Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen - Kinder- und Jugenddelinquenz

Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

Köln zieht negative Bilanz eines Modellfalls
Schlechte Erfahrung mit US-Erziehungscamps

Von Frank Überall

Im Jahr 2003 hat Köln als eine der ersten Kommunen einen mehrfach straffällig gewordenen Jugendlichen in ein Erziehungscamp in den USA geschickt. Nach 18 Monaten kam er zurück - und wurde gleich wieder straffällig.
Das Schulgebäude von Glen Mills; Rechte: glen mills

Haftlaternative in den USA: Glen Mills

Ein Amtsrichter hatte 2003 vorgeschlagen, den damals 16-Jährigen in die berüchtigte Glen Mills School in den USA zu schicken. Diese Einrichtung setzt zwar auf einen streng geregelten Tagesablauf und psychische Druckmittel, wendet aber keinen militärischen "Drill" an wie er in anderen amerikanischen Straflagern für junge Menschen üblich ist. "Wir haben damals schon gehofft, dem Jugendliche eine echte Chance zu geben", sagt Klaus-Peter Völlmecke vom Kölner Jugendamt heute: "Aber für uns ist dieser Einzelfall eine negative Erfahrung gewesen."
Nach der Rückkehr wieder straffällig

Eineinhalb Jahre verbrachte der Kölner in der Erziehungsanstalt Glen Mills, machte dort seinen Schulabschluss. Die öffentlichen Kassen kostete das rund 100 Euro am Tag. Nach seiner Rückkehr wurde der junge Erwachsene nicht in Köln, sondern in einer anderen Stadt in Nordrhein-Westfalen untergebracht. Nach kurzer Zeit habe er aber erneut Straftaten begangen, erklärt Völlmecke: "Beim Schulbesuch in den USA hat er offenbar eine reine Anpassungsleistung erbracht, die keine nachhaltigen Früchte getragen hat."
"Zum Scheitern verurteilt"
Betreuer und Jugendliche im Gesprächskreis; Rechte: ddpBild vergrößern

Pädagogische Betreuung wichtiger

Erziehungscamps nach dem Vorbild der USA seien für die Stadt Köln deshalb keine Alternative, so der Fachmann. Statt dessen müsse man über eine bessere pädagogische Betreuung junger Straftäter im Jugendvollzug nachdenken. Diese Ansicht teilt auch der erfahrene Kölner Sozialarbeiter Franco Clemens: "Es bringt absolut nichts, Verhaltensauffällige mit anderen Verhaltensauffälligen in einem Lager zusammen zu fassen. Die werden aus ihrem Umfeld heraus gezogen und müssen sich dann später wieder in die Gesellschaft integrieren. Dieser Ansatz ist von vornherein zum Scheitern verurteilt."

Das städtische Jugendamt in Köln liegt mit einer Skepsis gegenüber Erziehungscamps auf einer Linie mit der politischen Mehrheit im Stadtrat. Der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Stadtrat, Martin Börschel, hält diese Einrichtungen ebenfalls für problematisch. In diesem Zusammenhang sei auch noch unklar, ob und wie das von der Landesregierung geplante Erziehungscamp in Bedburg-Hau funktionieren könne.
Mehr zum Thema

* WDR: Kölner Richter schickt Jugendlichen in US-Internat
"Big Brother" statt Gefängnis (14.01.2003)
* WDR: Schwerpunkt: Erziehungscamps gegen Jugendkriminalität

Stand: 09.01.2008, 15:34 Uhr
http://www.wdr.de/themen/panorama/kriminalitaet01/murat/080109.jhtml

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

Haus des JugendstrafrechtsSchneller statt härter bestrafen

Wenn Jugendliche straffällig werden, dauert es von der Festnahme bis zu einer Bestrafung häufig mehrere Monate. Das ist viel zu lang, meinen Experten. Im Haus des Jugendstrafrechts in Ludwigshafen kümmern sich Polizei, Staatsanwaltschaft und Jugendamt gemeinsam und schnell um straffällige Heranwachsende - mit Erfolg.

Polizeihauptkommissar Jörg Haßler unterhält sich im Ludwigshafener Haus des Jugendrechts mit einer jungen Frau

* Straffe Abläufe - schnelle Bestrafung

Seit zwei Jahren läuft das Modellprojekt in der Chemiestadt am Rhein. Der Gedanke dahinter: Der Jugendliche soll dank strafferer Abläufe möglichst schnell die Folgen für sein Vergehen spüren. Davon erhoffen sich die Beteiligten einen größeren erzieherischen Effekt. Offenbar zur Recht.

"Mehr als 80 Prozent der Jugendlichen tauchen hier nur ein Mal auf", sagt die Ludwigshafener Jugenddezernentin Cornelia Reifenberg. Im Idealfall läuft es in der Einrichtung so: Wird zum Beispiel eine Ladendiebin erwischt, kommt sie mit ins Haus des Jugendrechts. Dort sprechen sich der zuständige Polizist und ein Staatsanwalt gleich ab, wie es mit der Jugendlichen weitergeht. Wenn nötig sitzen auch das Jugendamt und die Straffälligenhilfe mit am Tisch. Im Idealfall weiß die Täterin schon kurz nach ihrem Vergehen, welche Strafe auf sie zukommt, beispielsweise gemeinnützige Arbeit.
Die Strafe folgt auf den Fuß

Wer das "JuReLu", so die Abkürzung für die Einrichtung, durchläuft, landet in den seltensten Fällen vor Gericht. In mehr als 80 Prozent der Verfahren kommt es nicht zur Anklage. Vielmehr wird die Straftat durch gemeinnützige Arbeit, eine Wiedergutmachung am Opfer oder Ähnliches gesühnt und das Ermittlungsverfahren dann eingestellt.
Weitere Einrichtung geplant

Eine Mitarbeiterin des "Hauses des Jugendrechts" zeigt das Logo des Modellprojekts vor dem Eingang in Stuttgart-Bad Cannstatt.

* Erstes Projekt in Stuttgart

Das rheinland-pfälzische Justizministerium hält das Projekt für einen Erfolg. In der Landeshauptstadt Mainz soll in Kürze eine ähnliche Einrichtung eröffnet werden. Bundesweit gibt es bislang nur wenige solcher Projekte, eines davon in Stuttgart. Eine Sprecherin des Ministeriums sagt, derartige Einrichtungen könnten helfen, "eine kriminelle Karriere am Anfang zu stoppen".

Für Kapitalverbrechen wie Mord und Totschlag, aber zum Beispiel auch größere Drogenvergehen und Sexualdelikte ist das "JuReLu" allerdings nicht zuständig. Solche Taten werden wie üblich von den entsprechenden Spezialabteilungen bei Polizei und Staatsanwaltschaft bearbeitet.
http://www.swr.de/nachrichten/bw/-/id=1622/nid=1622/did=3020788/mpdid=3022964/iccl6x/index.html

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

JUGENDSTRAFRECHT
Zwischen Härte und Hilfe

Die Beschlüsse der CDU werden von Experten fast einhellig kritisiert. Sie lehnen neue Gesetze ab und fordern mehr Geld für die Resozialisierung.

VON ROBIN MISHRA




SCHNELLER IN DEN KNAST? Auf den Einzelfall kommt es an, so die Meinung der Kriminologen.
Foto: Maurice Weiss/Ostkreuz

Das Verhältnis von Politikern zu Fachleuten ist seit jeher angespannt. Häufig meinen Experten, Volksvertreter hätten keine Ahnung und handelten populistisch. Umgekehrt halten Politiker die Fachleute für abgehoben und viel zu realitätsfern. Im Idealfall entwickelt sich eine fruchtbare Arbeitsteilung:Die Experten formulieren das wissenschaftlich Gesicherte, die Gewählten machen aus dieser Grundlage einen realistischen Kompromiss.

Im Streit um die Bekämpfung der Jugendkriminalität aber haben sich Politik und Experten verhakt. Berlins Innensenator Erhard Körting (SPD)fährt schweres Geschütz auf. Er sieht in manchen Richtern „Alles-Versteher und -Verzeiher“, denen es nur um die Psyche des Täters gehe. „Die klugen Kriminologen haben mit ihren Methoden über Jahrzehnte hinweg die Probleme auch nicht gelöst“, fegt Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) die Einwände der Wissenschaft hinweg.

Als „reinen Populismus“ bezeichnet dagegen der Deutsche Anwaltverein die Vorschläge des hessischen Ministerpräsidenten, „überflüssig“ findet sie der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes Christoph Frank. Zwei Juristen, drei Meinungen – dieser böse Witz über die Zunft der Rechtswissenschaftler gilt im aktuellen Streit nicht. Das von der Union als zu lasch angesehene Jugendstrafrecht wird von der Fachwelt fast einhellig als gelungener Kompromiss zwischen Hilfe und Härte gelobt.


Vorrang für Erziehung

Stärker als das Erwachsenenstrafrecht setzt es auf die Erziehung seiner „Kunden“, die in ihrer Entwicklung noch ungefestigt, darum aber auch noch leichter zu bessern sind. Auch das Diversionsprinzip, die Bewältigung des Kriminalfalls außerhalb eines förmlichen Gerichtsverfahrens, spielt im Jugendgerichtsgesetz (JGG) eine große Rolle und ist von dem Gedanken getragen, jugendliche „Dummheiten“nicht zu früh zu kriminalisieren.

Genauso aber hält das JGGfür kriminelle Jugendliche ein ganzes Arsenal empfindlicher Strafen bereit. Das beginnt auf der ersten, mildesten Stufe mit Erziehungsmaßregeln, etwa der Einsetzung eines Erziehungsbeistandes durch das Jugendamt. Reicht das nicht aus, können sogenannte Zuchtmittel angeordnet werden. Das bekannteste ist die Auflage zu gemeinnütziger Arbeit, verhängt werden kann aber auch Jugendarrest bis zu vier Wochen. Bei besonders schwerer Schuld oder der Gefahr weiterer Taten wird von den Gerichten eine Jugendstrafe ausgesprochen, bei unter 18-Jährigen bis zu fünf Jahren Gefängnis.

Nach Jugendstrafrecht werden auch 18- bis 21-Jährige behandelt, „wenn sie zur Zeit der Tat in sittlicher und geistiger Entwicklung einem Jugendlichen gleichstehen“. In der Praxis wird von dieser Möglichkeit häufig Gebrauch gemacht. Nach den Vorstellungen der CDU soll für diese Heranwachsenden regelmäßig Erwachsenenstrafrecht gelten. Das sei „Wahnsinn“, kritisiert Anton Bachl, der Vorsitzende des Bundes der Strafvollzugsbediensteten. Statt der intensiven Betreuung im Jugendgefängnis sieht er die Jugendlichen im kriminellen Sumpf des Erwachsenenknastes versinken. „Die werden dort so verdorben, dass es gar nicht mehr verantwortbar wäre, sie rauszulassen.“ Auch eine Erhöhung des Strafrahmens für Heranwachsende von zehn auf 15 Jahre hält Bachl für populistisch. „Was soll man dann bei der nächsten Wahl fordern – lebenslänglich?“, fragt er.

Gegen die vorgeschlagenen Erziehungscamps hat der Vertreter der Strafvollzugsbeamten nichts einzuwenden, wartet aber auf Taten. „Bisher sind es nur leere Worthülsen, denn das alles kostet Geld und Personal.“ Nach der Föderalismusreform I sind inzwischen die Bundesländer für den Strafvollzug zuständig, Boxcamps wie im hessischen Diemelstadt sind aber bisher die Ausnahme geblieben. „Der Strafvollzug hat eine Aufwertung erfahren“, sagt Anton Bachl. „Aber nur eine optische.“

Erziehungscamps dürfe man schon nach geltendem Recht einrichten, sagt Hendrik Schneider, Professor für Kriminologie und Jugendstrafrecht an der Universität Leipzig. So sei Sport ein altbekanntes und bewährtes Mittel der Resozialisierung. Auch sonst setzt das Jugendstrafrecht der Innovation keine Grenzen. So hat Rheinland-Pfalz für junge Gewalttäter Flirttrainings eingeführt, um ihnen ein normales Verhalten gegenüber Frauen beizubringen.


Falsche Formel

Der Richterbund-Vorsitzende Christoph Frank zweifelt bereits die Prämisse der Koch-Vorschläge an. „Die Formel härtere Strafen gleich höhere Abschreckung gleich weniger Straftaten ist schlicht falsch“, sagt der oberste Vertreter der deutschen Richter und Staatsanwälte. In diese Rubrik fällt zum Beispiel die Forderung nach einem Warnschussarrest, der –im Gegensatz zum bereits heute vorgesehenen Jugendarrest – zusätzlich zu einer Bewährungsstrafe verhängt werden kann.

Nach einer Studie der Kriminologen Jörg-Martin Jehle, Wolfgang Heinz und Peter Sutterer waren von den im Jahr 1994 zu einem Jugendarrest Verurteilten zehn Jahre später 66 Prozent wieder zu einer Jugend- oder Freiheitsstrafe verurteilt worden. „In der Rückfallstatistik hat der Jugendarrest ein ganz schwaches Ergebnis“, bilanziert der Kriminologe Hendrik Schneider. „Vier Wochen sind einfach zu kurz, um einen Mangel bei Jugendlichen wirklich zu beheben“, lautet seine Erklärung.

Untätig bleiben wollen auch die Fachleute nicht. „Wichtig ist es, das Intensivtäter-Hopping zu beenden. Ihre Fälle sollten von zentralen Staatsanwaltschaften betreut werden“, schlägt Schneider vor. Solche Modelle gibt es bislang nur vereinzelt, zum Beispiel in Berlin und München. Mit gutem Erfolg: Inzwischen kennen die Staatsanwälte ihre Pappenheimer.

Ganz ungeschoren lässt Schneider auch die Richter nicht. „Die Sanktionen des Jugendstrafrechts werden zu schematisch angewendet“, sagt er. Als Beispiel bringt er den Fall einer Drogenstraftat – ein Täter ist selbst schwerst abhängig, der andere ein Gymnasiast, der einen Kick brauchte. „Um rauszukriegen, welche Strafe sinnvoll ist, muss man sich jeden einzelnen Jugendlichen genau ansehen. Daran fehlt es.“ Auch das ein Vorschlag, der keine neuen Gesetze erfordert. Wohl aber mehr Zeit und Geld.
© Rheinischer Merkur Nr. 2, 10.01.2008
http://www.merkur.de/2008_02_Zwischen_Haerte_u.25722.0.html?&no_cache=1

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

Donnerstag, 10. Januar 2008
Jugendstraftaten vor Gericht
Hessen ist Schlusslicht

Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hat eine zu langsame Bearbeitung von Straftaten Jugendlicher durch die Gerichte in seinem Bundesland zugegeben. "Das Problem ist da", sagte Koch in der ARD. Hessens Amts- und Landgerichte liegen bei Jugendstrafsachen im Bundesländervergleich ganz hinten. "Wir arbeiten an der Frage, wir müssen Wege finden. Das ist eine der Hausaufgaben, die wir noch haben." Es gebe "intensive Diskussionen" mit der Richterschaft über die langsame Bearbeitung der Fälle.

Vom Eingang bei der Jugendstrafkammer des Amtsgerichtes bis zum Urteil dauert die Bearbeitung im Bundesdurchschnitt 3,1 Monate; Hessen ist Schlusslicht mit 4,1 Monaten. Bei schweren Verbrechen, die vor dem Landgericht landen, ist Thüringen mit 3,5 Monaten am schnellsten. Der bundesweite Schnitt liegt bei 5,4 Monaten, in Hessen dauert es 8 Monate.

Koch sagte, härtere Strafen seien nicht das einzige Mittel gegen die Zunahme der Gewalttaten von Jugendlichen. "Ich bin jemand, der sehr der Auffassung ist, dass man das mit Pädagogik machen kann", betonte Koch und fügte hinzu: "Ich glaube aber, dass man Pädagogik ohne Härte nicht machen kann." Differenziertes Vorgehen sei angebracht. "Kein Jugendlicher ist wie der andere. Der Katalog muss breit sein und nicht eng. Es gibt nicht eine Antwort." Allerdings seien auch nicht "alle Maßnahmen der Repression falsch und alle Maßnahmen der Freizügigkeit richtig".

Mehr Taten befürchtet

Unterdessen hat der Deutsche Kinderschutzbund vor einer Zunahme der Kinder- und Jugendkriminalität gewarnt. Verbandspräsident Heinz Hilgers zeigte sich in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" in großer Sorge, dass "sich das Problem in den nächsten 10 bis 15 Jahren noch deutlich verschärfen wird". Gründe seien die zunehmende Kinderarmut sowie schlechte Bildungschancen für Kinder aus sozial schwachen Familien. Aus beidem folge oft Perspektivlosigkeit, erklärte Hilgers. Gegen die Kinderarmut sei die große Koalition trotz entsprechender Ankündigungen im Koalitionsvertrag von 2006 "noch immer nicht vorgegangen".

Die Debatte über Jugendkriminalität werde "schrecklich emotional und unsachlich" geführt. "Wir haben kein Strafrechtsdefizit, sondern ein Bildungsdefizit", betonte er. Eine Maßnahme müsse deshalb sein, die Hauptschulen zu stärken, besonders in Ballungsräumen. Hilgers forderte eine Verdoppelung der Zahl der Lehrer an dieser Schulform. Union und SPD versündigten sich an den Hauptschülern und ihren Lehrern, indem sie die Debatte um das dreigliedrige Schulsystem auf der einen und die Gesamtschule auf der anderen Seite rein ideologisch führten.

http://www.n-tv.de/901878.html

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

Landtagswahl in Hessen
Wahlkampf mit Schröder in der Gesäßtasche

Von Thomas Holl
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Ministerpräsident Koch: “Für jeden Verbrecher einen Platz im Gefängnis“

Ministerpräsident Koch: "Für jeden Verbrecher einen Platz im Gefängnis"

10. Januar 2008 Womöglich hätte der passionierte Wahlkämpfer Gerhard Schröder sogar anerkennend gelacht, wenn er bei dem Auftritt Roland Kochs dabei gewesen wäre, den der Ministerpräsident an diesem Tag in Hessen noch dreimal wiederholt. „Vielleicht hat ja der eine oder andere von Ihnen heute die „Bild-Zeitung“ gelesen. Da hat der frühere Bundeskanzler mir vorgeworfen, ich betreibe Hetze gegen Ausländer.“ Koch spricht den Satz langsam aus. Er senkt dabei die Stimme und schaut in die Gesichter vor ihm. Aufmerksam warten die meist betagten, etwa 100 Zuhörer in der katholischen Pfarrgemeinde in Offenbach darauf, was nun kommt.

Nach einer kurzen Kunstpause zieht Koch aus der Gesäßtasche seiner Anzughose ein gefaltetes Blatt Papier, streicht es sorgsam glatt und liest dann laut vor. „Beim organisierten Autodiebstahl sind Polen nun mal besonders aktiv, das Geschäft mit der Prostitution wird dominiert von der Russen-Mafia, Drogenkriminelle kommen besonders häufig aus Südosteuropa und Schwarzafrika. Man schützt die hier lebenden Ausländer nicht, indem man Ausländerkriminalität totschweigt. Wir dürfen nicht mehr so zaghaft sein bei ertappten ausländischen Straftätern. Wer unser Gastrecht missbraucht, für den gibt es nur eins: raus, und zwar schnell!“

Schröder „ein sicherheitspolitischer Blindgänger“

Koch sieht hoch, vereinzelt ertönt verlegenes Gelächter. Dann löst der CDU-Politiker das Autorenrätsel: „Das hat Gerhard Schröder am 20. Juli 1997 als niedersächsischer Ministerpräsident in der „Bild am Sonntag“ gesagt. Damals war das offenbar noch keine Hetze. Der Mann war danach über viele Jahre Bundeskanzler. Ich frage, welches Gesetz wurde denn gegen dieses Problem beschlossen? Er ist ein sicherheitspolitischer Blindgänger über viele Jahre gewesen!“
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Donnernder Applaus und einige „Jawoll“-Rufe an den mit Kuchen und Kaffee gedeckten Tischen bestätigen dem zufrieden lächelnden Koch, was er schon seit Tagen in etlichen Interviews und bei Pressekonferenzen vorausgesagt hat. Aus seiner Sicht hat er wie in seiner Doppelpass-Unterschriftenaktion 1999 wieder einmal den Nerv der Bürger getroffen und goldrichtig mit der Wahl seines Themas „Zu viele junge kriminelle Ausländer“ gelegen.

Schon am Vormittag, vor den Auftritten Kochs, hatte sein engster Berater, der hessische Regierungssprecher Dirk Metz, von Mitarbeitern das „Kriminelle-Ausländer-Raus-Interview“ des früheren Kanzlers via Internetrecherche heraussuchen lassen. Später, auf der Fahrt zum ersten Wahlkampftermin in Offenbach, erzählt Koch im Reisebus sichtlich entspannt den mitreisenden Journalisten, dass er Schröder dankbar für dessen Ausfälle gegen ihn sei. Dadurch bleibe die von ihm angestoßene Debatte nach dem Münchner U-Bahn-Überfall zweier ausländischer Jugendlicher auf einen 76 Jahre alten Mann mindestens noch zwei oder drei Tage länger in den Medien.
Koch vor dem Bus, mit dem er durch Hessen tourt

Koch vor dem Bus, mit dem er durch Hessen tourt

„Ein Thema, mit dem man etwas erreichen kann“

Bei den anschließenden Wahlkampfauftritten in Offenbach, Kelkheim, Groß-Bieberau und abends in Limburg erlebt Koch, dass es fast nur die Redepassagen zum Thema Sicherheit in Hessen und weit mehr noch seine Forderungen nach einer Politik der harten Hand gegen kriminelle junge Ausländer sind, mit der er die eigenen Anhänger mobilisieren und zu heftigem Beifall bewegen kann. Fast regungslos lauschen die gut 1000 Männer und Frauen in der Limburger Josef-Kohlmeier-Halle dagegen Kochs Ausführungen über die Wirtschaftskraft Hessens unter seiner Führung und die angeblichen Chancen auf 40.000 neue Arbeitsstellen durch den Ausbau des Frankfurter Flughafens.

Erst als Koch zu dem „nicht einfachen Thema Sicherheit“ kommt, richten sich viele Zuhörer gespannt auf. „Es ist ein Thema, das die Menschen persönlich betrifft, es ist ein Thema, mit dem man etwas erreichen kann.“ Koch beschwört seine Wähler, gerade deshalb am 27. Januar CDU zu wählen und einen Linksblock mit „Altkommunisten“ in Wiesbaden zu verhindern. Mit dem Satz „Wir haben für jeden Verbrecher einen Platz im Gefängnis. Das ist eine verbindliche Zusage an alle Verbrecher“, bringt Koch seine Limburger Wähler zum Lachen und sorgt erstmals für Wahlkampfstimmung. Anders als in der „Wiesbadener Erklärung“ des CDU-Bundesvorstands spart Koch die Säule „Vorbeugen“ aus.

Lieber erläutert er den CDU-Wählern in zum Teil drastisch zugespitzten Formulierungen weiter seine Strategie des „Eingreifens“ gegen junge Gewaltverbrecher mit „Migrationshintergrund“ wie in München und Frankfurt: „Die erhobene Faust ist zu einem Problem geworden in unserem Land. Wir dürfen nicht übersehen, dass dieses Problem etwas mit Migration zu tun hat.“ Den größten Beifall erhält der Wahlkämpfer Koch zum Schluss, als er mit schon leicht heiserer Stimme wie einst Schröder die schnellere Ausweisung krimineller Ausländer fordert und den türkischen U-Bahn-Täter aus München als Beispiel nennt. „Der sagt nun, ihr könnt mich nicht abschieben, hier ist mein Zuhause. Da sage ich, das hätte er sich vorher überlegen müssen, bevor er in vollem Lauf einem alten Mann in den Kopf tritt.“



Text: F.A.Z.
Bildmaterial: dpa
http://www.faz.net/s/RubEA30294A29CF46D0B1B242376754BC09/Doc~E81C7E33E0FE446559103F1E4DA64CB61~ATpl~Ecommon~Scontent.html?rss_aktuell

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

Jugendgewalt

Migranten üben massive Kritik an Koch

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© Boris Roessler/DPA
Roland Koch muss sich massiver Kritik erwehren

Die "Wahlpolemik" von Ministerpräsident Roland Koch richtet nach Ansicht der Zuwanderer großen gesellschaftlichen Schaden an. Koch lässt sich von der Kritik, die auch aus den eigenen Reihen kommt, aber nicht beeindrucken und will das Thema Jugendkriminalität weiter "offensiv" ansprechen.

Unter Zuwanderern wächst der Unmut über die von der Union angeheizte Debatte über den Umgang mit jungen Kriminellen. Eine Dachorganisation von Zuwanderern beklagte sich nach einem Zeitungsbericht in einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel und den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (beide CDU) über die Fokussierung auf ausländische Täter. Auch im Deutsch-türkischen Forum der CDU regt sich Kritik. Koch, der die Debatte über eine Strafrechtsverschärfung im Landtagswahlkampf besonders vorantreibt, will die Auseinandersetzung gegebenenfalls vor der Bundestagswahl weiterführen.

Der Brief an Merkel und Koch stammt nach Angaben der "Frankfurter Rundschau" vom Migranten-Forum des Paritätischen Wohlfahrtverbands, der die Interessen von rund 100 Zuwanderer- Organisationen vertritt. Darin heißt es nach Angaben des Blattes: "Wo offene, konstruktive Gespräche und an der Sachlage orientierte Lösungsvorschläge nötig wären, richten Sie durch Wahlpolemik erheblichen Schaden an." Ein kurzfristiger Erfolg in einem Landtagswahlkampf dürfe es nicht wert sein, dass Vorurteile "neu geschürt" würden. Dadurch werde die Gesellschaft weiter gespalten.
.

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Der Vorsitzende des Deutsch-Türkischen Forums der CDU, Bülent Arslan, wies unter anderem Kochs Forderung nach schnellerer Ausweisung krimineller Jugendlicher zurück. "Das sind Produkte unserer Gesellschaft", sagte er der "Berliner Zeitung". Die CDU müsse Migranten stärker einbinden - dazu eigne sich Kochs Strategie nicht.
Koch nimmt nichts zurück
Koch verteidigte seine Strategie. In der hannoverschen "Neuen Presse" drohte er: "Der Bundestagswahlkampf 2009 ist weit weg. Dennoch: Wenn die SPD sich weiter verweigert, werden wir das Thema Jugendgewalt leider auch in Zukunft offensiv ansprechen müssen."

Er widersprach auch der Befürchtung des Zentralrats der Juden, dass die Debatte den Rechtsextremisten nützen könnte. Die NPD hatte Koch schon demonstrativen Beifall gezollt. Trittbrettfahrer könne er nicht verhindern, sagte Koch der "Passauer Neuen Presse". Der "Schwäbischen Zeitung" sagte er, wenn man das Thema "im demokratischen Spektrum anspricht, gräbt man den Radikalen das Wasser ab". Hessen tue auch viel gegen rechte Gewalt. "Für unser Bundesland kann ich sagen, dass wir dieses Problem im Griff haben."
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Zypries gegen härtere Strafen
Mit der Jugendgewalt wollen sich auch die Innenminister von CDU und CSU am Donnerstag befassen. Sie kommen auf Einladung von Hessens Ressortchef Volker Bouffier (CDU) nach Wiesbaden. Bouffier kündigte bereits an, dass die Forderungen noch ausgeweitet werden sollten. So müsse die Videoüberwachung in Bahnen und Bussen ausgebaut werden, sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Für mehr Wachpersonal könnten die Verkehrsbetriebe einen "kleinen Sicherheits-Zuschlag von den Fahrgästen erheben". Zudem sollten Sanktionen gegen Serien-Straftäter bereits ab zwölf statt wie bisher ab 14 Jahren möglich werden.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) räumte in der ARD- Sendung "hart, aber fair" ein, dass es ein Problem mit der Jugendgewalt gebe. Dies sei aber nur durch bessere Bildungs-, Arbeits- und Integrationschancen zu lösen, nicht durch härtere Strafen. Die von der Union auch erhobene Forderung nach einem Warnschussarrest zusätzlich zur Bewährungsstrafe wies sie zurück. Bereits die Rückfallquote des Jugendarrests sei zu hoch, sagte sie dem Fernsehsender N24.

In der "Braunschweiger Zeitung" versuchte sie, die Aufmerksamkeit auf ihren Gesetzentwurf zur Sicherungsverwahrung für Jugendliche zu lenken. Der Bundestag werde ihn voraussichtlich bis zum Sommer beschließen, sagte sie. Der Regierungsentwurf sieht die Möglichkeit der dauerhaften Sicherungsverwahrung ab einer Jugendstrafe von sieben Jahren vor, die CDU verlangt dies bereits ab fünf Jahren.

AP



Artikel vom 10. Januar 200
http://www.stern.de/politik/deutschland/:Jugendgewalt-Migranten-%C3%BCben-Kritik-Koch/607418.html?nv=rss

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

Inland Ministerpräsident Koch in der ARD
Justizmühlen in Hessen mahlen zu langsam

Roland Koch (Foto: AFP) Großansicht des Bildes [Bildunterschrift: Hessens Ministerpräsident Koch ]
Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hat eine zu langsame Bearbeitung von Straftaten Jugendlicher durch die Gerichte in seinem Bundesland zugegeben. "Das Problem ist da", sagte Koch im ARD-Talkmagazin "Hart aber Fair". Er bestätigte Recherchen, nach denen die hessischen Amts- und Landgerichte bei Jugendstrafsachen im Bundesländervergleich ganz
hinten liegen. "Wir arbeiten an der Frage, wir müssen Wege finden. Das ist eine der Hausaufgaben, die wir noch haben." Es gebe "intensive Diskussionen" mit der Richterschaft über die langsame Bearbeitung der Fälle.

Vom Eingang bei der Jugendstrafkammer des Amtsgerichtes bis zum Urteil dauert die Bearbeitung im Bundesdurchschnitt 3,1 Monate; Hessen ist Schlusslicht mit 4,1 Monaten. Bei schweren Verbrechen, die vor dem Landgericht landen, ist Thüringen mit 3,5 Monaten am
schnellsten. Der bundesweite Schnitt liegt bei 5,4 Monaten, in Hessen dauert es 8 Monate.
Koch: Pädagogik mit Härte

Koch sagte, härtere Strafen seien nicht das einzige Mittel gegen die Zunahme der Gewalttaten von Jugendlichen. Er sei der Ansicht, dass man das mit Pädagogik machen könne und fügte hinzu: "Ich glaube aber, dass man Pädagogik ohne Härte nicht machen kann." Differenziertes Vorgehen sei angebracht. "Kein Jugendlicher ist wie der andere. Der Katalog muss breit sein und nicht eng. Es gibt nicht eine Antwort." Allerdings seien auch nicht "alle Maßnahmen der Repression falsch und alle Maßnahmen der Freizügigkeit richtig".
Kriminelle Jugendliche auch in EU-Länder abschieben

In der "Passauer Neuen Presse" forderte Koch, auch schwerkriminelle Jugendliche aus EU-Ländern in ihre Heimat zurückzuführen. "Das ist bei schweren unzumutbaren Verstößen gegen die öffentliche Ordnung möglich. Das EU-Recht steht dem nicht entgegen."Der Kölner Rechtsanwalt Mark Swatek hatte im tagesschau.de-Interview zuvor erklärt, dass die Vorstellungen der Union nicht umsetzbar seien.
Infografik: Jugendstrafrecht oder Erwachsenenstrafrecht - Urteile der Bundesländer
Maßnahmenkatalog soll vorgelegt werden

Überwachungskamera (Foto: picture-alliance/ dpa) Großansicht des Bildes [Bildunterschrift: Die Videoüberwachung soll nach dem Willen der unionsgeführten Länder ausgebaut werden. ]
Die Innenminister der unionsregierten Länder kommen am Abend zu einer Sonderkonferenz in Wiesbaden zusammen, um über weitere Schritte gegen Jugendgewalt zu beraten. An dem Treffen nimmt auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble teil. Der hessische Ressortchef Volker Bouffier will einen Maßnahmenkatalog zum Schutz vor Gewalt durch Jugendliche und Heranwachsende vorlegen.

Vorgesehen ist zum Beispiel der Ausbau der Videoüberwachung in U- und S-Bahnen, Bussen oder an Bahnhöfen. Das gelte ebenso für das Wachpersonal im Nahverkehr. Zur Finanzierung schloss Bouffier einen kleinen Sicherheitszuschlag von den Fahrgästen nicht aus.

In der Zeitung "Die Welt" forderte er, Bewährungsstrafen stets mit "fühlbaren Maßnahmen" zu kombinieren. "Dazu sollten Arbeitsaufträge, Aufenthaltsverbote und -gebote gehören. Jugendliche Straftäter müssen dann ab 20.00 Uhr zu Hause bleiben, dürfen nicht mehr in die Disko", sagte Bouffier. Im geschlossenen Strafvollzug müssten inhaftierte ausländische Jugendliche dazu verpflichtet werden, Deutsch zu lernen.
Zypries weist Forderungen der Unions-Länder zurück

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (Foto: dpa) Großansicht des Bildes [Bildunterschrift: "Brutale Übergriffe nicht hinnehmbar" - Bundesjustizministerin Zypries ]
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hatte gestern die Forderung der Union nach schärferen Strafen für junge Kriminelle zurückgewiesen. Das Bundeskabinett habe entsprechende Vorschläge des Bundesrats schon im Jahr 2006 einstimmig abgelehnt, sagte sie. Zypries reagierte damit auf eine Sonderkonferenz der Justizminister der unionsregierten Länder, die sich für härtere Gesetze und mehr Vorbeugung aussprach.
Jugendkriminalität Hintergrund: Weitere Meldungen Steigt die Jugendkriminalität tatsächlich an? Welche Taten werden häufiger, welche weniger verübt? tagesschau.de hat Fragen und Antworten zusammengestellt. [mehr]

* InternYpsilanti zieht in Umfrage mit Koch gleich [hr].
* InternJustizmühlen in Hessen mahlen zu langsam.
* InternInterview: "Vorstellungen der Union sind nicht umsetzbar".
* InternDossier: Jugendkriminalität - Ein Problem wird instrumentalisiert.
* InternForum: Umgang mit Jugendkriminalität.
* VideoRoland Koch über das umstrittene Wahlkampfthema.

*
Weltatlas
Weltatlas: Deutschland
[Flash|HTML] .

Stand: 10.01.2008 08:28 Uhr
http://www.tagesschau.de/inland/jugendkriminalitaet48.html

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

10. Januar 2008

* webnews
* Yigg
* folkd
* Mister Wong
* Linkarena
* Del.icio.us



Schrift:
ROLAND KOCH BEI "HART ABER FAIR"
Voll verschleierte Gewaltdebatte

Von Christian Buß

Talkshow als Wahlkampf-Arena: Hessens Ministerpräsident Koch ließ sich bei "Hart aber fair" mit seinen kruden Thesen zum Thema Jugendgewalt konfrontieren. Der smarten Rhetorik des CDU-Politikers hatte Moderator Plasberg leider nur wenig entgegenzusetzen.
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Auch wenn um Roland Koch der Wahlkampf tobt, die Zukunft verliert der Mann beim hektischen Tagesgeschäft nicht aus dem Blick. Erst vor einem Monat machte der hessische Ministerpräsident, der gerade für seine Wiederwahl wirbt, mit einem visionären Gesetzesvorschlag auf sich aufmerksam und forderte ein Burka-Verbot an Schulen. Die "Hart aber fair"-Redaktion konfrontierte ihn dafür gestern Abend mit einer erstaunlichen Zahl: Exakt null Schülerinnen an hessischen Lehranstalten tragen einen Ganzkörperschleier, wieso überhaupt über das Thema diskutieren?

Wahlkämpfer Koch, Justizministerin Zypries bei "Hart aber Fair": Tonfall diktiert
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Wahlkämpfer Koch, Justizministerin Zypries bei "Hart aber Fair": Tonfall diktiert
Er denke eben schon an die Zukunft, so Koch. Irgendwie habe er das Gefühl, es würde immer mehr Burka-Trägerinnen in Deutschland geben.

Trotz der entlarvenden Burka-Pointe kommt man nicht umhin festzustellen, dass Roland Koch weiß, wie sich hierzulande Debattenhoheit erlangen lässt.

Das vermeintliche Verschleierungsproblem wurde von Koch ebenso wahlstrategisch lanciert wie das Thema "Ausländergewalt, das seit einigen Tagen die Fernsehtalkshows bestimmt – und bei der ARD bereits für senderinternes Koordinationschaos sorgte. Die Frage war ja: Zu wem kommt er denn nun, der Hauptankläger migrationsbedingter Aggressionskultur?

Seltsam erratisch

Bei Anne Will am Wochenende war er jedenfalls nicht – und das hat der Sendung erstaunlicherweise ziemlich gut getan (mehr...). Denn da wurde ohne Koch eine sehr anstrengende, am Ende aber doch ergiebige Diskussion geführt, bei der sich Praktiker und Politiker unterschiedlicher Couleur durchaus zu einem Konsens in Sachen Jugendgewalt vorarbeiten konnten.

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von drum
Mit Talkshows verhält es sich ja wie mit Wahlkämpfen: Themen müssen her, und möglichst brisant sollen sie auch noch sein. Doch so wie sich das Können eines Wahlkampfstrategen daran bemisst, dass er die Erregungskurve bis zum Stichtag immer weiter nach oben zu treiben versteht, so offenbart sich die Qualität einer Fernsehdiskussion eben darin, Empörung und Betroffenheit in einer sachlichen Auseinandersetzung aufzulösen. Anne Will ist das am Sonntag gelungen – Frank Plasberg ist daran gestern trotz einiger hübscher Spitzen gegen Koch gescheitert.

Denn zu sehr ließ sich die "Hart aber fair"-Redaktion den Tonfall der Sendung vom Boulevardpolitiker Koch diktieren. Da nützte es auch nichts, dass Plasberg seinen Gast auf zweifelhafte Wahlkampfmethoden hinwies. So hatte sich Koch selbst mehrmals als "Stimme der schweigenden Mehrheit" gepriesen – genauso wie das ein prominenter NPD-Politiker auf der eigenen Homepage tut. Der Verweis auf den Populisten vom rechten Rand legte kurz und bündig offen, wie gefährlich sich Koch zurzeit an der Grenze der Demagogie bewegt.

Trotzdem wurde die aufgeladene Stimmung im Studio von Plasberg und seinem Team weiter befeuert. Die Debatte – neben Koch war auch Bundesjustizministerin Brigitte Zypries und der grüne Abgeordnete Özcan Mutlu eingeladen – verlief für "Hart aber fair"-Verhältnisse seltsam erratisch. Die Politiker machten sich - vom Moderator nahezu ungebremst - gegenseitig Vorhaltungen, ein geladener Kriminalbeamter kam trotz sehr interessanter Einwürfe kaum zu Wort, und die eigentlich ebenfalls sehr aufschlussreichen Ausführungen eines Sozialpädagogen gingen gänzlich unter.

Sozialrecherche à la Privatfernsehen

Nicht ganz unschuldig daran war wohl auch die Tatsache, dass das Plasberg-Team mit einigen Einspielern in boulevardeske Untiefen geriet. So Ein Beitrag, mit dem man die Hilflosigkeit der Bürger gegenüber der "Ausländergewalt" belegen wollte, in seiner Machart gar an Krawall-Infotainment a la "Akte 08". Da ließ man zwei junge Männer nichtdeutscher Abstammung durch die U-Bahn rüpeln – und befragte danach die Fahrgäste, warum sie nicht eingegriffen hätten: Sozialrecherche à la Privatfernsehen.

Peinlich auch, dass man schon wieder ein umdressiertes Gewaltpaket aus dem Stall des Antiaggressionstrainers Michael Heilemann als Stichwortgeber in die Sendung geholt hatte. Der Brachialpädagoge Heilemann, der bei Plasberg vor eineinhalb Jahren schon mal zum Thema Killerspiele referiert hatte, setzt auf recht zweifelhafte Erziehungsmethoden. Gestern nun kam ein von ihm umgepolter Türke zu Wort. Früher habe er auf alles eingeschlagen, so der Ex-Delinquent, jetzt plane er eine Karriere im Sicherheitsbereich. Auf die Frage, vor was er denn Respekt habe, gab der angeblich zivilisatorisch intakte Gast eine verräterische Antwort: körperliche Kraft.

Darin offenbarte sich natürlich das Grunddilemma, dass mit physischer Härte leider noch niemand zum freundlichen Mitbürger konditioniert wurde. Auch der Beantwortung der bedenklich zugespitzten Titelfrage "Jung, brutal und nicht von hier – was ist dran am Streit um Ausländergewalt?" kam man mit solchen Beiträgen nicht nach.

Überhaupt wurde gestern Abend viel zu spät darüber gesprochen, in welchem Maße die momentan beklagte Jugendgewalt denn wirklich genuin migrationsbedingt ist. Erst ganz zum Schluss wurde eine interessante Untersuchung vorgestellt, aus der hervorgeht, dass Heranwachsende deutscher und nichtdeutscher Abstammung über eine fast identische Gewaltbereitschaft verfügen, wenn sie aus einem Umfeld mit gleichen sozialen Voraussetzungen stammen. Das Aggressionspotenzial ist also nicht ethnisch oder kulturell vorgegeben, sondern sozialökonomisch. Und türkische Jugendliche leben nun mal in den schlechteren Verhältnissen, weshalb sie stärker in den Gewaltstatistiken auftauchen.

Bei Anne Will hatte man sich am Sonntag recht schnell auf diese Erkenntnis geeinigt und dann gemeinsam Strategien besprochen, wie dieser Missstand zu beheben sei. Bei Frank Plasberg verlor sich diese soziologische Akkuratesse leider ganz schnell im eigenhändig aufgeheizten Talk-Tohuwabohu. Ein klarer Sieg für den Wahlkämpfer Koch.

http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,527767,00.html

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

© DIE ZEIT, 10.01.2008 Nr. 03
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Gefühlte Bedrohung

Von Christian Denso

Deutschland ist nicht gefährlicher geworden. Aber die Menschen fürchten sich vor jugendlichen Intensivtätern. Zu Recht?
Ermittler vor Videoaufnahmen des Zwischenfalls in einer Münchner U-Bahn-Station kurz vor Weihnachten

Ermittler vor Videoaufnahmen des Zwischenfalls in einer Münchner U-Bahn-Station kurz vor Weihnachten

© Oliver Lang/ddp

Der 16-Jährige stahl, er raubte und betrog. 458 Straftaten binnen eines Jahres. Die Bande krimineller Geschwister im Alter zwischen acht und 15 Jahren brachte es gemeinsam sogar auf 620 Delikte – drei von insgesamt 1890 Fällen junger Intensivtäter aus einem Kriminalitätsbericht des nordrhein-westfälischen Innenministers Burkhard Hirsch, damals wie heute ein Liberaler. Veröffentlicht wurde Hirschs Bericht am 22. Dezember 1977 – ziemlich genau 30 Jahre bevor der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) mit seiner Aussage »Wir haben zu viele kriminelle junge Ausländer« eine Debatte über Jugendkriminalität eröffnet hat, die scheinbar nicht zu stoppen ist. Offensichtlich muss jede (Politiker-)Generation in Deutschland neu entdecken, dass es Jugendgewalt gibt. Grund genug, auf die wesentlichen Fakten zu schauen – und zu fragen, wo heute der Kern des Problems liegt.

Hat die Jugendkriminalität zugenommen?

Die Frage ist entgegen mancher Aussage nicht eindeutig zu beantworten. Und eigentlich müsste das auch der Wahlkämpfer Koch wissen: Denn erst im Oktober hatten Fachleute für die Herbsttagung der Innenminister von Bund und Ländern einen 27-seitigen, vertraulichen Bericht ausgearbeitet, der der ZEIT vorliegt. Ernüchterndes Fazit der nüchternen Analyse zur »Entwicklung der Gewaltkriminalität junger Menschen«: Man müsse wohl erst einmal gründlich forschen, denn »in vielen Bereichen liegen Informationen nur rudimentär vor«. Demnach ist die registrierte Gesamtzahl der Fälle von Gewaltkriminalität zwar seit 1997 um 15,6 Prozent auf 215741 Fälle im Jahr 2006 gestiegen – vor allem, weil es laut Statistik immer mehr schwere und gefährliche Körperverletzungen gibt. 43,4 Prozent dieser Gewalttaten werden von unter 21-Jährigen begangen – weit mehr, als es ihrem Bevölkerungsanteil (8,1 Prozent) entspricht. Zudem stieg die Zahl der jugendlichen Tatverdächtigen bis 21 Jahre um 25,8 Prozent auf etwa 90000.

Drastisch beschreibt die Bund-Länder-Arbeitsgruppe auch die Realität in den Großstädten: Tatort ist demnach vor allem der öffentliche Raum, die Straße. Wer Opfer wird, bestimmt der Zufall – meist sind es Gleichaltrige. Das Schlagen, Treten und Stechen geschieht spontan, aus tief sitzender Frustration heraus, und wird durch Banalitäten ausgelöst: »Was guckst du?«. Die jungen Täter agieren häufig in losen Cliquen. »Die Gewalt wird um ihrer selbst willen verübt, sie scheint der Unterhaltung und dem Zeitvertreib zu dienen«, schreiben die Fachleute.

Dennoch warnen sie vor einer Überbewertung der Zahlen: »Es sind derzeit keine gesicherten Aussagen möglich, ob die Jugendgewaltkriminalität in den letzten Jahren einen deutlichen Anstieg zeigt.« Den »klaren Aussagen« der Kriminalitätsstatistik stünden die Ergebnisse kriminologischer Forschungen entgegen: Ursache steigender Fallzahlen sei demnach »vorrangig steigende Anzeigebereitschaft«.

Auch ein Blick ins Ausland relativiert die aktuelle Aufregung. Denn im internationalen Vergleich zeigen die Kriminalitätsstatistiken einen weitgehend einheitlichen Trend. Was immer die statistische Zunahme der Gewaltverbrechen verursachen mag – ob wachsende Anzeigebereitschaft, zunehmende Gewalttätigkeit oder beides zusammen – das Phänomen kennen die meisten europäischen Länder, in Deutschland ist es eher noch gering ausgeprägt. Kurzschlussargumente, die auf rot-grüne Laschheit oder konservativen Rigorismus verweisen, gehen an dem Problem offensichtlich vorbei.

Sind jugendliche Ausländer generell krimineller als deutsche Jugendliche?

Ja – sie fallen zumindest eindeutig öfter in der Statistik auf: Mehr als jeder fünfte junge Gewalttäter (21,9 Prozent) hat keinen deutschen Pass – obwohl Ausländer nur etwa ein Zehntel dieser Bevölkerungsgruppe stellen. Allerdings sinkt der Anteil der Ausländer in der Statistik seit Jahren. 1997 lag er noch bei knapp 30 Prozent aller jungen Gewalt-Tatverdächtigen. Auffällig ist außerdem, dass Kochs Heimat Hessen zwar nicht mehr – wie noch vor zehn Jahren – auf Platz eins der Bundesländer steht. Aber das Flächenland belegt mit 30,7 Prozent junger Gewalttäter ohne deutschen Pass nach den Stadtstaaten Berlin und Bremen immer noch einen Spitzenplatz in der Statistik. Bei vielen ausländischen Tätern treffen die Ermittler auf nach außen halbwegs intakte Familienstrukturen, während innerhalb der Familie körperliche Züchtigung eine gängige Erziehungspraxis darstellt. Wissenschaftler machen diese Macho-Kultur mitverantwortlich dafür, dass manche der gezüchtigten Sprösslinge später selbst zuschlagen.

Wie viele jugendliche Intensivtäter gibt es?

Von Intensivtätern sprechen Kriminalisten, seit in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine kleine Zahl von Straftätern mit einer immensen Zahl von Ermittlungsverfahren auffiel. Anders als die Kriminalwissenschaft es bis dahin gelehrt hatte, legten sich diese Täter nicht auf eine Art von Delikt fest. Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten: Intensivtäter sind fast durchweg männliche Jugendliche. Sie leben überwiegend in großen Städten. Weniger als zehn Prozent der Täter sind dort für gut 40 Prozent der Gewaltkriminalität verantwortlich, sagen Ermittler. Schätzungen gehen von mehr als 3000 jugendlichen Intensivtätern bundesweit aus. Viele von ihnen begehen ihre erste Tat mit acht, neun Jahren – der Einstieg in eine kriminelle Karriere, die dem Staat wie im Münchner U-Bahn-Fall den Vorwurf beschert, die Täter nicht stoppen zu können. Dramatisch klingen Zahlen aus Berlin: Dort zählt die Staatsanwaltschaft 495 Täter, die mehr als zehn Straftaten in einem Jahr begangen haben. Davon haben knapp 80 Prozent einen Migrationshintergrund.

Welche Sanktionen kennt das Jugendstrafrecht?

Das besondere Strafrecht für junge Täter setzt stark auf Erziehung statt auf Strafe – zum einen, weil den Tätern aufgrund Ihres Alters häufig das Unrechtsbewusstsein fehlt, zum anderen, weil ihre Persönlichkeit noch formbar ist. Das Jugendgerichtsgesetz (JGG) vertraut dabei zunächst auf Sanktionen und Angebote wie Therapien und den Ausgleich mit dem Opfer. Es gibt drei Stufen: Erziehungsmittel wie Ermahnungen oder gemeinnützige Arbeit, dann Zuchtmittel wie kurzzeitigen Jugendarrest. Erst als letzte Möglichkeit sieht das JGG bei schweren Straftaten oder Wiederholungstäter Haftstrafen von bis zu zehn Jahren vor. Parallel dazu können ausländische Täter auch abgeschoben werden – bislang aber nur, wenn sie zu mehr als drei Jahren Haft verurteilt worden sind.

Was bringen Strafverschärfungen?

So vehement die CDU derzeit fordert, die Höchststrafe im Jugendstrafrecht von zehn auf 15 Jahre zu erhöhen, so einhellig sprechen Experten von einem falschen Signal, das höchstens symbolische Wirkung habe. Denn von Höchststrafen betroffen sind lediglich jugendliche Mörder – geschätzt nur einige Dutzend im Jahr in ganz Deutschland. »Das ist sinnlos«, sagen deshalb Fachleute wie der Kriminologe Christian Pfeiffer oder Christoph Frank, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes: »Niemand kommt von einer derartigen Tat ab, weil sie stärker strafbewehrt ist.« Auch ein Blick auf die Rückfallquoten spricht gegen längere Haftstrafen: Achtzig Prozent der Jugendlichen, die im Gefängnis waren, werden nach ihrer Entlassung rückfällig. Die letzte große Strafrechtsreform scheint das zu belegen: 1998 wurde die Strafandrohung für schwere und gefährliche Körperverletzungen teilweise verdoppelt – die Art von Taten, bei denen die Statistik seitdem einen deutlichen Anstieg verzeichnet. Aber: Die Vorliebe der Politiker für Strafverschärfungen in spektakulären, meist medial ausgewalzten Einzelfällen zeigt sich daran, dass die Große Koalition in diesem Jahr die nachträgliche Sicherungsverwahrung für jugendliche Schwersttäter beschließen will – übrigens die einzige Strafverschärfung von Union und SPD im Koalitionsvertrag.

Immer wieder gefordert wird, dass 18- bis 21-Jährige, die sogenannten Heranwachsenden, im Regelfall nach Erwachsenen-Strafrecht verurteilt werden sollen. Prinzipiell haben Richter bislang einen Ermessensspielraum, ob sie einen 20-jährigen Vater wie den Münchner Serientäter Serkan A. für »erwachsen« halten. Die Folge: Offenbar routinemäßig werden Heranwachsende als Jugendtäter beurteilt – im Norden noch öfter als im Süden. So verurteilten Hamburger Richter 2006 86,8 Prozent der 18- bis 21-Jährigen nach Jugendrecht – Tendenz seit 2001 leicht steigend, trotz CDU-geführtem Senat.

Welche Alternativen sind im Gespräch – und was ist davon zu halten?

Eine »sinnvolle Alternative auf der Suche nach etwas Besserem als den Strafvollzug« nennt der Kriminologe Artur Kreuzer das nordhessische Erziehungscamp des Exboxers Lothar Kannenberg – eine Einrichtung, wie sie die CDU jetzt bundesweit überall einführen möchte. Bei dem von Kannenberg »aus dem Bauch heraus« entwickelten Konzept lernen die jugendlichen Mehrfachtäter neben Ordnung und Drill auch, so der Gründer, »was den Jugendlichen nicht vermittelt wurde: Wärme, Liebe und Geborgenheit«. Ob wirklich nur 20 Prozent der Kandidaten rückfällig werden, wie Kannenberg behauptet, ist allerdings unklar.

Mit dem »Warnschussarrest« verkauft die CDU eine Maßnahme als neu, die bereits mehrere Bundesratsinitiativen erlebt hat – und parlamentarisch derzeit auf Eis liegt. Die Idee: Tätern, die eine Bewährungsstrafe als Freispruch deuten könnten, könne mit »ein bisschen Knast« der Ernst der Lage verdeutlicht werden. Der Haken am »Oldtimer der Hardliner« (Kriminologe Kreuzer): Derartige Jugendliche sind meist keine Ersttäter und kennen bereits den milderen Jugendarrest. Und: »Warnschüsse« können im Bundesdurchschnitt wegen der Belegung der Haftanstalten oft erst Monate nach dem Urteil vollstreckt werden – »und damit zu spät für eine erzieherische Wirkung«, sagt Oberstaatsanwalt Frank.

Einhellig positiv beurteilt wird die Forderung, die Dauer der Jugendverfahren zu verkürzen, sodass ein 15-jähriger Dieb nicht erst nach Monaten spürt, dass es eine Reaktion des Staats auf seine Tat gibt – wenn er möglicherweise längst schon eine Gewalttäterkarriere gestartet hat. Nur ist diese Forderung nicht neu – und die Realität sieht anders aus. In Hamburg etwa dauert es im Durchschnitt allein von Anklage bis Verurteilung mindestens dreieinhalb Monate – dazu kommt die Zeit, die Polizei und Staatsanwaltschaft brauchen. Zumindest bei Intensivtätern versuchen die Ermittler vielerorts mit Spezialdezernaten die Zeit bis zur Anklage zu verkürzen: So gilt in Köln schon als Erfolg, wenn zwischen Tat und Urteil durchschnittlich weniger als 100 Tage vergehen. Wer also dort im Spätsommer beim Handyraub erwischt wird, bekommt zu Weihnachten ein beschleunigtes Urteil. »Die Verkürzung derartiger Verfahren ist sehr wünschenswert, kostet jedoch viel Geld«, urteilt der Richterbund-Vorsitzende. Dafür müssten nicht nur die Gerichte, sondern auch Polizei und Staatsanwaltschaft personell erheblich besser ausgestattet werden.

Mitarbeit: Frank Drieschner
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© DIE ZEIT, 10.01.2008 Nr. 03


zum Thema

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* Gesellschaft
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* Kriminalitätstypen
* Jugendkriminalität

ZEIT online 02/2008
o
Nicht wegsperren, erziehen!
-

Die Debatte um das Jugendstrafrecht geht am Problem vorbei. Nicht härtere Strafen braucht es, sondern frühes Eingreifen, damit Jugendliche gar nicht erst abgleiten. »
ZEIT online /2008
o
Was tun?
-

Wie sollte sich die Gesellschaft vor jugendlichen Straftätern schützen? Und wie kann man verhindern, dass junge Menschen kriminell werden? Hintergründe und Kommentare »

http://www.zeit.de/2008/03/Jugendkriminalitaet?page=all

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

Inland Zuwanderer appellieren an Merkel und Köhler
"Koch schürt rassistische Ressentiments"

TGB-Chef Kemal Kolat (Foto: REUTERS) Großansicht des Bildes [Bildunterschrift: "Türken sollten Koch nicht wählen" - TGB-Chef Kemal Kolat ]
Unter den Migranten in Deutschland wächst der Unmut über den Wahlkampf des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU), der ein härteres Vorgehen gegen ausländische Straftäter fordert. Nach einem Bericht der "Frankfurter Rundschau" haben 100 Organisationen von Zuwanderern einen offenen Brief an Koch und Bundeskanzlerin Angela Merkel geschrieben, in dem sie Vorurteile gegen Ausländer beklagen und vor einer Spaltung der Gesellschaft warnen.

In dem von der Zeitung zitierten Schreiben heißt es: "Wo offene, konstruktive Gespräche und an der Sachlage orientierte Lösungsvorschläge nötig wären, richten Sie durch Wahlpolemik erheblichen Schaden an." Ein kurzfristiger Erfolg in einem Landeswahlkampf könne es nicht wert sein, dass Vorurteile "neu geschürt" würden. Dadurch werde die Gesellschaft weiter gespalten.

Absender des Briefes ist das Forum für Migrantinnen und Migranten im Paritätischen Wohlfahrtsverband, das die Interessen von Organisationen der Zuwanderer vertritt. Es spricht von einem "herben Rückschlag für den für die gesamte Gesellschaft so wichtigen Integrationsdiskurs".
"Koch schürt rassistische Ressentiments"

Auch die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) stellte sich klar gegen Koch. Sie appellierte an Bundespräsident Horst Köhler, in die Debatte einzugreifen und für Versachlichung zu sorgen. "Ich werde dem Bundespräsidenten heute noch einen Brief schreiben", sagte TGD-Chef Kolat.

Kolat warf Koch vor, "rassistische Ressentiments" zu schüren. Er rief die in Hessen lebenden Türken auf, Koch nicht zu wählen: "Koch ist für Deutschtürken nicht wählbar. Er sagt uns: Ihr gehört eigentlich nicht hierher". Kolat betonte ausdrücklich, dass dies nicht für die CDU-Spitzenkandidaten in Niedersachsen und Hamburg, Christian Wulff und Ole von Beust, gelte.

Die Türkische Gemeinde verurteile Gewalttaten wie den U-Bahn-Überfall in München aufs Schärfste, sagte Kolat. Die Debatte darüber müsse aber sachlich geführt werden. Seine Organisation lehne die Ausweisung junger straffälliger Migranten strikt ab. Diese seien in Deutschland sozialisiert worden und straffällig geworden - "deshalb haben sie ein Recht darauf, nach ihrer Strafverbüßung hier resozialisiert zu werden."
Enttäuschung über Merkel und Böhmer

Enttäuscht sei er auch über Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, die keine besänftigenden Töne in der Debatte gefunden hätten, sagte Kolat. "Wir haben Angst, dass populistische Politiker Ressentiments in der Bevölkerung anstacheln und so Wege für neue Verbrechen ebnen", sagte Kolat. Die Türken in Deutschland hätten die Mordanschläge Anfang der 1990er Jahre in Mölln und Solingen nicht vergessen.

Die TGD vereint rund 230 Vereine und Verbände. Sie sieht sich als nicht-religiöse Interessenvertretung der mehr als 1,7 Millionen Türken in Deutschland und ihrer etwa 500.000 eingebürgerten ehemaligen Landsleute.

* InternDokumentation: Der offene Brief der Migrantenorganisation.
* InternKochs Justizmühlen mahlen zu langsam.
* VideoMedien und Politik: Die Macht der Bilder [Y. Ergin / A. Ruprecht].

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Weltatlas
Weltatlas: Deutschland
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Stand: 10.01.2008 15:05 Uhr
http://www.tagesschau.de/inland/zuwandererkoch2.html

Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

Inland Umgang mit Jugendkriminalität
Kochs Justizmühlen mahlen zu langsam

Roland Koch (Foto: AFP) Großansicht des Bildes [Bildunterschrift: "Das Problem ist da" - Hessens Ministerpräsident Koch ]
Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hat eine zu langsame Bearbeitung von Straftaten Jugendlicher durch die Gerichte in seinem Bundesland zugegeben. "Das Problem ist da", sagte Koch im ARD-Talkmagazin "Hart aber Fair". Er bestätigte Recherchen, nach denen die hessischen Amts- und Landgerichte bei Jugendstrafsachen im Bundesländervergleich ganz hinten liegen. "Wir arbeiten an der Frage, wir müssen Wege finden. Das ist eine der Hausaufgaben, die wir noch haben." Es gebe "intensive Diskussionen" mit der Richterschaft über die langsame Bearbeitung der Fälle.

Vom Eingang bei der Jugendstrafkammer des Amtsgerichtes bis zum Urteil dauert die Bearbeitung im Bundesdurchschnitt 3,1 Monate; Hessen ist Schlusslicht mit 4,1 Monaten. Bei schweren Verbrechen, die vor dem Landgericht landen, ist Thüringen mit 3,5 Monaten am schnellsten. Der bundesweite Schnitt liegt bei 5,4 Monaten, in Hessen dauert es 8 Monate.
Jugendkriminalität Hintergrund: Weitere Meldungen Steigt die Jugendkriminalität tatsächlich an? Welche Taten werden häufiger, welche weniger verübt? tagesschau.de hat Fragen und Antworten zusammengestellt. [mehr]

Koch sagte, härtere Strafen seien nicht das einzige Mittel gegen die Zunahme der Gewalttaten von Jugendlichen. Er sei der Ansicht, dass man das mit Pädagogik machen könne und fügte hinzu: "Ich glaube aber, dass man Pädagogik ohne Härte nicht machen kann." Differenziertes Vorgehen sei angebracht. "Kein Jugendlicher ist wie der andere. Der Katalog muss breit sein und nicht eng. Es gibt nicht eine Antwort." Allerdings seien auch nicht "alle Maßnahmen der Repression falsch und alle Maßnahmen der Freizügigkeit richtig".

In der "Passauer Neuen Presse" forderte Koch, auch schwerkriminelle Jugendliche aus EU-Ländern in ihre Heimat zurückzuführen. "Das ist bei schweren unzumutbaren Verstößen gegen die öffentliche Ordnung möglich. Das EU-Recht steht dem nicht entgegen." Der Kölner Rechtsanwalt Mark Swatek hatte im tagesschau.de-Interview zuvor erklärt, dass die Vorstellungen der Union nicht umsetzbar seien.
Video

* Video Bildunterschrift: Medien und Politik: Die Macht der Bilder, Zapp, 23:00 Uhr [Y. Ergin / A. Ruprecht]
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* intern Weitere Video-Formate .

Die Innenminister der unionsregierten Länder kommen am Abend zu einer Sonderkonferenz in Wiesbaden zusammen, um über weitere Schritte gegen Jugendgewalt zu beraten. An dem Treffen nimmt auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble teil. Der hessische Ressortchef Volker Bouffier will einen Maßnahmenkatalog zum Schutz vor Gewalt durch Jugendliche und Heranwachsende vorlegen.

Vorgesehen ist zum Beispiel der Ausbau der Videoüberwachung in U- und S-Bahnen, Bussen oder an Bahnhöfen. Das gelte ebenso für das Wachpersonal im Nahverkehr. Zur Finanzierung schloss Bouffier einen kleinen Sicherheitszuschlag von den Fahrgästen nicht aus.
Infografik Erwachsenenstrafrecht

In der Zeitung "Die Welt" forderte er, Bewährungsstrafen stets mit "fühlbaren Maßnahmen" zu kombinieren. "Dazu sollten Arbeitsaufträge, Aufenthaltsverbote und -gebote gehören. Jugendliche Straftäter müssen dann ab 20.00 Uhr zu Hause bleiben, dürfen nicht mehr in die Disko", sagte Bouffier. Im geschlossenen Strafvollzug müssten inhaftierte ausländische Jugendliche dazu verpflichtet werden, Deutsch zu lernen.
Zypries weist Forderungen der Unions-Länder zurück

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hatte gestern die Forderung der Union nach schärferen Strafen für junge Kriminelle zurückgewiesen. Das Bundeskabinett habe entsprechende Vorschläge des Bundesrats schon im Jahr 2006 einstimmig abgelehnt, sagte sie. Zypries reagierte damit auf eine Sonderkonferenz der Justizminister der unionsregierten Länder, die sich für härtere Gesetze und mehr Vorbeugung aussprach.

* InternInterview: "Vorstellungen der Union sind nicht umsetzbar".
* InternDossier: Jugendkriminalität - Ein Problem wird instrumentalisiert.
* InternForum: Umgang mit Jugendkriminalität.
* VideoRoland Koch über das umstrittene Wahlkampfthema.

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Weltatlas
Weltatlas: Deutschland
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Stand: 10.01.2008 08:28 Uhr
http://www.tagesschau.de/inland/jugendkriminalitaet48.html