Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen - Kinder- und Jugenddelinquenz

Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

31. Januar 2008

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Schrift:
JUGENDGEWALT-KAMPAGNE
CDU-Studie stellt Koch vernichtendes Wahlkampfzeugnis aus

Die Kampagne um ein härteres Jugendstrafrecht hat CDU-Wähler verärgert und vergrault - zu polarisierend ist Wortführer Koch aufgetreten. Zu diesem Ergebnis kommt ausgerechnet eine Wahlanalyse der CDU-nahen Adenauer-Stiftung.

Berlin - Beobachter und Spitzenpolitiker hatten es vermutet: Die von Roland Koch angefachte Debatte um ein härteres Jugendstrafrecht ist für das Wahldebakel der CDU in Hessen verantwortlich. Ganze 12 Prozentpunkte rutschten die Wahlergebnisse in den Keller; Spitzenkandidat Koch gewann nur mit einer hauchdünnen Mehrheit gegen die SPD.

Roland Koch: Schlechtes Zeugnis für harten Wahlkampf
REUTERS

Roland Koch: Schlechtes Zeugnis für harten Wahlkampf
Doch jetzt kommt auch die Konrad-Adenauer-Stiftung in einer Studie zu dem Ergebnis, die Koch-Kampagne habe die Wähler vergrault. Nach Informationen von tagesschau.de heißt es in einer Studie der Stiftung, die Debatte habe der hessischen CDU ein schwerwiegendes "Glaubwürdigkeitsdefizit" beschert. Dagegen hätten 74 Prozent der Wähler der SPD mit ihrem Hauptthema Mindestlohn "Ernsthaftigkeit" attestiert. Besonders pikant: Die Stiftung, die Koch ein derart schlechtes Wahlkampfzeugnis ausstellt, steht der CDU nah.

Die Studie kommt zu dem Schluss, dass eine "hochgradige kurzfristige Emotionalisierung" den Ausschlag für die Wahlentscheidung gegeben habe und nicht etwa langfristige politische Überzeugungen der Wähler, heißt es auf tagesschau.de. Der nach einem Koch-Interview entbrannte Wahlkampf zum Thema Jugendkriminalität habe die politische Stimmung innerhalb kurzer Zeit stark verändert: Die Union rutschte demnach in ein "negatives Meinungsklima".

Aus Sicht der Adenauer-Stiftung führte Kochs Wahlkampf kurzfristig zu einer starken Polarisierung und Lagerbildung mit schweren Konsequenzen. "Er erschwerte für die Wechselwählerschaft den Wechsel zur CDU und für die Stammwähler den Verbleib bei der Partei." Ganz anders sei es bei der vorangegangenen Wahl 2003 gewesen. Damals habe die CDU sogar bei den Grünen-Sympathisanten Wähler mobilisieren können.

Führende Unionspolitiker kritisieren Koch

Die Studie bestätigt damit den Schritt von 17 führenden Unionspolitikern, die sich gestern von dem Wahlkampf in Hessen distanzierten. Das von der Wochenzeitung "Die Zeit" veröffentlichte Schreiben ist eine Reaktion auf einen Brief von 21 Deutsch-Türken, die dem hessischen Ministerpräsidenten das Schüren rassistischer Ressentiments vorgeworfen hatten. Mitunterzeichner sind neben der bayerischen Sozialministerin Christa Stewens (CSU) der Hamburger Regierungschef Ole von Beust und der nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet oder der Berliner CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger und die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (alle CDU).

Später ruderten die Unterzeichner zurück: Der offene Brief in der Wochenzeitschrift "Die Zeit" sollte nicht als Kritik am Wahlkampf des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) missverstanden werden, hieß es. Bei dem Brief sei es "ausschließlich um die Darstellung der Integrationspolitik" gegangen, sagte Stewens im München. Sie fügte hinzu: "Man muss die Dinge beim Namen nennen, nichts anderes hat Roland Koch getan."

Auch von Beust betonte in der ARD, Integration sei ein wichtiges Thema, dem man sich "mit allem Nachdruck annehmen werde. Laschet sagte der Tageszeitung "Die Welt": "Das ist keine Kritik an Roland Koch. Wir loben ja ausdrücklich die hessische Integrationspolitik."

amz/ddp

http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,532208,00.html

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

Gegenwind aus der eigenen Partei für Koch
30. Jan 20:20

Roland Koch am Tag nach der Wahl
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Roland Koch am Tag nach der Wahl
Foto: AP
Drei Tage nach dem schwachen Wahlergebnis in Hessen wächst der Druck auf den CDU-Ministerpräsidenten. Parteikollegen gehen auf Distanz, Koch selbst geht in den Krankenurlaub.
Über ein Dutzend Unionspolitiker haben sich am Mittwoch vom Wahlkampf ihres Parteikollegen Roland Koch distanziert. Integrationspolitik sei so fundamental, dass sie «nicht zu einem schnelllebigen Wahlkampfthema degradiert werden» dürfe, schrieben 17 Parteikollegen von Roland Koch in dem Wochenblatt «Die Zeit». Auch der Hamburger Regierungschef Ole von Beust, der selbst mitten im Wahlkampf steckt, gehört zu den kritischen Unionspolitikern.

Mehr in der Netzeitung:
# Hessen wollen Koch nicht mehr 30. Jan 15:10
# Koch krallt sich an die Macht 28. Jan 20:45
# Worum es im hessischen Wahlkampf ging 21. Jan 2008 10:08, ergänzt 28. Jan 2008 11:56
Der nordrhein-westfälische CDU-Minister für Integration, Armin Laschet, der den Brief ebenfalls unterzeichnet hat, relativierte die parteiinterne Bedeutung in der «Welt» allerdings: Der Brief sei eben keine Kritik an Koch, so Laschet. Es handele sich vielmehr um eine Antwort auf Vorwürfe von Deutschtürken, die Union untergrabe die Integration.

Oettinger fordert Reaktion auf SPD-Thema Mindestlohn

Neben der offenen Kritik an dem von Koch aufgegriffenen Thema «Jugendgewalt» und «Kriminelle Ausländer» gesellten sich Vorschläge für die Alternativen. So sprach sich Baden-Württembergs CDU-Ministerpräsident Günther Oettinger dafür aus, verstärkt Akzente in der Wirtschaftspolitik zu setzen.

Oettinger forderte in der «Süddeutschen Zeitung»: «Wir müssen den Mut haben, für unsere ganze Wirtschaftspolitik zu kämpfen.» Der Ministerpräsident rief seine Partei unter anderem auf, eine Antwort auf die Mindestlohn-Kampagne der SPD zu entwickeln.

Koch, der bei der Wahl schwere Verlust von 12 Prozent bei der Wahl hatte hinnehmen müssen, will sich bald eine Pause nehmen. Er werde als letzten Termin in dieser Woche den «Ball des Sports» in Wiesbaden besuchen, teilte der Regierungssprecher Dirk Metz in Hessen mit. Die Reise zu einer Karnevalssitzung in Kassel am Sonntag habe Koch dagegen abgesagt.

Der Regierungschef habe sich seit Weihnachten mit einer verschleppten Bronchitis geplagt. Immer wieder habe ihm im Wahlkampf der vergangenen Wochen das völlige Versagen der Stimme gedroht. Metz sagte, der Ministerpräsident wolle die kommende Woche nutzen, um sich auszukurieren. (AP/dpa)

http://www.netzeitung.de/deutschland/890430.html

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

Donnerstag, 31. Januar 2008
Muffensausen in der CDU
Wahlkampfstil ungeeignet

von Peter Poprawa

Die Union steht offenbar vor einem Flügelkampf. Nachdem führende Unions-Politiker in einem offenen Brief dafür plädierten, die Integrationspolitik aus Wahlkämpfen herauszuhalten, wurde dies allgemein als Absetzbewegung vom politischen Stil des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) verstanden. "Integrationspolitik ist so fundamental für die Zukunft unseres Landes, dass sie nicht zum Wahlkampfthema degradiert werden darf", heißt es in einem in der Wochenzeitung "Die Zeit" veröffentlichten offenen Brief, der unter anderem von Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust, Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Armin Laschet und der bayerischen Sozialministerin Christa Stewens (CSU) unterzeichnet wurde.

Nicht persönlich nehmen

Am Tag nach der Veröffentlichung versuchten Laschet und Beust dem Eindruck entgegenzuwirken, dass dies als Kritik an ihrem Parteikollegen Roland Koch verstanden werden könne. Koch hatte die Gewalttätigkeit junger Ausländer zum Thema seines Landtagswahlkampfes gemacht. Er büßte bei der Wahl am vergangenen Sonntag zwölf Prozentpunkte ein. Beust sagte der "Welt", Koch sei sein Parteifreund und der Brief habe nichts mit dessen Wahlkampf zu tun. "Jeder macht seinen Wahlkampf, Herr Koch hat Spaß an der Zuspitzung. Inhaltlich lasse ich auf Herrn Koch nichts kommen." Er, Beust, stehe aber eher für die integrative Politik. Auch Laschet ruderte zurück. Der "FAZ" sagte er: "Unser Brief ist ausdrücklich keine Kritik an Roland Koch. Seit er in Hessen regiert, wird dort vorbildliche Integrationspolitik gemacht."

Durchatmen in Berlin

Auf Grund der dramatischen Verunsicherung haben sich die Spitzen der großen Koalition darauf festgelegt, erst wieder nach der Hamburg-Wahl ungelöste Themen anzupacken. Das berichtet die "Berliner Zeitung". Die nächste Koalitionsrunde sei erst wieder für den 9. oder 10. März geplant. Zuletzt hatte im November eine Koalitionsrunde getagt. Im Koalitionsvertrag war dagegen vereinbart worden: "CDU, CSU und SPD werden ihre Arbeit in Parlament und Regierung laufend und umfassend miteinander abstimmen ... Die Koalitionspartner treffen sich regelmäßig mindestens einmal monatlich zu Koalitionsgesprächen im Koalitionsausschuss."

Kochs Sprecher räumt Fehler ein

Der Sprecher der hessischen Landesregierung, Dirk Metz (CDU), gestand indes erstmals auch öffentlich Fehler ein. Angesichts der dramatischen Verluste der CDU unter ihrem Chef Roland Koch sei einiges schief gelaufen. "Ich habe Fehler gemacht, ich habe Dinge wiederum richtig gemacht, und am Schluss ist ein Wahlkampf ein Gemeinschaftswerk", sagte der enge Vertraute Kochs der "Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen". Die Größe der "Schweigespirale" der CDU-Anhänger bei Umfragen habe er falsch eingeschätzt.

Kritik aus dem Kanzleramt

Auch die Integrationsbeauftragte von Kanzlerin Angela Merkel, Maria Böhmer sagte nach einem Treffen mit 70 Vertretern von Migrantenverbänden: "Wenn Migranten die Empfindung haben müssen, dass ihre Kinder zu Fremden erklärt werden, dann verunsichert das alle." Zuspitzungen dienten nicht der Integration. "Das Wir-Gefühl muss gestärkt werden", forderte die CDU-Politikerin, die nicht zu den Unterzeichnern des offenen Briefes gehörte.

Die insgesamt 17 Unions-Politiker antworteten auf einen offenen Brief von 21 Deutsch-Türken, die während des Hessen-Wahlkampfs ebenfalls in der "Zeit" mehr Sachlichkeit in der Debatte um Jugendgewalt gefordert und Koch scharf kritisiert hatten. Weitere Unterzeichner sind Innen-Staatssekretär Peter Altmaier, der Berliner CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz, Ex-Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth und mehrere Oberbürgermeister von Großstädten. Sie greifen Koch nicht direkt an, schreiben aber: "Wir brauchen einen neuen überparteilichen Konsens für die Integrationspolitik zusammen mit Migranten und der Mehrheitsgesellschaft, der auch über Wahlkämpfe hinweg hält und trägt."

"Verbale Ohrfeige" für Koch

Die frühere FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger wertete den offenen Brief als "verbale Ohrfeige" für Koch. "Das ist die offenkundige Distanzierung vom Wahlkampf Kochs und der Beginn der Union, Herrn Koch aus Hessen herauszunehmen", sagte sie der dpa. Grünen-Chefin Claudia Roth forderte die Union auf, sich bei den Vertretern der Migrantenorganisationen für den Koch-Wahlkampf zu entschuldigen. "Bei einer Minderheit von Unions-Politikern scheint diese Einsicht zu reifen, das reicht aber nicht", sagte sie der dpa.

"Wir wollen nicht mehr Objekte sein"

Über den Hessen-Wahlkampf beschwerten sich die Vertreter der Migrantenverbände bei ihrem Treffen mit Böhmer im Kanzleramt. Yasar Bilgin von der Türkisch-Deutschen Gesundheitsstiftung und Mitglied im Landesvorstand der hessischen CDU, sagte, der Wahlkampf in Hessen sei für die Zuwanderer keine einfache Zeit gewesen. "Wir wollen nicht mehr Objekte sein. Wir wollen Träger des Geschehens sein. Wir wollen unsere Kräfte bündeln."

Böhmer betonte, alle wollten nun aber den Blick nach vorne richten und gemeinsame Anstrengungen für eine bessere Sprachförderung, Bildung und Gewaltprävention unternehmen. Die Migrantenverbände hätten sich auch bereit erklärt, die Elternarbeit zu verstärken, da Gewaltverbrechen oft von Jugendlichen begangen würden, die bereits im Elternhaus Erfahrungen mit Schlägen gemacht hätten. Die Runde wolle sich vor der Sommerpause erneut treffen.
http://www.n-tv.de/912060.html

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

© ZEIT online 31.1.2008 - 17:58 Uhr

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Auf neuen Wegen

Von Kai Biermann

Der offene Brief von Unionspolitikern zur Integration und die Kritik an Roland Kochs Wahlkampf zeigt, dass sich die CDU gewandelt hat. Sie tut sich aber noch schwer damit.

© Fotos: Getty Images; Montage: ZEIT online

Alte gegen neue Union, Rechte gegen Linke, wirtschaftsliberale Reformer gegen Sozialpolitiker? Einen neuen Richtungsstreit, gar einen Aufstand wollen einige in der CDU seit dem Wahldebakel in Hessen vom Sonntag sehen. 17 Unionspolitiker haben sich in einem offenen Brief in der ZEIT von Roland Kochs Wahlkampf distanziert und betont, wie wichtig Integrationspolitik ist und wie schwer sich besonders die Union mit dem Thema tut. Aber offene Kritik an Koch? Gar ein neuer Politikstil?

Nein, ein Missverständnis sei das alles, heißt es in der Partei. Auch einige der Unterzeichner gehen, womöglich auch auf Drängen aus der Parteizentrale auf Abstand und rudern zurück. Man habe nur zeigen wollen, wie ernst es auch der Union mit der Integration sei, schieben sie als Erklärung hinterher. Und damit einen Ausgleich schaffen wollen zu dem verhängnisvollen, gegenteiligen Eindruck, den Koch mit seiner Kampagne hinterlassen hat.

Möglicherweise stimmt das sogar. Möglicherweise steht Koch nicht mehr für die CDU. Möglicherweise hat sich die Union tatsächlich in den vergangenen Jahren gewandelt – tiefer und umfassender, als es bisher sichtbar war, und als sie es vielleicht auch selbst wahrnahm. Die Integrationsdebatte ist dafür Beleg.

„Deutschland ist Integrationsland“, steht im neuen, in Hannover verabschiedeten Grundsatzprogramm. Allein dieser Satz wäre noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen. Inzwischen ist er Konsens. Genau wie die Einsicht, dass Deutschland ohne Einwanderer nicht auskommen kann. Auch wenn dies im Programm noch ängstlich vernebelnd als „kontrollierte Zuwanderung“ beschrieben wird – die Erkenntnis ist da und nicht mehr wegzuschieben. Auch von Koch nicht.



Das Problem, sagt beispielsweise Kurt Biedenkopf ehedem Generalsekretär und Vordenker der Partei, sei längst nicht mehr diese Einsicht. Auch wenn der Begriff Zuwanderungsland ein sprachlicher Kompromiss sei, ein „Unsicherheitswort“. „Wir haben diese realen Entwicklungen viel zu spät als politische Veränderungen begriffen“, sagt auch er. Nun aber verstehe man, „dass wir ein anderes Land sind“.

Biedenkopf will das nicht nur auf die Union bezogen wissen, doch es gilt eben auch für sie, die sich lange gegen den Begriff und die Einsicht gestemmt hat. Das Problem sei nun die Umsetzung, bei der noch viel gestritten werden müsse. Der Kern aber sei in der Gesellschaft und in der Union allgemein akzeptiert.

Roland Koch und sein Wahlkampf stützen durchaus diese These. Seine heftigen Verluste haben bewiesen, dass es den klassisch-konservativen Flügel nicht mehr gibt, weder bei den Spitzen, noch bei den Anhängern der Union, bei denen er mit der Kampagne hätte landen können. Bei seiner Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft 1999 war das noch anders. Inzwischen aber hat sich viel getan in der Welt und in Deutschland. Ein klares konservatives Milieu gebe es praktisch nicht mehr, analysieren die CDU-Granden. Eine Erkenntnis nicht nur aus Hessen, immerhin.

Integration, um beim Beispiel zu bleiben, ist in einem schrankenlosen Europa eine Notwendigkeit. Oder, um es mit den Worten der 17 Unionsautoren zu sagen: „Integrationspolitik ist so fundamental für die Zukunft unseres Landes, dass sie nicht zum Wahlkampfthema degradiert werden darf.“

Das kann man als Kritik an Koch verstehen. Doch es ist mehr. Für Koch selbst war der Wahlkampf ein Fiasko. Denn er hat zwar die Relevanz des Themas erkannt, dabei aber auf eine nicht mehr existierende Wählerschicht gesetzt und sich einer völlig unpassenden Rhetorik bedient. Ein Fehler, wie man in der Union zugibt und wie auch in einer Wahlanalyse der parteinahen Konrad-Adenauer-Stiftung sehr kritisch bilanziert wird.

Der Partei aber hat er einen Dienst erwiesen, weswegen sie ihn wohl auch machen ließ. Immerhin hat er bewiesen, dass frühere Konzepte nicht mehr funktionieren. In ihrem sozialeren und liberaleren Kurs kann sich die Union nun sicher sein. Sie könnte es zumindest.

Offiziell lautet die Sprachregelung allerdings bei vielen noch anders. Koch habe inhaltlich völlig Recht, heißt es. Jedoch habe er nicht den richtigen Ton getroffen, sagt beispielsweise der Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma, einer der Unterzeichner des Integrationsbriefes.

Inoffiziell sind da viele führende Politiker in der Partei schon klarer. Es habe sich vieles verändert in den letzten zehn Jahren, bis hin zum Grundsatzprogramm. Die Unterschriftenkampagne und der Wahlkampf Kochs hätten die Union zurückgeworfen, nicht aber gestoppt. Man kritisiere Koch nicht, wolle aber gleichzeitig deutlich machen, dass sich an den neuen Paradigmen der Union nichts geändert habe.

Natürlich gibt es noch Inseln des Widerstandes gegen diese neue Ordnung. So sagte Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach in der Berliner Zeitung, das geforderte Integrationskonzept "muss mit Inhalten angefüllt werden". Es sei nicht klar, was die Verfasser unter einem parteiübergreifenden Konsens verstünden.

Und es gibt auch noch immer jene, die fordern, bei all den sozialen Themen die Wirtschaft nicht zu vergessen. Dass sie aber, wie gerade Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger, sagen, die Union brauche „mehr Mut“, und müsse stärker für ihre Wirtschaftspolitik kämpfen, heißt auch, dass dieser Flügel derzeit keine wesentliche Rolle spielt.

Das bestätigt auch Heinz Riesenhuber, Mitglied des Mittelstandskreises der Union und des Bundestags-Wirtschaftsausschusses. Angela Merkel habe beim Leipziger Parteitag 2003 noch „klar und entschieden“ auf der klassisch konservativen und wirtschaftsliberalen Linie argumentiert, sagt er. Heute sei das anders. „Viele Unternehmer, die uns über Jahre begleitet haben, haben wir seitdem sehr beschwert.“

Riesenhuber erklärt die Veränderungen der Union mit den Zwängen der Großen Koalition. „In dieser Koalitionspartnerschaft ist es nur begrenzt möglich, zu verwirklichen, was man für richtig hält“, sagt er. Einige Themen müssten daher hintangestellt werden.

Vielleicht aber ist es auch eine Veränderung der Gesellschaft, auf die die Union reagiert. Immerhin schafft die Globalisierung nicht nur Gewinner, sondern auch zahlreiche Verlierer, siehe Nokia und Bochum. Und schon immer brüstet sich die Union damit, die Ängste der Menschen ernst zu nehmen. Die Bereitschaft, nun beispielsweise sogar über Mindestlöhne zu verhandeln, könnte ein Zeichen dafür sein, dass sie es jetzt auch tut.
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zum Thema

* Schlagworte:
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ZEIT online 05/2008
o
Mit zusammengebissenen Zähnen
-

Die Stimmung bei der CDU in Berlin ist mies. Nicht nur aus Enttäuschung über Hessen, sondern auch weil man sich vor der Zukunft fürchtet. »
ZEIT online 05/2008
o
Das sozialdemokratische Dilemma
-

Nur mit der Öffnung zur Linken kann sich die SPD aus ihrer strategischen Falle befreien. »


http://www.zeit.de/online/2008/06/cdu-integration-koch?page=all

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

Merkel stützt Koch nach dessen Wahlschlappe
31. Jan 22:35

CDU-Chefin Angela Merkel
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CDU-Chefin Angela Merkel
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Bundeskanzlerin Merkel hat nach den zweistelligen CDU-Verlusten bei der Hessen-Wahl Ministerpräsident Koch den Rücken gestärkt. Gewalt unter Jugendlichen will sie weiter zum Thema machen.
Kanzlerin Angela Merkel hat den CDU-Wahlkampf in Hessen verteidigt und will das Thema Jugendkriminalität auch in Zukunft thematisieren. «Ich stand und ich stehe dazu», sagte die Parteichefin der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Dieses Thema sei auch in Zukunft nicht zu tabuisieren, zitiert das Blatt die CDU-Vorsitzende in ihrer Freitagsausgabe.

Mehr in der Netzeitung:
# CDU-Stiftung watscht Wahlkämpfer Koch ab 31. Jan 14:26
# Union streitet über Kochs Wahlkampfstil 31. Jan 09:27
# Gegenwind aus der eigenen Partei für Koch 30. Jan 20:20
Damit stärkte Merkel auch Roland Koch den Rücken, der in den vergangenen Tagen auch aus der eigenen Partei Gegenwind zu spüren bekommen hatte: «Roland Koch hatte in seinem Wahlkampf die volle Unterstützung der CDU und meine als Vorsitzende«, so die Kanzlerin. Merkel fügte an, Jugendkriminalität sei im Wahlkampf zu Recht thematisiert worden. Die CDU-Chefin legte die Betonung nun anders als im hessischen Wahlkampf auf die Prävention: »Das schloss und schließt mit ein, dass wir als CDU für verstärkte Anstrengungen in der Integrationspolitik eintreten.» In jedem Fall müsse ein Rechtsstaat seine Bürger schützen.

Neue Kritik aus der Union am Wahlkampf Kochs

Vergangenheit ist die Kritik am Wahlkampf des konservativen Ministerpräsidenten von Hessen allerdings noch nicht. Auch am Donnerstag übten wieder mehrere Unionspolitiker Kritik an Koch. «Koch hat Fehler gemacht», sagte der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm im SWR. Die starke Polarisierung habe dazu geführt, dass die Gesprächsfähigkeit zwischen den Parteien nach der Wahl sehr eingeschränkt sei.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz, sagte im Bayerischen Rundfunk: «Ich glaube, dass auch mancher Zungenschlag im hessischen Wahlkampf übers Ziel rausgeschossen ist.» Die Integrationspolitik dürfe nicht mit Populismus gefährdet werden. Sie komme am besten voran, wenn sie außerhalb des Parteienstreits stattfinde. I

Brief in der «Zeit» keine Kritik an Koch

Die parteiinterne Diskussion hatte ein Brief von 17 Unionspolitikern zum Thema Integration ausgelöst, der in der Wochenzeitung «Die Zeit» veröffentlicht wurde. Merkel kann nach eigenen Worten in dem Brief keine Kritik an Koch erkennen. Vielmehr hätten die Autoren den Eindruck zurückgewiesen, sagte die CDU-Chefin Merkel.

In dem Schreiben heißt es unter anderem: «Integrationspolitik ist so fundamental für die Zukunft unseres Landes, dass sie nicht zum Wahlkampfthema degradiert werden darf.» Das wurde als Kritik an Koch interpretiert. Mehrere Unterzeichner stellten jedoch klar, dass sie sich damit nicht von Koch distanzieren wollten. (AP)

http://www.netzeitung.de/deutschland/891196.html

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

Freitag, 1. Februar 2008
Beust grenzt sich ab
CDU in Selbstzerfleischung

Nach dem CDU-Wahldesaster von Hessen hat Parteichefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel den umstrittenen Wahlkampf von Ministerpräsident Roland Koch (CDU) auch gegen innerparteiliche Kritik verteidigt. Jugendkriminalität sei im Wahlkampf zu Recht thematisiert worden, sagte Merkel im Gespräch mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". "Ich stand und ich stehe dazu." Dieses Thema sei auch in Zukunft nicht zu "tabuisieren". Der Wahlkampf Kochs habe die "volle Unterstützung der CDU und meine als Vorsitzende" gehabt. Grünen-Chefin Claudia Roth warf der Kanzlerin daraufhin vor, sie wolle "bei den Ultra- Konservativen" punkten. Ihr "Treueschwur" für Koch mache die Integrationspolitik "endgültig zur Makulatur".

Ein Brief von 17 Unionspolitikern zur Integration sorgt zunehmend für Zündstoff in der CDU. Drei Wochen vor der Hamburger Bürgerschaftswahl grenzt sich der CDU-Bürgermeister der Hansestadt im Gegensatz zu seiner Parteivorsitzenden von Kochs Wahlstil ab. "Wir führen einen Wahlkampf, der sehr ähnlich ist und an das angelehnt ist, was Christian Wulff typisch norddeutsch in Niedersachsen gemacht hat", sagte Ole von Beust in Berlin. Dabei gehe es um "eine gute Bilanz, eine hohe persönliche Akzeptanz, und das alles in ruhiger, ausgeglichener norddeutscher Gelassenheit".

Beust hat den Brief mitunterschrieben. Der Hamburger Bürgermeister wies allerdings zurück, dass sich der Brief gegen Koch richte. "Es geht nicht um Hessen und Roland Koch", sagte Beust. "Es ging darum, die Erfolge unserer Integrationspolitik darzustellen."
http://www.n-tv.de/912718.html

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

Samstag, 2. Februar 2008
Attacke aus der Defensive
Koch räumt Fehler ein

Eine Woche nach der Landtagswahl in Hessen hat Ministerpräsident Roland Koch zugegeben, Fehler im Wahlkampf gemacht zu haben. "12 Prozentpunkte Rückgang in einem Land, dem es blendend geht, können ohne eigene Fehler nicht entstehen", sagte der CDU-Politiker der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".

Zugleich bescheinigte er der SPD einen "Verhetzungsansatz". Mit Blick auf das von ihm lancierte Thema Ausländerkriminalität sagte Koch, die SPD habe den Eindruck erweckt, "der Koch redet nur über dieses Thema, weil Wahlkampf ist". Das habe der CDU sehr geschadet, "das hätte ich anders einschätzen müssen".

An Rücktritt gedacht

Koch gab zu, in der Wahlnacht an Rücktritt gedacht zu haben, machte jedoch klar, dass er Ministerpräsident bleiben werde, wenn die CDU den Regierungschef stellt. "Nach einer Wahlniederlage ist doch die erste Frage des Spitzenmannes an seine Partei: Wollt ihr, dass ich weiter die Führungsverantwortung übernehme? Da hat die hessische CDU eine klare Entscheidung getroffen. Die zweite Frage ist, ob die CDU weiter Verantwortung für das Land übernehmen kann. Wenn die CDU dabei beteiligt ist, muss ich mich darum kümmern."

Eine schwarz-rote Koalition, in der die SPD das Amt des Ministerpräsidenten erhält, schloss Koch aus. "Wir werden in Deutschland nicht diejenigen sein, die das friedenstiftende Prinzip aufgeben, dass die Zahl der Stimmen über die Rangfolge entscheidet. Diese Erfahrung hat Herr Schröder 2005 auch machen müssen", sagte Koch mit Blick auf Äußerungen des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder nach der Bundestagswahl 2005.

Zur Not auch ohne Mehrheit

Koch kündigte an, notfalls auch ohne eine eigene parlamentarische Mehrheit in Hessen weiterzuregieren: Wenn keine Mehrheit jenseits der CDU zustande komme, sei er "derjenige, der einen aus der Verfassung erwachsenen Dienst leistet und dieses Land für eine Übergangszeit weiterführt".

Behauptungen, die CDU-Vorsitzende Angela Merkel habe ihn im hessischen Wahlkampf nicht genug unterstützt, wies Koch zurück. "Sie müssen davon ausgehen, dass wir nichts in der CDU und im hessischen Wahlkampf getan haben, was wir nicht miteinander besprochen haben."

Ypsilanti hofft weiter auf Ampel

Die hessische SPD-Vorsitzende Andrea Ypsilanti lehnte eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei derweil erneut ab. Sie bezeichnete die Partei als eine "rückwärtsgewandte Kraft". In der "Bild am Sonntag" forderte sie erneut die FDP auf, in eine Ampelkoalition mit SPD und Grünen einzutreten.

"Die FDP muss sich sehr gut überlegen, ob sie dem abgewählten Roland Koch zu einer Verlängerung der Amtszeit verhelfen will oder ob sie einen Aufbruch in die soziale Moderne wagt", sagte Ypsilanti. Die SPD habe durchaus Anknüpfungspunkte mit den Liberalen: "Nur ein Beispiel: Unser Energieprogramm hilft dem Mittelstand und schafft Zehntausende von Arbeitsplätzen."
http://www.n-tv.de/913358.html

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

© ZEIT online 2.2.2008 - 14:23 Uhr
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* Schlagworte:
* Gesellschaft
* Kriminalität
* Jugend

Auf dem heißen Stuhl

Vom Kriminellen zum Krisenbewältiger: Skanda, 24, arbeitet als Anti-Aggressionstrainer in Berlin. Er weiß, wovon er spricht. Ein Gespräch

© ZEIT online

Aufgewachsen ist Skanda im sozialen Brennpunkt Berlin-Lichterfelde. Bereits mit 13 Jahren wurde er kriminell und beging zahlreiche Straftaten, unter anderem Einbrüche und Körperverletzungen. Seit zwei Jahren arbeitet er ehrenamtlich als Anti-Aggressionstrainer mit Berliner Schülern und jungen Erwachsenen. Er ist Vater einer dreijährigen Tochter und eines einjährigen Sohnes.

ZEIT online: Inwiefern hilft dir deine eigene Vergangenheit bei der Arbeit als Anti-Aggressionstrainer?

Skanda: Wenn ich erzähle, dass ich selbst schon viel Mist gebaut habe, hören mir die Kids eher zu als irgendeinem Professor oder Sozialpädagogen, bei dem sie denken, er hätte selbst nie Erfahrungen mit Gewalt gemacht. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, was man anders oder besser machen könnte.

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Skanda: Es gibt Trainings an Schulen, an denen Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 15 Jahren teilnehmen. Außerdem finanziert das Arbeitsamt Kurse für junge Erwachsene, die auffällig geworden sind und schon aus zahlreichen Maßnahmen herausgefallen sind.

ZEIT online: Was passiert bei so einem Training?

Skanda: Wir analysieren zunächst die Biografie jedes Teilnehmers. Dabei werden alle sozialen Einflüsse mit einbezogen, die dazu geführt haben, dass er heute so ist, wie er ist.

ZEIT online: Wie sehen diese Biografien aus?

Skanda: Die meisten erwachsenen Teilnehmer sind kriminell, drogen- oder alkoholabhängig, ihre Familien sind zerbrochen oder gar nicht vorhanden, viele sind in Heimen aufgewachsen. Die meisten von ihnen sind gewalttätig. Die Mädchen richten diese Gewalt meistens gegen sich selbst, indem sie sich zum Beispiel die Arme aufritzen. Die Männer wollen den Coolen raushängen lassen und blockieren alles, was an sie herankommt. Türkisch- oder arabischstämmige Männer haben dazu häufig ein falsch verstandenes Ehrgefühl und sind sofort in ihrem Stolz verletzt.

ZEIT online: Wie durchbrecht ihr diese Blockaden?

Skanda: Bei älteren Teilnehmern fangen wir immer mit Atem- und Entspannungsübungen an. Dadurch sollen sie ein bisschen ruhiger werden. Außerdem sehen diese Übungen bei vielen komisch aus – und wenn sie erst einmal über sich selbst lachen können, überwinden sie auch schneller ihr übertriebenes Ehrgefühl. Mit Hilfe von Schauspielübungen zeigen wir den Leuten, dass man eigentlich sein ganzes Leben lang schauspielert. Bei der Mutter sind sie der liebe, kleine Sohn, im Freundeskreis oder bei der Arbeit wieder ein ganz Anderer.

Viele müssen sich erst mal bewusst machen: Wie wirke ich überhaupt auf andere? Was sagt meine Körpersprache aus? Die Jungs laufen durch die Gegend und beschweren sich, dass sie immer angemacht werden und sich nur deshalb schlagen – was natürlich so nicht stimmt.

ZEIT online: Warum werden Jugendliche zu Schlägern?

Skanda: Es ist doch so: Jeder Mensch braucht Anerkennung und möchte gelobt werden. Die meisten unserer Teilnehmer haben diese Anerkennung nie bekommen und spüren sich selbst irgendwann nicht mehr. Wenn sie jemandem eine reinhauen, wissen sie zumindest: Ich lebe noch, ich habe immerhin irgendein Gefühl. Und wenn das verflogen ist, wollen sie es wiederhaben.

ZEIT online: Wie kann man der Gewalt vorbeugen?

Skanda: Wir laden Trainer ein, die mit den Teilnehmern verschiedene Provokationsstufen durchspielen, von 1 bis 10. Viele Jungs sind schon nach einem leichten Antippen bereit, sich zu schlagen. Jede Reaktion der Beteiligten wird anschließend von der ganzen Gruppe bewertet.

Aber es fängt schon bei ganz einfachen Dingen an - dass Kinder lernen, zu tun, was man ihnen sagt. Wir geben ihnen zum Beispiel ein Blatt Papier, das sie so lange umgedreht auf dem Tisch liegen lassen sollen, bis wir ihnen sagen, sie dürften es aufdecken. Das kriegen die meisten schon nicht hin. Oder wir führen bestimmte Signale für Ruhe ein, wie ein „Stopp!!“ oder ein Klingelzeichen. Und wenn das nicht klappt, dann gibt es eben Konsequenzen: Liegestütze für die Jungs oder Treppensteigen für die Mädchen.

ZEIT online: Klingt ein bisschen nach Drill Camp.. .

Skanda: Nein, bei Drill Camps geht es darum, die Leute niederzumachen und sie zu brechen. Wir wollen, dass sie wachsen. Unsere Teilnehmer bestimmen die Regeln und die Sanktionen selbst. Erstaunlicherweise sind Trainer, Lehrer und Schüler dabei meist einer Meinung.

Außerdem setzen wir ganz viel auf Lob, geben uns gegenseitig Applaus und versuchen, bei allen Teilnehmern die positiven Dinge hervorzuheben. Selbst wenn sie auf dem heißen Stuhl sitzen, sagen wir ihnen: Was du gemacht hast, war falsch und wir verurteilen das, aber wir akzeptieren dich als Mensch und sehen, dass du im Grunde ein ganz netter Kerl bist.

ZEIT online: Was passiert denn genau auf dem heißen Stuhl?

Skanda: Jeder muss sich für das, was er getan hat, vor der gesamten Gruppe verantworten. Am Ende bekommt jeder einen Wiedergutmachungsauftrag, zum Beispiel, sich bei demjenigen zu entschuldigen, den er verprügelt hat.

ZEIT online: Hattest du es auch schon mit aussichtslosen Fällen zu tun?

Skanda: Natürlich gibt es viele ganz schwierige Fälle. Zum Beispiel haben wir gerade zwei Achtklässler, Cousins, die jeweils sieben ältere Brüder haben, die alle kriminell sind. Bei denen ist es sehr schwierig, etwas zu erreichen, weil sie sehen, dass ihre Brüder zumindest momentan gut mit ihrem Leben klarkommen: Alle haben ein schönes Auto, viel Geld in der Tasche und die Leute haben Angst vor ihnen. Es ist schwierig, diesen Jungs eine andere Welt zu zeigen, in der sie eine Zukunft haben.

ZEIT online: Wäre das nicht eigentlich Aufgabe der Eltern?

Skanda: Viele Eltern interessieren sich nicht mehr für die Erziehung ihrer Kinder oder finden keine Zeit dafür. Meine Mutter beispielsweise hat schon nachts um drei Zeitungen ausgetragen, mein Vater hat von morgens bis abends gearbeitet. Eltern müssen versuchen, ihren Kindern etwas Positives vorzuleben. Wenn der Vater arbeitslos ist und morgens um 7 Uhr im Bett liegen bleibt, fragt sich das Kind natürlich: Warum soll ich denn dann aufstehen und zur Schule gehen?

ZEIT online: Würde deiner Ansicht nach die Verschärfung des Jugendstrafrechts etwas bringen, wie es einige Politiker fordern?

Skanda: Ich finde schon, dass man es teilweise verschärfen sollte. Die meisten Jugendrichter werden einfach nicht ernst genommen. Gerade wenn es um Ersttäter geht, müsste man viel härter durchgreifen. Ich wusste zum Beispiel mit 13, dass ich alles machen kann, weil mir ohnehin nichts passieren wird.

ZEIT online: Sollte man also schon 13-Jährige wegsperren?

Skanda: Nein, wegsperren ist auch keine Lösung; im Knast werden sie dann erst recht kriminell. Man sollte lieber kontrollieren, dass Strafen auch wirklich abgeleistet werden – als ich zu Sozialarbeitsstunden verurteilt wurde, bin ich kein einziges Mal hingegangen und niemand hat das kontrolliert. Man muss bei Kindern ansetzen, weil man bei ihnen noch die Chance hat, sie zu sozialisieren. Wenn diese Kinder erst mal erwachsen sind, ist es ganz schwierig, sie noch zu erreichen.

ZEIT online: Was hat dich damals zum Umdenken gebracht?

Skanda: Ich habe mit 20 von einem Tag auf den anderen mit meinen kriminellen Aktionen aufgehört, als ich erfahren habe, dass meine jetzige Frau schwanger ist. Da war mir klar: Das geht so nicht weiter. Ein Leben, wie ich es früher geführt habe, könnte ich heute allein schon wegen meiner beiden Kinder nicht mehr verantworten. Es steht einfach zu viel auf dem Spiel, was ich nicht mehr riskieren will.

Die Fragen stellte Carolin Ströbele
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Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

Chefankläger: Junge Täter müssen schneller bestraft werden

Leitender Oberstaatsanwalt Heinrich Wille (62). Foto: WOLFGANG MAXWITAT
Leitender Oberstaatsanwalt Heinrich Wille (62). Foto: WOLFGANG MAXWITAT

Lübeck - Neue Wege in der Strafvollstreckung regt Chefankläger Heinrich Wille an. Das "vorrangige Jugendverfahren" ist nur sinnvoll, wenn auch die Strafe schnell erfolgt.

Angesichts der Aktenflut bei der Staatsanwaltschaft sieht der Leitende Oberstaatsanwalt Heinrich Wille auch kaum Möglichkeiten, die Maßgabe für "vorrangige Jugendverfahren" zu erfüllen. Binnen vier Wochen sollen dann Verfahren von der ersten Vernehmung bis zur Hauptverhandlung abgearbeitet sein. "Das ist ja schön und gut, aber vorrangig bedeutet auch, dass andere Akten nach hinten rutschen", so Lübecks Chefankläger kritsich.

Zumal "vorrangige Verfahren" ein grundlegendes Problem haben. Die Strafvollstreckung Erfolge in den meisten Fällen erst viele Monate später. Da könne also von vorrangig nicht mehr die Rede sein, so Wille. Die Strafe müsse schneller vollstreckt werden, aber für die Strafvollstreckung zeichnen die Jugendrichter verantwortlich, die wiederum das Jugendamt mit einschalten. "Das dauert alles viel zu lange. Es wäre durchaus sinnvoll, die Strafvollstreckung bei entsprechender personeller Ausstattung in die Hände der Staatsanwaltschaft zu übergeben. Das wir das können, zeigen wir ja beim Erwachsenen-Strafrecht", sagt Wille, der weiß, dass dieses ganz persönliche Meinung nicht populär sei und auch eine Bundesgesetz-Änderung nach sich ziehen würde.

Willes Vorstoß trifft beim Kieler Justizministerium tatsächlich auf keine Gegenliebe. Ministeriumssprecher Herbert Schnelle: "Nicht ohne Grund, nämlich aus erzieherischen Gründen, weist das Gesetz das gesamte Jugendverfahren einschließlich der Vollstreckung dem Jugendrichter zu. Das Prinzip 'alles in einer Hand' im Jugendstrafverfahren hat sich bewährt. Dieses zu ändern wäre kontraproduktiv und abwegig." Was in den drei anderen Landgerichtsbezirken Itzehoe, Flensburg und Kiel prima funktioniere, sollte auch im Landgerichtsbezirk Lübeck funktionieren. Es sei bekannt, dass einzelne Amtsgerichte im Bezirk Lübeck das vorrangige Jugendverfahren insbesondere aus Gründen der richterlichen Unabhängigkeit ablehnen. Das heißt nicht, dass alle dortigen Gerichte dieses Verfahren ablehnen.

"Uns kann Herr Wille eigentlich nicht meinen", sagt Birgit Reichel von der Jugendgerichtshilfe. "Wir haben einen pädagogischen Auftrag, dazu gehört auch eine rasche Bearbeitung und wir sind auch im Bundesvergleich außerordentlich schnell", so die Sachgebietsleiterin. Bereits vor Prozessbeginn werde die Jugendgerichtshilfe aktiv, spricht mit den Jugendlichen und macht sich ein Bild von seinen persönlichen und familiären Verhältnissen. Auch die Vermittlung und Kontrolle von gemeinnützigen Tätigkeiten funktioniere. "Sicherlich ist es ein mühsames Geschäft, wenn jemand seinen Arbeitsdienst nicht antritt, aber insgesamt gesehen funktioniert die Zusammenarbeit mit Polizei, Jugendgericht und Jugendstaatsanwaltschaft in Lübeck zumindest beispielhaft", sagt Reichel. Auch Amtsgerichts-Sprecher Hans-Jürgen Humbert kennt keinen derartigen Defizite. "Wenn beispielsweise Arbeitsauflagen in der Hauptverhandlung erteilt werden, wird mit dem im Sitzungssaal anwesenden Vertreter der Jugendgerichtshilfe und dem Verurteilten bereits sofort ein Termin für die Arbeitsleistung vereinbart", weiß Humbert. Dass es bei der Vollstreckung von Jugendarrest zu Verzögerungen kommen könne, liege eher an der Belastung der Jugendarrestanstalt. Humbert: "Beim Amtsgericht Lübeck gibt es keinerlei Zeitverluste bei der Vollstreckung eintreten. Für eine Übertragung der Vollstreckung auf die Staatsanwaltschaft sprechen weder sachliche noch organisatorische Gründe."

Von Sebastian Prey , LN
http://www.ln-online.de/artikel/2304162/Chefankl%E4ger:_Junge_T%E4ter__m%FCssen_schneller_bestraft_werden.htm

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

Freitag, 15. Februar 2008
Union zeigt die Muskeln
Jugendstrafrecht verschärfen

Die Union beharrt auch nach dem Hessen-Wahlkampf weiter auf einer Verschärfung des Jugendstrafrechts. Mit ihrer Mehrheit setzte sie im Bundesrat eine Entschließung durch, die den Bundestag auffordert, bereits 2006 eingebrachte Vorschläge der Länderkammer aufzugreifen.

Das Bundesjustizministerium widersprach entschieden. "Das notwendige gesetzliche Instrumentarium ist vorhanden. Wir brauchen keine neuen Schraubenzieher im Instrumentenkasten", sagte der Parlamentarische Justizstaatssekretär Alfred Hartenbach (SPD).

Unterstützt von ihrem hessischen Kollegen Jürgen Banzer (CDU) bezeichnete die bayerische Justizministerium Beate Merk (CSU) eine gesetzliche Klarstellung als notwendig. Die schwerwiegenden Vorfälle der jüngsten Zeit hätten in schockierender Deutlichkeit die zunehmende Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen gezeigt.

Der unionsdominierte Bundesrat will das Höchstmaß der Jugendstrafe bei Heranwachsenden von 10 auf 15 Jahre anheben und das allgemeine Strafrecht regelmäßig auf Heranwachsende anwenden. Außerdem will die Union einen sogenannten Warnschussarrest einführen. Damit könnten Jugendliche auch bei Bewährungsstrafen zusätzlich bis zu vier Wochen hinter Gitter kommen. Der Bundesrat nahm ferner einen Gesetzesantrag Hamburgs an, mit dem ein Fahrverbot über Verkehrsdelikte hinaus als Hauptstrafe eingeführt werden soll.

SPD-Staatssekretär Hartenbach wies die vorgeschlagenen Verschärfungen als überflüssig zurück. Auch die Fachwelt lehne nahezu einhellig diese Vorschläge ab. Es bestehe ein enger Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft, Bildung und Jugendkriminalität. Dies liege in der Verantwortung der Länder. Auch sei es Aufgabe der Länder, mit einer gut ausgestatteten Justiz dafür zu sorgen, dass nach einer Tat die Strafverfahren schnell folgten. Mit Hinweis auf die CDU-Niederlage bei der hessischen Landtagswahl sagte Hartenbach an die Adresse der Union: "Sie sollten ihre hektischen Bemühungen zur Verschärfung des Jugendstrafrechts etwas dämpfen."
http://www.n-tv.de/919773.html

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

Kieler Nachrichten vom 16.02.2008 01:00:00 « Vorige| Nächste »

Der große Krach der Staatsanwälte

Zog Konsequenzen: Generalstaatsanwalt Erhard Rex. Fotos Maxwitat/hfr
Zog Konsequenzen: Generalstaatsanwalt Erhard Rex. Fotos Maxwitat/hfr

Kiel – Zwischen Generalstaatsanwalt Erhard Rex und dem Lübecker Chefankläger Heiner Wille hat es jetzt richtig gekracht. Weil Wille sich weigerte, vorrangige Jugendverfahren zu organisieren, hat Rex dem Leitenden Oberstaatsanwalt diese Aufgabe komplett entzogen – ein Vorgang ohne Beispiel.
Er habe es „schweren Herzens“ getan, erklärte Rex auf Nachfrage. Doch die „unvereinbaren Auffassungen in diesem wichtigen Punkt“ hätten ihm keine andere Wahl gelassen. Wille wollte zunächst keine Stellungnahme abgeben. Er habe aber Beschwerde beim Justizminister eingelegt.
Fakt ist: In Lübeck wird zwar über wachsende Jugendgewalt geklagt. Anders als in den Landgerichtsbezirken Kiel, Flensburg und Itzehoe hat Wille in seinem Bezirk aber noch kein einziges vorrangigen Verfahren auf den Weg gebracht.
Zum Hintergrund: Bei dem Modell geht es vor allem darum, dem harten Kern junger Intensivtäter beizukommen. Erklärtes Ziel ist es, bereits wenige Wochen nach der Tat die Hauptverhandlung zu eröffnen. In Absprache zwischen Staatsanwaltschaft, Polizei, Jugendamt und den zuständigen Gerichten soll auf diese Weise sichergestellt werden, dass die jungen Täter eine schnelle Reaktion der Justiz spüren und Verfahren nicht auf die lange Bank geschoben werden. Das von Rex seit Jahren vorangetriebene Instrument überzeuge Wille offenbar nicht. Erst vor wenigen Tagen äußerte er offene Kritik. Dieses Verfahren sei nur sinnvoll, wenn die Strafe auch schnell vollstreckt werde. Dies liege aber in den Händen der Jugendrichter. „Das dauert alles viel zu lange“, wurde der Chefankläger zitiert.
Für den Generalstaatsanwalt war das „der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte“. Er könne es nicht zulassen, dass aufgrund dieser „Verweigerungshaltung“ der Bezirk Lübeck zur „Freizone im vorrangigen Jugendverfahren“ werde. Die Organisation wird deshalb zukünftig von der Generalstaatsanwaltschaft wahrgenommen. „Dieses Verfahren ist einer der wenigen realistischen Wege, um wirkungsvoll auf Jugendgewalt zu reagieren“, erklärte Rex, der auf „durchweg positive Erfahrungen“ verwies. In Zahlen: Allein 2006 kam es im Landgerichtsbezirk Kiel zu 19 solcher Verfahren, in Flensburg zu zwölf und in Itzehoe sogar zu 83. Rex betonte zwar, dass die Auseinandersetzung mit Wille keine Auswirkungen auf die sonstige Zusammenarbeit habe. Dennoch ist es nicht das erste Mal, dass die beiden Juristen aneinander geraten. Erst im vergangenen Jahr hatte Wille mit seinem geplanten Barschel-Buch für Furore gesorgt. Wille, der ein Anhänger der Mord-Theorie ist, wollte sein Buch rechtzeitig zum 20. Todestag des ehemaligen Ministerpräsidenten herausbringen. Rex untersagte ihm jedoch die Veröffentlichung und setzte sich dabei auch in einem Rechtsstreit durch.
Von Bodo Stade
http://www.kn-online.de/artikel/2306214