SonniVioVinci - Violettas Opernkiste

Violettas Opernkiste

Re: Violettas Opernkiste

@Violetta
Hast Du diese Lokalitäten auch schon mal aufgesucht?

fragt
Vincent


Re: Violettas Opernkiste

Nein, leider nicht. Die Casa di Riposo ist in Mailand und dahin hat es mich noch nicht verschlagen.
Noch so ein Ziel für wenn ich mal alt und reich bin

Re: Violettas Opernkiste

Mr. Bean und der Antichrist oder: Was haben nur alle gegen Anna N.?
Unsere schöne heile, elitäre Opernwelt ist bedroht. Bedroht von einem Paar, das gekommen ist, die Oper aus dem Elfenbeinturm der Schlauen, Klugen und Gebildeten zu holen. Ein teuflisches Paar, dem man nichts durchgehen lassen darf.
Tja, so ist das. Während die Presse Rolando Villazón und Anna Netrebko als "Traumpaar der Oper" feiert (wenn ich das noch ein einziges Mal lesen muß fange ich an zu schreien!) gibt es in diversen Opernforen im Netz nicht wenige, die die beiden auf dem Scheiterhaufen sehen wollen.
Brennen soll vor allem Anna Netrebko, bei Rolando wollen wir mal nicht so sein. Der hat wenigstens eine schöne Stimme (wenn auch selbstverständlich KEINERLEI Technik) und wird nur so ein bißchen angekokelt. Aber Anna muß weg.
Es gibt tatsächlich Opernliebhaber, meist die ganz besonders schlauen, die selber im Kirchenchor singen und ja überhaupt alles viel besser können, die Anna Netrebko nicht verzeihen, daß sie nicht nur singen kann sondern auch jung, schön, sexy und nicht Maria Callas ist.
Wenn Monteserrat Caballé als schwindsüchtige Mimi auf der Bühne steht sieht man wegen ihrer wunderbaren Stimme, völlig zurecht!, darüber hinweg, daß ihre Figur nicht so ganz zu einer Frau paßt, die gleich vor Entkräftung tot umfallen wird. Aber wenn Anna als Luxuscallgirl in "La Traviata" schön und sexy aussieht und in "Manon" im Negligee durch die Gegend springt und mit ihrem Liebsten neckische Spielchen spielt weil sie 17 Jahre alt und neugierig auf die Liebe ist, dann geht das auf keinen Fall. Schließlich lesen sich frisch Verliebte, daß wissen wir ja alle, den ganzen Tag lang Gedichte vor oder diskutieren über Atomphysik.
Und Rolando V. dieser mexikanische Mr. Bean singt doch tatsächlich jedesmal so, als sei es das letzte mal, zieht Grimassen und wirft die Arme in die Luft. Nein, das geht wirklich nicht.
Hach, wie mich das elitäre rumgezicke mancher Opernkenner aufregt.
Was mich zu diesem Ausbruch treibt? Nur ein paar dämliche Kommentare bei Youtube und in diverden Openforen. Aber da ich da aus gutem Grund nicht angemeldet bin, tobe ich mich hier aus.
Ist ja mein Kästchen
Und hier noch der optische Vergleich: Mr. Bean versus Rolando Villazón
Im übrigen nehme ich die Oper vemutlich zu ernst.
Aber so sind wir. Wir können uns die Köppe einhauen über solche Themen.
Vielleicht solltet ihr einfach aufhören, hier zu lesen. Sonst werdet ihr onch wie ich

Re: Violettas Opernkiste

Ach so ist es doch überall....Ist mal jemand erfolgreich wird ihm Kommerzialität vorgeworfen. Am lautesten sind die die wirklich nichts können.
In elitären Kreisen ist es am schlimmsten.
Weiteres Beispiel ist Genesis...die Ära mit Phil Collins als Sänger gegen die mit Peter Gabriel.
Von Dieter Bohlen oder Stefan Raab will ich garnicht mal anfangen. Wer erfolgreich Geld einfährt hat immer mit Neidern und Polarisation zu leben.
zu Deinem Stil Violetta

Vincent


Re: Violettas Opernkiste

Huhu!
Wenn meine Zornesausbrüche andere amüsieren, dann ist das schon in Ordnung, wir wollen es ja wirklich nicht zu ernst nehemn. Geht ja schließlich um Leute, die anfangen zu singen wenn ihnen jemand ein Messer in den Bauch rammt.
Das mit Genesis und Phil Collins ist wirklich wahr. Ich mag und verehre Peter Gabriel sehr, ich habe ihm bisher zweimal live gesehen und würde es jeder Zeit wieder tun. Er ist ein Ausnahmekünstler ABER Genesis ohne Peter war auch klasse und Phil Collins selber gefällt mir sowohl als (damals) neuer Frontmannvon Genesis wie als Solokünstler. Und damit klar ist, welch eine oberflächliche, in jede komerzielle Falle tappende Gans ich bin: ich mag seine Songs zu den Disney-Filmen sehr.
Und danke für die Stilbumen. Da wird man ja ganz rot wird man ja da.
Ob viele Opernfans so sind? Naja, manche eben. Wenn das teuflische Paar irgendwo auftritt ist meistens die Begeisterung im Saal groß. Villazón muß als Nemorino im "Liebestrank" mittlerweile mit schöner Regelmäßigkeit sein Una furtiva lagrima wiederholen, was bisher als Todsünde galt, aber wenn ER den Nemorino singt schon gute alte Tradition geworden ist. (Ist ja auch ein schönes Stück, das der Donizetti da rausgehauen hat).
Aber es gibt eben doch einige Leute, die den beiden nicht verzeihen, daß sie dermaßen populär geworden sind. Nicht nur durch ihren Gesang, sondern eben auch weil sie, völlig legitim wie ich finde, auch die Marketingstrategien der modernen Popmusik nutzen:Interviews, Fotostrecken, Kurzauftritte bei "Wetten daß.." und Götz Alzmann etc.
Klappern gehört eben zum Handwerk und das alles würde nix nutzen, wenn sie sängen wie die rostigen Gieskannen.
Es gibt auch Kritik, die ich sehr interessiert zur Kenntnis nehme. Wenn jemand, bei dem ich davon ausgehen kann, daß er Ahnung davon hat (mehr als ich jedenfalls) schreibt, daß man immer Angst um Rolando V. hat weil er stets so kompromißlos singt wie er es tut und man fürchten muß, daß er sich verheizen läßt und von dieser wunderbaren Stimme irgendwann nix mehr übrig ist, dann kann ich dazu nur bekümmert nicken. Das fürchte ich nämlich auch manchmal.
So. Morgens um diese Uhrzeit schon wieder soviel zu solchen Albernheiten zu schreiben ist nicht normal und nur verzeihlich, weil ich aus irgendwelchen Gründen zwar todmüde bin, aber schon seit Stunden nicht mehr richtig schlafen kann.
Da steht man etwas neben sich.

Re: Violettas Opernkiste

So kann ich nicht arbeiten! oder: der böse Zensor!
Heutzutage ist ja (leider möchte man fast sagen) auf der Openbühne alles erlaubt: da werden in Mozartopern Köpfe abgeschlagen die da überhaupt nicht hingehören (weshalb es fast schon wieder Sinn macht, sie abzuschlagen... ), da werden dem gesamten männlichen Bühnenpersonal im ersten Akt von "La Traviata" Dildos umgeschnallt, damit der dumme Zuschaer auch begreift, was die alle von der hübschen Frau im weißen Kleid wollen. "Die Zauberflöte" wird zu einem dreckigen Scheidungskrieg zwischen der Königin der Nacht und Sarastro, und Sänger werden gezwungen, in körperlichen Positionen zu singen, die für's Singen denkbar ungeeignet sind, nur weil der Regisseur sowas für Interpretation hält.
Dem war nicht immer so.
Die Herren Verdi, Massenet, Mozart etc. mußten sich permanent mit der Zensur rumschlagen die es zu ihrer Zeit noch gab. Das heißt: sie durften eine Oper keineswegs immer so auf die Bühne bringen, wie sie das gerne getan hätten. Es gab immer irgendeinen Bedenkenträger, der laut und deutlich sein "Das geht nicht weil..." brüllte.
Besonders Giuseppe Verdi wußte davon ein Lied zu singen.
Fangen wir wieder mal mit meiner Lieblingsoper an: La Traviata.
Wenn man es nicht wüßte (weil man es im Opernführer gelesen hat) käme man nicht so ohne weiteres darauf, daß Violetta eine Prostituierte ist. Nirgendwo wird es erwähnt und abgesehen von Inszenierungen mit Dildos tut sie auch nicht wirklcih etwas, was darauf hindeuten würde.
Das liegt am Zensor.
In der Romanvorlage hat Marguerite Gauthier (=Violetta) zunächst durchaus mehrere Liebhaber gleichzeitig: Armand (=Alfredo) fürs Herz und den Spaß an der Sache, sowie einen gewissen Baron von Schlagmichtot zum bezahlen ihrer Rechnungen. Außerdem diverse Herren, die sie sich für spätere schlechte Zeiten warmhält.
Schon Dumas mußte für die Bühnenversion seines Romanes einige Kompromisse schließen. Im katholischen Italien haben sie Verdi noch strengere Auflagen gesetzt. Selbst der Titel "La Traviata" (zu Deutsch etwa "Die Verirrte") wurde nicht wirklich gerne gesehen, weshalb das Stück immer mal wieder als "Violetta" angekündigt wurde. (Verdis "Arbeitstitel" war übrigens "Amore e morte - Liebe und Tod")

In seiner Oper "Rigoletto" opfert sich das Mädchen Gilda für den schurkischen Herzog von Mantua. Sie erfährt von einem Mordkomplott, daß ihr Vater gegen den Herzog schmiedet, weil dieser Gilda verführt und dann, wir ahnen es, sitzengelassen hat. Es führt zu weit hier zu schildern, wie sie den Herzog davor rettet. Nur soviel: er wird es nie erfahren. Die sterbende Gidle wird in einem Sack ihrem ahnungsloen Vater übergeben, der glaubt, den Herzog vor sich zu haben und entsetzt die Wahrheit erkennen muß.
Um diesen Sack hat sich Verdi mit den Zensoren erbitterte Kämpfe geliefert. Sie wollten ihm den Sack verbieten. Ein sterbendes Mädchen im Sack, das ist doch fuchtbar.
"Ja" wird er wohl gesagt haben "eben!"
Der Sack ist erforderlich, allein aufgrund der musikalsichen Dramartugie. Nun ja, er hat seinen Sack am Ende bekommen. Aber in einer anderen Sache mußte er Abstriche machen: die literarische Vorlage für Rigoletto ist "Le roi s'amuse - Der König amüsiert sich" von Victor Hugo. Im Originalstück ist es also ein König, der ein Mädchen verführt und dann dem Elend überläßt.
Wir alle wissen, daß Fürsten und Könige so etwas niemals getan haben.
Das wußten auch die Zensurbehörden, weshalb sie aus dem König einen Herzog gemacht haben.

Ein ähnliches Trauernpiel in der Verdioper "Ein Maskenball": auf besagtem Bal wird Riccardo, ein amerikanischer Gouverneur erstochen. Unschuldig und völlig zu Unrecht, nebenbei bemerkt.
Diese Oper geht auf eine historische Begebenheit zurück: einstmals (fragt mich nicht wann!) wurde ein schwedischer könig mit Namen "Gustav" auf einem Masklenball erstochen.
Aber ebensowenig wie Könige Jungfrauen verführen, werden sie ermordet. Ein Blick ins Geschichtsbuch genügt, uns as klarzumachen.
Deshalb: "Nein Herr Verdi, aus dem König machen wir mal schön einen Gouverneur. Klar soweit?"
Das sind nur drei Beispiele. Es gäbe weitere und alle sind sie, nach heutigem Empfinden, ähnlich abstrus.
Mozart hatte es mit seiner "Hochzeit des Figaro" auch nicht leicht.
Die Ausgangssituation ist folgende: Figaro, der Kammerdiener des Grafen Almaviva, möchte endliche seine Verlobte Susanna, die Kammerzofe der Gräfin Almaviva, heiraten.
Der Graf aber ist hinter allem her, was nicht bei drei...ihr wißt schon.
(Zusammen mit Don Giovanni und dem Herzog von Mantua gäbe das eine nette Skatrunde. Die hätten sich einiges zu erzählen...)
Nun ist der Graf aber trotz allem kein so schlechter Kerl: er hat vor einigen Jahren das Jus primae noctis abgeschafft. Das "Recht auf die erste Nacht" das es offenbar wirklich mal gab: der Landesfürst hatte das Recht auf die erste Nacht jedes Mädchens, das in seinem Herrschaftsbereich geheiratet hat. Ja, das waren raue Sitten damals.
Dieses Recht also hat der Graf freiwillig abgeschafft. Als nun aber Susanna heiraten will, und er sieht, wie nett und knusprig sie ist, da wandelt ihn die Lust an, sich das doch nochmal zu überlegen.
Als Figaro das rauskriegt (weil Susanne es ihm erzählt, er schnallt nämlich erstmal nix ) sagt er ihm den Kampf an.
"Will der Herr Graf ein Tänzchen nun wagen...aber die Gitarre spiele ich!"
Zur Zeit des Kaisertums von Gottes Gnaden in der die Oper entstanden ist, gab es harte Kämpfe, bis man Mozart DAS hat durchgehen lassen.
Kaiser Joseph der Viertelvorzwölfte war ein Verehrer Mozarts und hat es ihm schließlich gestattet.
Er lebe hoch!

Re: Violettas Opernkiste

Nur mal zwischendurch, weil mir das Zitat aus der Kritik zu "Manon" so gut gefalen hat:
Zitat:
Gehen Sie betteln, stehlen oder borgen, um doch noch eine Karte für die restlos ausverkauften Vorstellungen zu ergattern. Derart grandiose Aufführungen gibt es nicht alle Tage zu hören.


- Uwe Friedrich, Märkische Oderzeitung Frankfurt, 02.05.07 - Jawoll. Recht hat er.

Ätsch ihr Besserwisser

Re: Violettas Opernkiste

Gran Dio! Morrir si giovine! oder: Der Sensenmann kommt. Letzte Worte

Heute geht es mal nicht um das, was unsere Opernhelden singen (dazu komme ich ein andermal wieder), heute geht es um das was sie SAGEN. Dann sagen, wenn es eng wird, brenzlig, wenn Holland in Not ist, wenn, kurz gesagt, Freund Hein seine Ernte einfährt.
Die wenigsten gehen schweigend aus dem Leben, sie sterben lange, ausgiebig und immer mit einem hübschen Liedchen auf den Lippen. Sie singen mit einem Dolch im Rücken und einem Messer im Bauch. Sie singen mit von der Tuberkulose zerstörten Lungen und mit Gift im Körper. Sie singen während sie sich von hohen Gebäuden in die Tiefe stürzen und während sie den Verstand verlieren. Mit anderen Worten: sie singen immer dann, wenn unsereins zu husten anfangen oder Aua! schreien würde.
Aber was SAGEN sie? Wie sind ihre letzten Worte?
Riccardo aus der Oper "Ein Maskenball" wird erstochen. Er leitet die Sterbe- und Abschiedsfeierlichkeiten mit einem durchaus zutreffenden "Io morrò!" ("Ich sterbe!") ein. Alsdann beginnt er zu verzeihen. Allen zu verzeihen. Seinen Mördern, die ob solcher Großmut erschüttert am Tatort stehen und es jetzt schon bereuen (Vinci nennt das "Den Sprung im Fallen schon bedauern"). Er verzeiht aber auch allen anderen. Keiner weiß warum und keiner weiß, was er ihnen verzeiht. Jedenfalls fällt einer meiner Lieblingssätze im gesammten ialienischen Repertoire: "Tutti assolve il mio perdono - Mein Verzeihen erlöst alle".
Ein sehr witziger Opernfan hat einmal geschrieben "Man hat den Eindruck, daß er sich ein 'Ich bin die Auferstehung und das Leben' nur mit Mühe verkneift'". Seit ich das gelesen habe, muß ich an dieser Stelle immer sehr unpassend grinsen...
Daraufhin teilt er noch ein paar mal mit daß er jetzt stirbt. Mit einem "Arrgghh..." (kein Scherz!) haucht er dann seine Seele aus.
Der Liebe Gott empfängt ihn am Himmelstor vermutlich mit einem "Sag mal geht's noch???"

Violetta Valèry aus "La Traviata" verkennt, so scheint es, ein wenig den Ernst der Situation. Ihr letztes Wort ist "Gioia!" "Freude".
Die Dame hat, wie sie glaubt, allen Grund sich zu freuen. Ihre Schmerzen sind vergangen, der Husten auch. Sie fühlt neue Kräfte und glaubt, ins Leben zurückzukehren. In ein Leben an der Seite ihres Liebsten. "Ah! Io ritorno al viver!" "Ach, ich kehre zurück ins Leben". Dann fällt sie tot um. Wir wollen ihr diesen letzten Moment höchsten Glücks nach all dem Elend gönnen.
Wem bei dieser Szene nicht die Tränen kommen, der hat kein Herz in der Brust.
Auch ihre kleine Kusine Mimì aus Puccinis "La Bohème" geht am Koch'schen Bazillus zugrunde und auch sie merkt nicht, daß es jetzt ernst wird. Ihre Freundin Musetta hat ihr, die ewig kalte Hände hat, einen Muff geschenkt und ihr gesagt, er sei ein Geschenk ihre Liebsten Rodolfo (der sich sowas nie leisten könnte). Seelig legt sich Mimì zum schlafen nieder, tröstet ihren weinenden Liebhaber mit einem Lächeln und einem "Es geht besser. Weinen um mich, warum?" Und steckt die Hände in den Muff. "Die Hände...im warmen...und...schlafen". Stille. Ein Mollakkord. Ende.

Aida und Radamès in Verdis Oper "Aida" werden aufgrund diverser Delikte (die sie nicht begangen haben, ihr Verbrechen ist die Liebe...) in einem unterirdischen Grabgewölbe eingemauert. Lebendig. Das hat etwas von Maffiamethoden und es ist kein Wunder, daß es in einer italienischen Oper vorkommt.
Ihr Ende gehört zum berückendsten was Verdi je geschrieben hat. Wer die Melodie einmal gehört hat, den läßt sie nicht mehr los. "O terra addio addio valle di pianto" "Leb wohl du Erde, du Tal der Tränen". Das ist nicht realistisch. Das ist überirdisch schön. Die Oper endet so leise wie keine andere Verdi-Oper und wie kaum eine Oper mit lethalem Ausgang. Ein paar einzelne Streicher wiederholen die Melodie ganz leise als unser Paar schon tot ist. Eine Stelle, die von keinem übereilten Schlußapplaus gestört werden darf.
Ich such das bei Gelegenheit mal raus.

Carmen aus Georges Bizets "Carmen" stirbt mit einem hingerotzen "Tiens!!!" "Da!!" auf den Lippen. Mit diesem Wort wirft sie Don José, von dem sie seit geraumer Zeit die Schnauze voll hat, den Ring vor die Füße den er ihr in besseren Zeiten einmal geschenkt hat. Wohl wissend, daß er sie dafür töten wird.
Was dann auch geschieht. Er sticht mit dem Messer auf sie ein und sie stirbt ohne noch irgendwas zu sagen.
Das ist ganz großes Theater. Das komplette Schlußduett in dem José nochmal versucht Carmen zu seinen Gunsten zu beienflussen und sie begeift, daß sie aus der Nummer nicht mehr lebend rauskommen wird und bis zur letzten Sekunde ihre Würde bewahrt ist ein einziger nervenzerfetzender Psychothriller. Wenn da zwei große Sängerdarsteller am Werk sind die ihr Handwerk beherrschen, kommt jeder im Saal dem Magengeschwür ein ganzes Stück näher. Ich empfehle Julia Migenes und Placido Domingo.
Daß aber auch Rolando Villazón mit seiner ganzen immensen schauspielerischen Begabung einen Don José gibt, der in dieser Szene der Alptraum jeder Frau ist und mit dessen Verzweiflung man dennoch Mitleid haben muß, muß ich wohl kaum erwähnen.

Ich will's mal mit dem Thema Tod nicht übertreiben und belasse es bei diesen Beispielen. Die Links zu entsprechenden Videos für die, die sich das mal ansehen möchten folgen später.
Und jetzt meine Damen, mein Herr: keine bösen Träume bitte.
Ist alles nur Theater.

Re: Violettas Opernkiste

Schurkische Seelen - die Bösewichte

Ohne ihn lebten Tosca und ihr Maler glücklich und zufrieden bis an ihr seliges Ende ("Tosca"). Ohne ihn würde Donna Anna den treuen, aufopferungsvoll liebenden Don Ottavio heiraten, ihr Vater wäre noch am leben und auch Zerlina und Massetto hätten keinen Streß miteinander. ("Don Giovanni")
Ohne ihn würden Amelia und Riccardo einander ab und zu mit Blicken anschmachten und in der übrigen Zeit wäre Amelia Renatos treue Gattin, würde allenfalls bei der Ausübung der ehelichen Pflichten an den schönen Gouverneur denken und keinen würde es stören.("Ein Maskenball")
Ohne ihn würden Violetta und Alfredo friedlich auf dem Lande leben und vielleicht würde irgendwann sogar Robert Koch mit seinem neuen Medikament auftauchen und alles wäre gut.("La Traviata")
Ohne ihn hätte Rigoletto seine Tochter noch und ohne ihn würde Lucia Edgardo heiraten und ihrer verkommene Bande von Familie ein für allemal den Rücken kehren. ("Lucia di Lammermoor")
Ohne ihn wären Angela Gheorghiu und Roberto Alagna, Ileana Cotrubas und Placido Domingo, Fräulein Netrebko und Senor Villazón glücklich miteinander und der Plot der allermeisten Opern hinfällig.
Er ist derjenige, der unseren Helden die Petersilie verhagelt, er ist aber auch das Salz in der Suppe, ohne das gar nix geht.
Die Rede ist vom Bösewicht.
Der Bösewicht singt in aller Regel Bariton oder Baß. Nur in absoluten Ausnahme- und Grenzfällen ist er ein Tenor. Aber dann ist er weniger Bösewicht und mehr gequälte Seele (Don José aus "Carmen" ist einer von dieser Sorte).
Die Oper braucht den Bösewicht wie das Christfest den Tannenbaum.
Er bringt Schwung in den Laden und sorgt dafür, daß all das Liebesglück das es auf der Bühne zu sehen und zu hören gibt überhaupt auszuhalten ist und uns nicht rasend vor Neid macht.
Ein besonderer Glücksfall liegt vor, wenn der Bösewicht nicht nur hervorragend singt, sondern sein Darsteller auch noch über Stil, Eleganz und, wenn möglich, gutes Aussehen verfügt. Dann ist er oft so verführerisch, daß man ins grübeln kommen könnte ob nicht doch er die bessere Wahl wäre. Ruggero Raimondi ist, oder besser, war solch ein Sängerdarsteller.
Um es mal so zu formulieren: Raimondi ist für die Opernbühne, was Alan Rickman und John Malkovich für den Film sind. Den jungen Bariton Ildebrando D'Arcangelo habe ich für mein Teil bisher nur in symphatischen Rollen gesehen, aber auch er verspricht, ein Bösewicht von Format zu sein.
Einige herrausragende Schurken möchte ich nun vorstellen.
Los geht's:
Die schwärzeste aller schwarzen Seelen auf der Opernbühne hat zweifellos Polizeipräsident Scarpia aus Giacomo Puccinis "Tosca". In seinen Kellern wird verhört, gequält, gefoltert, gemordet. Ganz Rom zittert vor ihm. Wir schreiben das Jahr 1800, was manche Regisseure zu vergessen scheinen, denn Scarpia und seine Häscher werden immer wieder gerne in SS-Uniformen dargestellt.
Welche Uniform auch immer er trägt: Scarpia lässt Toscas Liebhaber gefangen nehmen, foltern und zum Tode verurteilen weil der ein ziemlich großes Maul hat und Scarpia ganz genau sagt, was er von ihm hält. Als Tosca ihn um Marios Leben anfleht, zieht er die gute alte "Überlegen wir doch mal ,was sie für mich tun können schöne Frau!" - Nummer ab.
Wir ahnen worauf er hinaus will. Unser Mitleid mit ihm als Tosca ihm stattdessen ein Brotmesser in den Leib rammt hält sich denn auch durchaus in Grenzen.
WIE verkommen Scarpia ist zeigt sich gegen Ende der Oper: er hat Tosca versprochen, Mario nur zum Schein durch ein Erschießungskommando hinrichten zu lassen, damit er, Scarpia, sein Gesicht waren könne. Wenn das Kommando abgezogen sei, könne sie dann mit Mario fliehen, dafür stellt er ihr einen Passierschein aus.
Aber erstmal: "Runter mit den Klamotten, schöne Frau!"
Später, als außer ihr noch niemand weiß, das Scarpia tot ist, entdeckt Tosca, daß er sie betrogen hat. Mario wurde erschossen. Hätte Tosca also nicht zufällig das Messer entdeckt, sie hätte sich völlig umsonst prostituiert. Gut, daß sie Scarpia das Lebenslicht ausgepustet hat.

Lucia di Lammermoor liebt Edgardo, Edgardo liebt Lucia. Enrico, Lucias Bruder, haßt Edgardo. Edgardo seinerseits hat einen heiligen Eid geschworen, so viele Lammermoors wie möglich vom Leben zum Tode zu befördern weil diese Familie seiner Familie irgendwann irgendeinen Tort angetan hat. Dann hat er Lucia kennengelernt. Sternschnuppen, rosa Wolken, Verzückung auf beiden Seiten. "Romeo und Julia" auf schottisch. "Lucia di Lammermoor" heißt diese Oper von Gaetano Donizetti.
Lucia ist also umgeben von durchgeknallten, gewalttätigen Männern. Aber immerhin ist Edgardo erwachsen und liebevoll genug, seinen kindischen Schwur aus Liebe zu Lucia zu vergessen. Sie wollen heiraten und dann nix wie weg und die bescheuerte Verwandtschaft hinter sich lassen.
Vorher muß er aber noch was erledigen und haut erstmal ab. Großes Liebesduett, Treueschwüre, "Nimm diesen Ring als Zeichen..." etc. Das ganze Programm. Dann ist er weg, der Edgardo und Lucias Vertrauen ist gefordert. Enrico aber, der Bruder, unterschlägt Edgardos Briefe an Lucia und redet dieser ein, Edgardo habe Lucia längst vergessen und überhaupt sei jeder Sproß dieser Familie ein elender Mistkerl. Er redet solange auf Lucia ein, bis diese zusammenbricht und der Ehe mit einem anderen zustimmt. (Es geht um Geld bei dieser Verbindung. Das nur nebenbei).
Dann geht es zu wie in "Die Reifeprüfung": nach vollzogener Trauung taucht plötzlich Edgardo auf und brüllt, nein, nicht "Elaine!!!" sondern "Lucia!!!".
Weil er nicht schnallt was geschehen ist, und unbegreiflicher Weise auch nicht zu sehen scheint, daß Lucia dem Zusammenbruch nahe ist, glaubt er an ihre Treulosigkeit und wünscht ihr die Pest an den Hals.
In der Hochzeitsnacht ermordet Lucia ihren Gatten ehe sie Edgardo tatsächlich die Treue brechen kann, wird wahnsinnig, phantasiert ihre und Edgardos Hochzeit (keine hat das so hingekriegt wie die Callas) und stirbt hinter den Kulissen.
Edgardo der das Komplott erst rauskriegt als Lucia schon tot ist, stürzt sich in sein Schwert und geht tot.
Und an allem ist Enrico schuld, der Mistkerl.

Ja doch, er ist ein Bösewicht, dieser Don Giovanni. Er mordet, er verführt , er vergewaltigt (versucht es zumindest, aber die Damen sind wehrhaft), er spinnt Intrigen, er schikaniert seinen Diener, er verspottet die ihn lieben du zu retten versuchen. Er ist bis zum Schluß uneinsichtig.
Er IST ein Schurke.
Und doch...
Mozarts ganze wunderbare Oper lang geht es um den Lebenswandel des spanischen Granden Don Giovanni. Die Oper beginnt mit einem Mord: Giovanni ermordet den Vater Donna Annas als dieser die von Giovanni in Angriff genommene Vergewaltigung seiner Tochter
vereitelt. Als dann geht es mit Don Giovannis Frauengeschichten weiter. Giovanni ist, wie man heute sagen würde, sexsüchtig, ein getriebener, gehetzter, der, kaum ist er zum Ziel gekommen, der nächsten Eroberung nachjagen muß. Mit Liebe hat das gar nix zu tun, mit Erotik nur sehr wenig, mit Verzweiflung schon mehr.
Gipfel der Verruchtheit: als Giovanni auf dem Friedhof ist auf welchem der Komtur begraben liegt, verspottet er dessen steinernes Standbild und lädt es für die gleiche Nacht zum Nachtmahl ein. Der steinerne nickt mit dem Kopf.
Einen Akt später sitzt Don Giovanni beim Essen, als es an der Tür klopft.
Das Standbild tritt ein (es gibt dafür verschiedene Lösungen, die genialste die ich gesehen habe: die Tür öffnet sich und statt einer Statue die eintritt, fällt gleißendes, unheimliches Licht auf die ansonsten stockfinstere Bühne. Man hört nur die Stimme des Komturs, ohne ihn zu sehen)
Der Komtur teilt Don Giovanni mit, er sei gekommen, ihn jetzt in die Hölle zu holen. Es reiche jetzt endgültig. Des Himmels Gnade und Geduld sei erschöpft, wenn er jetzt nicht auf der Stelle bereue sehe es übel aus für ihn.
Jetzt zeigt sich, trotz allem, Don Giovannis ganze Größe: er findet nämlich, er habe ein ganz tolles Leben gehabt, er hatte Spaß, er hatte Frauen, er hat sich genommen was er wollte. Es tut ihm nicht leid und er sieht auch keineswegs ein, so zu tun als ob.
Er bereut nicht. Dafür fährt er zur Hölle, denn Strafe muß sein. Aber ich für mein Teil kann nicht anders, als ihn für seine kompromisslose Ehrlichkeit zu bewundern.
Don Giovanni hat unendlich viele Fehler. Heuchelei gehört nicht dazu.
Ich habe eine Inszenierung gesehen, in der Don Giovanni ganz am Ende der Oper in der Hölle gezeigt wird: angeregt mit einer hübschen Teufelin parlierend und sich verführerisch über sie neigend...
Ja. Er ist ein Bösewicht. Und doch...

Der Jägerbursche Kaspar aus Carl Maria von Webers Oper "Der Freischütz" ist ein Raufbold. Er trinkt, er steigt den Frauen nach, er liebt den Wein und das Würfelspiel.
Das allein stempelt ihn noch nicht zum Bösewicht sondern viel eher zum liebsten Kumpel jedes durchschnittlichen deutschen Mannes. Aber: Kaspar ist mit dem Teufel im Bunde.
Er hat dem Leibhaftigen, der hier "Samiel" heißt, seine Seele verpfändet im Gegenzug für eine gehörige Anzahl Freikugeln und überhaupt für Glück in jeder Lebenslage.
Wie dieser Deal im Allgemeinen eben so läuft.
Aber jetzt wird es eng für Kaspar: wenn er nicht bis Mitternacht eine neue seele für Samiel herbeischafft, muß er selbst dran glauben und der Teufel kommt ihn holen.
Also überredet Kaspar den 2. Jägerburschen Max, der die Tugend selber, kreuzbrav und (unter uns) enorm langweilig ist, Freikugeln zu gießen.
Max kann sie gebrauchen: er muß am nächsten Tag mit einem "Probeschuß" beweisen, daß er ein guter Jäger ist und um die Hand von Agathe, der Tochter des Erbförsters anhalten arf.
Agathe und Max, wir können uns denken, lieben sinch und werden furchtbar unglücklich sein, wenn Max beim Probeschuß versagt. es steht also einiges auf dem Spiel, Max ist nervös und hat noch dazu seit Wochen nix gescheites getroffen.
Ein Gück für die Tiere des Waldes, Pech für Max.
Mit Freikugeln, so Kaspar, sei das Problem ganz einfach zu lösen: sie treffen immer. Wohin der Schütze sie auch lenken will ,sie verfehlen nie ihr Ziel.
Was er ihm nicht verrät: es sind Kugeln des Teufels, 7 an der Zahl. "Sechse treffen, aber die siebente gehört dem Bösen. Der kann sie lenken, wohin er will"
Max in seiner Verzweiflung geht darauf ein und gießt in der Nacht nit Kaspar zusammen unter mächtig viel Bühnenzauber und gruseliger Musik die Kugeln. Kaspars Plan: beim Probeschuß wird die Kugel des Bösen Maxens Liebste treffen und töten. Der wird daraufhin den Verstand verlieren und sich umbringen. Die versprochene Seele für den Teufel und Kaspar hat wieder für sieben Jahre Ruhe.
Das alles würde auch funktionieren, wäre da nicht ein weiser alter Eremit, der Agathe mit geweihten Rosen versogt hat, die sie am Morgen des Probeschusses im Haar trägt.
Der Böse kann ihr nichts anhaben und lenkt die Kugel auf Kaspar, der daraufhin gen Hölle fährt.
Max wird ein bißchen ausgeschimpft, der Probeschussein für allemal abgeschafft und wenn er brav ist (und es besteht kein Zweifel, daß er das sein wird), darf er in einem Jahr Agathe heiraten.
Ende gut, alles gut.

Noch einige Worte zu jenen, die nicht direkt zu den Bösewichtern der Oper gehören, die aber dennoch mächtig viel Unheil anrichten. Ich möchte sie mal "Störenfriede" nennen.
Der König der Störenfriede ist ganz zweifellos Germont père, der Vater Alfredos aus "La Traviata".
Der Mann hat es aber auch nicht leicht: aus guter Familie stammend (gehobenes Bürgertum denke ich mal), gut situiert, wenn auch nicht reich, ist ihm sein Leumund und der seiner Familie überaus wichtig.
Da passt es ihm nun gar nicht ins Konzept, daß sein einziger Sohn sein Herz an eine Dame loser Moral verloren hat. Sich bei einer solchen Frau die Hörner äh... abstoßen, sie zwei- dreimal die Woche besuchen und bezahlen ist eine Sache, man ist ja kein Unmensch und war auch mal jung.
Aber Liebe? Ehe? Kinder gar?
Außerdem ist da das unschuldige Töchterlein das verlobt ist und dessen Verlobter sie verlassen wird, wenn Alfredo diese Beziehung nicht beendet.
Also mischt Papa sich ein und wie wir wissen, endet das fürchterlich.
Ist das ein Bösewicht? Wohl eher nicht. Entweder ist er der gute alte Papa als der er häufig dargestellt wird und dem das Herz blutet bei all dem Leid daß er zufügen muß, oder er ist der herzenskalte, nur auf den äußeren Schein bedachte Biedermann, verklemmt bis ins Mark, dessen einziger Körperkontakt zu seinem Sohn in einer schallenden Ohrfeige besteht die er ihm verpasst, als er ihm zu widersprechen wagt, als den ihn der grandiose Thomas Hampson bei den Salzburger Festspielen 2005 gegeben hat.
Böse? Nein. Aber unheilvoll. Daran ändert auch die ganze schöne Musik nichts die er singen darf.
Was ICH mich immer frage, und was sich der alte Germont auch mal fragen sollte: was ist das eigentlich für ein Waschlappen von Schwiegersohn, der bereit ist das Mädchen, das er doch angeblich liebt, zu verlassen nur weil deren Bruder eine Beziehung eingeht die ihm unpassend erscheint???

Ein ganz anderer Fall ist der schon erwähnte Don José aus Carmen.
Zählen wir seine Untaten auf:
er lässt die Zigeunerin Carmen laufen obwohl er sie in den Knast bringen soll. Aber sie ist halt so hübsch und wickelt ihn ein.
er verletzt seinen Vorgesetzen schwer als dieser ebenfalls heftiges Interesse an Carmen zeigt
er verschreibt sich dem Schmugglerhandwerk
er tötet Carmen als sie sich endgültig von ihm trennt.
Böse?
In dem "Carmen" Film mit Placido Domingo und Julia Migenes stellt Domingo ihn als im Grunde guten, aufrichtig liebenden Jungen dar, der in die Fänge einer, für ihn, falschen Frau gerät, im falschen Moment die Nerven verliert und mit dem Messer auf sie los geht.
Villazóns José der "Carmen" Aufführungen aus Berlin von 2006 ist vom ersten Augenblick in dem er die Bühne betritt, ein verwirrter, zur Gewalt neigenden junger Mann dessen Verhältnis zu Carmen weniger mit Liebe dafür umso mehr mit Macht und Besitzanspruch zu tun hat.
Als sie ihm entgleitet, verliert er langsam aber sicher den Verstand und entwickelt sich zum brandgefährlichen Stalker.
Es ist grauenvoll und großartig, ihm dabei zuzusehen.
Beide Deutungen sind großartig und in keiner von beiden ist er böse.
Was lernen wir? Man muß nicht böse sein, um Katastrophen heraufzubeschwören.

Re: Violettas Opernkiste

Die José Carreras Stiftung
In der Oper wird geliebt, gelitten und-vor allem- gestorben. Zu schöner Musik und am Ende stehen alle auf, verbeugen sich und werden gefeiert.
Wir alle wissen, das das im wirklichen Leben anders ist.
Der katalanische Tenor Josep Carreras, der seinen Namen während der Franco-Diktatur in das spanische "José" ändern mußte, und unter diesem Namen weltberühmt wurde, befand sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere, als er 1987 während der Dreharbeiten zu einer Kinofassung der Oper "La Bohème" ernste gesundheitliche Probleme bekam. Die Ursache für die Fieberschübe und Erschöpfungszustände schien schnell gefunden: ein böse vereiterter Zahn.
Aber die Lage spitzte sich so zu, daß der Musiker die Dreharbeiten unterbrechen und sich weiteren Untersuchungen unterziehen mußte.
Die Diagnose war verheerend:Leukämie. Schon seine Mutter war an dieser Krankheit gestorben als er 11 Jahre alt war. Carreras befand sich in akuter Lebengefahr, die mit schweren Medikamenten (und vermutlich einer gehörigen Portion Glück) vorerst gebannt werden konnte, sodaß über das weitere Vorgehen entschieden werden konnte.
Gemeinsam mit seinen Ärzten entschloß er sich, eine Klinik im amerikanischen Seattle aufzusuchen, die als führend auf dem Gebiet der Erforschung und Behandlung der Leukämie galt.
Es folgte ein grauenvolles Jahr in dem dem Künstler nichts erspart blieb: Chemoptherapie, Bestrahlung, Knochenmarktransplantation. Transplantiert wurde ihm sein eigenes, vorher entnommenes und behandeltes Knochenmark, da weltweit kein geeigneter Spender gefunden werden konnte.
Es gab viele, zum Teil lebensbedrohliche, Rückschläge.
Ein Problem ganz anderer Art hatte die Poststelle des Krankenhauses: nach Bekanntwerden der Krankheit des Sängers erhielt dieser jeden Tag ganze Wagenladungen von Briefen und Karten mit Genesungswünschen. Sie kamen von Kollegen, von Fans aus aller Welt, von Opernfreunden aber auch von Menschen, die noch nie in ihrem Leben ein Opernhaus betreten hatten. Einer der Briefe trug als Adresse nur die Angabe "Tenor, Seattle".
Er ist angekommen.
Schließlich wurde das Wunder wahr: Carreras wurde als geheilt, aber noch schonungsbedürftig entlassen und durfte zurück nach Hause.
Wenige Tage nach seiner Heimkehr besuchte er eine Vorstellung im Teatro Liceo in Barcelona. Renata Scotto und Placido Domingo sangen in "Fedora".
Natürlich sprach sich im Ensemble schnell herum, wer da im Publikum saß. Als er gegen Ende der Oper hinter der Bühne ging um seinen Kollegen zu gratulieren, umringten die ihn wie einen verlorenen Sohn und schoben ihn in Richtung Bühne, während Domingo, der vor dem Vorhang seinen Applaus entgegennahm, das Publikum um Ruhe bat.
"Ich präsentiere ihnen nun einen großen Freund und einen großen Sohn Spaniens, der in sein Theater und zu seinem Publikum
zurückgekehrt ist"
Dann wurde er auf die Bühne geschoben und dort,Domingo hatte sich in die Kulissen zurückgezogen, allein gelassen.
Carreras hat die Situation später so beschrieben:
"Welch ein Augenblick! Die Leute im Theater erhoben sich fast gleichzeitig von ihren Sitzen, über mich brach eine Ovation herein, die mich zu Tränen rührte. Ich spürte, dieser Jubel gilt nicht dem Tenor Carreras, sondern er gilt dem Menschen Carreras. Und dieser Jubel wollte nicht enden, plötzlich flogen sogar Blumen auf die Bühne, und mittendrin stand ich: unfähig etwas zu sagen- beinahe zehn Minuten lang. Auch dafür wirst du dich eines Tages bedanken, dachte ich damals"
Bedankt hat er sich 21. Juli 1988 mit einem Openair-Konzert in Barcelona. Statt der erwarteten 30 000 Besucher kamen
250 000 um ihn zu hören und seine Rückkehr zu feiern.
Man muß bedenken: lange war nicht klar, ob seine Stimme unter der Behandlung gelitten hat. Sie hat es nicht, auch das ein Wunder.
Aber bedankt, und daher erzähle ich das alles überhaupt, hat sich José Carreras auch mit der Gründung der José Carreras Stiftung die sich dem Kampf gegen die Leukämie und der Erforschung dieser Krankheit verschrieben hat und zudem über die Möglichkeiten der Knochenmarkspende (und wieder einmal verweise ich auf den Link in meiner Signatur) informieren will.
Das Ziel der Stiftung hat Carreras einmal so beschrieben: "Unser Ziel ist klar:Leukämie muß heilbar werden. Immer und bei jedem!"
Denn eins muß man bedenken: bei allem Leid war Carreras privilegiert. Er hatte die finanziellen Möglichkeiten, sich in die Hände der besten Ärzte der Welt zu begeben. Die beste Leukämieklinik der Welt aufzusuchen. Mehrfach wurde sein Leben nur durch neuartige Behandlungsmethoden gerettet, die keine Krankenkasse bezahlt hätte. Wer weiß, wie die Sache geendet hätte, wäre er Friseur gewesen und hätte nur über ein normales Einkommen verfügt. Das hat er nicht vergessen und auch das ehrt ihn.
Nach wie vor reist der Sänger um die Welt um Spenden für seine Stiftung zu sammeln und er zieht dabei alle Register: große Spendengalas im Fernsehen in denen berühmte Stars auftreten. Er selbst natürlich auch, Berichte über geheilte und noch zu behandelnde Patienten etc.
In seinem Buch "Singen mit der Seele" berichtet er, daß ihn während seiner Therapie vor allem der Anblick der vielen krebskranken Kinder erschüttert und in ihm den Wunsch geweckt hat, etwas gegen diese furchtbare Krankheit zu tun, wenn er sie überleben sollte.

Was ist zum Sänger Carreras zu sagen?
Er war ein wunderbarer Sänger und er ist es immer noch, auch wenn die Zahl seiner Auftritte naturgemäß abnimmt. Er nimmt die Arbeit für seine Stiftung sehr ernst und hat inzwischen auch ein Alter ereicht, in dem man nunmal beginnt, sich von der Bühne zurückzuziehen.
Es sei denn, man heißt Placido Domingo und ist ein Naturwunder, aber das gehört in ein anderes Thema.
Hier zwei Ausschnitte aus Carreras Vorstellungen.
Der erste entstand 1982 , der zweite bei einem Konzert zu Ehren des Sängers Mario Lanza 1994:

La Bohème 1982
\"Granada\" 1994
Der Kerl der ab und zu gezeigt wird (der mit den vielen Flaggen) ist Mario Lanza in einem Filmausschnitt. Gehört auch auf eine andere Baustelle.
Also: wer noch einen guten Zweck sucht für den er mal spenden kann, die José Carreras Stiftung wäre nicht die schlechteste Lösung.