähriger und ein Übergangsrecht für die Heranwachsenden, zur Tatzeit 18- bis 20-Jährigen. Belgien dagegen hat bereits vor langer Zeit das Strafrecht für unter 18-Jährige komplett abgeschafft. Umgekehrt haben der Sozialist Blair in Großbritannien und der damalige konservative Innenminister Sarkozy in Frankreich die unbedingte Strafmündigkeit auf 10 Jahre herabgesetzt; Anlässe waren die Ermordung des zweijährigen James Bulger in Nottingham durch zwei 11-Jährige und die Massenkrawalle Jugendlicher in Pariser Vorstädten.

Die Begründungen für eine Herabsetzung des Strafalters halten einer Überprüfung kaum Stand. Eine früher einsetzende Pubertät und intensivere Schulausbildung gehen nach entwicklungspsychologischen Erkenntnissen nicht einher mit früherer emotionaler, moralischer und sozialer Reife. Sie ist heute eher erschwert und verzögert. Das liegt an der immer schwierigeren Orientierung, Wertumbrüchen, Auflösung familiärer Erziehungsstrukturen, heimlichen „Miterziehern“ wie Fernsehen, Filmen Computerspielen, gewaltverherrlichenden technischen Medien und diffusen Freizeitwelten.

In vielen Zuwandererfamilien gesellen sich dazu Sprachschwierigkeiten, Abneigung und Ängste gegenüber Behörden, Traditionen von Männlichkeit und Gewalt in der Erziehung, insgesamt geringere soziale Entwicklungschancen sowie eine Entfremdung gegenüber unseren Vorstellungen durch teilweise parallele, abgekapselte Milieus. Und zum Schulbildungsargument ist anzumerken, dass die Pisa-Studien negative Befunde gerade in unteren Bildungsschichten und Randgruppen nachweisen. Überdies ist Schulschwänzen verbreitet, Analphabetentum nimmt zu.

Freilich ist Koch zuzugeben, dass in den 1970er Jahren mit der Kehrtwende von der überholten Fürsorgeerziehung ideologisch bedingt Fehler gemacht wurden und Lücken in der Heimerziehung entstanden sind. Nach dem Modell des US-Bundesstaates Massachusetts wurden seinerzeit beispielsweise in Hamburg und Hessen alle geschlossenen Erziehungsheime ersatzlos abgeschafft. Jugendämter und Jugendgerichte entwickelten Ausweichstrategien: Man wartete ab, bis ein streunender, delinquenter 12-Jähriger strafmündig wurde, um ihn dann in Untersuchungshaft- und Jugendstrafanstalten zu schicken; „Nachschlag“ nennt man das. Gestörte „crash kids“ wies man in psychiatrische Kliniken ein. Wieder andere wurden in benachbarte Bundesländer verschoben, die noch über geschlossene Heime verfügten. Oder man brachte sie in ferne Länder mit sozialarbeiterischer Betreuung („Erlebnispädagogik“).

Inzwischen ist man vielerorts klüger geworden. Statt in überholten Fürsorgeheimen alten Stils werden schwierige Kinder in therapeutischen Wohngruppen, Ersatzfamilien oder offenen Jugendheimen aufgenommen. Wie in Massachusetts muss man aber einräumen, dass einige wenige dort nicht zu halten sind und wenigstens vorübergehend geschlossener Unterbringung bedürfen. Es mangelt jedoch noch an der Bereitschaft mancher freier Träger, einige Heime mit geschlossenen Abteilungen und zumindest zeitweiliger sicherer Aufnahme zu versehen.

Zweifellos ist eine geschlossene Unterbringung und Betreuung sehr teuer. Sie ist nur vertretbar, wenn sich um die betroffenen Kinder pädagogisch qualifizierte Personen rund um die Uhr kümmern und der Einschluss sich auf ein unbedingtes Mindestmaß begrenzt.
In diesem Zusammenhang sind auch Erziehungscamps – Freiwilligkeit auf beiden Seiten vorausgesetzt – für einige gefährdete Kinder diskutable Alternativen. Wenig hilfreich erscheint es, wenn sie mit Nazi-Erziehungslagern in Verbindung gebracht und so diffamiert werden.

Wissenschaft und Praxis müssen zudem alternative Modelle entwickeln und evaluieren. Und sie müssen prüfen, um wie viele Kinder es überhaupt geht. Riesige Zahlen werden es nicht sein. Es mögen bundesweit 100 bis 500 kindliche „Intensivtäter“ sein, die wir so intensiv behandeln müssen.

Alle Fachverbände, 1000 Wissenschaftler und Praktiker haben sich dieser Tage den Forderungen nach Verschärfung des Jugendstrafrechts und Herabsetzung der Strafmündigkeit widersetzt. Die Große Koalition sollte sich daher vor faulen Kompromissen hüten.

Aber die Diskussion hat auch ein Gutes: Es wird wieder über Jugendstrafrecht, über Gewalt, über Integration von Zuwanderern, über Ursachen und Vorbeugung bei Jugendkriminalität ernsthaft diskutiert. Bayern hat sogar ein positives Signal gesetzt: eine Verstärkung schulischer Sozialarbeit. Auf solchen, und nur auf solchen Wegen sollte die Politik nach den Wahlkämpfen weitergehen.

Arthur Kreuzer ist emeritierter Professor für Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug an der Universität Gießen.



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ZEIT online 03/2008
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Jugendstrafrecht – Was tun?
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Wie sollte sich die Gesellschaft vor jugendlichen Straftätern schützen? Und wie kann man verhindern, dass junge Menschen kriminell werden? Hintergründe und Kommentare »

http://www.zeit.de/online/2008/03/kinderknaeste-kreuzer?page=all

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

«Stubenarrest» hinter Gittern
Ein paar Tage in der Zelle sollen straffälligen Jugendlichen einen Denkanstoß geben

Berlin (ddp). Marc* lebt im Märkischen Viertel, einem Problemgebiet im Stadtteil Reinickendorf. «Da wird man als minderwertig betrachtet, wenn man keine Anzeigen hat», erzählt er. «Du musst dich da behaupten, sonst gehst du unter.» Alle seine Freunde sind schon straffällig geworden.

Die erste Anzeige kam bei ihm mit 13 Jahren. Zuerst waren es Graffiti-Schmierereien und Fahrraddiebstähle, später Drogendealereien und Einbrüche. 36 Anzeigen hat er mittlerweile angehäuft - genug, um sich nicht mehr täglich behaupten zu müssen, wie er sagt. Zuletzt kam Körperverletzung dazu. Drei junge Männer hat er zusammengeschlagen, einem hat er die Nase, dem Zweiten eine Rippe gebrochen.

Jugendknast war «Horror»
16 Tage lang saß Marc dafür in Untersuchungshaft im Jugendknast. An eine Herberge erinnerte ihn dort nichts. «Das war Horror», sagt Marc. Drohungen, Schikanen, Disziplin und Angriffe von Mithäftlingen - die Zeit dort hat ihn so geschockt, dass er anschließend keine Anzeigen mehr kassiert hat. Weil er gegen seine Bewährungsauflagen verstoßen hat, musste er noch einmal in den Arrest. Das Knasterlebnis ist nicht der einzige Grund für seinen Sinneswandel: Marc hat sich verliebt. Seiner Freundin zuliebe lässt er seine Kumpels mittlerweile alleine zu Einbrüchen losziehen.

Auch Toni* hat gerade jemanden kennengelernt. Seine neue Freundin weiß nicht, dass er im Moment ein Flurnachbar von Marc ist. Damit er sie nicht noch einmal anlügen muss, will er mit dem Zuschlagen aufhören. Auch er sitzt wegen gefährlicher Körperverletzung zwei Wochen lang hinter den vergitterten Fenstern der Arrestanstalt. In ein paar Monaten fängt Toni eine Ausbildung zum Physiotherapeuten an, in seiner Zelle stapeln sich die aufgeschlagenen Lehrbücher. Wer während der Ausbildung bei einer Straftat erwischt wird, fliegt raus. «Für mich ist das ein Riesenanreiz, mit dem Mist aufzuhören», sagt der 21-Jährige. «Und das hat mir keiner ins Hirn gepredigt, das sage ich mir selbst.»

Drogenprobleme als Auslöser für Gewalt
Toni kommt aus geordneten Verhältnissen, aus einem «guten Elternhaus». Irgendwann bekam er Probleme wegen Drogen, hat sich ein paarmal geschlagen. Ein knappes Dutzend Anzeigen hat ihm das bislang eingebracht, dreimal stand er vor Gericht. «Ich bin mit den schlimmsten Erwartungen hier reingegangen», sagt Toni. Strenge und Drill hatte er erwartet - und wurde «enttäuscht».

Für die Jugendlichen soll der kurze Freiheitsentzug in der Arrestanstalt ein Denkanstoß sein, sagt Leiter Thomas Hirsch. Für manchen sei es ein Scheideweg - der letzte Abzweig vor dem Gefängnis. Auf Knastatmosphäre wird bewusst verzichtet. «Vielleicht wäre es für die Jugendlichen besser, wenn sie es hier härter hätten», meint Toni.

Jugendgefängnis macht Jugendliche kaputt
Die aktuellen Vorschläge, das Jugendstrafrecht grundsätzlich zu verschärfen, gehen ihm trotzdem zu weit. «Ein Elfjähriger würde im Arrest nur an die falschen Leute geraten», meint er. 14- oder 15-Jährige ins Jugendgefängnis zu stecken, ist auch für Marc nicht der richtige Weg. «Die gehen daran kaputt», sagt er. «Man kann die Leute nicht einfach wegsperren oder abschieben und meinen, damit sei alles geregelt.»

Hirsch hält die Debatte um Jugendgewalt für «verheerend». Er arbeitet auch als Jugendrichter am Amtsgericht Tiergarten. Alle kriminologischen Untersuchungen hätten gezeigt, dass härtere Strafen nicht zu weniger Kriminalität führten. «Vor allem nicht bei Jugendlichen», sagt er, «die handeln oft spontan.»

22.01.2008 SR
http://www.e110.de/artikel/detail.cfm?pageid=65&id=86058

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

Mittwoch, 23. Januar 2008, 09:03 Uhr
Koch verteidigt Wahlkampfstrategie

Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hat seinen umstrittenen Wahlkampfstil in Hessen verteidigt. „Sicher hat die Debatte über die innere Sicherheit die Menschen polarisiert, wenn auch auf beiden Seiten“, sagte Koch dem Sender RBB. Diese Debatte sei aber auch weiterhin wichtig. Koch hob hervor, in einem Wahlkampf müsse über die Dinge gesprochen werden, die die Menschen bewegten. Neben der inneren Sicherheit sei das die Frage der wirtschaftlichen Entwicklung. Bei den Landtagswahlen am Sonntag rechnet Koch nach eigenen Worten in Hessen mit einem knappen Ergebnis. Alle Umfragen zeigten, dass es „Spitz auf Knopf“ stehe.
http://www.bild.t-online.de/BILD/news/telegramm/news-ticker,rendertext=3557982.html?o=RSS

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

© ZEIT online 22.1.2008 - 14:34 Uhr

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Fehlende Integration kommt teuer

Die unzureichende Integration von Zuwanderern kostet den deutschen Staat jährlich schätzungsweise 16 Milliarden Euro. Das ist das Ergebnis einer Studie der Bertelsmann-Stiftung
Integrierte Zuwanderer wie diese Frauen arbeiten häufiger, verdienen mehr - und zahlen mehr Steuern und Sozialabgaben

Integrierte Zuwanderer wie diese Frauen arbeiten häufiger, verdienen mehr - und zahlen mehr Steuern und Sozialabgaben

© Sean Gallup/Getty Images

Um zu ermitteln, welche Eingliederungsmaßnahmen am sinnvollsten sind, ließ die Bertelsmann Stiftung von Forschern des Büros für Arbeits- und Sozialpolitische Studien (BASS) gut und schlecht integrierte Zuwanderer in Deutschland vergleichen. Dabei zeigten sich deutliche Unterschiede in der Erwerbstätigkeit, die wiederum stark von den Sprachkenntnissen und dem Bildungsstand abhängen.

Während von den wenig integrierten Zuwanderern in Deutschland 16 Prozent arbeitslos gemeldet sind, sind es der Studie zufolge bei den integrierten nur 11 Prozent. Sie unterscheiden sich damit kaum von der Gesamtbevölkerung. Erwerbstätige Zuwanderer, die integriert sind, verdienen zudem rund 7500 Euro mehr im Jahr als die weniger integrierten. Dadurch liefern sie im Schnitt jährlich rund 1900 Euro mehr an Einkommenssteuern an die öffentliche Hand und zahlen rund 1200 Euro mehr in die Sozialversicherungen ein.

In der Summe kostet die mangelnde Integration demnach Bund und Länder jeweils 3,6 Milliarden Euro pro Jahr an entgangenen Einnahmen. Die Kosten der Kommunen liegen bei 1,3 Milliarden Euro, die der Sozialversicherungen bei 7,8 Milliarden Euro. Auch die Wirtschaft könnte der Studie zufolge von einer besseren Eingliederung der Zuwanderer profitieren, da die Produktivität der integrierten Ausländer und Aussiedler höher sei.

Als zentrale Voraussetzung für eine erfolgreiche Teilnahme am Arbeitsmarkt sehen die Forscher die Integration der Zuwanderer in anderen Lebensbereichen. Unverzichtbar seien gute Sprachkompetenzen und ein gutes Bildungsniveau. Als weitere Variable wird in der Studie das soziale Engagement hinzugezogen. Zuwanderern, die sich zum Beispiel in Vereinen, Bürgerinitiativen oder Parteien engagierten und so über soziale Netzwerke verfügten, helfe dies bei der Arbeitsplatzsuche.
38 Prozent der Zuwanderer in Deutschland, vor allem aus der zweiten Generation, wertet die Studie nach diesen Kriterien als integriert, 55 Prozent als wenig bis gar nicht integriert. Das entspricht immerhin einer Zahl von rund 4,5 Millionen Menschen. Insgesamt machen Zuwanderer und deren Nachkommen fast 20 Prozent der Bevölkerung und 15 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland aus.

"Defizite bei der Integration kommen die Gesellschaft teuer zu stehen", sagte Johannes Meier, Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung, bei der Vorstellung der Studie. Verstärkte Investitionen seien vor allem im Bildungsbereich notwendig, weil hier die Weichen für die aktive Teilnahme am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben gestellt würden. Insbesondere die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen aus Migrantenfamilien müssten verbessert werden.
© ZEIT online


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Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

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Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

© DIE ZEIT, 24.01.2008 Nr. 05

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Mr. Schlaff und Mrs. Tough

Von Christian Denso

Wie zwei Jugendrichter in Berlin und Hamburg für Schlagzeilen sorgen

© Sabine Gudath für DIE ZEIT

Draußen bricht die Dämmerung über Berlin herein. Drinnen, an ihrem Schreibtisch im Amtsgericht Tiergarten, redet sich Kirsten Heisig warm über junge Serientäter, deren »Lebenslauf schon mit 14 Jahren gescheitert ist«. Sie spricht von kriminellen libanesischen Großfamilien, »unsichtbaren Eltern« und Richtern, die mit dem Urteilen kaum hinterherkommen. Von Kollegen in der Behörde, die »vom Sofa fielen, wenn Frau Heisig wieder in der Glotze erschien«. »Das ist jetzt aber nicht mehr so«, sagt die Frau vom Niederrhein und lacht.

Wer wissen will, wo genau »das Problem« liegt, über das Deutschland seit jenem Überfall in der Münchner U-Bahn so intensiv diskutiert, der ist richtig bei dieser Jugendrichterin. Kirsten Heisig urteilt genau dort, wo sich in der Tat ein Problem zuspitzt, das mancher pauschal für die ganze Republik diagnostiziert: Die 46-jährige Mutter zweier Mädchen ist zuständig für das Rollberg-Viertel in Berlin-Neukölln, Hochburg der Intensivtäter in der Hauptstadt. Mehr als ein Viertel von ihnen leben im Norden dieses Bezirks.

Mit Sätzen über Intensivtäter wie »Dort finden wir selten andere Namen auf den Akten als türkisch-arabische. Die leben hier in einer Parallelwelt« könnte sie derzeit durchaus in Roland Kochs Wahlkampfzirkus glänzen. Die Praktikerin wehrt sich jedoch entschieden dagegen, in die Populistenecke geschoben zu werden: »Die aktuelle Diskussion über die Ursachen von Jugendkriminalität ist so überfällig wie unterirdisch«, sagt sie.

Wer Heisigs Büro in einem Moabiter Behördenanbau, einem steinernen Gerichtsgebirge der frühen achtziger Jahre, betritt, fällt fast über den Schreibtisch. In Kämmerchen E 302 hängt kein Bild an der Wand. Nichts Persönliches findet sich hier außer einer Klappkarte mit Fotos ihrer Töchter, elf und dreizehn Jahre alt. Der Linoleumboden ist grau, die Wände sind blassgelb – verräuchert. Kein Ort, der nach Revolution aussieht. Und doch hat Richterin Heisig zumindest die Berliner Jugendgerichtswelt ein bisschen revolutioniert.

»Man muss sie auch ein bisschen mögen, diese fehlgeleiteten Jungs«

Lange hat die Juristin, die mit einem Oberstaatsanwalt verheiratet ist, »von links nach rechts« gearbeitet. So nennt sie es, wenn sie ihre Fälle in den rosa Aktendeckeln von der einen Seite ihres Pressholztisches auf die andere schiebt. »Aber mir fiel irgendwann auf, dass ich inhaltlich immer weniger bewegen konnte«, sagt Heisig.

Gemeinsam mit ihrem Kollegen hat sie deshalb dem Tagesspiegel ein Interview gegeben. Eine Seite groß geriet die brisante Zustandsbeschreibung der Gewaltrealität. Sie erschien im November 2006, am Tag der Ernennung von Berlins Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD). Unbeabsichtigt, sagt Heisig. Die Senatorin war wenig begeistert über Aussagen wie »die jugendlichen Opfer, zumeist Deutsche, haben inzwischen schon so eine Art Resignation entwickelt«. Man macht so etwas eigentlich nicht in der Richterwelt. Heisig erinnert sich: »Diese Nichtreaktion mancher Kollegen, eine Art kollektive Schockstarre, das war schon unheimlich.« Heute klopfen ihr viele durchaus mal auf die Schulter: »Genau richtig, was du gestern in der Abendschau gesagt hast.«

Kirsten Heisig erlebt seit jenem Novembertag 2006, was Achim Katz 300 Kilometer von ihr entfernt seit Jahren kennt – wenn auch mit entgegengesetzten Vorzeichen. Reift sie gerade zum Liebling der Medien, weiß der Jugendrichter aus Hamburg-Altona, ebenfalls in Teilen ein »Kriminalitäts-Brennpunkt«, wie es sich anfühlt, wenn einem der Sturm der öffentlichen Meinung ins Gesicht bläst. Katz, mittlerweile 59 Jahre alt, haftet immer noch das Etikett an, so etwas wie der Kopf eines »Kartells strafunwilliger Jugendrichter« gewesen zu sein, das ein Exkollege namens Ronald Schill zur Jahrtausendwende ganz unhanseatisch im Wahlkampf angeprangert hatte. Noch heute wäre Katz keiner, den beispielsweise Roland Koch vorzeigen würde – was den Richter mit dem Igelhaarschnitt nicht gerade stört. Und was sicher nicht daran liegt, dass Katz, wie er selbst mit herzhaftem Lachen anführt, von Geburt an auf dem rechten Ohr fast taub ist.

Er habe in seinen jährlich etwa 400 Verhandlungen »gute Erfahrungen mit deutlichen Worten« für seine Angeklagten gemacht, sagt der Richter. Katz ist geprägt von seinem Vater, einem »verständnisvollen, herzensguten Jugendrichter«. »Jeder Mensch«, so Achim Katz’ Credo, »hat verschiedene Seiten – neben schlechten immer auch gute, die man bestärken sollte. Man muss sie auch ein bisschen mögen, diese fehlgeleiteten Jungs.« Jugendstrafe, das »Wegsperren«, kommt in diesem Credo zunächst nicht vor. »Lasch oder hart«, sagt der Norddeutsche, »das sind keine Kriterien des Jugendstrafrechts.« Es gehe jeweils nur um die für den Täter angemessene, Erfolg versprechende Maßnahme.

Der Reserveleutnant, der den Wehrdienst im Nachhinein friedensbewegt verweigerte, blickt eher gelassen auf die aktuelle Debatte – und ist von seiner Linie überzeugt: »Das Jugendstrafrecht funktioniert nicht so schlecht, wie immer behauptet wird. Wir müssen es den Menschen nur besser erklären.« Die schlechte öffentliche Reputation manches Jugendrichters erklärt er sich auch damit, dass es um »Phänomene geht, die man nicht TV-gerecht in zwei Sätzen erklären kann«.

»Es wird zu Recht gesagt, dass wir Jugendrichter zu langsam sind«

Kirsten Heisig und Achim Katz, zwei Jugendrichter aus Deutschlands größten Städten, bilden so etwas wie zwei Pole im großen Spektrum der deutschen Jugendrichter. Wobei ihnen durchaus gemeinsam ist, dass sie etwa 40 Stunden in der Woche arbeiten, mit der Sozialdemokratie sympathisieren, bereits Staatsanwälte waren und beide schon als Kinder Richter werden wollten: »Da saß einer, der in schwarzer Robe Probleme von Menschen löste«, erinnert sich Kirsten Heisig an ihren ersten Besuch bei Gericht als Achtjährige.

Beide, Katz wie Heisig, halten das geltende Jugendstrafrecht im Großen und Ganzen für ausreichend – und wundern sich über seine altertümlichen Begriffe wie »Zuchtmittel« oder die »schädlichen Neigungen« eines Jugendlichen. Beide lehnen Politikerideen wie Führerschein- und Handyverbote als »Blödsinn« (Katz) respektive »Unfug« (Heisig über Haftstrafen für Kinder) ab. Beide sagen, ihre Aufgabe sei in den meisten Fällen, die Jugendlichen zu »begleiten«, bis ihre kriminelle Phase mit 18, 20 Jahren zur Episode wird. »Bagatelldelikte gehören bei vielen zum Aufwachsen dazu«, so Katz. Wie Kirsten Heisig ist er jedoch durchaus skeptisch, ob das juristische Instrumentarium für Intensivtäter ausreicht.

Aber ist es bloß Zufall, dass der Hamburger Richter in 21 Berufsjahren als höchste Strafe knapp fünf Jahre Jugendgefängnis verhängt hat, die Hälfte des möglichen Strafrahmens? Bei Kirsten Heisig, vor der sich auch keine Mörder verantworten müssen, war das Maximalurteil in anderthalb Jahrzehnten sieben Jahre und drei Monate.

Die kleine Revolution, die die Richterin wohl auch dank ihres engagierten öffentlichen Auftretens innerhalb des Öltanker-ähnlichen Berliner Justizapparats mit durchsetzte, besteht vor allem aus zwei Dingen: dem seit Neujahr ins Werk gesetzten Versuch, schneller zu strafen – und das Schulschwänzen, mit dem kriminelle Karrieren oft beginnen, konsequenter zu stoppen. In vereinfachten Verfahren, die das Gesetz seit Jahren erlaubt, sollen junge Täter bei unkomplizierten Sachverhalten binnen ein, zwei Wochen zu maximal einem Monat Arrest verurteilt werden. Während Kollege Katz provozierend formuliert, »der Satz, Strafe muss auf dem Fuß folgen, kommt aus der Kleinkind- und Haustiererziehung«, räumt die Berlinerin ein: »Es wird zu Recht gesagt, dass wir Jugendrichter zu langsam sind.« Heisig ist eine von sechs Richtern, die nicht mehr nach Postleitzahlen arbeiten, sondern für ein bestimmtes Stadtviertel zuständig sind. Sie arbeiten dazu eng mit Polizei und Staatsanwaltschaft zusammen. So kennt die Jugendrichterin jeden Ermittler »ihres« Abschnitts 55.

Die Eltern von Schulschwänzern, auch wenn sie von Hartz IV leben, will die resolute Richterin nötigenfalls mit Bußgeldern von bis zu 2500 Euro (Heisig: »Es gibt ja auch Ratenzahlung«) oder Erzwingungshaft dazu bewegen, ihre Kinder regelmäßig zum Unterricht zu schicken. Zuständig dafür waren bislang Verkehrsrichter, die die Verfahren überwiegend einstellten.

Wer lange mit Kirsten Heisig spricht, wird irgendwann eine Zahl von ihr hören, die sie bewegt. Die größte Integrationsanstrengung steht demnach zumindest in Großstädten erst noch bevor: »Jedes zweite Berliner Kleinkind im Alter von bis zu zwei Jahren«, sagt die 46-Jährige, »hat mittlerweile einen Migrationshintergrund.« Damit umzugehen, das ist ihrer Meinung nach die größte Herausforderung. Sie übersteigt die Möglichkeiten der Jugendrichter bei weitem.

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Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

Mittwoch, 30. Januar 2008
Auf Distanz zu Roland Koch
Liberale in der CDU melden sich

Gut drei Wochen vor der Bürgerschaftswahl in Hamburg gehen das Kanzleramt und mehrere Unions-Spitzen um CDU-Bürgermeister Ole von Beust auf Distanz zum Wahlkampf des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch.

Nach einem Treffen mit 70 Vertretern von Migrantenverbänden kritisierte die Integrationsbeauftragte von Kanzlerin Angela Merkel, Maria Böhmer: "Wenn Migranten die Empfindung haben müssen, dass ihre Kinder zu Fremden erklärt werden, dann verunsichert das alle." Zuspitzungen dienten nicht der Integration. "Das Wir-Gefühl muss gestärkt werden", forderte die CDU-Politikerin.

"Integration kein schnelles Wahlkampfthema"

Mit Blick auf die scharfen Wahlkampf-Auseinandersetzungen schrieben 17 Politiker von CDU und CSU in einem von der "Zeit" vorab verbreiteten offenen Brief: "Integrationspolitik ist so fundamental für die Zukunft unseres Landes, dass sie nicht zu einem Wahlkampfthema degradiert werden darf."

Zu den Unterzeichnern des Unions-Briefes gehören neben von Beust auch Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Armin Laschet (CDU) und Bayerns Sozialministerin Christa Stewens (CSU). Weitere Unterzeichner des Briefs sind Innen-Staatssekretär Peter Altmaier, der Berliner CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz, und Ex-Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth.

Die 17 Unterzeichner, darunter auch mehrere Oberbürgermeister von Großstädten, greifen Koch nicht direkt an. Sie schreiben aber: "Wir brauchen einen neuen überparteilichen Konsens für die Integrationspolitik zusammen mit Migranten und der Mehrheitsgesellschaft, der auch über Wahlkämpfe hinweg hält und trägt." Die Unionspolitiker antworteten auf einen offenen Brief von 21 Deutsch-Türken, die während des Hessen-Wahlkampfs ebenfalls in der "Zeit" mehr Sachlichkeit in der Debatte um Jugendgewalt gefordert und Roland Koch scharf kritisiert hatten.

Die älter werdende Gesellschaft, in der 38 Prozent der Kinder eine Zuwanderungsgeschichte hätten, brauche die Potenziale eines jeden Kindes, das hier geboren sei, heißt es in dem Brief. Es müsse erkannt werden, dass Gewalt kein ethnisches Problem, sondern ein Bildungsproblem sei. "Deshalb muss ein ganzheitliches Bildungskonzept zentraler Baustein der Integrationspolitik sein."

Klarer Kurswechsel - oder doch nicht?

Mit der klaren Kritik wenige Tage nach Kochs Wahldebakel in Hessen vollziehen Böhmer, von Beust sowie die anderen Brief-Unterzeichner einen Kurswechsel: Noch mitten im hessischen Landtagswahlkampf hatten sie Kochs Vorschläge für härtere Jugendstrafen und eine erleichterte Abschiebung junger ausländischer Straftäter in einer gemeinsamen Erklärung des Parteivorstands mitgetragen. Auch offene Mahnungen an ihn, seine polarisierende Kampagne abzuschwächen, blieben aus.

In Hamburg und Bayern finden in diesem Jahr noch Landtagswahlen statt. Koch hatte die Gewalttätigkeit junger Ausländer zum Thema seines Landtagswahlkampfes gemacht. Er büßte bei der Wahl am vergangenen Sonntag 12 Prozentpunkte ein.

Mitunterzeichner Laschet sagte der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", der Brief sei "ausdrücklich keine Kritik an Roland Koch. Seit er in Hessen regiert, wird dort vorbildliche Integrationspolitik gemacht". In dem Brief werde gerade Hessen wie auch Bayern als lobendes Beispiel für gelungene Integration von Ausländern erwähnt. Von Beust sagte der "Welt", der Brief habe mit dem Wahlkampf von Koch nichts zu tun. "Jeder macht seinen Wahlkampf, Herr Koch hat Spaß an der Zuspitzung. Inhaltlich lasse ich auf Herrn Koch nichts kommen."

"Wir wollen nicht mehr Objekte sein"

Über den Hessen-Wahlkampf beschwerten sich die Vertreter der Migrantenverbände bei ihrem Treffen mit Böhmer im Kanzleramt. Yasar Bilgin von der Türkisch-Deutschen Gesundheitsstiftung und Mitglied im Landesvorstand der hessischen CDU, sagte, der Wahlkampf in Hessen sei für die Zuwanderer keine einfache Zeit gewesen. "Wir wollen nicht mehr Objekte sein. Wir wollen Träger des Geschehens sein. Wir wollen unsere Kräfte bündeln."

Böhmer betonte, alle wollten nun aber den Blick nach vorne richten und gemeinsame Anstrengungen für eine bessere Sprachförderung, Bildung und Gewaltprävention unternehmen. Die Migrantenverbände hätten sich auch bereit erklärt, die Elternarbeit zu verstärken, da Gewaltverbrechen oft von Jugendlichen begangen würden, die bereits im Elternhaus Erfahrungen mit Schlägen gemacht hätten. Die Runde wolle sich vor der Sommerpause erneut treffen.

Opposition reibt Salz in die Wunde

Die frühere FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wertete den "Zeit"-Beitrag aus der Union als "verbale Ohrfeige" für Koch. "Das ist die offenkundige Distanzierung vom Wahlkampf Koch und der Beginn der Union, Herrn Koch aus Hessen herauszunehmen", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur.

Grünen-Chefin Claudia Roth forderte die Union auf, sich bei den Vertretern der Migrantenorganisationen für den Koch-Wahlkampf zu entschuldigen. "Bei einer Minderheit von Unionspolitikern scheint diese Einsicht zu reifen, das reicht aber nicht", sagte sie.
http://www.n-tv.de/911936.html

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

ZEIT online 30.1.2008 - 10:05 Uhr
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* Jugendstrafrecht
* Jugengerichte

Gefängnis ist nicht Erziehung

Vor 100 Jahren entstand in Frankfurt das erste Jugendgericht. Der Kriminologe Arthur Kreuzer mahnt anlässlich des Jubiläums und der Jugendgewalt-Debatte zu realistischen Erwartungen an das Jugendstrafrecht
Soll man junge Kriminelle wegsperren? Einschluss in einer Jugendstrafanstalt

Soll man junge Kriminelle wegsperren? Einschluss in einer Jugendstrafanstalt

© Foto: Peter Endig dpa/lhe

An diesem Mittwoch wird in einem Festakt im Frankfurter Römer der Gründung des ersten deutschen Jugendgerichts vor 100 Jahren gedacht. Bundesjustizministerin Zypries und Landesjustizminister Banzer werden Grußworte sprechen. Die Festrede hält der Autor des folgenden Beitrags. Er fragt, was uns das Jubiläum lehrt und wie es angesichts der im Hessen-Wahlkampf verhärteten Positionen zum Jugendstrafrecht weitergehen kann.

Am 30. Januar 1908 tagte erstmals ein Jugendgericht in Frankfurt am Main. Nach dem Vorbild amerikanischer juvenile courts – das früheste 1899 in Chicago – regten der Frankfurter Strafrechtsprofessor Berthold Freudenthal und der Berliner Richter Köhne damals an, auch in Deutschland spezielle Kammern für Jugendliche einzurichten. Gerichtspräsidien änderten daraufhin einfach die Geschäftsverteilung: Die Vormundschaftsrichter sollten zusätzlich alle Strafverfahren gegen 12- bis 18-Jährige übernehmen. Ihnen standen entsprechend spezialisierte Staatsanwälte, dafür bestimmte Schöffen und von den privaten Fürsorgestellen beauftragte Sozialbetreuer zur Seite.

Noch im selben Jahr nahmen Dutzende weitere Jugendgerichte in anderen deutschen Städten die Arbeit auf. Beim ersten Deutschen Jugendgerichtstag 1909 im Charlottenburger Rathaus kamen bereits 250 Fachleute zusammen, um über die weitere Entwicklung zu beraten. 1912 entstand auf Betreiben Freudenthals in Wittlich durch Umwidmung eines Zuchthauses Preußens erstes Jugendgefängnis. Aber erst 1923 verstetigte ein Reichsjugendgerichtsgesetz ein eigenständiges Jugendstrafrecht und die Jugendgerichtsbarkeit. 1953 wurde es von Pervertierungen aus der Nazizeit befreit. Das neue Jugendgerichtsgesetz, das bis heute gilt, bezog nunmehr die „Heranwachsenden“, zur Tatzeit 18- bis 20-Jährigen, ein.

Zweierlei lehrt uns das Jubiläum: Zum einen kann Praxis selbst geltendes Recht modernisieren, ja an seiner Reform mitwirken. Sie eilt dem Gesetzgeber - jenseits tagesaktueller Debatten wie in diesen Wochen – notfalls voraus nach dem Modell des trial and error. Erziehung und Strafe, Jugendhilfe- und Jugendstrafrecht sollten fruchtbar miteinander verbunden werden, beteiligte private Stellen und Behörden miteinander kooperieren.
Zum anderen hat sich die Jugendgerichtsbarkeit aus der Praxis als Schrittmacher für das Erwachsenenstrafrecht erwiesen. Was sich im Jugendrecht bewährte, wurde mitunter modifiziert in das allgemeine Recht übernommen. Aus den Frankfurter „Empfehlungen zu bedingter Begnadigung“ Bestrafter entwickelten sich die spätere gesetzliche Strafaussetzung zur Bewährung, dann die Bewährungshilfe und schließlich ihre Ausweitung auf erwachsene Straftäter. Die Jugendgerichtshilfe zog eine Gerichtshilfe für Erwachsene nach sich. Therapieüberleitungen bei straffälligen Drogenabhängigen, der Täter-Opfer-Ausgleich, soziale Trainingskurse, gemeinnützige Arbeit, Schadenswiedergutmachungs-Auflagen, Vollzug des Freiheitsentzugs in freieren Formen und Übergangshäusern, ja die gesamte informelle, kostengünstigere, sinnvollere Bewältigung von Kleinkriminalität wurden in der Jugendstrafrechtspraxis erprobt und strahlten auf das Erwachsenenstrafrecht aus.

Praxis kann also ein Experimentierfeld sein zumal dort, wo man nach besseren Alternativen zur Strafe, nach Ursachen und Prävention von Kriminalität, nach Möglichkeiten und Grenzen von Resozialisierung fragen muss.

Wie soll es weitergehen? Das fragt man sich vor allem für die Zeit, nachdem sich das Getöse der Wahlkämpfer beruhigt haben wird. Es sind ja nicht unwichtige Fragen gestellt, Sorgen angesprochen, gesellschaftliche Missstände, aber auch diskutable Ansätze für bessere Lösungen aufgezeigt worden.

Dazu gehören eine zügigere Arbeit von Polizei und Justiz, befristetes Fahrverbot, einige wenige geschlossene Einrichtungen für kindliche Intensivtäter, Erziehungscamps in freier Trägerschaft und mit einverständlicher Teilnahme als Vorstufe einer (Wieder-)Eingliederung in normale Wohn-, Ausbildungs- und Verhaltenswelten, sogar die Erhöhung der Obergrenze einer Jugendstrafe für heranwachsende Täter (unter Beibehaltung des Jugendstrafrechts in dieser Altersgruppe). Aber eben auch Ausweitung der Schulsozialarbeit, der Deutschkurse für Zuwanderer, Ganztagsschulen, Kinderkrippen und vieles mehr, um Integration zu fördern und ein Abgleiten gefährdeter Jugendlicher in Chancenlosigkeit, Randständigkeit und Kriminalität vorzubeugen. Insgesamt hat sich jedoch das Jugendstrafrecht bewährt.

Unsere Jugendrichter sind nicht generell zu milde, oft aber gar nicht oder schlecht für ihre Aufgabe vorbereitet. Strafschärfungen drängen sich nicht auf. Die Kriminalitätslage fordert das schon gar nicht. Dem Vorurteil, Jugend werde immer schlimmer, saß schon Sokrates 400 vor Christus auf: „Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren die Lehrer.“

Worauf könnte man sich angesichts kontroverser Positionen der Parteien verständigen? Vielleicht wenigstens darauf, mehr Sachverstand in die Debatte zu bringen und wie in früheren Zeiten einen Strafrechtssonderausschuss zu betrauen, Lösungen möglichst einvernehmlich zu erarbeiten. Vielleicht darauf, dem 1991 im Bundestag beschlossenen „Ersten Gesetz zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes“ das damals schon eingeforderte zweite Gesetz endlich folgen zu lassen.

Ein solches Gesetz müsste etwa die seinerzeit zurückgestellte Frage beantworten, ob der Jugendarrest überhaupt noch zeitgemäß oder abzuschaffen und durch bessere Behandlungsformen zu ersetzen ist, beispielsweise soziale Trainingskurse. Will man unbedingt einen Warnschussarrest, so sollte man ihn mit einer gesetzlich befristeten Erprobungsklausel versehen: Ein Bundesland könnte ihn erproben, wissenschaftlich begleiten lassen und die Ergebnisse mit denen eines anderen Landes vergleichen, da jedenfalls bislang keine Erkenntnisse über bloß behauptete günstige Wirkungen vorliegen.

Zur Hygiene der Debatte trüge es bei, sich über realistische Erwartungen an das Erziehungsziel des Jugendstrafrechts zu verständigen. Da geistern noch allenthalben euphemistische, realitätsferne Begrifflichkeiten und Argumente herum. Sie können zu fehlerhaften, geradezu erziehungswidrigen Entscheidungen führen. So bezeichnete ein Jugendrichter die Jugendstrafe als dem Jugendlichen gereichte Hand des Jugendrichters. Der Bundesgerichtshof definierte sie als „stationäre Gesamterziehung“. Bürokraten nennen Jugendstrafanstalten „Jugend“ - oder „Justizvollzugsanstalten“. Oft ist geradezu diffamierend von Hotelvollzug und Kuschelpädagogik die Rede. All das klingt so, als werde den Jugendstrafgefangenen die bisher ausgebliebene umfassende Erziehung rund um die Uhr zuteil – und das ohne Eltern und feste Bezugspersonen.

Man übersieht oder verschweigt, dass es sich um Strafanstalten handelt. Sie haben trotz aller teils beachtlichen Angebote ersatzweiser Sozialisation unvermeidliche Strafübel zur Folge: Freiheitsentzug, Entmündigung, Verwaltetsein Tag und Nacht, soziale Entfremdung, Subkultur mit Hackordnung, Herrschaft der Stärkeren über die Schwächeren, Männlichkeitswahn, Vereinsamung, Verengung des Bekanntenkreises auf „Knastkumpels“, Stigma des „Knackis“ nach der Haft.

Strafe muss leider sein. Beschränken wir sie jedoch auf das notwendige Maß. Nennen wir sie bei ihrem Namen. Verdrängen oder beschönigen wir nicht Strafübel. Begreifen wir nicht Strafe als Heilmittel, um sie dann leichtfertiger zu verordnen.

Arthur Kreuzer ist emeritierter Professor für Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug an der Justus-Liebig-Universität Gießen.
http://www.zeit.de/online/2008/05/jugendgerichte?page=all

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

Jugendkriminalität: “Wir müssen die Familien stabilisieren”
Artikel von Felix Kubach vom 18.01.2008, 15:03 Uhr im Ressort Politik, Vermischtes | 1 Comment
Georg Ehrmann, Vorstandsvorsitzender von der Deutsche Kinderhilfe, wirft der deutschen
Jugendhilfe Versagen vor. Im Interview für Readers Edition plädiert er für eine groß angelegte
Integrations- und Bildungsoffensive, welche die Familien mit einschließt und nennt Frankreich als
Vorbild. Ansonsten, so Ehrmann, “haben wir keine Chance, Jugendkriminalität zu verhindern.”
RE: Wie beurteilen Sie rückblickend die in den letzten Tagen zum Teil heftig geführte
Debatte um Jugendkriminalität?
Ehrmann: Auch wenn der Anlass ein Wahlkampf ist, die Debatte über Jugendkriminalität in
Deutschland ist überfällig. Mehr als 100.000 unter 14 Jährige (ohne die Dunkelziffer!) waren in
Deutschland im Jahr 2006 straffällig, sind aber strafunmündig. Hier erkennt man, dass die
Jugendhilfe auch auf diesem Feld schlichtweg versagt. Delinquente Kinder und Jugendliche
erhalten in keiner Weise ausreichend die Unterstützung, Förderung und auch Sanktion, die sie
benötigen, um eine Chance zu bekommen, weil dafür das Geld fehlt.
RE: Und was halten Sie vom Vorschlag Kochs, auch schon Kinder unter 14 Jahren hinter
Gitter bringen zu können?
Ehrmann: Es kann natürlich nicht darum gehen, Kinder hinter Gitter zu bringen, dass sieht das
Jugendstrafrecht ja auch nur abgestuft und nach diversen anderen Sanktionen vor. Die Debatte
muss aber geführt werden, wie man 12 oder 13 Jährigen, die bereits mit hoher krimineller Energie
handeln, Herr werden kann, wie man Sie davon abbringen kann, eine kriminelle Karriere
fortzusetzen. Hier können Instrumente des Jugendstrafrechts, verbunden mit einer intensiven
Betreuung durch geschulte Pädagogen, durchaus Wirkung zeigen. Wir brauchen keine
Pauschalisierungen, sondern Einzelfallentscheidungen, zugeschnitten auf die Persönlichkeit und
Reife des jeweiligen Kindes. Daher bringt auch die pauschale Forderung nach mehr geschlossenen
Heimen nichts, die Maßnahmen bringen bei einem Kind etwas, bei einem anderen wiederum
wirken sie kontraproduktiv. Andere europäische Länder handhaben das wesentlich flexibler.
Deutschland liegt mit 14 Jahren ganz oben bei der Strafmündigkeit.
“In Berlin erreichen 40 % der Migranten keinen Schulabschluss”
RE: Wenn es nach Koch ginge, sollten kriminelle Ausländer leichter abgeschoben werden
können. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Ehrmann: Ich halte es für arg verkürzt, wenn das Problem krimineller Ausländer auf die Frage der
Abschiebung beschränkt wird. Die Ursachen der Kriminalität liegen in der mangelhaften
Integration, insbesondere der fehlenden Teilhabe an Bildung, in Berlin etwa erreichen 40 % der
Migranten keinen Schulabschluss, hier müssen wir ansetzen, wenn wir das Problem lösen wollen.
Das Ausländerrecht ist ein sehr restriktives, bereits heute können Straftäter abgeschoben werden,
die Praxis ist da aber nicht konsequent genug.
RE: Wie sehen Alternativen aus, wie kann man Jugendgewalt überhaupt effizient begegnen
und welche politischen Maßnahmen wären dafür notwendig?
Ehrmann: Das Problem beginnt bereits im Kindergarten- und Grundschulalter. Es gilt aber der
Grundsatz, dass Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen erst aktiv werden, wenn bereits ein Fall
gegeben ist und Auffälligkeiten vorliegen. Es fehlt an Ressourcen und Angeboten im Bereich der
Prävention. Solange wir unsere Kinder- und Jugendhilfe nicht umbauen, viel dichter an die KiTas
und Schulen heranbringen, Sozialarbeiter und Psychologen standardmäßig in Schulen, wie etwa in
Frankreich einsetzen, wenn wir gerade in den sozialen Brennpunkten nicht massiv die Angebote
für Kinder und Jugendliche ausbauen, statt sie weiter zu kürzen, haben wir keine Chance,
Jugendkriminalität zu verhindern. Wir brauchen eine Integrations- und Bildungsoffensive, Kinder
und Jugendliche, die Perspektiven haben, sind für Gewalt und Kriminalität weniger anfällig. Wenn
Sie sich die Lebensläufe krimineller Jugendlicher anschauen, dann erkennen Sie, dass dadurch,
dass wir die Eltern in ihrer Überforderung allein gelassen haben, es nicht geschafft haben, ein
flächendeckendes Netz an Familienhilfe zu etablieren, diese ihre Kinder so vernachlässigt und
nicht erzogen haben, dass die kriminelle Karriere absehbar war. Wir müssen also auch hier
unmittelbar bei der Elternhilfe ansetzen und die Familien stabilisieren.
Georg Ehrmann ist Rechtsanwalt. Nach seinem Jurastudium in Bielefeld, Genf und München arbeitete er als selbständiger
Rechtsanwalt und Justitiar einer kassenärztlichen Vereinigung. Ehrmann ist Mitgründer der [2] Deutschen Kinderhilfe
Direkt e.V. und deren Geschäftsführender Vorstandsvorsitzender (Quelle: kinderhilfe.de)

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

31. Januar 2008

* webnews
* Yigg
* folkd
* Mister Wong
* Linkarena
* Del.icio.us



Schrift:
JUGENDGEWALT-KAMPAGNE
CDU-Studie stellt Koch vernichtendes Wahlkampfzeugnis aus

Die Kampagne um ein härteres Jugendstrafrecht hat CDU-Wähler verärgert und vergrault - zu polarisierend ist Wortführer Koch aufgetreten. Zu diesem Ergebnis kommt ausgerechnet eine Wahlanalyse der CDU-nahen Adenauer-Stiftung.

Berlin - Beobachter und Spitzenpolitiker hatten es vermutet: Die von Roland Koch angefachte Debatte um ein härteres Jugendstrafrecht ist für das Wahldebakel der CDU in Hessen verantwortlich. Ganze 12 Prozentpunkte rutschten die Wahlergebnisse in den Keller; Spitzenkandidat Koch gewann nur mit einer hauchdünnen Mehrheit gegen die SPD.

Roland Koch: Schlechtes Zeugnis für harten Wahlkampf
REUTERS

Roland Koch: Schlechtes Zeugnis für harten Wahlkampf
Doch jetzt kommt auch die Konrad-Adenauer-Stiftung in einer Studie zu dem Ergebnis, die Koch-Kampagne habe die Wähler vergrault. Nach Informationen von tagesschau.de heißt es in einer Studie der Stiftung, die Debatte habe der hessischen CDU ein schwerwiegendes "Glaubwürdigkeitsdefizit" beschert. Dagegen hätten 74 Prozent der Wähler der SPD mit ihrem Hauptthema Mindestlohn "Ernsthaftigkeit" attestiert. Besonders pikant: Die Stiftung, die Koch ein derart schlechtes Wahlkampfzeugnis ausstellt, steht der CDU nah.

Die Studie kommt zu dem Schluss, dass eine "hochgradige kurzfristige Emotionalisierung" den Ausschlag für die Wahlentscheidung gegeben habe und nicht etwa langfristige politische Überzeugungen der Wähler, heißt es auf tagesschau.de. Der nach einem Koch-Interview entbrannte Wahlkampf zum Thema Jugendkriminalität habe die politische Stimmung innerhalb kurzer Zeit stark verändert: Die Union rutschte demnach in ein "negatives Meinungsklima".

Aus Sicht der Adenauer-Stiftung führte Kochs Wahlkampf kurzfristig zu einer starken Polarisierung und Lagerbildung mit schweren Konsequenzen. "Er erschwerte für die Wechselwählerschaft den Wechsel zur CDU und für die Stammwähler den Verbleib bei der Partei." Ganz anders sei es bei der vorangegangenen Wahl 2003 gewesen. Damals habe die CDU sogar bei den Grünen-Sympathisanten Wähler mobilisieren können.

Führende Unionspolitiker kritisieren Koch

Die Studie bestätigt damit den Schritt von 17 führenden Unionspolitikern, die sich gestern von dem Wahlkampf in Hessen distanzierten. Das von der Wochenzeitung "Die Zeit" veröffentlichte Schreiben ist eine Reaktion auf einen Brief von 21 Deutsch-Türken, die dem hessischen Ministerpräsidenten das Schüren rassistischer Ressentiments vorgeworfen hatten. Mitunterzeichner sind neben der bayerischen Sozialministerin Christa Stewens (CSU) der Hamburger Regierungschef Ole von Beust und der nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet oder der Berliner CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger und die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (alle CDU).

Später ruderten die Unterzeichner zurück: Der offene Brief in der Wochenzeitschrift "Die Zeit" sollte nicht als Kritik am Wahlkampf des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) missverstanden werden, hieß es. Bei dem Brief sei es "ausschließlich um die Darstellung der Integrationspolitik" gegangen, sagte Stewens im München. Sie fügte hinzu: "Man muss die Dinge beim Namen nennen, nichts anderes hat Roland Koch getan."

Auch von Beust betonte in der ARD, Integration sei ein wichtiges Thema, dem man sich "mit allem Nachdruck annehmen werde. Laschet sagte der Tageszeitung "Die Welt": "Das ist keine Kritik an Roland Koch. Wir loben ja ausdrücklich die hessische Integrationspolitik."

amz/ddp

http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,532208,00.html